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Der Konstanzer Hans Teil 28

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Achundzwanzigstes Kapitel

Hans’ Verurteilung in das Zuchthaus und seine Strafzeit

Da Hans mit seltener Aufrichtigkeit seine Bekenntnisse abgelegt hatte, die, wie wir bereits gesehen haben, von so großer Wichtigkeit waren, so war von dem Oberamtmann und der Regierung der Antrag gestellt worden, dem Verbrecher nicht nur das Leben zu schenken, sondern ihn sogar als Hatschier in Württemberg anzustellen. Höheren Orts aber wurde er zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe in Ludwigsburg verurteilt, so wie die meisten anderen Gauner.

Je weniger Hans ein so gelindes Urteil erwartet hatte, umso mehr war sein Herz von Dank darüber erfüllt. Nach Verlesung des Urteils auf dem Marktplatz wurden sämtliche Gefangene wieder in ihr Gefängnis gebracht. Hans dankte Gott auf den Knien für die Erhaltung seines Lebens und versprach, dasselbe nun zum Guten anzuwenden, sich auch im Zuchthaus wohl zu verhalten und in seiner angefangenen Besserung fortzufahren. Aber auch dieses Mal versprach er mehr, als er hielt. Hatte er auch auf dem Weg der Besserung schon wichtige Schritte getan, so war es doch nur ein Anfang. Schlimme Neigungen und angewöhnte Fehler und Laster waren nur bekämpft und gedämpft, nicht aber besiegt. Es bedurfte nur eines kleinen Anlasses, so traten sie wieder hervor.

Am dritten Tag nach Verkündigung des Urteils wurde Hans in Gesellschaft der übrigen Gefangenen abgeführt. Gerührt nahm er Abschied von der Stadt, deren Bewohner ihm während seiner achtmonatigen Gefangenschaft so viele Beweise ihrer Zuneigung gegeben hatten. Der Weg am Galgen vorüber stimmte ihn zu sehr ernsten Betrachtungen. In dieser Stimmung behauptete er sich – auch bei den rohen und leichtsinnigen Gesprächen seiner Kameraden – bis nach Herrenberg.

Dort aber schenkten die Leute den Gefangenen tüchtig ein. Hans verfiel in seine alte Lustbarkeit und leerte, wie seine Kameraden, ein Glas um das andere, sodass er auf dem Weg nach Ludwigsburg nicht mehr nüchtern wurde, sondern betrunken dort ankam. Lustig sprang er von dem Wagen herab, als dieser vor dem Zuchthaus hielt. Doch sollte er hier – erst 25 Jahre alt – auf Lebenslang eingeschlossen bleiben.

Er würde sich bald wieder gefasst und seine Übereilung bereut haben, wäre er nun in gute Gesellschaft gekommen. Aber er war jetzt im Zuchthaus, bei verdorbenen Menschen, wo einer von dem anderen das Schlimme vollends lernt, das er noch nicht weiß, und wo die meisten mit schamloser Stirn ihre Schandtaten erzählen und sich derselben rühmen.

Der Ruf eines Erzgauners war Hans’ schon ins Zuchthaus vorangegangen. Was Wunder also, wenn seine neuen Kameraden sich alsbald um ihn sammelten, um seine Heldentaten aus seinem Munde zu hören!

Er musste nun den Züchtlingen seine Geschichte erzählen. Diese hörten mit gespannter Aufmerksamkeit die Menge seiner Taten und seine wechselnde Schicksale. Dann vernahm er auch von jenen, was sie alles ausgeführt hatten. Der Stoff und Vorrat von Erzählungen war bei diesen Leuten unerschöpflich.

Nun wünschte Hans eine schwerere Arbeit und kam deshalb in ein anderes Zimmer. Dort fingen die Erzählungen aufs Neue an, weil andere Züchtlinge in diesem waren, und zwar die verdorbensten, welche die rohesten Gespräche führten. In der Gesellschaft solcher Leute musste Hans vom Guten wieder abkommen.

Seine alte Verdorbenheit drang auch aufs Neue hervor. Doch sank er nicht wieder ganz darin ein, vielmehr haftete noch manches Gute in ihm und die Religion blieb ihm stets noch ehrwürdig. Er war zum Beispiel ein aufmerksamer Zuhörer bei den Vorträgen des göttlichen Wortes, beschäftigte sich hier und da mit dem Lesen in der Bibel und unterließ auch das Gebet nie ganz. Ebenso lebte er ganz der Hausordnung gemäß, versah seine Arbeit nach der Vorschrift, willig und pünktlich. Er hielt Ordnung unter den Mitgefangenen auf seinem Zimmer und sah auf des Hauses Nutzen. Dennoch war er in großer Gefahr, wieder so schlimm zu werden, wie er vorher gewesen war; denn durch den steten Umgang mit verdorbenen Leuten und durch die beständige Beschäftigung mit nichtswürdigen Dingen wurde die Erinnerung an die Wahrheiten der Religion nach und nach verdrängt und die Wirksamkeit dieser Wahrheiten auf sein Herz geschwächt.

