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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 21

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Hans von Hackelberg, der wilde Jäger

Wer hätte nicht vom wilden Jäger gehört, der von den Höhen des Brockens und des Bruchberges herab auf weißem Ross daherstürmt? Seiner Rüden Gebell, das Pferdegewieher und sein lauter Jagdruf Hoi, hoi, hoho, hoho schrecken den einsamen Wanderer und schnell wirft er sich zu Boden, damit das wilde Heer über ihn wegziehe. Dem Zug voran fliegt die Eule Tutursel. Sie war eine Nonne gewesen, hatte aber ihre Gelübde gebrochen und muss deshalb als Eule verwandelt unstet umherirren. Ihr klagendes Schuhu klingt schauerlich wie ein Warnruf durch die Lüfte. Alles beeilt sich, sein Heim zu erreichen und Tür und Fenster zu verschließen. Wenn dann mit Sausen und Brausen die wilde Jagd dahinfährt, dass die Schindeln von den Dächern fliegen und es in den Bäumen kracht und ächzt, dann zittert das Herz des Volkes. In tiefem Grausen singt es das Lied:

Mien Vader, mien Vader, horche mal rut,
Dat hult da butten, dat hult sau lut;
Dat bellt und schtampt, dat grölt und brüllt
Hoch öwer de Böme grulich und wild.

Mien Kind, dat is ̓ne böse Nacht,
Mien Kind, dat is de wille Jagd,
Ein Vaderunser, drei Krieze ant Dor
Gottlof, nu sind we sicher dervor!
Nu kann de Schpauk tau uns nich rin,
Nu legg deck to Bedde, mien Kind, schlap in.

Kein Mensch darf es wagen, den wildem Jäger zu necken, denn er ahndet es streng. Als einst ein kecker Zimmermann sein Hoho hinterdrein rief, fiel ein schwarzer Klumpen durch den Schornstein auf den Herd, dass Funken und Brände den Leuten um die Köpfe stoben. Eine große Pferdelende lag auf dem Herd, der Zimmermann aber war tot.

Andere wieder sind mit dem bloßen Schrecken davongekommen, und wenn sie dem wilden Jäger sein Hoho und huhu nachgerufen haben, so hat er ihnen eine Pferdelende oder gar ein totes Pferd hinuntergeworfen und gerufen:

Hast du geholfen jagen,
sollst du auch helfen knagen!

Auf schwarzem, kopflosem Pferd reitet der wilde Jäger durch den Harz, in einer Hand die Hetzpeitsche, in der anderen das Hifthorn. Das Gesicht sitzt ihm im Nacken und zwischen dem Blasen ruft er Hoho, hoho! Vor und hinter ihm sind Weiber, Jäger und Hunde die Menge. Zuweilen indessen erscheint er auch gütig und soll im Wald Verirrte mit Speise und Trank gelabt haben.

Nach niedersächsischer Sage war er, der also bei Gewitter und Sturmesbraus dahinfährt, bei Lebzeiten ein Braunschweiger Oberjägermeister, der Hans von Hackelberg hieß und dem die Jagd über alles ging.

Einst sollte er auf Befehl in Harzburg ein großes Jagdfest veranstalten. In der Nacht vorher aber hatte er einen bösen Traum, in welchem er mit einem wilden Eber kämpfte und demselben unterlag. Diesen Traum nahm er als Mahnung auf und entschloss sich, dem Zug fernzubleiben, so schwer es dem leidenschaftlichen Jäger auch wurde.

Die Jagd nahm unterdessen einen guten Verlauf. Viel edles Wild wurde erlegt. Besonders erregte ein riesiger Eber die Bewunderung der Jäger. Alles eilte hin, um das mächtige Tier anzustaunen.

Auch Hackelberg hatte sich eingefunden. Als er den Eber erblickte, rief er: »Nun, du bist wohl das Untier, das mir das Leben nehmen sollte! Hau nun, wenn du kannst.« Damit stieß er den Eber mit seinem Fuß, aber so derb, dass der Fangzahn, den er gerade getrosten hatte, durch den Stiefel in seinen Fuß drang. Aber die kleine Wunde nicht beachtend, ging der Jägermeister mit den Jägern ins Schloss zurück, sich nach gehabter Anstrengung gütlich zu tun. Die unbedeutende Wunde wurde indessen immer schlimmer und schlimmer. Mehrere Ärzte mussten herbeigerufen werden; allein ihr Bemühen, den Fuß zu heilen, blieb ohne Erfolg.

Da versuchte Hackelberg nach Braunschweig zu kommen, wo er sichere Heilung erwartete. Auf seinem Esel ritt er langsam vorwärts und musste bei einbrechender Nacht in Wülperode einkehren. Hier nun verschlimmerte sich der Zustand des Kranken dermaßen, dass der kalte Brand in die Wunde kam und er infolgedessen starb.

Als der Prediger, der die letzten Stunden beim Jägermeister verbrachte, ihm von Gott und vom Himmel sprach, wehrte er ab und rief: »Unserem Herrgott mag der Himmel bleiben, wenn mir nur die Jagd bleibt!«

Entrüstet ob solcher Rede, rief der Geistliche: »Nun, so jage bis an den Jüngsten Tag!« Was dann bis heute in Erfüllung gegangen ist.

Nach anderer Sage soll der Jägermeister als ein gottseliger Mann gelebt und vor seinem Hinscheiden zu Gott gebetet haben, es möge ihm statt seiner Seligkeit bis zum Jüngsten Tag die Jagd verbleiben. Sein Wunsch ist ihm erfüllt worden.

Noch lange bezeichnete man im Garten des Klöpperkruges bei Wülperode, welcher Hackelbergs Jagdschloss gewesen sein soll, einen niedrigen Hügel als sein Grab. In den Grabstein ist das Bild des Jägers, seines Esels und des Hundes eingemeißelt. Es trägt eine Inschrift, von der nur noch leserlich ist: domini 1521den 13. Martii. Dies ist angeblich das Sterbejahr des wilden Jägers. Doch auch im Sölling bei Uslar wird das Grab Hackelbergs gezeigt.

In manchen Gegenden, besonders im Mecklenburgischen, wird nicht Hackelberg, sondern Wotan, der oberste Gott der alten Germanen, als wilder Jäger gedacht, der ebenfalls mit großem Gefolge dahinfährt und bald Unheil bringt, bald wieder den Wanderern Gutes erweist.