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Der Detektiv – Die Schmuggler von Palermo – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

Die Schmuggler von Palermo

4. Kapitel

Ich wollte!

Mein Fuß stockte. Da lag mitten auf dem Teppich ein roter Fetzen Zeug. Daran war ein eng zusammengefaltetes Stück Papier und ein Bleistückchen festgebunden.

Ich bückte mich. Das Papier konnte nur der Leiermann vorhin hier hineingeworfen haben.

Eine seltsame Ahnung zuckte in mir auf.

Doch nein … das … das war ja unmöglich … war ausgeschlossen!

Trotzdem entfaltete ich mit zitternden Fingern den Zettel und begann am ganzen Leib zu schlottern, fiel kraftlos in den Sessel.

Harsts Handschrift! Des Toten Handschrift!

Sollte meine Ahnung wirklich richtig gewesen sein? Ich raffte mich auf und las:

Mein lieber Freund und treuer Gehilfe! Ich habe dir leider viele traurige Stunden bereiten müssen. Nun, desto freudiger wirst du jetzt die Nachricht hinnehmen, dass alles nur eine glänzend durchgeführte Komödie war, dass ich lebe und zurzeit als Leiermann bei der Arbeit bin. Ich fasse mich kurz: Als ich die Gräfin und dich durch den Warnruf zum Schweigen veranlasste, hatte ich einen sehr triftigen Grund dazu, nämlich folgenden. Zunächst war mir schon, als wir den Malerkollegen in der Allee sahen, der Verdacht aufgestiegen, der kleine Dicke könnte Warbatty sein. Als die Gräfin von den Vorbewohnern unserer Zimmer, dem Engländer und dem Österreicher Josef Sendling sprach, da wurde mir zur Gewissheit, dass Warbatty hier als Sendling seine verbrecherischen Ziele verfolgte. Ebenso war ich überzeugt, er würde auch die geheime Tür kennen. Ein Mensch wie er ist auf alles geeicht, weiß auch von den Geheimnissen alter Palazzi genug, um nach verborgenen Gängen und so weiter zu suchen. Ohne Grund, sagte ich mir, wird er hier nicht gewohnt haben und ohne Grund wird auf der Skizze nicht gerade dieser alte Steinkasten von Gebäude durch die punktierte Linie mit anderen Orten verbunden sein! Also: Sendling ist Warbatty! Das stand für mich fest. Als ich nun leise im Zimmer auf und ab ging, hörte ich plötzlich hinter der Wandtäfelung an der bewussten Stelle ein Geräusch, das so klang, als fiele irgendein hohler Gegenstand herab. Ich lauschte weiter. Alles blieb still. Dann wollte ich den, der dort hinter der Geheimtür meiner Ansicht nach lauerte und horchte, dem ganz fraglos eine elektrische Taschenlampe beim Auswechseln der Trockenbatterien entglitten war, verscheuchen. Gleich darauf fühlte ich im Dunkeln die Wandvertäfelung ab, fand auch den Knopf zwischen den Leisten, drückte und schob die Tür schnell auf. Nichts regte sich dahinter. Da wagte ich es, in das unbekannte Gelass vorzudringen. Meine Taschenlampe hatte ich schon vorher zu mir gesteckt. Ich schaltete sie ein und fand die enge Treppe, die steil abwärts führte, fand aber auch zwei Zündholzenden, deren verkohlte Spitzen sich noch warm anfühlten. Das bewies mir: Warbatty hat wirklich gehorcht. Seine Leuchte ist durch den Fall unbrauchbar geworden; die kleine Lampe wird gebrochen sein. Ich drang langsam weiter vor, fand noch fünf Zündholzenden, fand schließlich den Ausgang des gemauerten niedrigen Tunnels, in dem Warbatty entlanggegangen sein musste. Dieser Ausgang ist eine zweite Geheimtür in dem halb zerstörten Erbbegräbnis der edlen Grafen von Batticino, das mitten im Park liegt. Ich hatte genug gesehen, kehrte schleunigst um, stellte fest, dass der unterirdische Gang sich nach Norden zu noch weiter fortsetzt, drang auch in diese Richtung etwa fünfzig Meter vor und gelangte so in eine natürliche Höhle, die geradezu mit Kisten, Ballen und Fässern vollgestopft war. Auch diese Feststellung genügte mir; deshalb sprach ich auch von einem Warenhaus, lieber Schraut!

