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John Sinclair Classics Band 39

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 39
Die Nacht des Schwarzen Drachen

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 26.02.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 13.11.1976 als Gespenster-Krimi Band 168.

Kurzinhalt:
Wer sich dem Schwarzen Drachen in den Weg stellt, wird einen grausamen, qualvollen Tod sterben, und seine Seele muss die Abgründe der Hölle auf alle Zeiten durchwandern. Die Herrscher des chinesischen Geheimbundes sind mächtig. Und nichts kann sie aufhalten, ihre dämonischen Ziele zu verwirklichen. Ein schreckliches Blutbad wird schon bald London vernichten …

Leseprobe

Pete Ramsey drehte mit einem zufriede­nen Lächeln auf den Lippen den Deckel der Thermosflasche zu. Der Rest Kaffee dampfte in einer Steinguttasse. Er war stark gesüßt und schmeckte ein wenig nach Zuckerwasser, aber das störte Ramsey nicht – er mochte den Kaffee so, wie seine Frau ihn kochte.

Aufseufzend lehnte sich Ramsey in seinen Drehstuhl zurück und nahm einen Schluck. Wie glühende Lava rann das Getränk durch seine Kehle und mo­bilisierte die Lebensgeister.

Das war auch gut so, denn einzuschlafen konnte sich Ramsey nicht er­lauben in seinem Beruf als Nachtwäch­ter. Er bewachte die große Lagerhalle der UNITED TRADE COMPANY – ein Vertrauensjob, den er seit drei Monaten innehatte.

Es war wirklich ein Glücksfall in den Monaten der Arbeitslosigkeit. Vorher hatte er auf einer Kohlenzeche gearbeitet – unter Tage, bis ihn die Staublunge berufsunfähig machte. Und das mit achtundvierzig Jahren. Zwei lange Jahre hatte er krankgefeiert, drei Kuren hatte er hinter sich gebracht. Es war eine miese Zeit gewesen, und seine vierköpfige Familie hatte auf manches verzichten müssen. Aber nun schien Pete Ramsey das Glück wieder zu lachen.

Er war rundherum zufrieden.

Bedächtig packte er seine Sand­wiches aus. Er klappte sie auseinander und nickte anerkennend.

Seine Blicke wanderten durch die Glasscheibe der Portiersloge hinaus in die Lagerhalle. Nur die Notbeleuchtung brannte und tauchte die riesige Halle in ein geisterhaftes Licht.

Aufgereiht standen die großen Ga­belstapler nebeneinander, mit der Front zur Halle hin, in der die unzähligen Kis­ten und Kästen lagerten. Diese UNITED TRADE COMPANY war schon ein gi­gantisches Unternehmen.

Pete Ramsey spülte den letzten Bissen hinunter, rauchte noch eine Zigarette und begann dann mit seinem zweiten Rundgang.

Die Uhr zeigte exakt dreißig Minuten nach Mitternacht. Wie immer war Pete Ramsey pünktlich.

Es war grabesstill in der Halle. Pete Ramsey ging durch einen schmalen Gang. Stahlregale bildeten die beiden Seiten. In den Regalen stapelten sich Kisten und Mini-Container.

Die gesamte Ladung war systema­tisch geordnet, Zahlen und Fakten in einem Computer gespeichert. Ein raf­finiertes, technisch vollkommen aus­geklügeltes System.

Pete Ramsey war Optimist. Er glaubte noch immer an das Gute im Menschen und ahnte nicht, dass er sich noch sehr täuschen sollte.

Pete hielt die schwere Stablampe in der Rechten und bog jetzt in den breiteren Hauptgang ein, von dem schachbrettartig immer weitere Gänge abzweigten. Ramsey hatte mal einen Stadtplan von Manhattan gesehen und Parallelen zu diesem großen Lagerhaus festgestellt. Sogar der Verkehr war hier geordnet worden. Es galt das Einbahn­straßenprinzip.

