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Der Detektiv – Die Schmuggler von Palermo – 5. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

Die Schmuggler von Palermo

5. Kapitel

Als Harst von der Friedhofskapelle in das behagliche Speisezimmer Doktor Schneiders gewechselt hatte und sich dort nun in aller Gemütlichkeit in Gesellschaft seines liebenswürdigen Landsmanns durch Speise und Trank stärkte, meinte der viel gesuchte Arzt plötzlich, er fürchte nur zu sehr, dass Cesare Leonforte sehr bald verhaftet werden würde.

»Spielende Kinder haben nämlich«, fuhr er fort, »heute Mittag in einem Gestrüpp unweit der Küste etwa 300 Meter nordwestlich des Palazzo Batticino eine männliche Leiche entdeckt. Die Polizei stellte fest, dass der Tote der Ältere der Brüder Leonforte und der Tod durch Erdrosseln mithilfe einer dünnen Schnur erfolgt ist. In der Nähe des Fundorts der Leiche lag ein eng zusammengeballtes, blutbeflecktes Taschentuch mit einer Grafenkrone und den Buchstaben C. L. als Monogramm. Ich verdanke diese Einzelheiten meinem Freund, dem Polizeiarzt Professor Salviolo. Das Tuch ist fraglos Cesare Leonfortes Eigentum. Das Weitere können Sie sich denken, lieber Landsmann.«

Harst hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, ließ ein zweifelndes Hm – hm hören, zündete sich eine Zigarette an, trank einen Schluck Kaffee und meinte: »Ich werde mir nachher sofort den Fundort auf meine Weise ansehen! Dann werde ich Ihnen sagen, wie ich über dieses Taschentuch denke.«

Gleich darauf verließ der bucklige Leiermann die Villa durch die Hinterpforte des Gartens und wandte sich nach Osten, durchquerte die prachtvolle Via Macqueda, die neben der Via Vittorio Emanuele die schönste Straße Palermos ist, fuhr mit der Straßenbahn den südöstlichen Stadtvierteln zu und gelangte so bis an die nördliche Parkmauer des Palazzo Batticino, folgte ihr bis zur Küste und bog nun links in einen Oliven- und Palmenhain ein, in dessen Mitte die Überreste eines uralten Tempels noch aus der Griechenzeit sich Unkraut überwuchert erhoben. Dann gewahrte er keine fünfzig Meter weiter am Rand dieses Wäldchens die Gestalten mehrerer Polizisten, die eifrig den Boden und die Büsche ringsum absuchten.

Harst beobachtete, scheinbar unter einem nahen Baum sich ausruhend, mit Interesse die Arbeitsmethode der hiesigen Beamten, bat dann einen von ihnen, der in seine Nähe kam, kläglich um eine Zigarre und erfuhr bald von dem gesprächigen Sizilianer, die ja alle sehr redselig sind und sich gern wichtigmachen, wo die Leiche und das Taschentuch gelegen hätten und dass der Haftbefehl gegen Cesare Leonforte bereits ausgefertigt sei.

Als die Polizei, ohne etwas Neues entdeckt zu haben, abgezogen war, nahm Harst den zerrissenen Filz vom Kopf und holte daraus die Skizze hervor, die Skizze, auf der ja die eine punktierte Linie nordwestlich vom Palazzo Batticino auf freiem Feld endete, beschaute sie, nickte befriedigt.

Es stimmt, dachte er. Stimmt ganz genau sogar. Der Endpunkt der Linie ist der alte griechische Tempel.

Dann steckte er das Papier wieder in den Filz und begann mit einem Füllfederhalter für Schraut jenen Zettel zu schreiben, der diesem zeigte, dass sich selbst eine schwere Erkrankung mit nachfolgendem Tod leicht vortäuschen lässt, wenn nur ein verschwiegener Arzt mithilft.