Ich stellte mich nun wieder bei euch ein und hatte von der Schilderung der Gräfin inzwischen nur ihre Schlusssätze mit angehört. Als sie uns verlassen hatte, war mein Plan schon fix und fertig. Das Cecil Warbatty uns entweder schon erkannt hatte oder doch in Kurzem als Harst und Schraut erkennen würde, war mit aller Sicherheit anzunehmen. Ein verbrecherisches Genie wie er wird stets zwei Malern, die ausgerechnet in dem von ihm bewohnt gewesenen Räumen sich einmieten, größtes Misstrauen entgegenbringen. Ist erst ein Argwohn da, dann durchschaut man leicht jede Verkleidung, wenn man Warbatty heißt. Du kennst ja Warbatty. Menschenleben gelten ihm nichts. Du weißt, wie er seine Spießgesellen kaltblütig hinmordet, um sich vor Verrat zu schützen, weißt, dass er auf mein Leben bereits so raffinierte Anschläge versucht hat, wie sie nur dem Hirn eines wahren Teufels an Schlauheit entspringen können. Und er ist mein Todfeind. Er hat uns Rache geschworen. Er ist der einzige Verbrecher, der mir bisher als ebenbürtiger Gegner gegenübergestanden hat. Mein Leben war also keinen Pfifferling mehr wert. Warbatty arbeitet mit Gift, mit Waffen, mit allem, was es nur gibt, um jemand auszulöschen, den er beseitigen will. Ich hätte mich vor ihm hier kaum schützen können. Und wenn, dann nur so, dass ich ihn bei der Polizei sofort anzeigte. Das wollte ich nicht. Ich wollte ihm beweisen, dass ich der Stärkere bin, wollte und will ihn nun für alle Zeit unschädlich machen. Dazu war der beste Weg, ihn zunächst in Sicherheit zu wiegen! Also ich musste sterben! Ich spielte vor dir den Kranken. Dann vertraute ich mich Doktor Schneider an, als er dich zweimal zu Oretos schickte. Er wollte mir helfen. Er verschrieb mir ein Brechmittel. Morgens gab er mir ein starkes Schlafmittel. Da er mit den Behörden hier auf bestem Fuß steht, gelang die Täuschung glänzend. Der Krankenwagen brachte meine Leiche zur Friedhofskapelle, wo Schneider schon wartete. Ich wurde in den bereit gehaltenen Sarg gelegt. Dann schickte er die Begleiter des Wagens weg, gab mir das Gegenmittel ein. Ich kam zu mir, verwandelte mich in den Leiermann, ließ den Doktor vorausgehen, wartete noch eine halbe Stunde, verschloss die Gruft und die Kapelle und schlich auf Umwegen in Schneiders elegante Villa, aß, trank, schlief zwei Stunden, schulterte den Leierkasten auf und durchstreifte die Umgegend des Palazzo, hatte inzwischen Glück, als ich gerade dazu kam, als die hiesige Kriminalpolizei den Tatort eines in der verflossenen Nacht verübten Mordes besichtigte, von dem mir schon Doktor Schneider einiges erzählt hatte. Der Ermordete ist Graf Viktor Leonforte, der ältere Bruder unseres Cesare Alfio. Doch hierüber mündlich Näheres. Nun höre und gib genau acht: Du musst unbedingt weiter den tief trauernden Hinterbliebenen spielen! Unbedingt! Dann schlafe bis zehn Uhr abends Vorrat! Von dieser Stunde an setze dich zum Ausgehen fertig und mit Revolver und Taschenlampe versehen an das mittlere Fenster. Sobald ich etwas Sand gegen die Scheiben werfe, lösche die Lampe aus, warte noch zehn Minuten und springe zum Fenster hinaus, falls inzwischen nicht eine neue Sandladung die Scheiben trifft. Geschieht dies, so bleibe drinnen und warte geduldig weiter. Erst das dritte Sandsignal ruft dich dann ins Freie. So, Schluss jetzt, lieber Schraut. Auf Wiedersehen! Verbrenne den Zettel sofort und zerreibe die Asche! Noch eins: Sollte Josef Sendling sich an dich heranmachen, so sei ganz besonders auf deiner Hut! Ich hoffe ja, er wird es auf dein Leben nicht abgesehen haben. Aber Vorsicht ist stets am Platz! Dein. H. H.

Harst lebte! Und nun, wo ich mir alle Einzelheiten seiner Krankheit nochmals ins Gedächtnis zurückrief, hätte ich mich am liebsten Ohrfeigen mögen ob meiner Kurzsichtigkeit! Jetzt dachte ich an so viele Kleinigkeiten, die mir unbedingt hätten auffallen und in mir Zweifel an dem ganzen Todesfall hätten wachrufen müssen. Jedenfalls ist das eine aber gewiss: So wenig ich mich dieser Komödie gewachsen gezeigt hatte, desto glänzender hatte sie wieder einmal Harsts ungeheure Vielseitigkeit bewiesen! Er hatte ja nicht nur mich, sondern auch Olivella und den Grafen getäuscht als gesunder Typhuskranker!

Den Grafen! Da erst dachte ich wieder an die arme Landsmännin nebenan, da erst eilte ich ans Fenster und wurde so gerade noch Zeuge, wie man Cesare Leonforte in das Auto brachte, wie dieses davonfuhr und wie sich rechts von mir die arme Gräfin weit zum Fenster hinauslehnte und in wilder Verzweiflung die Hände rang.

Ich verbrannte Harsts Zettel. Dann klopfte ich bei Leonfortes an. Olivella öffnete mir. Ich befand mich in einem dürftig eingerichtetem Wohnzimmer. Olivella schüttelte drohend die Faust, verwünschte die Polizei, schwor bei allen Heiligen, der Graf sei unschuldig und habe niemals seinen Bruder ermordet.

Dann meldete sie mich der Gräfin. Diese erschien bald völlig aufgelöst in Tränen und in einem Zustand halber Geistesverwirrung. Ich schickte Olivella weg und tat etwas, das Harst vielleicht nie gebilligt hätte. Ich erklärte ihr flüsternd, wer wir beiden Maler in Wahrheit seien, erzählte ihr auch, dass ihr berühmter Landsmann Harald Harst lebe, und versicherte ihr, er würde ihrem Gatten fraglos beistehen.

Da wurde sie sofort ruhiger. Harsts Name war ihr nicht fremd. Sie hatte ja stets eine Berliner Zeitung erhalten, um mit der Heimat so in Verbindung zu bleiben. Bald hatte ich sie sogar so weit, dass sie mir ganz übersichtlich berichtete, was sie über den Mord wusste. Ich werde dies später in anderer Form einfügen.

Um sechs Uhr nachmittags schlief ich gehorsam Vorrat, wie Harst befohlen hatte. Dessen Erlebnisse will ich nun nach seinen späteren Angaben schildern.