Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Review: Der Ort der Stille

Mandy Martin
Der Ort der Stille
Eine Horror-Kurzgeschichte
Erstveröffentlichung auf dem alten Geisterspiegel am 19. Dezember 2006

Ich denke nicht gerne an die Zeit zurück, als diese schrecklichen Dinge geschahen. Aber das ist schon einige Jahre her, und ich bin froh darüber. Man sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt – aber nicht Wunden, die so tiefe Narben in der menschlichen Seele hinterlassen haben.

Manchmal gibt es Tage, die ich unbeschwert verbringen kann. Meine Freunde sehen mir aber nicht an, wie es mir wirklich geht. Denn sie wissen nichts von den schlimmen Ereignissen, die mein Leben veränderten – und das meiner beiden Kinder.

Julia und Frank haben es gut. Sie waren damals noch Kinder. Sie können leichter vergessen als ich. Denn das Leben liegt noch vor ihnen. Julia wird schon nächsten Monat bei der Lufthansa eine Ausbildung zur Flugbegleiterin beginnen. Bald wird sie die ganze Welt sehen können. Diese Eindrücke werden alles andere überlagern, was sie in jungen Jahren erleben musste. Und Frank hat einen Studienplatz in Heidelberg bekommen. Er wird seinen Weg gehen und Medizin studieren. Da bin ich ganz sicher.

Jetzt, da die beiden Kinder aus dem Haus sind, fällt es mir schwer, mich mit dieser neuen Situation zurecht zu finden. Denn ich habe nun umso mehr Zeit zum Nachdenken. Über mich und mein bisheriges Leben. Und dazu gehörte auch einmal ein Mann – Peter Berger, der Vater meiner Kinder. Julia und Frank sprechen nur noch selten von ihm. Heute ist es, als habe er für die beiden niemals existiert. Als seien die Tage ihrer einstmals unbeschwerten Kindheit von einem undurchdringlichen Schleier des Vergessens zugedeckt worden. So dass niemand mehr ahnt, was damals geschehen ist.

Heute, an diesem verregneten Tag, werden jedoch die Erinnerungen wieder gegenwärtig. Jetzt, wo ich es mir in einem Sessel vor dem Kaminofen gemütlich gemacht habe und eigentlich ein Buch lesen wollte. Aber es gelingt mir nicht.

Meine Gedanken driften immer wieder ab, wenn ich den Kopf hebe und nachdenklich aus dem Fenster schaue. Denn damals, als wir zum ersten Mal unser neues Zuhause bezogen, herrschte ähnlich trübes Wetter.

Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich all dies erzählen muss. Ich kann es nicht länger für mich behalten, sonst werden die Depressionen zu stark.

Denn wenn man allein lebt, sind die Gedanken und Erinnerungen manchmal sehr klar. Man kann sie nicht einfach ignorieren …

 

*

 

Ich blickte mit gemischten Gefühlen auf das alte Anwesen, während Peter den Mercedes abbremste und schließlich auf dem gepflasterten Hof zum Stehen kam.

»Da wären wir«, sagte er mit solch stolzem Blick, dass es eine Kränkung gewesen wäre, wenn ich das nicht so gesehen hätte. »Wie gefällt es euch?«

»Ich … ich weiß nicht«, meldete sich Julia als Erste zu Wort. »Es sieht so … alt aus.«

Ich brauchte mich nur kurz umzusehen, um sofort zu erkennen, dass Julia bereits jetzt die Einsamkeit spürte, die hier draußen herrschte. Ein Mädchen mit sieben Jahren weiß so etwas. Das trübe Wetter unterstützte dieses Gefühl noch. Es regnete schon seit über zwei Stunden, und der Himmel war so trübe, als sei die Sonne bereits untergegangen. Dabei war es noch nicht einmal zwei Uhr nachmittags.

»Aber Julia!« Peters Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll. »So ist das eben mit Bauernhöfen. Sie sind alt, aber auch sehr gemütlich. Wir werden es hier schön haben – das verspreche ich dir. Nicht wahr, Marion?«

»Bestimmt«, erwiderte ich rasch, um in erster Linie meine Kinder zu beruhigen.

Peter blickte auf das alte Haupthaus und die angrenzenden Nebengebäude. Als sei er jetzt und hier der Erfüllung seines sehnsüchtigsten Traumes einen gewaltigen Schritt näher gekommen.

»Wir sollten aussteigen und es uns ansehen«, schlug er vor, stellte den Motor ab und öffnete die Tür. Die Kinder beeilten sich und flüchteten vor dem prasselnden Regen unter die Veranda am Hauseingang. Ich rannte ihnen nach, konnte aber nicht verhindern, dass ich ziemlich nass wurde.

Peter zog den Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schloss und öffnete dann die Tür, die mit einem nervtötenden Quietschen nach hinten schwang. Als sei sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr geölt worden.

»Willkommen in unserem neuen Zuhause, mein Schatz«, sagte er und nahm mich in die Arme. Er küsste mich, und ich musste lächeln, weil sich Peter freute wie ein kleines Kind, das am Heiligabend einen Berg voller Geschenke bekam und diese dann auspacken durfte. Das Leuchten in seinen Augen sagte genug. »Hier werden wir alle glücklich und zufrieden sein …«

Heute weiß ich, dass es leere Worte waren, mit denen er uns über die trübe Stimmung hinwegbringen wollte. Ich selbst trage auch einen Teil der Schuld daran, denn ich hätte mich vielleicht ein wenig mehr über die Umstände des Hauskaufes informieren sollen. Vielleicht war es sogar eine Vorahnung, die meine Kinder und mich die ganze Fahrt über schon beeinflusst hatte?

Plötzlich packte er mich, hob mich hoch und trug mich unter dem Lachen der Kinder über die Schwelle. In das Haus, das von nun an wieder mit neuem Leben erfüllt sein würde, nachdem es fast acht Jahre lang leer gestanden hatte. Zumindest hatte mir Peter das gesagt. Aber für einen guten Architekten wie Peter stellte ein altes Haus wie dieses eine Herausforderung dar. Er würde seine Träume verwirklichen können – und er hoffte, dass die Kinder und ich auch von dieser Euphorie gepackt wurden, die er nach außen hin zeigte. Denn er war ganz sicher, dass er in dieser ländlichen und ruhigen Umgebung nordwestlich von Hamburg umso kreativer sein würde.

Ich dagegen fühlte mich müde und ausgelaugt. Es war eine lange Fahrt gewesen, bei schlechtem Wetter, und das hatte Spuren hinterlassen. Im Augenblick war ich nur noch froh, dass Peter die Tür hinter uns schloss und das heftige Prasseln des Regens nur noch schwach zu hören war.

 

*

 

Zögernd entdeckten Julia und Frank ihr neues Zuhause, zuerst noch mit ziemlich viel Misstrauen. Aber dann hatten sie schließlich ihre Scheu vor dem alten verwinkelten Gebäude verloren und begannen, diese neue Situation zu akzeptieren.

Was unter anderem auch daran lag, dass der heftige Regen endlich nachgelassen hatte und die Sonne wieder hinter den Wolken hervorkam.