Nachdem er den Zettel ganz unauffällig durch das Fenster in das Zimmer geworfen hatte, wanderte er durch den neuen Stadtteil, an gefälligen, wenn auch niedrigen Reihenhäusern, die sämtlich Vorgärten hatten, vorbei, ließ hier und da sein Instrument ertönen und hatte bald einen ganzen Schwarm von sizilianischer Straßenjugend hinter sich. So erreichte er denn auch ein einzelstehendes älteres Haus, das von einer Mauer umgeben war, deren Steine verrieten, dass sie ein sehr ehrwürdiges Alter besaß und nur stellenweise ausgeflickt war. Das Gebäude dahinter war gänzlich schmucklos, mehr Stall mit kleinen grün angelaufenen Fenstern. Die Straße, in der es lag, hieß Via Piccio. Die Mauer des Gartens ging ähnlich wie beim Palazzo Batticino fast bis an die Küste heran.

Harst machte vor diesem Haus wieder halt, drehte drei Stücke herunter, fragte die Kinder, wer hier wohne und erhielt den Bescheid: Ein sehr langer dicker Engländer habe vor zwei Monaten etwa das Gebäude gemietet und lebe dort ganz für sich mit zwei Dienern. Er sei wohl so etwas wie ein Erfinder. Harst forschte weiter, wie groß der Engländer sei; vielleicht zwei Meter – oder noch größer?

»Oh«, rief ein älterer Junge. »Er ist eben ein Riese! Hier gibt es sonst keinen Menschen, der auch nur annähernd so lang wäre.«

Harst spielte noch zwei Stücke. Dann schickte er eins der Kinder an die Mauerpforte und ließ die elektrische Glocke in Bewegung setzen. Sofort erhob sich wütendes Hundegekläff und an einem offenen Fenster erschienen nun auch zwei Männer. Der eine war – Josef Sendling, also Warbatty und der andere – ein ungewöhnlich großer Mensch. Dann wurde dem Leiermann von einem unsichtbar bleibenden Dritten eine Münze zugeworfen. Harst war jetzt sehr zufrieden mit seinem Erfolg hier und kehrte zu Doktor Schneider zurück, dessen gleichfalls deutsche Hausangestellte durchaus zuverlässig und verschwiegen waren. Der Arzt hatte inzwischen für Harst einen Anzug und eine Mütze besorgt, wie sie die sizilianischen Fischer tragen, auch eine schwarze Perücke und allerlei Schminke. Während er nun staunend mit ansah, wie der berühmte Liebhaberdetektiv sich aus einem schmierigen Leiermann in einen schmucken Fischerburschen verwandelte, erzählte er ihm gleichzeitig, die Sache stehe für den Grafen Cesare sehr schlecht, da dieser bei seiner ersten Vernehmung sofort angegeben habe, er weigere sich zu sagen, wo er die letzte Nacht zugebracht hätte, und er sei auch nicht imstande, einen ihn entlastenden Alibinachweis zu führen.

Harst nickte kurz. »Verehrter Doktor, diese Angaben habe ich vorausgesehen. Ich weiß, wo der Graf gewesen ist. Jedenfalls nicht in der Bodega d’Italia und auch nicht an jenem Ort, wo der Graf Viktor Leonforte ermordet wurde. Doch hierüber später mehr. Kennen Sie den Grafen Viktor genauer?«

»Ja. Er ist ein sehr schlecht beleumundeter Mensch, ein Spieler, Trunkenbold und Schürzenjäger, vielleicht gar noch Schlimmeres; ein Verbrecher. Es gibt hier Leute, die ihm alles zutrauen. Er hat die jetzige junge Gräfin Leonforte ebenfalls geliebt. Und er soll dem Bruder vor allen Dienstboten am Tag der Trauung des jungen Paares in blinder Wut Rache geschworen haben.«

