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Addy der Rifleman – Eine Bubenschlacht

Max Felde
Addy der Rifleman
Eine Erzählung aus den nordamerikanischen Befreiungskämpfen
Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1900

Eine Bubenschlacht

Wer heute mit dem pustenden Dampfross das im nordöstlichen Teil der Vereinigten Staaten von Nordamerika gelegene Mohawktal durcheilt, wird von der lachenden, ja oft sehr romantischen Schönheit der Landschaft entzückt sein.

Wild rauscht in den oberen Talgeländen der Fluss zwischen Felsenwänden dahin, oft nur Platz lassend für den Eisenbahnstrang und die Landstraße. Streckenweise treten dann wieder die malerischen Felsen oft weit zurück und setzen sich in grünenden Hügelgeländen fort. Dazwischen eingebettet liegen weitgestreckte Wiesen und Felder, überstreut mit einer Menge ländlicher Niederlassungen, schöne Farmen mit großartigen Kulturen.

Nur selten gewahrt das Auge größere, zusammenhängende Ortschaften und kleinere Städte, überall aber die Zeichen der Betriebsamkeit, der Sauberkeit und des Wohlstandes; selbst das armseligste Blockhaus entbehrt nicht das Gepräge trauter Wohnlichkeit.

Wenn dann der Reisende da und dort entlang des Flusses die oft riesigen Schornsteine großartiger Fabrikanlagen gewahrt, die mächtige, schwarze Rauchwolken zum Himmel entsenden, dann muss er schon zu den Geschichtsbewanderten zählen, wenn er daran denken sollte, dass es kaum sechs Menschengeschlechter her sind, dass die ganze Strecke reichgesegneter Gefilde sich noch im Urzustand befand, besetzt mit mächtigen Wäldern, die noch keines Weißen Fuß betreten hatte, und dass es braven deutschen Bauern vorbehalten war, diese bis dahin unberührte Wildnis, dem gellenden Kriegsruf des Indianers ebenso wie französischen und englischen Einflüssen trotzend, mit Pflug und Büchse, Schritt für Schritt, in ein herrliches Kulturland umzuwandeln.

Es war an einem sonnigen heiteren Junitag des Jahres 1777, als vor einem ausnehmend solid gebauten Farmhaus eben dieses Tales, in der Gemeinde Danube, eine Stunde etwa von Little Falls, sich plötzlich ein großes Kindergeschrei erhob, sodass die wenigen Bewohner erschrocken vor das Haus liefen.

Mitten auf der Straße, die fast unmittelbar an dem Wohnsitz vorüberführte, balgten sich ein Haufen Buben. Drei kleine Knirpse lagen am Boden, über welche eine ganze Bande größerer Knaben hergefallen und gerade in der besten Arbeit waren, die drei kleinen Jungen jämmerlich zu verpuffen und zu zerknüllen.

Auch ein kräftiger, stark gebauter Mann in den besten Jahren war, von dem Geschrei angelockt, vor das Haus getreten.

»Christian, gib’s den großen Bengels,« rief er, als er die bedrängte Lage der drei Kleinen erkannt hatte.

Christian, ein noch junger Mensch und offenbar ein Knecht der Farm, ließ sich das nicht zweimal sagen. Erbost fuhr er in den Knabenhaufen und hatte die Raufbolde mit einigen wenig sanften Püffen bald auseinandergejagt.

»Was geht hier vor?«, fragte der ältere Mann, der inzwischen nähergetreten war. »Schämt ihr euch nicht, ihr großen Lümmel, über die drei Kleinen herzufallen?«

»Da gibt es nichts zu schämen,« schrie frech ein ziemlich hoch aufgeschossener Junge mit strohgelbem Haarschopf in ausgesprochen deutsch-pfälzischem Dialekt, während sich seine Spießgesellen schleunigst in einige Sicherheit zu bringen suchten, sichtlich aber alle sehr vergnügt darüber waren, dass die drei kleinen Schelme ihre Dresche abbekommen hatten.

Die durchgeprügelten Knirpse erhoben sich nun mühsam vom Boden, legten die eine Hand über die Augen, die andere über die Verlängerung des Rückens und schrien noch immer jämmerlich.

»Ihr Großen seid recht rohe Burschen. Ihr sollt euch schämen, an den kleinen Knaben da die Kraft eurer Faust zu erproben.«

»Wir können nichts dafür. Der Gottfried, der Schorschl und der Tom sind selber daran schuld. Wir haben ein Spiel gemacht; sie mussten Prügel bekommen.«

»Was habt ihr denn gespielt?«, fragte der Mann einen kleinen Burschen, ihn scherzhaft beim Ohrläppchen erfassend.

»Bourgoyne …«, antwortete stotternd und heulend der Kleine.

»Bourgoyne?«

»Ja … Bourgoyne … und Howe und Clinton!«, wiederholten und ergänzten heftig schluchzend die beiden anderen Knirpse.

»Also Krieg?«

»Ja, General, wir haben Krieg gespielt. Der Große dort war Washington und die anderen waren die Kontinentalarmee. Sie nannten sich Söhne der Freiheit

Der examinierende Herr, offenbar der Besitzer des Gutes, musste nun unwillkürlich lächeln.

