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Deutsche Märchen und Sagen 65

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

68. Der Zwerglein Hilfe

In einem westflandrischen Dorf fällt die Kirmes just in die Erntezeit. Es geschah einmal, dass in einem Hof des Dorfes die Knechte und Mägde alle beim Einernten helfen mussten, während im Dorf die Musik lustig spielte, alle Jungen und Mädchen am Tanzen waren oder an den Buden auf dem Markt herumspazierten. Sie arbeiteten alle, dass ihnen der Schweiß in Strömen vom Leib lief, aber trotzdem sahen sie ein, dass sie doch nicht fertig werden konnten und dass der Spielmann seine Geige an den Nagel hängen würde, ohne dass sie ein Tänzchen gemacht hätten. Sie beklagten sich auch nicht wenig darüber, aber was konnte ihnen das alles helfen – die Arbeit musste getan sein.

Als sie eben noch so recht am Murren waren, sahen sie plötzlich ein kleines altes Männchen neben sich stehen. Das hatte die Hände auf dem Rücken und lachte herzlich drein und sprach: »Ja, Jungen, Jungen, ihr tanzt also lieber, als dass ihr euch hier herumschlagt?«

»Ist das noch eine Frage?«, entgegnete einer der Knechte. »Gewiss, Freundschaft, und nie ist uns das Arbeiten saurer angekommen.«

»Gut«, sprach das Männchen, »dann legt euch … es ist um zehn Uhr … schlafen bis elf Uhr und seht nicht weiter um euch. All eure Arbeit wird dann verrichtet werden. Aber das keiner von euch die Augen auftue und um sich laure.«

Das taten die Leute auch alle, eine neugierige Närrin von Dienstmagd ausgenommen. Diese schloss die Augen nur halb und schielte verstohlen, um zu sehen, auf welche Weise die Arbeit denn eigentlich vollendet würde. Da sah sie aber nichts anders, als dass die Garben stiegen, rechts und links, Bänder drumbinden und kurz ein Treiben, als wären tausend Teufel damit beschäftigt gewesen. Ehe es noch elf schlug, war alles in Ordnung, nur die jener Magd zugewiesene Arbeit war noch nicht verrichtet. So musste sie denn zur Strafe für ihre Neugier mutterseelenallein arbeiten bis abends elf Uhr, während die anderen alle lustig tanzten und sprangen.