»Hm – recht interessant. All das weiß natürlich auch die Polizei. Sie glaubt jetzt natürlich an eine Art Eifersuchtsdrama bei diesem Mord. Nun, ich würde Ihnen raten, Doktor, dem Polizeiarzt, Ihren Freund, nahezulegen, den Ermordeten zu sezieren und ganz besonders genau auf die Möglichkeit der Vergiftung hin die Leiche zu untersuchen. Ich verstehe so einiges von Todesarten und ihren Merkmalen. Sie haben mir das Aussehen des Toten, der erdrosselt sein soll, genau beschrieben. Daraus erkannte ich sofort mit ziemlicher Sicherheit, dass die Schlinge erst einer Leiche um den Hals gelegt worden ist. Dem Ermordeten war zum Beispiel doch Blut aus dem Mund gelaufen, schaumiges Blut. Das deutet auf ein indisches Pflanzengift hin, Doktor, auf das sogenannte Manupar, dessen Zusammensetzung der modernen Chemie noch immer ein Geheimnis ist. Ich bitte Sie, fahren Sie sofort zu dem Polizeiarzt und helfen Sie in Leonfortes Interesse bei der Obduktion. Dieses Manupar ist so selten, dass der jetzt Verhaftete es nie besessen haben kann. Es kann sich nur ein Mann dieses Giftes bedient haben, der selbst in Indien gewesen war; und zwar längere Zeit. Und ich kenne diesen Mann, Doktor. Sie werden ja schweigen: Es ist Cecil Warbatty, der sich hier Sendling nennt und der mich zwang, an Typhus zu sterben! Er hat bei dem jungen Paar gewohnt und konnte sich daher leicht eines der Taschentücher Cesares aneignen. So, nun bin ich fertig. Ich werde mir jetzt noch Palermo etwas ansehen. Abends um zehn Uhr erwartet Schraut mich. Ich hoffe, in dieser Nacht gewisse Leute dazu zu bewegen, für den Verhafteten einzuspringen.«

Ich saß am Fenster und wartete. Genau um zehn Uhr flog etwas Sand gegen die Scheiben. Zehn Minuten später sprang ich aus dem Fenster und stand einem jungen Fischer gegenüber, der mich sofort in das Gebüsch zog. Erst hier duldete Harst dann, dass ich ihn unter Tränen umarmte. Er war offenbar gerührt über meine Treue und Anhänglichkeit, drückte mir fest die Hand und meinte: »So beruhige dich doch, lieber Kerl. Ich lebe ja, wie du siehst und wie ich lebe. Warbatty soll es merken!«

Dann führte er mich zu dem Erbbegräbnis der Grafen Batticino mitten in den Park und stieg mir voran in den unterirdischen Gang ein, befahl mir, jedes Geräusch zu vermeiden und eilte diesen engen, feuchten Tunnel leise entlang, bis wir an eine Mauer kamen, die das Ende des Gangs anzudeuten schien. Aber auch hier gab es eine geheime Tür und gleich darauf befanden wir uns in der von Harst bereits erwähnten Grotte, die sich zum Meer hin fortsetzte und die mit diesem irgendwie in Verbindung stehen musste, denn wir hörten deutlich die Brandung und spürten auch den Salzhauch der See ganz deutlich. Der weite Raum war tatsächlich bis obenan mit Kisten, Fässern, Ballen und Tonnen angefüllt. In einer Ecke stand ein langer Tisch; herum gab es einfache Bänke; darauf zwei große Petroleumlampen.

Wir hatten unsere Taschenlampen nur immer für Sekunden eingeschaltet. Nun kroch Harst in der Nähe des Tisches hinter einen Stapel von Fässern, zwischen denen genug Lücken zum Hindurchsehen frei geblieben waren.

»Ich hoffe bestimmt, dass sie sich heute hier versammeln werden«, flüsterte er mir zu.

»Wer denn?«, fragte ich und gebe zu, dass mir dieses Abenteuer keineswegs behagte.