Da kam Gott mit einer starken Mahnung. Äußerst schmerzliche Geschwüre an seinem Hale, an denen er gleich im ersten Jahre seiner Strafzeit litt, nötigten ihn, auf das Krankenzimmer zu gehen. Dort war mehr Ruhe, also auch mehr Veranlassung zu ungestörtem Nachdenken. Überdies traf er auf diesem Zimmer einen Züchtling, der sich in seiner Jugend gute Religionskenntnisse gesammelt hatte und öfters aus der Bibel und anderen Erbauungsbüchern laut vorlas. Wenn er darüber von anderen ausgelacht wurde, so nahm Hans sich seiner an, wodurch unter beiden eine vertraute Freundschaft entstand, Hans’ Herz dem Guten wieder geöffnet wurde und sein Verlangen, sich zu belehren, zunahm.

Während dieser neuen Vorbereitungen zur wiederkehrenden Besserung wurde Hans von einer hitzigen Krankheit befallen, welche ihn wegzuraffen drohte. Dies trug nun auch viel dazu bei, dass er wieder ernsthaft über seinen Seelenzustand nachdachte. Wehmütig erinnerte er sich der Zeit in Sulz, wo er in der Besserung schon gute Fortschritte gemacht hatte, und wünschte öfters, dass er dort ums Leben gekommen wäre. Bei seinen schwindenden Kräften glaubte er bald sterben zu müssen und bat den Zuchthausgeistlichen um Rat für seine bekümmerte Seele. Zugleich eröffnete er demselben, er wünsche in der evangelischen Religion noch näheren Unterricht zu erhalten, um sich dann öffentlich zu derselben bekennen zu dürfen. Diesen Unterricht erhielt er und zeigte dabei sehr viel Aufmerksamkeit und Eifer, daher er auch gute Fortschritte machte und hierauf durch die Beichte und das Heilige Abendmahl in die evangelische Kirche aufgenommen wurde.

Hansens Verhalten war so beschaffen, dass man ihn für einen gebesserten Menschen halten konnte. Dass sein Wandel nicht ohne Fehltritte war und nicht sein konnte, ist teils aus seiner früheren Verdorbenheit, teils aus der menschlichen Natur überhaupt erklärlich. Wenn er bei manchen Veranlassungen lustig war, so lag dies in seinem Charakter, den er nie verleugnete. In solcher Gemütsstimmung hütete er sich aber wohl, dass die Lustigkeit nicht ins Unanständige und Lasterhafte verfiel.

Was Hans früher gewesen war, äußerte sich noch auf verschiedene, jedoch unschuldige Weise. So behielt er zum Beispiel den finsteren, trotzigen Blick, den er sich als Gauner angewöhnt hatte. Ebenso nahm er lebhaften Anteil an allem, was die Gaunerei betrifft, und interessierte sich sehr für die Schicksale seiner Kameraden. Es war ihm immer angenehm, wenn wieder der eine oder der andere eingefangen wurde. Besonders gönnte er der Schleiferbärbel die Zuchthausstrafe und bedauerte nur, dass dieselbe so kurz dauerte. Dies war aber nicht Schadenfreude, sondern der Widerwille gegen die Gaunerei und der Wunsch, die bürgerliche Gesellschaft von dieser Pest befreit zu sehen. Darum tat er auch jetzt noch sein Möglichstes zur Entdeckung und Ausrottung dieser schädlichen Menschen.

Im Zuchthaus wurde er öfters über Protokolle vernommen, welche aus fremden Orten wegen eingefangener Gauner einliefen. Auch holte man ihn bald dahin, bald dorthin, um hartnäckig Leugnende zum Geständnis zu bringen. So wurde er einmal nach Laufen verlangt, weil da zwei Diebe in Untersuchung saßen, die früher mit ihm gestohlen hatten und nun alle Bekanntschaft mit ihm in Abrede zogen. Durch seine bloße Erscheinung brachte er die Gauner zum Geständnis.

Kurz darauf wurde er wegen Hannikel nach Sulz abgeholt, und auch hier hatte seine Gegenwart den gewünschten Erfolg. Wie früher, so durfte er dieses Mal wiederholt die Guttätigkeit der Bewohner dieser Stadt in hohem Grade erfahren.

Der alte Pfarrer in Bergfelden, dem Hans früher gestohlen hatte, wünschte ihn kennen zu lernen. Da er wegen seines hohen Alters den Weg nach Sulz nicht mehr machen konnte, so ging der Oberamtmann von da mit Hans zu ihm. Der ehrwürdige Greis sammelte Kohlen auf Hans’ Haupt, indem er denselben auf das Liebevollste behandelte und ihm bei dem Abschied noch ein Geldgeschenk machte.

Ein Vierteljahr lang musste Hans wegen Hannikels Untersuchung in Sulz bleiben, und sechs Monate später wurde er nochmals dahin berufen. Durch seine Bemühungen kamen abermals vierzehn Personen in Verhaft in Villingen, wohin er gleichfalls eingeladen wurde, um die Gefangenen zum Geständnis zu bringen. Dies gelang, und Hans wurde von dem dortigen Magistrat mit Gunstbezeugungen überhäuft.

Kurze Zeit darauf ließ man ihn nach Münsingen holen wegen eines eingesetzten Betrügers, der hartnäckig leugnete. Hans brachte denselben dazu, dass er alles gestand.