Ich bemerkte das, als ich die Koffer auspackte. Zum Glück waren unsere Möbel schon einige Tage vorher hierher gebracht worden. Peter hatte gewollt, dass die Kinder und ich keine Baustelle vorfanden, wenn wir unser neues Haus betraten.

Und darüber war ich jetzt erleichtert. Denn es ist ein schönes Gefühl, zumindest Teile der einstmals vertrauten Umgebung wiederzufinden.

Peter war unten in seinem Arbeitszimmer und telefonierte seit einer Stunde. Ich wollte ihn gewähren lassen und ihn nicht stören. Statt dessen beobachtete ich vom Fenster aus, wie Julia und Frank draußen auf dem Hof umhertollten und dann hinüber zu der alten Scheune rannten.

Sofort eilte ich zum Fenster und öffnete es rasch.

»Seid vorsichtig!«, rief ich den beiden nach. »Habt ihr gehört?«

»Klar, Mama!«, antwortete Frank grinsend. Ich war froh, dass er endlich aufgetaut war. Jetzt war er ganz der neugierige, abenteuerlustige Junge, für den es auf einem solch großen Hof tausend Geheimnisse zu entdecken gab. »Wir passen schon auf!«

Ich musste lächeln, als ich meine beiden Kinder im Eingang zur Scheune verschwinden sah. Gab es denn etwas Schöneres als ein großes Haus mit einem riesigen Grundstück, wo sich heranwachsende Kinder frei entfalten und spielen konnten? Das helle Kinderlachen drang zu mir hoch, bis ich schließlich wieder das Fenster schloss.

Als ich unser Schlafzimmer verließ, hörte ich Peters Stimme. Er telefonierte immer noch. Aber er klang irgendwie gereizt. Stirnrunzelnd ging ich die Treppe nach unten und bekam gerade noch mit, wie Peter sein Telefonat mit einem Fluch beendete. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand halb offen – deshalb hatte ich das verstehen können.

»Was ist denn los?«, fragte ich ihn, als ich sein Zimmer betrat und über den Haufen Papier staunte, den er schon wieder quer über seinem wuchtigen Schreibtisch ausgebreitet hatte. Es waren Baupläne des Bauernhauses. Ich wusste das, weil er sie schon unzählige Male vor mir ausgebreitet hatte.

»Keine Ahnung«, erwiderte Peter, immer noch mit wütendem Unterton in der Stimme.

»Dieser Harmsen will auf einmal nicht mehr …«

Harmsen war der Dachdecker, der am hinteren Giebelteil des Hauses noch etwas ausbessern sollte. Ich wusste, dass diese Arbeiten noch eine gute Woche in Anspruch nehmen würden und hatte mich schon gewundert, warum ich bei unserer Ankunft kein Gerüst gesehen hatte.

»Er sagt, dass er im Moment mit Aufträgen zu bis unters Dach ist«, riss mich Peters Stimme aus meinen Gedanken. »Er kann erst wieder in zwei Monaten. Wir sollen es bei einer anderen Firma versuchen.«

Zum ersten Mal wurde hier die Ablehnung spürbar, die offenbar alle neuen Einwohner dieses Hofes traf. Ich hätte dem mehr Beachtung schenken sollen!

»Warum das denn auf einmal?«, fragte ich erstaunt. »Ich dachte, du hättest einen Vertrag mit ihm?«

»Wir haben das per Handschlag so vereinbart – und normalerweise halten sich Handwerker auch daran«, klärte mich Peter auf. »Ich habe Harmsen gedroht, ihn zu verklagen – aber das scheint ihm völlig egal zu sein. Mist, jetzt zieht sich das wieder unnötig in die Länge. Ich wollte das erledigt haben, bevor …« Er brach ab und grübelte kurz. »Aber das kriegen wir schon hin, Marion. Wo sind denn die Kinder?«, fragte er dann, um auf andere Gedanken zu kommen.

»Draußen – sie erkunden gerade die Scheune.«

»Hast du ihnen gesagt, dass sie vorsichtig sein sollen? Schließlich steht da noch ziemlich viel Gerümpel herum. Nicht dass noch etwas …«

»Julia und Frank sind alt genug«, erwiderte ich daraufhin. »Sie kommen schon zurecht. Kümmere du dich inzwischen hier um deine Arbeit. Aber vergiss nicht, dass du bald Feierabend machen solltest. In einer Stunde gibt es Abendessen.«

»So lange brauche ich wohl nicht mehr. Ich muss nur noch ein paar Telefonate erledigen – dann reicht es für heute.« Peter lächelte und nahm mich in die Arme.

Wir waren fast zehn Jahre verheiratet, aber ich spürte immer noch dieses leise Kribbeln im Bauch, wenn mich Peter küsste. So auch jetzt wieder.

»Es fällt mir schwer, weiter ans Arbeiten zu denken«, sagte er, nachdem er mich seufzend wieder losgelassen hatte. Dabei schaute er an mir vorbei durch die geöffnete Tür hinauf zur Treppe. Dort oben befand sich unser Schlafzimmer. Ich kannte Peter lange genug, um seinen Blick richtig zu deuten.

»Später, Liebling«, sagte ich zu ihm und küsste ihn noch einmal, bevor ich sein Arbeitszimmer wieder verließ. »Schließlich sollten wir unsere erste Nacht im neuen Haus gebührend feiern …«

In diesem Augenblick hörte ich plötzlich, dass Julia ganz laut nach mir rief.

Sofort wandte ich mich ab und eilte zur Haustür. Genau in diesem Moment rissen meine Kinder auch schon die Tür auf und kamen hereingerannt. Ziemlich aufgeregt.

»Was ist denn mit euch los?«, wollte ich wissen. »Habt ihr doch was angestellt? Dann aber jetzt heraus mit der Sprache!«

»Da … da ist jemand in der Scheune!«, kam es mit zitternder Stimme über Franks Lippen. «Ich habe was gesehen.«

»Ich auch«, fügte Julia sofort hinzu und suchte Schutz bei mir. Ich spürte, wie aufgeregt sie war, als ich die Kleine in meine Arme nahm. »Mama, da ist was … Dunkles …«

Ich schaute zu Peter. Aber der zuckte nur hilflos mit den Schultern. Jedoch entging mir nicht das plötzliche, wenn auch kurze Aufflackern in seinen Augen. Aber damals maß ich dieser Mimik keine große Bedeutung zu. Denn es war nicht das erste Mal, dass sich unsere Kinder vor etwas fürchteten, was sich im Nachhinein dann als völlig harmlos herausgestellt hatte. Ganz sicher auch jetzt wieder.

Dennoch sagte mir mein Mutterinstinkt, dass es diesmal irgendwie … anders war, und deshalb sah ich mich nach Peter um.

»Bitte geh hinaus und sieh doch einmal nach.«

»Jetzt noch?« Ich konnte ihm ansehen, dass ihm das nicht passte und er sich lieber wieder in seine Arbeit gestürzt hätte.