»Wer? Natürlich die Schmuggler, zu denen auch Cesare Leonforte gehört. Seine nächtlichen Seefahrten galten dem Warenschmuggel. Und seine Kumpane, denke ich, wird heute hier beraten, wie sie ihm helfen kann. Du wirst hier fraglos auch einen Bekannten aus dem Palazzo wiedersehen, und zwar den alten Fischer Oreto, Olivellas Vater. Ich habe nämlich diese vorhin, so gegen acht Uhr, am Strand ein wenig ausgehorcht. Ich gefiel ihr. Und so kam heraus, dass Oreto immer dann fischen fährt, wenn … still – es kommt jemand!«

Ja – sie kamen, elf an der Zahl, alles wettergegerbte Gestalten, den sizilianischen Dolch im Gürtel, setzten sich um den Tisch und hörten beim Schein der beiden Laternen den alten Oreto schweigend an, der von den Grafen Cesare als einen treuen Kameraden sprach, den irgendein Schuft ins Unglück gestürzt hätte.

»Wir können nur eins tun«, erklärte Oreto weiter. »Da wir darüber schweigen müssen, wo Cesare in der verflossenen Nacht gewesen war, werden wir die Gefängniswärter bestechen, den Grafen entführen und zu Schiff mit seiner Frau in Sicherheit bringen.«

Harst hauchte mir ins Ohr: »Nimm den Revolver zur Hand. Folge mir.«

Oreto hatte weitergesprochen. »Das Bestechungsgeld geht aus der gemeinsamen Kasse. Wir haben etwa 5.000 Lire liegen. Das wird genügen. Seid Ihr einverstanden? Wenn der Graf auch erst kurze Zeit zu uns gehört, so ist er es doch wert, dass …«

In diesem Augenblick trat Harst aus dem Versteck hervor.

»Guten Abend, Signori! Bitte – bleibt sitzen. Ich schieße jedem eine Kugel in die Stirn, der sich rührt! Und mein Freund hier trifft genau so gut wie ich. Hört mich ruhig an. Wir sind keine …«

Da, ich hörte einen dumpfen Ton, blickte zur Seite, sah Harst wanken und zu Boden sinken. Ich ahnte, dass er von hinten niedergeschlagen worden war. Blitzschnell wollte ich zur Seite springen. Zu spät! Ein furchtbarer Hieb traf meinen Kopf. Ich drehte mich um mich selbst, erkannte noch Olivella Oreto, dann verlor auch ich das Bewusstsein.

Zum Glück hatte Harsts Mütze und mein Hut die Schläge etwas gemildert. Wir kamen bald wieder zu uns. Wir waren mit Stricken brutal eng gefesselt und lagen oben auf ein paar Ballen neben dem Tisch.

Als wir mühsam die Köpfe hoben, versammelten sich die Schmuggler sofort um uns und Olivella rief rachsüchtig: »Spione seid Ihr, keine Maler, Ihr Schurken! Und der da ist nur zum Schein gestorben! Oh, diese verdammten …«

Oreto schob seine Tochter beiseite. »Schweig! Sie werden bald merken, wie tief das Meer draußen vor Palermo ist. Ersaufen werden wir Euch, Ihr …«

Harst hatte sich in sitzender Stellung aufgerichtet, unterbrach den Alten gelassen: »Wetten, dass Ihr uns nicht ersaufen werdet? Lasst mich jetzt einmal ruhig aussprechen. Wir sind Spione, gewiss, aber wir wollen Euch nichts anhaben. Wir sind hinter fremden Verbrechern her, von denen einer sich hier Josef Sendling nennt.«

Oreto lachte höhnisch auf. »Lügner! Lügner Du! Sendling ist ein harmloser Spaßmacher!«

