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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 6

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Die Beleidigung

Es trat eine augenblickliche Pause ein, während welcher Mounchensey den Ritter so wild ansah, dass der Letztere wegen seiner persönlichen Sicherheit besorgt war und auf schleunigen Rückzug dachte. Doch wagte er sich nicht zu entfernen, um nicht die Schmach über sich zu bringen, die er zu vermeiden wünschte. So blieb er gleich einem Vogel von einer Klapperschlange gefesselt, bis der junge Mann, dem vor Leidenschaft die Sprache versagte, in so heftiger Wut fortfuhr, dass seine Worte einen zischenden Ton annahmen.

»Ja, ich bin Jocelyn Mounchensey«, sagte er, »der Sohn dessen, den Eure Ränke und die Eures Gefährten in der Ungerechtigkeit, des Sir Giles Mompesson, zum Untergang geführt haben – der Sohn dessen, den Ihr um seinen guten Namen und sein großes Vermögen gebracht und in ein ekelhaftes Gefängnis geworfen habt, um dort zu schmachten und zu sterben. Ich bin der Sohn jenes gemordeten Mannes. Ich bin der, den Ihr seiner Erbschaft beraubt, dessen stolzes Wappen Ihr vernichtet und dessen Familie Ihr zur Armut und zum völligen Untergange geführt habt.«

»Aber, Sir Jocelyn, mein würdiger Freund«, stotterte der Ritter, »habt Geduld, ich bitte Euch. Wenn Ihr Euch gekränkt glaubt, so bin ich bereit, alles reichlich wieder gut zu machen. Ihr wisst, welches meine Absichten mit Euch waren, ehe ich im Geringsten ahnen konnte, wer Ihr seid.« Wenn ich es gewusst hätte, dachte er, würde ich Sorge getragen haben, mich in respektvoller Entfernung von ihm zu halten. »Ich will noch mehr tun, als ich versprochen habe. Ich will Euch Geld leihen, so viel Ihr wollt, und zwar auf Eure persönliche Sicherheit. Euer bloßes Wort soll mir genügen. Ich verlange kein Unterpfand, keine schriftlichen Verpflichtungen irgendeiner Art. Sieht das wie Wucher aus? So wahr ich ein echter Gentleman bin! Ich werde sehr ungerecht beurteilt. Ich bin nicht der Erpresser, wofür die Menschen mich halten. Ihr sollt mich als einen Freund kennen lernen«, fuhr er in leisem und lebhaftem Ton fort. »Ich will Euer Vermögen wiederherstellen, Euch einen neuen Titel geben, höher und stolzer, als der, den Ihr verloren habt, und wenn Ihr meinem Rat folgen wollt, könnt Ihr den stolzen Günstling selber verdrängen. Ihr sollt stehen, wo Buckingham jetzt steht. Nehmt Vernunft an, guter Sir Jocelyn. Nehmt Vernunft an, ich bitte Euch.«

»Ich will nichts weiter hören«, versetzte Jocelyn. »Wenn Ihr auch bis Jüngsten Tag sprächet, könntet Ihr doch meine Gefühle gegen Euch nicht im Geringsten ändern. Mein Hauptzweck nach London zu kommen, war, Euch und Sir Giles Mompesson zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Und wir werden uns sehr bereitwillig gegen alle Anklagen verantworten, die Ihr gegen uns vorbringen mögt, Sir Jocelyn. Alles geschah auf redliche Weise und nach dem Gesetz. Die Sternkammer wird uns unterstützen.«

»Pah! Ihr denkt mich mit dieser Vogelscheuche zu schrecken; aber ich bin nicht so leicht in Furcht zu setzen. Wir sind das erste Mal durch Zufall zusammengekommen; unser nächstes Zusammentreffen wird infolge einer Verabredung geschehen.«