»Ja – jetzt gleich«. Man konnte meinem Tonfall anhören, dass ich das sehr ernst meinte. »Macht euch keine Sorgen, Kinder. Papa geht nachsehen – und ihr verschwindet in der Zwischenzeit im Bad. Wir essen gleich.«

»Tut, was eure Mama sagt«, fügte Peter noch mit einem kurzen Wink hinzu. »Um alles andere kümmere ich mich schon.«

Mit diesen Worten griff er nach seiner Jacke, schlüpfte rasch hinein und ging dann hinaus. Durchs Fenster konnte ich sehen, wie er energisch über den Hof schritt und rasch im halb geöffneten Scheunentor verschwand.

Eigenartigerweise gefiel mir der Gedanke nicht, dass Peter sich jetzt allein in der düsteren Scheune befand. Zumal die Sonne bereits untergegangen war und sich die Abenddämmerung rasch ausbreitete.

»Los jetzt«, befahl ich Julia und Frank und folgte ihnen ins Bad. Die beiden wuschen sich gründlich die Hände, und Julia blickte mich ziemlich besorgt an, als ich ihr das Handtuch reichte.

»Mama, ist hier was Böses?«, fragte sie mit großen Augen. Damit sprach sie genau das aus, woran offenbar auch ihr älterer Bruder dachte.

»Wie kommst du denn darauf, Kind?«, fragte ich kopfschüttelnd.

»Ich … ich weiß nicht«, entgegnete Julia ein wenig hilflos.

»Ihr habt euch bestimmt getäuscht«, sagte ich seufzend. »Denkt einfach nicht mehr daran. Das Haus und alles andere sind noch fremd für uns. Da kann es schon mal passieren, dass man irgendwas sieht. Kommt, helft mir den Tisch decken.«

Das war mein nächster Fehler. In diesem Augenblick hätten wir die Koffer packen und wieder abfahren müssen. Doch natürlich ahnte ich nicht, was in den nächsten Tagen folgen sollte.

 

*

 

In der Ferne grollte ein leiser Donner, gefolgt von einem grellen Blitz, der die Abenddämmerung durchschnitt. Besorgt blickte ich in Richtung Haustür und atmete erleichtert auf, als Peter endlich wieder zurückkam. Genau noch rechtzeitig, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete und es erneut in Strömen zu regnen begann.

»War da was, Papa?«

Frank konnte seine Neugier nicht länger zurückhalten. Er wollte natürlich wissen, ob Peter erfolgreich gewesen war.

»Nichts, Junge«, sagte Peter knapp. »Da ist … gar nichts …«

Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Ich blickte ihn kurz an und bemerkte, dass er meinem Blick auf einmal auswich. Statt dessen ging er rasch zum Tisch und nahm dort Platz.

»Ich hab´s euch ja gleich gesagt, Kinder«, ergriff ich das Wort und versuchte, die angespannte Stimmung ein wenig aufzulockern, die über uns hing. »Du hast doch gründlich nachgesehen, Peter – oder?«

»Das habe ich, Marion«, antwortete Peter mit einem tiefen Seufzer. »Und ob ich das habe …«

»Na also! Vergessen wir das Ganze und essen wir endlich«, meinte ich abschließend und sah zu, wie Julia und Frank sich dem Abendessen widmeten. Ich hatte ihnen versprochen, Spaghetti mit Tomatensoße zu kochen. Das war jetzt genau das Richtige, um sie auf andere Gedanken zu bringen.

Peter aß ebenfalls – aber seine Bewegungen wirkten irgendwie mechanisch, und er wich meinem Blick aus, als ich ihn ansah. Warum nur? Oder bildete ich mir das Ganze nur ein? War er in Gedanken vielleicht noch bei der Sache mit Harmsen?

Schließlich bedeutete die Absage des Handwerkers für ihn, dass er nun Ausschau nach einem neuen Dachdecker halten musste – und das würde die Reparaturen um einige Wochen verzögern. Vielleicht hatte er deshalb schlechte Laune, und es war besser, ihn jetzt vor den Kindern darauf nicht anzusprechen.

Wir beendeten unser Abendessen, und die Kinder zogen sich in ihre Zimmer zurück.

Peter erhob sich ebenfalls. Er sagte, er wolle noch ein wenig arbeiten – aber für mich sah es wie eine Flucht aus.

 

*

 

In dieser Nacht liebte er mich mit einer Heftigkeit, die schon fast an Verzweiflung grenzte. Meine Hände krallten sich in die Bettdecke, während er sich in mir bewegte und mich sehr rasch zum Höhepunkt brachte. Er tat mir weh dabei, aber ich empfand diesen Schmerz nicht als solchen, sondern genoss die Liebe und Leidenschaft, die er mir schenkte. Peter konnte mir immer das geben, was ich von ihm verlangte, und ich liebte ihn so wie er war. Aber heute war er irgendwie … wilder und ungestümer. Fast schon animalisch!

Mein Körper glänzte vor Schweiß, als er sich von mir löste und keuchend auf den Rücken fiel. Das silberhelle Licht des Mondes fiel durch das Fenster und zeichnete die Konturen seines muskulösen Körpers nach, während er mich auf seltsam eindringliche Art und Weise anschaute.

»Was ist denn?«, fragte ich ihn, weil mir sein Blick auf einmal nicht gefiel.

»Ich liebe dich«, flüsterte er mit heiserer Stimme, während seine rechte Hand sanft meine Brust berührte. »Ich werde dich immer lieben – vergiss das nicht!«

Dann erhob er sich aus dem Bett und ging zum Fenster. Er schaute hinaus auf den Hof und die angrenzenden Gebäude, während ein Seufzer über seine Lippen kam.

»Ich habe immer nach einem solchen Ort gesucht, wo wir uns alle wohl fühlen können«, sagte er. »Und jetzt habe ich ihn endlich gefunden. Es wird nichts geben, was dies ändern wird – überhaupt nichts.«

»Warum sollte es denn auch?«, entgegnete ich kopfschüttelnd, während ich nun ebenfalls aufstand, zu ihm ging und mich an ihn schmiegte. Ich genoss dieses Gefühl der körperlichen Nähe, aber ich bemerkte auch, dass sein Blick in die Ferne ging. Genauso so wie seine Gedanken, die sehr, sehr weit von mir entfernt waren. Woran mochte er jetzt wohl denken?

»Ich bin noch nicht müde«, sagte er schließlich. »Ich glaube, ich gehe noch mal in mein Zimmer und mache mir Gedanken über die Dacharbeiten. Nachts sind die Gedanken klarer und eindeutiger als am Tag. Da wird man auch nicht abgelenkt und kann die wesentlichen Dinge erkennen, wie sie wirklich sind.«

»Was meinst du damit?«

»Ich könnte diesen Harmsen auf den Mond schießen, weil er mir tatsächlich schlaflose Nächte bereitet«, erwiderte Peter. »Aber das kriegen wir schon hin. Schlaf du am besten weiter – ich will nur noch ein wenig arbeiten. Du musst dir keine Sorgen machen.«

»Muss ich das wirklich nicht, Peter?«

Ich zwang ihn, mich anzusehen. Sein Blick war für Bruchteile von Sekunden sehr müde und auch irgendwie … resignierend. Warum nur?