»Ihr werdet bald anderer Ansicht sein. Oreto, hat Sendling sich an Euch herangedrängt und Eure Freundschaft gesucht? Hat nicht vor ihm bei Leonfortes ein langer Engländer gewohnt, der dann angeblich abreiste? Dieser Engländer haust jetzt unter dem Namen Dickinson in der Via Piccio mit zwei Spießgesellen in dem alten Haus. Er steckt mit Sendling unter einer Decke. Heute um sieben Uhr abends begegnete ich diesem am Hafen. Er besuchte einen dort ankernden älteren Dampfer. Und der Kapitän dieses Dampfers war derselbe Dickinson. Geht Euch schon ein Licht auf? Noch nicht? So, dann frage ich Euch, Oreto, wie viel in etwa ist dieses Warenlager hier wert?«

»Hm – etwa eine Million. Wir haben all dies noch nicht ins Innere schaffen und verkaufen können, weil die Zollbeamten seit Monaten die Wege zu scharf bewachen.«

»So – eine Million! Weiter: Wisst Ihr, dass von dem alten Haus in der Via Piccio ein unterirdischer Gang bis in den anderen Gang führt, der von hier zu dem Erbbegräbnis und dessen rechte Abzweigung zur griechischen Tempelruine geht?«

»Noch ein Gang? Unmöglich«, rief Oreto. »Ihr lügt schon wieder!«

Harst lächelte den Alten überlegen an. »Ich werde Euch nun anvertrauen, wer wir, mein Freund und ich, sind und wer Josef Sendling ist, auch erwähnen, weshalb ich diesen Mann verfolge.« Er fasste sich sehr kurz. Die Skizze verschwieg er.

»So, Ihr wisst nun, dass Ihr einen deutschen Detektiv vor Euch habt. Und dieser Detektiv sagt Euch Folgendes: Warbatty hat es auf dieses Warenlager abgesehen. Er hat alles sorgfältig vorbereitet. Der Dampfer soll diese Güter bei guter Gelegenheit an Bord nehmen. Vielleicht beabsichtigt Warbatty, Euch bei einer Zusammenkunft hier zu überfallen und wehrlos zu machen, um in Ruhe die Waren rauben zu können. Wir werden nachher durch den Gang in das Haus Dickinsons heimlich eindringen. Ich hoffe, dass wir die Leute dort etwas belauschen können. Dann wird sich vielleicht auch herausstellen, dass der ermordete Graf Viktor Leonforte ein Spießgeselle Warbattys gewesen ist, den dieser jetzt beseitigt hat, weil der Graf ein Trunkenbold geworden ist und weil Warbatty gefürchtet haben mag, jener könnte einmal im Trunk zum Verräter werden.«

Die Gesichter der Schmuggler waren nachdenklich geworden.

»Ich habe euch nun einen Vorschlag zu machen«, fuhr Harst fort. »Wenn wir Warbatty und seine Kumpane festnehmen und dann der Polizei ausliefern, gibt er euch als Schmuggler an. und man beschlagnahmt diese Waren und sperrt euch ein. Das werdet ihr nicht wollen und das will ich auch nicht. Ich kenne die hiesigen Verhältnisse. Nirgends anderswo steht protziger Reichtum und bittere Armut in so schroffem Gegensatz wie hier. Das Land gehört den Latifundienbesitzern, die ihre Pächter aussaugen. Ihr Schmuggler hier seid halb und halb gezwungen, dieses Gewerbe zu betreiben, wenn ihr nicht wie die Bettler oder Fronknechte leben wollt. Ich habe ein Herz für die Armen. Ihr sollt nicht um den Lohn eurer gefährlichen Tätigkeit kommen. Ich kann Warbatty den Mord an dem Grafen Viktor auf den Kopf zusagen. Wir werden ihn und seine Spießgesellen zwingen, ein Schriftstück zu unterzeichnen, dass er euch nicht verraten und dass er sich hier niemals mehr sehen lassen will. Dann bringt ihr die Leute zu Schiff nach Afrika oder nach Frankreich. Einen anderen Weg, Euch und Cesare Leonforte vor dem Gefängnis zu bewahren, weiß ich nicht.«

Die Schmuggler berieten leise. Am eifrigsten redete Olivella Oreto; offenbar für Harsts Vorschlag. Eine halbe Stunde später befanden wir beide uns mit vier kräftigen Schmugglern bereits im Haus in der Via Piccio vor einer Tür, hinter der wir mehrere Stimmen vernahmen.