»Wann und wo es Euch beliebt, Sir Jocelyn«, versetzte der Ritter; »aber bedenkt, das Duell ist verboten. Obwohl ich Euren Wunsch, mir die Kehle durchzuschneiden, nicht vereiteln möchte, so würde es mir doch leid sein, zu denken, dass Ihr später darum gehenkt werden könntet. Hört, Sir Jocelyn, beseitigt Eure törichte Leidenschaft und sorgt für Eure wahren Interessen, die nicht darin bestehen, mit mir zu zanken, sondern in unserer Versöhnung. Ich kann Euch wesentliche Dienste leisten, wie ich Euch schon gezeigt habe, und so wahr ich ein echter Gentleman bin! Ich will es tun. Gebt mir Eure Hand und lasst uns Freunde sein!«

»Nimmermehr!«, rief Jocelyn, sich von ihm entfernend, »nimmermehr soll die Hand eines Mounchensey die Eure in Freundschaft fassen. Ich wollte lieber, die meine verdorrte! Ich bin Euer tödlicher Feind. Meines Vaters Tod muss gerächt werden.«

»Reizt ihn nicht, mein guter junger Herr«, fiel ein ältlicher Mann ein, der in einem langen Pelzrock mit hängenden Ärmeln und einer flachen Mütze auf dem Kopf neben ihm saß und alles gehört hatte, was vorging. »Ihr wisst nicht, wie sehr er Euch schaden kann.«

»Ich lache über seine Bosheit und biete ihm Trotz«, rief Jocelyn. »Er soll keinen Augenblick länger neben mir sitzen. Hinaus, Schuft! Hinaus!«, fügte er hinzu, indem er Sir Francis bei den Armen ergriff und von seinem Sitz herunterwarf. »Ihr seid keine passende Gesellschaft für einen redlichen Mann. He! Kellner, zur Tür hinaus mit ihm! Werft ihn in den Hundestall.« –

»Dies sollt Ihr bereuen, Kerl! – dies sollt Ihr bitter bereuen«, rief Sir Francis, ihm mit den Fäusten drohend. »Euer Vater starb wie ein Hund im Fleetgefängnis und Ihr sollt dort auf gleiche Weise umkommen. Ihr habt Euch gänzlich in meine Macht begeben und Ihr sollt ein abschreckendes Beispiel werden. Ihr habt eine skandalöse und verächtliche Sprache gegen den großen und mächtigen Gerichtshof der Sternkammer gewagt, vor deren Urteilen sich alle beugen. Ihr habt die Gerechtigkeit angefochten und ihr Ansehen geleugnet, und Ihr sollt das volle Gewicht ihres Missfallens fühlen. Ich werde diese würdigen Herren auffordern, gegen Euch zu zeugen.«

»Wir haben nichts gehört und können nichts bezeugen«, riefen mehrere Stimmen.

»Aber Ihr, Herr, saßet neben ihm und müsst es gehört haben?«, sagte Sir Francis zu dem ältlichen Mann in dem Pelzrock.

»Ich nicht!«, versetzte der Angeredete, »ich achtete nicht auf das, was gesprochen wurde.«

»Aber ich, Sir Francis«, quiekte ein kleiner Mann mit einem Molkengesicht, in gelbem Wams und großer Halskrause von der entgegengesetzten Seite des Tisches her, »ich hörte, wie er auf freche Weise den hohen Gerichtshof der Sternkammer und dessen Urteile tadelte, und ich will Zeugnis gegen ihn ablegen, wenn ich aufgefordert werde.«

»Euer Name, guter Herr, Euer Name?« fragte Sir Francis, indem er seine Schreibtafel hervorzog.

»Thopas Trednock, Schneider im Bügeleisen in Cornhill«, versetzte der Mann mit dem Molkengesicht in durchdringenden Tönen bei dem höhnischen Gelächter der Versammlung.

»Thopas Trednock; Schneider – gut!«, wiederholte der Ritter, als er den Namen niederschrieb. »Ihr werdet ein vortrefflicher Zeuge sein, Meister Trednock.