Er wollte allein sein. War da irgendetwas, von dem ich nichts ahnte? Es gibt Momente, da eine Frau ihren Mann nicht allein lassen sollte …

»Schlaf gut«, sagte er und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Dann zog er sich rasch an und verließ das Zimmer. Im ersten Moment wollte ich ihm nachgehen, entschied dann aber, dass es vielleicht besser war, ihn jetzt allein zu lassen.

Die letzten Wochen und Monate waren für Peter nicht einfach gewesen. Es hatte Ärger an einer Großbaustelle gegeben, und die beteiligten Firmen hatten die Probleme auf Peter abgewälzt, der für die Konstruktion des Bürokomplexes in Eppendorf verantwortlich gewesen war. Dieser ganze Ärger war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen – und deshalb war es gut gewesen, all dies hinter sich zu lassen und hier draußen einen neuen Anfang zu machen. Dann konnte er neue Kraft schöpfen. Zumindest hoffte er das, und ich natürlich auch.

Aber jetzt spürte ich, dass die Probleme viel tiefer saßen, als ich angenommen hatte. Und dass er darüber mit mir nicht reden wollte, kränkte mich.

 

 *

 

Zum Glück dauerten die Ferien noch zwei Wochen. Zeit genug für Julia und Frank, sich in ihrem neuen Zuhause einzuleben und die nähere Umgebung zu erkunden. Natürlich war es ziemlich einsam für sie, denn der Hof lag weit abseits, und bis zum nächsten Dorf waren es fast fünf Kilometer. Eine ziemliche Umstellung in jeglicher Hinsicht.

Ich war auf dem Weg nach Westerstede, um einige Einkäufe zu tätigen. Die Kinder waren bei Peter zurückgeblieben. Sie wollten ihm helfen, die Scheune zu entrümpeln. Ich hielt das für eine gute Idee, denn dadurch kam Peter auf andere Gedanken.

Westerstede war nicht sonderlich groß. Aber es gab dort immerhin einen kleinen Supermarkt, einen Bäcker und einen Metzger. Und genau die waren mein Ziel – auch in dieser Reihenfolge.

Ich parkte meinen Wagen, holte mir einen Einkaufswagen und erledigte meine Einkäufe innerhalb der nächsten halben Stunde. Beim Bäcker musste ich ein wenig warten, und ich spürte die neugierigen Blicke einiger Frauen, die mich natürlich nicht kannten. Ich versuchte, freundlich zu lächeln und war froh, als ich endlich an der Reihe war.

Anschließend verstaute ich alles im Wagen und machte mich auf den Weg zum Metzger, dessen Geschäft nur zwei Straßen weiter lag. Ich betrat den Laden und stellte fest, dass ich die einzige Kundin war. Sekunden später kam ein bulliger Mann aus dem angrenzenden Raum und lächelte mich freundlich an.

»Guten Morgen – was darf´s denn sein?«

Ich sagte ihm meine Wünsche und sah zu, wie er alles sorgfältig erledigte, abwog und einpackte.

»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, sagte er unvermittelt zu mir und konnte die Neugier in seiner Stimme nicht zurückhalten. »Machen Sie Urlaub in Westerstede?«

»Nein«, erwiderte ich lächelnd. »Wir leben draußen auf dem alten Bauernhof. Mein Mann hat das Anwesen gekauft. Mein Name ist Marion Berger – ich werde jetzt öfter zu Ihnen kommen.«

Das Lächeln des Metzgers wirkte aus unerklärlichen Gründen auf einmal aufgesetzt. Er gab sich plötzlich sehr zugeknöpft. Ich wusste nicht, welche Laus dem Mann über die Leber gelaufen war. Doch sein Blick war nun sehr besorgt, und darauf konnte ich mir keinen Reim machen.

»Das ist kein guter Ort da draußen – nicht nach dem, was dort passiert ist«, murmelte er und sah mich dabei auf eine Weise an, die mich sehr nachdenklich stimmte.

»Was meinen Sie damit?«, fragte ich ihn, weil ich wirklich nicht wusste, worauf er hinauswollte.

»Wir haben Hans Felsenbrink gut gekannt«, sprach der Metzger dann weiter. »Es ist schon ein schlimmes Schicksal. Zuerst verließ ihn seine Frau, und dann wurden die Schulden immer größer. Es blieb ihm gar kein anderer Weg als …« Er hielt einen winzigen Augenblick inne, als er mein Erstaunen bemerkte. »Wissen Sie denn nicht, was geschehen ist? Hat Ihnen das niemand gesagt?«

»Nein«, erwiderte ich ein wenig hilflos. »Wir haben den Bauernhof über einen Immobilienmakler gekauft.«

»Das ist immer der einfachste Weg«, kommentierte das der Metzger. «Da spielt es keine Rolle mehr, was vorher geschehen ist. Felsenbrink war kein schlechter Mann, gewiss nicht. Aber diese Planungsgruppe aus Hamburg hat ihn in die Enge getrieben – also blieb ihm kein anderer Ausweg mehr. Man hat ihn am nächsten Morgen in der Scheune gefunden, und in seinem Abschiedsbrief hat er diese Leute mehr als einmal verflucht …«

»Was für eine Planungsgruppe?«, fragte ich weiter und spürte die wachsende Unruhe in mir.

»Ich weiß nichts Genaues. Es heißt, dass hier einige Spekulationen im Gange waren. Aber das ändert ja auch nichts mehr daran, was geschehen ist.« Er seufzte schließlich, als ich bezahlt hatte und er mir die Tüte in die Hand drückte.» Dieser Ort hat eine schlimme Vergangenheit. Ich weiß nicht, ob das der richtige Platz für Sie alle ist. Erst recht nicht für Kinder. Sie werden unter der Einsamkeit leiden …«

»Bald fängt die Schule an«, winkte ich ab. »Dann kommen sie ohnehin auf andere Gedanken. Machen Sie sich keine Sorgen! Für uns Stadtmenschen wirkt dieser Hof wie das reinste Paradies. Und wir werden es uns dort gemütlich machen. Verlassen Sie sich darauf.«

Meine Worte klangen etwas trotziger, als ich das eigentlich beabsichtigt hatte. Aber ich spürte den Blick des Mannes in meinem Rücken, als ich zurück zu meinem Wagen ging, rasch einstieg und davonfuhr.

Schon zu diesem Zeitpunkt ahnte ich, dass von einem Paradies keine Rede sein konnte. Ich ging in die Defensive, ohne mir meiner Gründe bewusst zu sein. Irgendwie … schuldbewusst fühlte ich mich. Und ich wusste noch nicht einmal, warum das so war.

Ich fand seine Reaktion schon ein wenig seltsam, tröstete mich aber mit dem Gedanken, dass jeder Neuzugezogene wahrscheinlich erst einmal argwöhnisch begutachtet wurde. Wir kannten noch niemanden hier, und die Leute verbreiteten sehr schnell Gerüchte. Vor allen Dingen, wenn bekannt wurde, dass sich ein bekannter Architekt ausgerechnet diesen abgelegenen Bauernhof als Wohnsitz gekauft hatte. Aber im Grunde genommen waren das Probleme, die man ganz leicht lösen konnte, indem man sich den Einheimischen gegenüber offen und freundlich gab. Zumindest glaubte ich das …

 

*

 

Als ich den Wagen auf den Hof fuhr und den Motor abstellte, zogen am Horizont schon wieder trübe Wolken auf. Das sah ganz nach einem weiteren Unwetter aus.