Harst riss die Tür auf, rief sofort: »Keinen Widerstand oder wir schießen!« Fünf Mann, darunter Warbatty und der Riese, hatten um den Tisch gesessen. Sie fuhren empor. Was für gefährliche Kerle es waren, zeigte sich nun so recht deutlich, da sie ebenso blitzschnell unter dem Tisch verschwanden.

Dann sauste mir eine Kugel dicht am Ohr vorbei. Nun ging das Licht aus. Weitere Schüsse folgten. Ich hatte mich lang hingeworfen. Ich hörte laute Schreie, abermals Schüsse. Nun flammte das elektrische Licht wieder auf. Der Kampf hatte den vier Gefährten Warbattys das Leben gekostet. Dieser selbst war uns entwischt. Auch zwei der Schmuggler waren verwundet.

Harst hatte schnell einen der veränderten Sachlage entsprechenden Plan bereit. Wir ließen die vier Leichen liegen und die Schmuggler schafften noch in derselben Nacht den Inhalt der Grotte in verschiedene weiter östlich liegende Verstecke an der Küste. Wir halfen dabei. Uns kam es darauf an, Cesare Leonforte nicht als Schmuggler entlarvt zu sehen. Dann verschütteten die Schmuggler die unterirdischen Gänge an mehreren Stellen durch Sprengung des Mauerwerks mit Dynamitpatronen. Nun konnte Warbatty ruhig den Angeber spielen. Die Polizei würde keine unversehrten Gänge, kein Warenlager mehr vorfinden. Harst riet dann Oreto, zur Polizei zu gehen und auszusagen, dass Graf Cesare heimlich bei ihm Fischerknecht gespielt habe, um etwas zu verdienen und dass dieser auch in der vorausgegangenen Nacht mit ihm auf See und bis zum Morgen zusammen gewesen sei.

Dies war ja auch richtig.

Und so geschah es auch. Oreto und zwei andere Fischer wiesen so des Grafen Alibi nach, dessen Freilassung ohne dies bevorstand, da die Obduktion ergeben hatte, dass tatsächlich der Graf Viktor erst vergiftet worden war, und zwar mit jenem inzwischen, so seltenen Pflanzengift.

Harst meldete sich nun gleichfalls bei der Polizei und wusste alles so darzustellen, dass weder auf die Schmuggler noch auf Cesare Leonforte irgendein belastender Verdacht fiel.

Wer die vier Männer im alten Haus in der Via Piccio erschossen hatte, erfuhr nur Doktor Schneider.

Alles ging glücklich ab dank Harsts klugen Maßnahmen und Aussagen. Die Polizei schenkte dem berühmten Detektiv natürlich vollen Glauben.

Ich will gleich noch erwähnen, dass der junge Graf sich mit seinen Eltern sehr bald aussöhnte und dass die blonde Gräfin nun völlig gesund und glückliche Mutter eines Knaben ist, der mit Vornamen Harald heißt.

An demselben Tag gegen Abend erhielt der Kunstmaler Heinz Horn eine Depesche aus Messina. Sie lautete:

Ich hoffe, wir sehen uns recht bald wieder. Ich möchte meine Rechnung mit Ihnen glatt machen. Es grüßt Sie Ihr alter Freund Cecil Warbatty!

Harst nickte ernst.

»Ja, wir sehen uns wieder, Warbatty«, meinte er leise. »Und vielleicht wirst du dann der Sieger sein und ich der Besiegte; vielleicht. Du besitzt ja etwas, was mir fehlt, das dich mir überlegen macht: den rücksichtslosen Vernichtungswillen eines raffinierten, kaltblütigen Mörders.«