Lebt wohl für jetzt, Master Jocelyn Mounchensey, denn jetzt fällt mir ein, Euer Vater wurde der Ritterwürde verlustig erklärt. So wahr ich ein echter Gentleman bin! Ihr könnt gewiss sein, dass Ihr bald ins Fleetgefängnis kommen werdet.«

Wie sich denken lässt, erregte der Streit die Aufmerksamkeit der in der Nähe sitzenden Personen. Bald wurde die Ursache an beiden Tafeln bekannt und es wurde großer Unwille gegen Sir Francis ausgesprochen, den man von allen Seiten tadelte und verspottete, als er auf die Tür zuging. So groß war das Geschrei und so tadelnd und verächtlich die auf ihn angewendeten Ausdrücke, dass der Ritter hastig die Flucht ergriff; aber Cyprien begegnete ihm auf seinem Weg und der komische Gascogner hielt einen Schüsseldeckel als Schild in der einen und ein langes Tranchiermesser als Schwert in der anderen Hand und widersetzte sich seiner Entfernung.

»Lasst mich durch, Kerl!«, rief Sir Francis in Bestürzung.

»Mit Eurer Erlaubnis, nein«, entgegnete Cyprien, ermutigt von dem Gelächter und dem Beifall der Gesellschaft. »Ihr seid uneingeladen hierhergekommen und müsst dableiben, bis Ihr die Erlaubnis erhaltet, Euch zu entfernen. Da Ihr an dem Bankett teilgenommen habt, so müsst Ihr auch das Dessert mitnehmen. Die Kuchen und Leckerbissen kommen noch, Sir Francis! «

»Was meint Ihr, Kerl?«, fragte der Ritter in zunehmendem Schrecken.

»Eure Gegenwart ist bei einer kleinen Unterhaltung nötig, die der Mittagstafel folgen soll, liebster Sir Francis«, rief Madame Bonaventure, sich ihm nähernd, »und da Ihr eine Hauptrolle darin habt, so kann ich Eurer keineswegs entbehren.«

»Niemand kann Eurer entbehren, liebster Sir Francis, « fielen mehrere Stimmen verächtlich ein. »Ihr müsst noch ein wenig länger bei uns bleiben.«

»Aber ich will nicht bleiben – ich will mich nicht zurückhalten lassen. Es ist eine Verschwörung gegen mich im Werk. Ich will Euch alle vor Gericht ziehen, wenn Ihr mich hindert, hinaus zu gehen«, rief der Ritter in gemischter Wut und Schrecken. »Haltet mich zurück auf Eure Gefahr, Ihr unverschämter gascognischer Schurke.«

»Hörner des Teufels! Nicht mehr ein Schurke, als Ihr selber, gemeiner Wucherer!«, rief Cyprien.

»Lasst ihn, Cyprien«, rief Madame Bonaventure, »der höfliche Ritter wird meinen Bitten nachgeben und aus eigenem freien Willen dableiben.«

»Ich habe Geschäfte, die mich abrufen. Ich muss durchaus gehen«, sagte Sir Francis, welcher versuchte, sich an ihnen vorbei zu drängen.

»Lasst die Tür schließen«, rief eine gebieterische Stimme von dem oberen Tisch her. Der Befehl wurde augenblicklich befolgt. Zwei Diener stellten sich vor den Ausgang hin und Sir Francis bemerkte, dass er gefangen war. Das Zimmer ertönte von dem Gelächter und dem Spott der Gäste.

»Ich bemerke, dies ist ein schlechter Spaß, meine Herren. Ihr wart entschlossen, mich zur Zielscheibe Eurer Scherze zu machen, ha! Ha!«, sagte Sir Francis, indem er versuchte, seine Unruhe durch einen Schein der Nachlässigkeit zu verbergen. »Aber Ihr werdet den Scherz nicht zu weit treiben und mich misshandeln. Mein Gefährte, Sir Giles Mompesson, wird sogleich hier sein und jede Beleidigung, die mir wiederfährt, zu rächen wissen.«

»Sir Giles wird ungeduldig von uns erwartet«, sagte ein geputzter junger Mann in der Nähe. »Madame Bonaventure hatte uns auf seine Erscheinung vorbereitet. Wir wollen ihn willkommen heißen, wie er es verdient.«

Ah, Verräterin! Da war also alles verabredet, dachte Sir Francis, und ich blinde Eule bin in die Falle gegangen.

Aber der arme Ritter geriet fast aufs Äußerste vor Schrecken, als er Lord Roos seinen Platz am oberen Tisch verlassen und sich ihm nähern sah.