»Wie konntet ihr aber auch die Rollen der Engländer übernehmen?«, fragte er gutmütig. »Das war eine große Dummheit von euch. Ihr musstet wissen, dass Washington und die Söhne der Freiheit alles daransetzen würden, um euch tüchtig durchzubläuen.«

»Das wussten wir, aber wir mussten … weil … von den Großen es keiner sein wollte. Drei mussten es doch aber werden, sonst wäre das Spiel gar nicht zustande gekommen.«

Der Mann, den die Jungen als General anredeten, erfasste nun auch die beiden anderen Knaben nacheinander am Ohrläppchen und drehte ihre Köpfe so, dass sie ihm ins Gesicht blicken mussten. »Ich will euch etwas sagen«, begann er auf die drei armen Schelme einzureden. »Wenn Clinton, Howe und Bourgoyne Hiebe bekommen, so ist denen allemal recht geschehen. Und was folgert daraus? Dass man mit euch dreien, soviel ihr auch Prügel bekommen habt, eigentlich kein Mitleid haben kann. Darum merkt euch: Wenn die Kameraden euch wieder einmal zu einem solchen Spiel haben wollen, sollt ihr euch niemals dazu hergeben, die Rolle der english men zu vertreten, sondern euch allemal – und das könnt ihr euch auch später fürs Leben merken – auf die Seite der freien Bürger schlagen.«

Höhnisch lachten die großen Buben. Die drei Knirpse aber befühlten ihre Beulen und wischten sich mit dem Rockärmel die tränennassen Gesichter.

»Und ihr, ihr großen Lümmel«, wandte sich der General an die großen Knaben, »was wisst ihr denn von Clinton, Howe und Bourgoyne; was sind denn das für Leute?«

»Das sind englische Generäle, die uns im Auftrag des Königs von England einen neuen Krieg ins Land tragen wollen«, erwiderte keck der Strohgelbe.

»Richtig! Und wie wollen die denn das machen?«

»Es heißt, dass sie mehr als 40.000 Mann mit sich führen. Clinton und Howe sollen im Süden vordringen, während man befürchtet, dass Bourgoyne die Hudsondistrikte und auch unser Mohawktal mit Krieg überziehen wird. Aber es soll ihm schlecht bekommen.«

»Weißt du das so genau? Wer sagte das?«

»Vater! Oberst Prescott hat bereits bei Bunkershill gesiegt und die Briten aus Boston hinausgeworfen; Washington hat es ihnen auch schon bei Trenton gezeigt. Da wird es unseren Milizbataillonen wohl auch gelingen, hier im Mohawktal mit ihnen fertig zu werden.«

»Brav, mein Junge! Du bist für dein Alter nicht schlecht unterrichtet. Wo hast du denn das alles erfahren?«

»Addy hat es uns erzählt, und er meinte auch, es könne an unserem endgültigen Sieg nicht fehlen.«

»Warum – wie begründete er das?«

»Weil das Recht auf Seite des Bundes der Söhne der Freiheit ist, und das Recht muss zuletzt immer siegen.«

»Weißt du auch, was der Bund anstrebt? Hat euch das Addy auch gesagt?«

»Das wissen wir schon lange. Der König von England hat den Beschwerden des Bundes seit Jahren kein Ohr geliehen, und nun müssen wir uns selber helfen. Die Bürger im Tal des Mohawk, in Massachusetts, New York, Rhode Island und den anderen Staaten werden die britische Herrschaft abschütteln und einen freien und unabhängigen Staatenbund gründen.«

»Sehr brav, mein Junge. Wollte der Himmel und das Kriegsglück es fügen, dass wir dieses Ziel auch erreichen. Und weil ich sehe, dass euer Spiel vorhin kein leeres, ödes Kinderspiel war, vielmehr von jugendlicher, knabenhafter Begeisterung für unsere heilige Sache getragen, so sei euch die Tracht Prügel, die ihr den armen kleinen Schelmen verabreicht habt, hiermit verziehen. Eine kleine Strafe für den Rädelsführer muss aber doch sein. Sag an, du, mit dem dichten strohgelben Haarwisch – kannst du gut laufen?«

»Das will ich meinen.«

»Wie lange brauchst du bis hinüber nach Little Falls?«

»Man rechnet eine Stunde. Wenn es aber gilt, dann bin ich in einer halben drüben.«

»Gut, du sollst mir eine Botschaft dort ausrichten. Hast du deine Sache gut gemacht und du kommst wieder hier vorbei, dann darfst du zur Belohnung deine Taschen mit den besten Äpfeln füllen.«

Der Strohgelbe grinste vor Vergnügen und wollte schon davonrennen, doch der General hielt ihn zurück.

»Weißt du denn bereits, was du drüben auszurichten hast?«

Der Junge drehte verlegen an seinen Daumen.

»Nur nie unüberlegt sein, mein Junge«, mahnte er. »Du suchst sofort den Wirt Zur fröhlichen Pfalz auf, ihn selber, verstehst du? Du sagst ihm, sobald Addy vorspricht, soll er ihn sogleich herüberschicken, General Herckheimer hätte wichtige Dinge mit ihm zu bereden. Verstehst du?«

Der Junge nickte und war schon unterwegs.

Mittlerweile war eine Frauensperson, Binche, die Haushälterin des Generals, eine noch junge, stattliche Erscheinung, mit einem Körbchen voll Früchten zu der Gruppe getreten, den durchgebläuten drei Knirpsen ein kleines Pflaster auf die Wunden zu legen. Munter langten die drei Knaben zu und schlugen herzhaft ihre Zähne in die rotwangigen Äpfel und Birnen. Auf die Fürsprache des Generals erhielten dann auch noch die größeren Jungen eine kleine Spende, und nun zog die ganze Knabenschar schmausend und einträchtig von dannen.