Seufzend öffnete ich die Tür und stieg aus. In diesem Augenblick hörte ich lautes Weinen.

Erschrocken drehte ich mich um und blickte hinüber zur Scheune. Genau in diesem Augenblick kam Frank herausgerannt. So schnell, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er stolperte plötzlich und fiel zu Boden. Aber dann rappelte er sich rasch wieder auf und rief nach mir, als er mich sah.

»Mama!«, hörte ich seine aufgeregte Stimme, als er zu mir kam und mich mit tränennassen Augen ansah. »Endlich bist du da …«

Mehr konnte er nicht mehr sagen, denn seine Worte wurden von einem heftigen Schluchzen unterbrochen. Ich drückte ihn an mich und streichelte sanft über sein lockiges Haar. Das war der Moment, da Peter aus der Scheune kam. Mit angespanntem Gesichtsausdruck.

»Papa hat mich … geschlagen«, beklagte sich Frank mit ängstlicher Stimme.

Als ich das hörte, war ich schockiert. Noch nie hatte Peter die Hand gegen unsere Kinder erhoben. Er war gütig und niemals laut, und das hatte ich bisher immer bewundert. Aber aufgrund seiner noch wütend dreinblickenden Augen schloss ich, dass sich das von einer Sekunde zur anderen geändert haben musste.

»Was ist los?«, fragte ich Peter und hielt Frank nach wie vor in meinem Arm. »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Frank zu schlagen? Ich will wissen, was das zu bedeuten hat – rede endlich, Peter!«

Wenn es um das Wohl unserer Kinder ging, dann war ich wie eine Glucke, die sich schützend vor ihre Küken stellte. Ich wartete gespannt auf Peters Antwort – aber was dann kam, stellte mich nicht zufrieden. Im Gegenteil – ich wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte, als ich seine fadenscheinige Entschuldigung hörte.

»Es … es tut mir leid«, stammelte er. »Ich hätte es nicht tun dürfen, aber Frank hat mich gereizt. Und da ist mir eben die Hand ausgerutscht.«

»Ich hab doch nur gelacht, als Papa über die alte Truhe gestolpert ist«, verteidigte sich Frank unter Tränen. »Julia hat er auch schon angeschrien. Sie ist drüben im Haus und hat sich im Zimmer eingeschlossen. Weil sie Angst hat, Mama …«

»Darüber reden wir noch, Peter«, sagte ich und beschloss, mich erst einmal um meine Kinder zu kümmern, bevor ich mit meinem Mann ein ernstes Wort reden würde.

Peter war noch niemals gewalttätig gegen Frank und Julia geworden. Da dies nun dennoch geschehen war, machte ich mir große Sorgen – aber das durfte ich vor den Kindern nicht zeigen.

Was hatte diese völlig ungewöhnliche Reaktion bei Peter ausgelöst? Es lag überhaupt nicht in seiner Natur, aber seit wir uns auf diesem Hof befanden, war einiges nicht mehr wie gewöhnlich.

Zusammen mit Frank ging ich ins Haus und sah dann auch Julia auf mich zukommen.

Kein Zweifel, die Kleine war mindestens genauso aufgeregt wie Frank. Und der Grund dafür schien Peter zu sein – ausgerechnet Peter! Ein Mann, der mir unzählige Male versprochen hatte, mich und unsere Kinder immer zu beschützen. Egal was auch kommen mochte. Und jetzt das!

»Ich rede mit Papa«, sagte ich den beiden, um sie wenigstens ein bisschen zu beruhigen. »Er hat das bestimmt nicht so gemeint. Ihr braucht keine Angst vor ihm zu haben – ich bin ja jetzt da.«

Ich war mir nicht sicher, ob meine Worte ausreichten, um sie wirklich zu beruhigen. Aber wenigstens weinte Frank nicht mehr, und das ließ mich hoffen.

Während die Kinder in ihre Zimmer gingen, wandte ich mich wieder zur Haustür, um Peter zur Rede zu stellen. Er war mir nicht gefolgt, sondern verharrte immer noch unweit der Scheune. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Hände zitterten ein wenig.

»Ich warte, Peter«, sagte ich zu ihm. »Nämlich darauf, dass du mir eine verdammt gute Erklärung für das lieferst, was hier geschehen ist!«

»Ich … ich …« Er begann zu stottern und wich meinem Blick aus. Was schon genug über sein schlechtes Gewissen sagte. »Marion, ich weiß selbst nicht, wie es passiert ist. Mir ist einfach die Hand ausgerutscht. Es tut mir sehr leid, und ich wünsche, ich könnte es ungeschehen machen.«

»Kinder zu schlagen ist sehr mutig, Peter«, warf ich ihm vor und blickte ihn auf eine Art und Weise an, dass er am liebsten vor Scham im Erdboden versunken wäre. »Was ist denn nur los mit dir? Seit gestern Abend bist du sehr verändert. Gibt es etwas, über das du reden möchtest? Dann wäre jetzt und hier der richtige Zeitpunkt.«

Ich hatte Mühe, meine aufgestaute Wut zurückzuhalten, denn Peters Aggression gegen Frank hatte etwas zwischen uns geschoben. Etwas, was man kaum noch überbrücken konnte. Selbst nicht mit gutem Willen.

War das wirklich noch der Mann, den ich aus Liebe geheiratet hatte, und der mir versprochen hatte, immer für seine Familie da zu sein?

Je länger ich Peter anschaute, umso mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass dem nicht mehr so war. Und das bemerkte er ebenfalls. Vielleicht schwieg er deshalb und blickte betreten zu Boden.

»Ich werde mit Frank über alles reden«, sagte ich, um die peinliche Stille wenigstens teilweise zu überbrücken. »Er wird aber von dir noch eine Entschuldigung zu hören bekommen – und du solltest dir bis dahin eine glaubhafte Entschuldigung überlegen, sonst …«

Ich drehte mich um und ließ ihn stehen. Vielleicht hätte ich mich noch einmal umdrehen sollen. Dann wäre mir sein verzweifelter Gesichtsausdruck aufgefallen. Und der Kampf, den er mit sich selbst ausfocht. Denn dann hätte ich bemerkt, dass er drauf und dran war, mir etwas zu sagen, von dem ich nichts wusste.

Aber ich war viel zu zornig, um das zu tun. Wer meinen Kindern etwas antat, musste damit rechnen, dass er die Quittung dafür bekam. Erst recht, wenn es sich um den Vater dieser Kinder handelte!

 

*

 

Die Stimmung beim Abendessen war gedrückt, und jeder spürte das. Frank hatte zwar die Entschuldigung seines Vaters angenommen, aber man konnte deutlich sehen, dass er trotzdem zu ihm auf Distanz gegangen war. Genauso wie Julia, die kaum ein Wort am Tisch gesprochen hatte.

Als Peter dann den beiden Kindern über die Köpfe strich, um ihnen eine gute Nacht zu wünschen, zuckten sie so sehr zusammen, dass es weh tat, dies mit ansehen zu müssen. Peter spürte das natürlich auch, und seine Miene verdüsterte sich noch mehr.

