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ANIARA

ANIARA

ANIARA ist die Geschichte eines der vielen Raumschiffe, die für den Transport der fliehenden Erdbevölkerung zu ihrem neuen Heimatplaneten Mars eingesetzt werden. Doch gerade als das Schiff die zerstörte Erde verlässt, kollidiert es mit Weltraumschrott und wird von seinem Kurs abgetrieben. Den Passagieren wird langsam klar, dass sie nie mehr zurückkehren können. Der Protagonist, MR, leitet einen Raum, in dem ein empfindungsfähiger Computer den Menschen nahezu spirituelle Erinnerungen an die Erde ermöglicht. Während das Schiff weiter in die endlose Leere driftet, benötigen immer mehr Passagiere die Dienste eines MR. Der Druck baut auf der MR auf, da sie die Einzige ist, die den wachsenden Wahnsinn und die tödliche Depression in Schach halten kann.

Goldonder Aniara, bitte Türen schließen!
Das Heulen der Sirene ist Signal
zur Ablösung vom Schwerkraftfelde, nach bekannter Weise,
und ganz allmählich schleppt nun auch der Goldonder
der Gyrospiner aufwärts, lichtwärts zum Zenit,
wo Magnetrinen, Feldkraft löschend, durch Signale
bald Lage Null verkünden, worauf Feldablösung folgt.

(Aus: Harry Martinson: Reisen ohne Ziel)

Der Film beginnt mit Aufnahmen von der Erde, die von Naturkatastrophen heimgesucht wird, und wechselt zu einer Gruppe von Emigranten, die von ihrer früheren Heimat zur ANIARA – einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff im Orbit – aufbrechen und von dort aus in nur drei Wochen zum Mars fliegen wollen. Kapitän Chefone muss erklären, dass das Raumschiff gezwungen war, seinen Treibstoff abzuwerfen, um einen Absturz zu verhindern. In der Folge bedeutet dies, dass ihre Reise nun bis zu zwei Jahre dauern kann, bis sie einen anderen Himmelskörper passieren und seine Schwerkraft nutzen können, um wieder auf den ursprünglichen Kurs zurückzukehren. Naturgemäß erweist sich dieses Ziel als hoffnungsvoll, doch die Monate werden bald zu Jahren.

Beim Einstieg in die Notsituation der ANIARA und ihrer Bewohner wird der Zuschauer mit einer einzigartigen Charaktere konfrontiert, die als Mimaroben (MR) bezeichnet wird; benannt nach ihrer Rolle als Hüterin der Mima. Sie steuert eine scheinbar empfindungsfähige, virtuelle Realitätsmaschine, die es den Passagieren erlaubt, ihre Erinnerungen an die Erde in ihrer schönsten und pulsierenden Form wieder aufleben zu lassen. Zunächst ist dies eine undankbare Arbeit, aber mit zunehmender Verschlechterung der Situation und im Laufe der Jahre wird die Mima für viele Passagiere lebensnotwendig, um Panikattacken und beunruhigende Gedanken abzuwenden.

Der erhöhte Zugriff auf die Mima, die sich selbst als überlastet sieht und ihre Selbstzerstörung einleitet, ist nur der Anfang einer tragischen Entwicklung. Infolgedessen werden Falschnachrichten verbreitet, entstehen Sexkulte, und die Hoffnung auf Rettung schwindet von Tag zu Tag immer mehr.

Im Dienst der Mima tröst ich Emigranten,
belebe sie mit Bildern aus der Ferne
von vielerlei, was noch kein menschlich Auge
sich je erträumt hat zu erschaun, die Mima aber lügt nicht.
Und das verstehn die meisten: Eine Mima
ist unbestechlich, unbeeinflussbar.

(Aus: Harry Martinson: Reisen ohne Ziel)

Die Produzenten dieses modernen Sci-Fi-Streifens könnten sich möglicherweise an Claire Denis’ High Life aus dem Jahr 2018 inspiriert haben, aber die Wurzeln des Films gehen auf das Versepos des Literaturnobelpreisträgers Harry Martinson aus dem Jahr 1956 zurück. Mit ihre Überlegungen über das Alleinsein, die Wollust und das, was Recht und Gerechtigkeit jenseits der uns bekannten äußeren Grenzen des Universums ausmacht, katapultieren sie uns an Bord des Weltraumkreuzfahrtschiffes ANIARA, das von Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten bewohnt wird. Warum ein Kreuzfahrtschiff? Warum nicht ein Konvoi ziviler Raumschiffe wie bei Battlestar Galactica? Während Martinson sein Werk als Antwort auf die vielen Wasserstoffbombentests ansah, kann man ANIARA als Sinnbild für Probleme unserer heutigen Zeit wie Klimawandel, Konsumverhalten, Weltraumschrott und deren Zusammenhänge durchaus in Betracht ziehen. ANIARA ist eine faszinierende und in seiner existenziellen Tristesse, offen gesagt, eine erschreckende Auseinandersetzung mit dem, wie wir mit unserem Planeten umgehen und wie leicht wir diesen zerstören können. Es ist eine beeindruckende Leistung der gesamten Crew um Pella Kågerman und Hugo Lilja, das größte aller aktuellen Themen anzugehen und die dringendsten globalen Probleme aufzugreifen. Im Nachhinein betrachtet, regt ANIARA nicht wegen seiner gesetzten Grenzen, sondern wegen seiner fesselnden Charaktere, seiner überzeugenden Fragen und seines gewagten Handlungsspielraums zum Nachdenken an.

Fazit:
Auch wenn ANIARA nur wenige Sci-Fi-Klischees bedient, wirkt der Film sehr wissenschaftlich-psychologisch modern, insbesondere durch Mima, die dem Opiat der Nostalgie dient und beruhigend auf die Passagiere einwirkt, bevor sie vor Ekel aufgibt.

Als packende sinnbildliche Erzählung warnt ANIARA davor, dass die Menschheit in die falsche Richtung rudert und zu spät erkennt, dass es kein Zurück mehr gibt.

Quellen:

  • Entertainment Kombinat GmbH, Berlin
  • www.imdb.com
  • Harry Martinson: Reisen ohne Ziel. Guggolz, Berlin, 2017

(wb)