Ramsey ging weiter. Er verließ den Hauptgang und betrat einen schma­leren, der bis zur Nordseite der Halle führte. Dort war auch eine Kontrolluhr angebracht, die der Nachtwächter zu bedienen hatte.

Drei Minuten vor eins hatte er die Uhr erreicht.

Pete Ramsey hängte die Stablampe an sein schwarzes Lederkoppel und holte einen Stechschlüssel aus der Ho­sentasche.

Da hörte er das Geräusch!

Pete Ramsey ließ den kleinen Schlüs­sel sinken und hakte die Taschenlampe los. Er ging ein paar Schritte vor und blieb lauschend stehen.

Das Geräusch wiederholte sich nicht.

Ramsey zuckte die Schultern. »Werde mich wohl getäuscht haben«, murmelte er.

Dann steckte er den Schlüssel in den dafür vorgesehenen Splint und drehte die Kontrollanzeige.

Dabei glitt sein Blick nach rechts und fiel auf eine etwa sarggroße Kiste, die im untersten Fach des Stahlregals stand.

Der Nachtwächter bückte sich und leuchtete die Kiste an. Sie sah tatsäch­lich aus wie ein Sarg.

Pete Ramsey fühlte einen Schauer den Rücken hinabrieseln. Sollte hier vielleicht ein Toter aufbewahrt sein? Doch dann sah er die fremdartigen Schriftzeichen, die mit Fettkreide auf das Holz gemalt worden waren.

Chinesische Schriftzeichen. Und als Ramsey näher hinsah, erkannte er, dass die Kiste aus Hongkong kam.

Nee, sagte er sich. Da ist bestimmt kein Toter drin.

Den guten Pete Ramsey hatte jetzt die Neugierde gepackt. Er versuchte, die Kiste hochzuheben, und wunderte sich, wie leicht sie war. Schmugglerge­schichten kamen ihm in den Sinn, und er dachte an Rauschgift aus Fernost. So nämlich hatte ein Film geheißen, den er sich angesehen hatte.

Der Nachtwächter musste wieder einen Teil des Weges zurückgehen, um den nächsten Kontrollpunkt anlaufen zu können.

Er war nur wenige Yards vom Haupteingang entfernt, da hörte er die Schritte.

Augenblicklich blieb Ramsey stehen. Sein Arm, der die Lampe hielt, zuckte hoch.

Der Lichtstrahl warf einen hellen Kreis in den Hauptgang. Mit der rech­ten Hand öffnete Ramsey die Klappe der kleinen Pistolentasche und holte die Gaspistole hervor.

Schweiß sammelte sich in seinem Nacken und lief in den Hemdkragen.

Vor der Einmündung zum Hauptgang blieb der Nachtwächter stehen.

Er nahm allen Mut zusammen und rief: »Hallo, ist da jemand?«

… jemand … jemand … Nur das Echo seiner eigenen Stimme antwortete ihm.

Und doch hatte er sich nicht ge­täuscht. Dessen war sich Pete Ramsey sicher.

Er schlich in den Hauptgang. In der Linken die Lampe, in der Rechten die Gaspistole.

Der Lampenstrahl wanderte über die Regale, wurde von blank geputzten Eisenteilen reflektiert – und …

Pete Ramsey erstarrte zur Bewe­gungslosigkeit. Keine zwei Yard vor ihm stand eine Gestalt.

»Keinen Schritt näher«, rief der Nachtwächter mit zitternder Stimme. »Ich – ich schieße!«

Der unbewaffnete Eindringling streckte beide Arme vor.

»Aus dem Weg, du Narr«, erwiderte er mit dumpfer Stimme. »Du wirst die Henker des Drachen nicht aufhalten können!«

»Das wollen wir doch mal sehen!«, schrie Pete Ramsey. »Ich werde dich der Polizei übergeben. Ich …«

Im gleichen Augenblick hörte der Nachtwächter hinter seinem Rücken das leise, teuflische Lachen.