»Warum hast du das getan?«, fragte ich, nachdem die Kinder nach oben gegangen waren. »Du bist mir noch eine Erklärung schuldig, Peter – und zwar eine glaubhafte.«

»Ich bin wahrscheinlich überarbeitet«, gab er seufzend zu. »Die letzten Tage waren ziemlich hektisch, und die Sache mit Harmsen ist mir ziemlich auf den Magen geschlagen. Marion, bitte glaub mir – es wird nie wieder geschehen. Ich wünsche, ich könnte es rückgängig machen und …«

»Das geht aber nicht«, fiel ich ihm ins Wort. »Peter, die Kinder und ich sind dir gefolgt, weil du uns versprochen hast, dass es uns hier besser gehen wird. Aber es sind keine guten Vorzeichen. Wie soll das weiter gehen?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte er mit resignierender Stimme. »Ich wünsche, es wäre anders, aber …« Er ballte beide Hände zu Fäusten. Fast tat er mir leid, aber dann erinnerte ich mich wieder an die entsetzten Blicke meiner beiden Kinder, die ihren Vater noch nie so erlebt hatten.

»Kennst Du einen Mann namens Hans Felsenbrink?«, fragte ich unvermittelt und bemerkte, wie Peter auf einmal zusammenzuckte.

»Äh … nein«, murmelte er eine Spur zu hastig. »Wer soll das sein?«

»Ihm hat dieser Hof gehört, den du gekauft hast, Peter«, sprach ich weiter. »Zumindest hat man mir das im Dorf gesagt …«

»Ja und?« Peters Stimme klang jetzt etwas hektischer.

»Hat deine Firma mit ihm zu tun gehabt? Bevor du den Hof gekauft hast?«

»Marion, was redest du denn da?«, entfuhr es ihm in ärgerlichem Ton. »Ich gebe nichts auf dummes Dorfgeschwätz. Es ist mir völlig gleichgültig. Ich habe hier genug andere Sorgen …«

»Ich möchte heute Nacht allein sein«, entschied ich schließlich, weil ich spürte, dass er sich mir nicht weiter öffnen wollte. »Das musst du verstehen.«

Er zuckte sichtlich zusammen bei diesen Worten. Aber es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als meine Entscheidung zu akzeptieren. Würde er dies nicht tun, war weiterer Ärger vorprogrammiert – und das wollte er natürlich vermeiden.

»In Ordnung, es ist ja meine Schuld«, gab er kleinlaut zu. »Ich muss jetzt in Ruhe über alles nachdenken – ich gehe noch ein wenig spazieren …«

Ich nickte nur, weil ich ohnehin nicht wusste, was ich jetzt noch hätte sagen sollen. Die Situation war ziemlich verfahren, weil ich Peter noch niemals zuvor gewalttätig erlebt hatte. Selbst wenn er jetzt tausend Eide geschworen hätte, dass er die Hand niemals wieder gegen Frank erheben würde, blieb dennoch ein winziger Zweifel an seiner Ehrlichkeit. Und dieser Gedanke beschäftigte mich. Mehr sogar, als ich zugeben wollte.

Was mich erschreckte, war die Veränderung in Peters Persönlichkeit, die ich nicht durchschaute, die aber gravierende Folgen zeigte. Weil ich wahrscheinlich nicht wahrhaben wollte, was mir meine Befürchtungen bereits signalisiert hatten …

 

*

 

Ich war noch einmal bei den Kindern gewesen und hatte nach ihnen gesehen. Zum Glück schliefen sie schon. Auch wenn Frank sich in seinem Bett hin und her wälzte. Wahrscheinlich verarbeitete er das im Traum, was er heute erlebt hatte.

Ich strich ihm noch einmal sanft über das lockige Haar und verließ auf Zehenspitzen sein Zimmer. Dann ging ich in unser Schlafzimmer, zog mich aus und legte mich ebenfalls hin. Aber wenn ich darauf gehofft hatte, schnell einschlafen zu können, so wurde ich eines Besseren belehrt. Ich war zwar müde, aber der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Immer wieder wälzte ich mich von einer Seite zur anderen und dachte an die ängstlichen Gesichter meiner beiden Kinder.

Unten hörte ich die schweren Schritte Peters. Er schien ebenfalls keine Ruhe zu finden. Sein Arbeitszimmer lag direkt unter dem Schlafzimmer. Für einen winzigen Moment glaubte ich sogar, schluchzende Laute vernommen zu haben. Doch dann war wieder alles still.

Als ich plötzlich die Haustür zuschlagen hörte, hielt ich es nicht länger im Bett aus. Ich eilte hinüber zum Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Das silberne Licht des Mondes erhellte den Hof und die angrenzenden Gebäude – und natürlich Peter, der sich mit schnellen Schritten der alten Scheune näherte.

Ich wunderte mich, was er zu dieser späten Stunde dort noch verloren hatte, und sah fassungslos zu, wie er in der Scheune verschwand und sogar noch das Tor hinter sich schloss. Als habe er Angst davor, dass irgendjemand etwas von dem mitbekam, was er vorhatte.

Der letzte Rest von Müdigkeit war verflogen. Ich wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte – aber ich ahnte, dass es besser war, Peter zu folgen. Schließlich war es eine ziemlich makabre Situation, und ich begann mir Sorgen um ihn zu machen.

Froh darüber, diesen Entschluss gefasst zu haben, zog ich mir schnell etwas über und huschte auf leisen Sohlen die Treppenstufen nach unten. Dann öffnete ich die Haustür und schlich mich hinaus ins Freie. Hinüber zur Scheune.

Ich war nur noch wenige Meter vom Tor entfernt, als plötzlich ein Geruch in meine Nase drang, der mir Übelkeit bereitete. Es roch nach Moder und Fäulnis – und es kam aus dem Inneren der Scheune! Jetzt zögerte ich, weiterzugehen, weil ich auf einmal eine unerklärliche Furcht verspürte, die mein weiteres Denken und Handeln lähmte.

Das war der Moment, da ich Peters Stimme vernahm. Aber sie klang irgendwie … seltsam. Er lachte, und das gefiel mir überhaupt nicht. Weil es in einer Tonlage war, die mich erzittern ließ. Was war dort in der Scheune los? Mit wem unterhielt sich Peter?

Ich ging noch näher heran und versuchte, weitere Einzelheiten zu hören. Dass Peter nicht allein war, wurde allmählich zur Gewissheit. Denn ich hörte zwei verschiedene Stimmen – und diejenige, die nicht zu Peter gehörte, klang irgendwie … völlig fremdartig. Dunkel, aber mit einem eigenartigen Akzent.

Was hat das alles zu bedeuten?, fragte ich mich. Hatte Peter noch Besuch bekommen, den er vor mir verheimlichen wollte? War es jemand, der an Harmsens Stelle die Dacharbeiten erledigen sollte? Aber warum kam er dann nicht ins Haus? Und um diese Zeit? Nein, das war Unsinn.