Der Kerl mit der Maske war nicht allein gekommen. Ein weiterer Ein­dringling stand vor Ramsey. Er hätte der Zwillingsbruder des anderen sein können, trug auch den dunklen Anzug und hatte eine Maske vor dem Gesicht.

Nur etwas war anders. Dieser Kerl hatte eine MP, deren Mündung ge­nau auf die Brust des Nachtwächters zeigte …

Pete Ramsey riss beide Arme hoch. Dabei ließ er vor Schreck die Gaspis­tole und die Taschenlampe fallen. Die Lampe fiel so unglücklich auf den Bo­den, dass Glas und Birne zerplatzten.

Die beiden Einbrecher sprachen kein Wort. Jetzt – im Licht der Notbeleuch­tung – sah der Kerl mit der Maschinen­pistole noch drohender aus. Ramsey vermeinte, hinter den Schlitzen der Maske zwei teuflisch funkelnde Augen zu erkennen, aber das war wohl nur Einbildung.

Der Nachtwächter fasste sich wieder. »Was – was wollt ihr?«

Die Einbrecher gaben keine Antwort.

Sekunden vergingen. Pete Ramsey sammelte all seinen Mut.

»Nehmt, was ihr braucht«, rief er mit lauter Stimme. »Ich werde euch nicht verraten, ich schwöre es.«

Plötzlich zuckte etwas vor Pete Ram­seys Augen vorbei, und im nächsten Mo­ment spürte er den gewaltigen Druck an seiner Kehle.

Eine Seidenschlinge!

Eine mörderische Waffe in der Hand eines Fachmanns.

Gnadenlos zog der Würger zu. Die Schlinge grub sich wie ein Messer in die Haut des Halses.

Pete Ramsey röchelte. Er wurde nach hinten gerissen, fiel aber nicht auf den Boden, sondern wurde vom Druck der Schlinge in einer Schräglage gehalten.

Ruhig sah der Mann mit der Maschi­nenpistole zu, wie sein Kumpan den Nachtwächter tötete.

Nach einer Minute ließ der Mörder von seinem Opfer ab. Schwer fiel der Mann auf den Steinboden. Sein Gesicht war verzerrt, die Schlinge hatte am Hals tiefe Streifen hinterlassen.

Die beiden Männer flüsterten sich ein paar Worte zu. Es waren für europäische Ohren fremdartige Laute. Die Männer sprachen Chinesisch. Der Mann mit der MP hängte die Waffe über seine Schul­ter, dann bückte er sich und fasste die Beine des Toten. Sein Kumpan packte den Nachtwächter unter beide Achseln. Anschließend verfrachteten sie die Lei­che in ein leeres Regal.

Die beiden Einbrecher kannten sich in dem Lagerhaus aus. Sie mussten aus­gezeichnete Informationen bekommen haben, denn sie kamen nicht ein einziges Mal mit den versteckten Kontakten der Alarmanlage in Berührung.

Behutsam zogen sie die Kiste aus dem Regal, stellten sie nochmals auf den Bo­den, legten dann beide Hände gegen die Brust und neigten die Köpfe.

Eine Minute blieben sie in dieser de­mütigen Haltung stehen, dann fassten sie die Kiste und trugen sie vorsichtig durch den Gang. Sie erreichten den Hauptgang und gingen in Richtung Aus­gang. Sie kamen an der leeren Portiers­loge vorbei und gingen bis zu einer in der Wand eingelassenen grauen Schalttafel, die zahlreiche Knöpfe aufwies.

Die beiden Männer stellten die Kiste ab.

Der Mörder des Nachtwächters drückte auf den untersten Knopf.

Lautlos rollte das schwere Eisentor zur Seite. Die Lager waren sorgfältig geölt.

Die Männer verließen mit ihrer Beute die Halle.

Einer ging noch einmal zurück und betätigte einen anderen Knopf, der das Tor wieder in seine ursprüngliche Lage zurückgleiten ließ.

Ehe es sich völlig schließen konnte, schlüpfte der Maskierte nach draußen.

Sein Kumpan hatte inzwischen die Maske abgenommen.

Die Nacht war mondhell und warm. Ein paar hundert Yards entfernt be­gannen die Piers, an denen die großen Frachter anlegten. Momentan wurde nachts nicht gearbeitet, einige Dock­arbeiter streikten. Ein Umstand, der den beiden Einbrechern entgegengekommen war.

Auch der zweite Mann hatte jetzt seine Maske abgenommen. Es war ebenfalls ein Chinese, allerdings war sein Schädel kahl rasiert, und von der Stirn bis zum Nasenrücken zog sich eine blutrote Messernarbe.

Ganz in der Nähe brummte der Motor eines Wagens auf, und dann kam das Auto auch schon um eine Ecke gefahren.

Es war ein hell lackierter Wäscherei­wagen. Ein Ford mit einer relativ großen Ladefläche. Auf den beiden hinteren Türen war der Name der Wäscherei zu lesen: Li Wang – blitzsauber – blitz­schnell!

Der Wagen – er fuhr ohne Licht – stoppte. Der Fahrer hatte die Scheibe heruntergekurbelt.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

Die beiden Einbrecher nickten.

Der Wagen fuhr an. Er verließ die breite Pierstraße und bog in die Her­ring Street ein, die dicht an der Tower Bridge vorbeiführt. Erst jetzt schaltete der Fahrer seine Scheinwerfer ein.

Die nächtliche Fahrt dauerte unge­fähr zwanzig Minuten. Schließlich bog der Wagen in eine schmale Hof einfahrt ein und rumpelte ein Stück über Kopf­steinpflaster, bis er völlig abgebremst wurde.

Schritte näherten sich dem Auto. Schon wenig später wurde die Tür auf­gezogen.

Mehrere Männer hatten sich um den Wagen versammelt. Es waren Chinesen und alle gleich gekleidet, bis auf einen hageren hochaufgeschossenen Mann, der einen langen schwarzen Umhang trug, auf den ein blutroter Drachen ge­stickt war.

Mit gemessenen Schritten trat er näher, bis er den Rand der Ladefläche erreicht hatte und mit den Knien da­gegen stieß.

Die beiden Einbrecher hatten sich von den Sitzbänken erhoben.

»Wir haben den Auftrag erfüllt, Herr«, sagten sie und verneigten sich.

»Es ist gut. Ihr könnt gehen!«

Die Stimme des hochgewachsenen Mannes klang leidenschaftslos, kalt, ohne einen Funken Gefühl.

»Tragt die Kiste in den Tempel«, be­fahl er dann.

Vier Chinesen betraten die Lade­fläche. Auch sie verneigten sich vor der Kiste, dann hoben sie sie behutsam hoch.

Alles geschah lautlos, nicht ein Wort wurde mehr gesprochen.

Eine kleine Prozession bildete sich. An der Spitze ging der Anführer in sei­nem langen Drachenmantel. Ihm folgten die vier Kistenträger. Die anderen Män­ner schlossen sich an.

Personen

  • Pete Ramsey, Nachtwächter
  • chinesische Einbrecher
  • Li Wang, der Meister
  • Tschin, der Drachengott
  • Diener des Drachengottes
  • Tom Quarry, Polizist
  • Der alte Pe, Besitzer eines kleinen Lokals in Soho
  • Hang Tau, Polizist
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Suko, Li Tse Fengs Chauffeur und Leibwächter
  • Li Tse Feng, reicher Chinese
  • Suzy, Li Tse Fengs Tochter
  • Jim Rander, Suzys Verlobter
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Lilian Preston, Blondine
  • Corporal Jenkins, Polizeirevier am Soho Square
  • Sergeant Menon, Polizeirevier am Soho Square
  • Jay Lee
  • Captain Helder
  • Lieutenant Bedell
  • Sergeant Crosswind

Orte:

  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 39. Bastei Verlag. Köln. 26. 02. 2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000