Immerhin spürte ich eine gewisse Erleichterung, weil es keine Frauenstimme war, die ich dorther vernahm …

Ich presste mich ganz eng an das Holz der Scheunentür und versuchte, weitere Details zu verstehen. Durch eine Ritze konnte ich Peter erkennen. Er stand in der Nähe eines alten Pritschenwagens, den der Vorbesitzer zurückgelassen hatte. Nur wenige Schritte von ihm entfernt, befand sich noch ein zweiter Mann – groß und hager. Er hatte das Gesicht abgewandt, so dass ich nicht viel erkennen konnte. Aber trotzdem war da etwas, was nicht stimmte. Als stünden die Proportionen seines Körpers in einem falschen Verhältnis zueinander! Ja, dies war die treffende Beschreibung für das, was ich sehen konnte.

Meine Hände begannen zu zittern, und ein Frösteln jagte mir über den Rücken, als ich Peter lachen hörte. Auf eine Art und Weise, wie ich es noch niemals bei ihm erlebt hatte. Er wirkte unheimlich – wie ein Fremder, der nur noch so aussah, wie der Mann, mit dem ich verheiratet war und den ich liebte.

Plötzlich drehte sich Peter um und blickte genau in meine Richtung. Als spüre er, dass er und der geheimnisvolle Fremde nicht mehr allein waren. Sofort trat ich einen Schritt zurück und verbarg mich hinter einem Busch. Gerade noch rechtzeitig, bevor Peter aus der Scheune trat und misstrauisch umherblickte. Aber in diesen entscheidenden Sekunden war das Glück auf meiner Seite. Denn er beruhigte sich wieder und ging zurück in die Scheune.

Ich zuckte zusammen, als ich auf einmal einen rötlichen Schimmer bemerkte, der aus dem Inneren der Scheune drang. Ein geheimnisvolles Licht, das mich vor Entsetzen lähmte, weil ich wusste, dass eigentlich gar nicht sein durfte, was ich hier miterlebte.

Ich war so aufgeregt, dass ich gar nicht mehr wissen wollte, was im Inneren der Scheune sonst noch geschah. Ich wollte nur noch zurück in mein Zimmer und die Tür hinter mir zuschließen. Ich verspürte auf einmal panische Angst – vor dem Unbekannten, das dort lauerte. Und Peter schien über alles bestens informiert zu sein. Zumindest hatte er es geschafft, dies vor den Kindern und mir zu verbergen!

Rasch eilte ich zurück ins Haus und atmete auf, als ich endlich die Tür hinter mir schloss. Sofort eilte ich zum Fenster und blickte noch mal zurück zur Scheune. Aber dort regte sich nichts. Weder Peter noch der Unheimliche schienen bemerkt zu haben, dass ich sie beobachtet hatte.

Mein Herz pochte wie verrückt, als ich mich auf leisen Sohlen hinauf ins Schlafzimmer schlich. Ich wusste, dass ich für den Rest der Nacht keinen Schlaf mehr finden würde.

 

*

 

Ich fühlte mich wie gerädert, als draußen die Sonne aufging und die letzten Schatten der Nacht vertrieb. Den Sonnenaufgang empfand ich als große Erleichterung. Denn mit dem neuen Morgen begannen auch die Bilder der Furcht allmählich zu verblassen.

Am helllichten Tag sieht eben manches anders aus, versuchte ich mich zu beruhigen. Vielleicht haben mir meine aufgekratzten Nerven auch nur einen Streich gespielt.

Dass dem nicht so war, bemerkte ich aber schon wenige Augenblicke später. Aus dem nebenan liegenden Zimmer hörte ich ein leises Wimmern, was mich alarmierte. Sofort rannte ich zu Julia und sah, wie sie sich im Bett hin und her wälzte. Gefangen in einem schrecklichen Alptraum, der sie in Schweiß badete.

»Nein … nein …«, murmelte sie und zitterte am ganzen Körper. »Ich will nicht …«

Schritte erklangen hinter mir. Frank stand mit entsetztem Blick in der Tür und sah, wie ich mich über Julia beugte. Seine Miene spiegelte Furcht und Sorge wider, als er sah, wie ich Julia durch das schweißnasse Haar strich und sie dabei aufwachte. Zum Glück!

»Mama!«, rief sie ganz ängstlich und klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende, die buchstäblich nach dem letzten Strohhalm greift. »Das war … so furchtbar …«

»Ist ja alles in Ordnung, Julia«, tröstete ich sie. »Ich bin ja bei dir – du musst keine Angst haben.«

Ich brauchte nur einen kurzen Blick in Julias Gesicht zu werfen, um zu begreifen, dass ich ihren Alptraum jetzt und hier lieber nicht hören wollte.

Ganz langsam wandelte sich unser Leben hier zu einem einzigen Alptraum. Und nicht nur meine Kinder litten darunter.

»Wo ist Papa?«, riss mich Franks Stimme aus meinen Gedanken.

»Unten … er ist in seinem Arbeitszimmer«, erwiderte ich rasch. »Er wollte noch arbeiten und ist wahrscheinlich dort geblieben. Wartet mal – ich sehe nach. Geht ihr inzwischen bitte ins Bad und macht euch fertig.«

Die Kinder nickten. Dass sie sich unwohl fühlten, konnte ich spüren.

Ich ging die Treppe nach unten. Zu Peters Arbeitszimmer, dessen Tür offen stand. Als ich eintrat, sah ich Peter erschöpft in seinem Sessel sitzen. Der Kopf war zur Seite geneigt. Er schlief und sah sehr alt aus. Alt und verbraucht wie ein Siebzigjähriger.

Besorgt trat ich an ihn heran und blickte dabei auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet waren. Gestern hatte er einen Entwurf für ein neues Bauprojekt begonnen. Was ich jetzt allerdings sah, ließ mich kreidebleich werden. Anstelle von Umrissen und Stockwerken des Gebäudekomplexes entdeckte ich wirre Linien und Kreise auf dem Papier – als habe ein Kind sie dorthin gekritzelt. Bis auf eine winzige Stelle auf dem Papier. Die war nämlich genau zu erkennen. Peter hatte ein Tor gemalt mit einem großen Balken. Und an diesem Balken baumelte etwas herab …

Gerade als ich einen genaueren Blick darauf werfen wollte, schlug Peter unvermittelt die Augen auf und sah mich auf eine Art und Weise an, die mir einen Schauer der Furcht über den Rücken jagte.

Seine Augen glitzerten tückisch, und um seine Mundwinkel zeichnete sich ein höhnisches Grinsen ab, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte.

»Das geht dich nichts an«, sagte er und raffte die Papiere zusammen. »Geh raus hier – du hast hier nichts zu suchen.«

»Wie redest du denn mit mir?«, fuhr ich ihn an. »Peter, was in aller Welt ist los mit dir? Hast du vergessen, wer vor dir steht?«

»Eine neugierige Frau«, erwiderte er mit trotziger Miene. »Die immer alles gleich wissen will. Aber selbst dann würdest du es nicht verstehen, mein Schatz. Weil das niemals in dein hübsches Köpfchen gehen wird. Es gibt noch andere Dinge – aber darüber werde ich jetzt und hier nicht mehr reden. Geh und lass mich allein – ich habe noch zu arbeiten. Den ganzen Tag!«

»Peter!«, entfuhr es mir, weil mich seine Worte so sehr trafen. »Das kann doch nicht sein, was ich hier erlebe …« Meine Stimme zitterte, und ich war den Tränen nahe. »Warum behandelst du mich so? Habe ich dir etwas getan? Wenn ja, dann sollten wir darüber reden und …«

»Es gibt nichts zu reden!«, unterbrach er mich. »Nicht mehr, mein Schatz. Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich sage es nicht noch einmal! Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich wirklich Wichtiges zu erledigen.«

»Wenn das so ist, dann kannst du ja auf mich und die Kinder verzichten!«, kam es mir vehement über die Lippen. Sekunden später bereute ich schon, was ich gesagt hatte. Denn er fuhr aus dem Sessel hoch wie von der Tarantel gestochen und hob drohend die Hand.

»Du willst mich verlassen? Du Schlampe willst wahrhaftig alles stehen- und liegen lassen? Gerade jetzt, wo hier große Dinge geschehen? Das lasse ich nicht zu!«

Als er weiter auf mich zuschritt und so bedrohlich wirkte, griff ich in meiner Panik nach dem Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch.

»Bleib wo du bist!«, rief ich ihm zu. »Peter, werde doch vernünftig …«

Peter war noch nie ein Macho – im Gegenteil. Er war ein verständnisvoller und zärtlicher Mann … gewesen.

»Das bin ich«, lachte er. »Nur begreifst du das nicht. Aber das bringe ich dir schon bei – und erst recht den Kindern.«

«Du rührst die Kinder nicht an!«, sagte ich und hob zum Schutz den Briefbeschwerer. Aber Peter trat noch weiter auf mich zu. Der Ausdruck in seinen Augen war so furchtbar, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat. Instinktiv schlug ich mit dem Briefbeschwerer um mich und traf ihn an der Stirn.

Peter stöhnte auf, taumelte mit einem ungläubigen Ausdruck in den Augen zurück. Dann gaben seine Beine nach, und er stürzte zu Boden.

Ich ließ den Briefbeschwerer fallen und verließ das Arbeitszimmer fluchtartig. Oben auf der Treppe standen Julia und Frank, die einen Teil des Streits mitbekommen hatten, und sie schauten mich mit großen Augen fragend an.

»Kommt zu mir!«, rief ich meinen Kindern zu. »Beeilt euch!«

Zum Glück stellten sie jetzt keine unnötigen Fragen, sondern taten das, was ich ihnen gesagt hatte. Ich schaute zurück zur halb offenen Tür des Arbeitszimmers und glaubte, ein Stöhnen zu hören, das mir durch Mark und Bein ging. Aber ich konnte nicht mehr hinein, um nach Peter zu sehen. Ich wusste instinktiv, dass sich die Kinder und ich in höchster Gefahr befanden, und nur das war jetzt noch wichtig.

Zusammen mit Julia und Frank eilte ich aus dem Haus, während hinter mir polternde Geräusche erklangen. Zum Glück stand das Auto nur wenige Schritte entfernt. Den Schlüssel hatte ich noch in meiner Hosentasche, weil ich den Wagen gestern zuletzt gefahren hatte.

Trotzdem zitterten meine Hände, als ich die Fernbedienung betätigte und den Kindern zurief, sich zu beeilen. Rasch stiegen sie ein und schlugen die Türen hinter sich zu, während ich den Motor startete und gleichzeitig die Türverriegelung einrasten ließ. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als der Motor nicht gleich beim ersten Mal ansprang.

»Warum fahren wir denn weg?«, fragte Julia ein wenig ängstlich, weil sie und Frank natürlich längst bemerkt hatten, dass etwas nicht stimmte. Sie schauten immer wieder hinüber zum Haus. «Was ist mit Papa?«

»Papa ist böse geworden – er will uns was tun«, erwiderte ich und zuckte zusammen, als ich sah, wie Peter auf einmal in der Haustür stand. Er wankte und streckte eine Hand in unsere Richtung aus.

Das war der Moment, da ich Gas gab und mit quietschenden Reifen vom Hof fuhr. Was ich dann noch von Peter sah, waren zwei drohend emporgereckte Fäuste.

Ich wollte nur weg von diesem schrecklichen Ort, wo sich etwas dramatisch verändert hatte. Hier waren Dinge geschehen, die ich mit meinen Sinnen noch nicht erfassen konnte. Und je länger ich darüber nachdachte, umso mehr kam ich zu der Überzeugung, dass ich es eigentlich auch gar nicht wissen wollte.

 

*

 

Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und die Erinnerungen beginnen allmählich zu verblassen. Bei den Kindern ist das leichter als bei mir. Denn schließlich war Peter mein Mann, den ich einmal geliebt hatte. Irgendetwas hatte dieses Gefühl zerstört.

Ich war nicht dabei, als die Polizei auf den Bauernhof fuhr. Ich weiß nur von meinem Anwalt, was dort geschehen ist. Die Beamten fanden einen völlig verwirrten und phantasierenden Mann vor, der sich sogar heftig zu wehren begann, als man ihn mitnehmen wollte. Angeblich soll er etwas von der Rache eines Verzweifelten erzählt haben, die selbst nach dessen Tod wirksam wurde, und dass er das auch mit eigenen Augen gesehen habe.

Natürlich glaubte ihm niemand. Es war auch nicht mehr nötig, denn sein Zustand sprach für sich. Peter war nicht mehr der Mensch, den ich kannte – sondern nur noch eine leere Hülle. Sein Geist hatte sich zurück gezogen in Regionen, zu denen niemand von uns mehr Zugang hatte.

Wer jener andere Mann gewesen war, den ich in der Scheune gesehen hatte, sollte ich niemals erfahren. Es war wohl auch besser so. Obwohl ich bei genauerem Nachdenken eine bestimmte Ahnung hatte …

Ich sah Peter noch einmal kurz bei der Gerichtsverhandlung – aber er erkannte weder mich noch die Kinder. Statt dessen musste man ihn sofort wieder unter polizeilichen Gewahrsam nehmen, weil er während der Verhandlung zu schreien und zu toben begann. Zum Glück mussten das die Kinder nicht mit ansehen – dieses Bild hätten sie wahrscheinlich nie mehr vergessen.

Ich lebe jetzt wieder in Hamburg, und das wird auch so bleiben. Ich habe ein kleines, aber bescheidenes Auskommen – und ich habe neue Freunde gefunden, auf die ich mich verlassen kann. Das ist wichtig, wenn man die Vergangenheit hinter sich lassen will.

Peter befindet sich in einer psychiatrischen Anstalt – im geschlossenen Trakt. Dort wird er bis an sein Lebensende bleiben. Er nimmt nichts mehr um sich herum wahr. Mein Anwalt sagte mir, es sei besser, wenn ich ihn nicht mehr sehe und auch nicht mehr nach ihm frage. Daran habe ich mich gehalten – schon seit vielen Jahren. Jetzt weiß ich, dass es gut war.

Trotzdem fühle ich mich noch immer unbehaglich, wenn mich meine Freunde am Wochenende zu einem Ausflug aufs Land einladen. Sie wissen nicht, warum das so ist, und das sollen sie auch nie erfahren …

 

ENDE