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John Sinclair Classics Band 38

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 38
Der Unheimliche von Dartmoor

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 12.02.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 26.10.1976 als Gespenster-Krimi Band 163.

Kurzinhalt:
Menschen verschwinden aus dem sichersten Zuchthaus Englands.

Unmöglich, sagen die einen.

Hier hat der Teufel seine Hand im Spiel, flüstern die anderen.

Plötzlich ist in Dartmoor die Hölle los. Und als einer der Verschwundenen als Monsterwesen in einem nahegelegenen Dorf auftaucht, erreicht die Panik ihren Höhepunkt. Jetzt kann nur noch einer helfen: John Sinclair, der Geisterjäger!

Als Gefangener lässt er sich nach Dartmoor bringen – und damit beginnt für ihn ein mörderisches Abenteuer …

Leseprobe

Ruckartig setzte sich Mary Wicker in ihrem Bett auf. Irgendetwas hatte sie geweckt. Ein Geräusch? Oder war es nur das Rauschen des Regens gewesen?

Mit dem Handrücken wischte sich Mary den Schweiß von der Stirn. Es war unerträglich schwül im Zimmer. Sie warf einen Blick auf das Leuchtzifferblatt ihrer Armbanduhr. Eine Stunde vor Mitternacht, und Tom war noch nicht zu Hause.

Unruhe erfasste sie. Ob im Zuchthaus etwas passiert war?

Marys Herz klopfte rascher als gewöhnlich. Sie wollte in die Nachttischschublade greifen, um Tabletten zu holen – da fiel ihr Blick auf das Fenster.

Außen glitten zwei gespreizte Hände an der Scheibe hoch …

 

 

»Verfluchtes Sauwetter!«, schimpfte Tom Wicker und schüttelte sich das Wasser von seinem Gummiumhang. Dann hängte er den Regenschutz an den Garderobenhaken. Der nasse, aufgeweichte Hut folgte. Wickers Blick glitt nach unten. Die Hosenbeine seiner Uniform waren schwer vor Nässe.

»Mist, verdammter!«, knurrte er.

Clark Haskell grinste. »Vorgestern hast du noch über die Hitze geflucht, mein Lieber.«

»Aber solch ein Regen ist auch nicht das Wahre. Es gießt ja wie aus Kannen. Wenn es wenigstens ein feiner Landregen wäre. Aber so. Und überhaupt – wenn man arbeiten muss …«

Wicker nieste kräftig und ging dann mit schnellen Schritten zum Tresen.

Clark Haskell, der Wirt, hatte schon einen Gin bereitgestellt. Wicker leerte das Glas mit einem Zug und stellte es dann wieder zurück auf die dicke Holzplatte des Tresens.

»Du bist spät dran«, meinte der Wirt. Er trat vor das große Bierfass, hielt einen Glaskrug unter den Hahn und ließ ihn volllaufen.

Tom Wicker lachte freudlos. »Wenn du wüsstest! Heute ist schon wieder einer verschwunden.«

Der Wirt drehte den Hahn ab. Er hatte nicht aufgepasst, der Schaum quoll über den Rand des Kruges. Rasch stellte Haskell das Glas vor seinem Gast auf die Theke.

»Erzähl mal.«

Wicker hob die Schultern. »Was gibt es da groß zu erzählen? Wir machten heute Abend unseren üblichen Kontrollgang, prüften auch wie immer sämtliche Einzelzellen, und da war eine leer. Aber was erzähle ich dir, du kennst das Zuchthaus ja selbst.«

Wicker nahm einen Schluck, wischte sich dann den Schaum von den Lippen und stellte das Glas wieder ab. Sekundenlang schloss er die Augen.

»Kinder, das tut gut. Als würde mir ein Englein aufs Herz pinkeln.«

Der Wirt lachte. »Den Humor scheinst du ja trotz allem nicht verloren zu haben.«

»Wieso auch? Ich bin doch nicht verantwortlich. Aber ich will dir eines sagen, Clark, der Alte kriegt schon Muffensausen. Es ist schließlich der dritte Gefangene, der auf unerklärliche Weise verschwunden ist. Es tauchen bereits die ersten Gerüchte auf.«

»Welche Gerüchte?«

»Angeblich haben finstere Mächte ihre Hände im Spiel.«

Der Wirt lachte, doch es klang gekünstelt.

»Ja, Clark, ich lache auch darüber. Aber die Gefangenen haben verdammt viel Zeit, und die Nächte sind lang. Da kommen so manchem schlimme Gedanken.« Wicker griff wieder nach seinem Bierglas und leerte den Rest.

Tom Wicker war Aufseher im Zuchthaus Dartmoor. Über zehn Jahre tat er dort schon Dienst, im Schichtwechsel, das brachte wenigstens etwas mehr Geld.

Wicker war ein Gemütsmensch. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun und war immer froh, wenn man ihn in Ruhe ließ.

Für den Job eines Aufsehers war er denkbar ungeeignet, aber hier war es genauso wie in vielen anderen Gegenden. Wer wollte schon am Ende der Welt arbeiten? Und um Dartmoor herum gab es fast nur Sumpf und Wald.

Die nächste Ortschaft war fünf Meilen entfernt, dort wohnten fast ausschließlich die Angestellten des Zuchthauses. Wie auch Tom Wicker.

Seit zehn Jahren war er verheiratet. Seiner Frau Mary hatte der Umzug in diese verlassene Gegend nichts ausgemacht. Sie kam selbst vom Land. Wicker war in Edinburgh aufgewachsen und heute noch stolz auf seine schottische Herkunft.

Er war ein hagerer Typ mit kantigen Gesichtszügen und tiefliegenden Augen. Er hatte rotblondes Haar, das auch durch den besten Kamm nicht zu bändigen war. Seine Hände waren breit und mit Schwielen bedeckt. Man sah Wicker an, dass er zupacken konnte.

Clark Haskell beobachtete seinen Gast unter halb gesenkten Augenlidern hervor. Zwei Jahre war Haskell inzwischen schon Besitzer des DARTMOOR INN. Der Vorgänger war auf reichlich mysteriöse Art und Weise ums Leben gekommen. Er hatte sich erhängt. Nahe dem Zuchthaus, dort, wo der tückische Sumpf begann. Doch an den Selbstmord glaubten viele nicht. Man nahm eher an, dass es der Racheakt eines Häftlings gewesen war, aus welchen Motiven auch immer.

Haskell war ein finster aussehender Typ. Er hatte eine flache Stirn, kleine Augen und pechschwarze, ziemlich lange Haare. Mit seinen Händen konnte er einen kleinen Baumstamm umfassen, und die Armmuskeln drohten fast das karierte Hemd zu sprengen. Seine Lippen waren aufgeworfen, und die breite Nase machte ihn auch nicht gerade schöner.

Aus einem Päckchen klopfte Haskell eine Zigarette und bot Wicker auch eine an.

Der Gefängnisbeamte nahm das Stäbchen mit einem Kopfnicken. Haskell gab Feuer.

»Und was macht ihr jetzt, Tom?«, fragte er.

»Wie?«

»Ich meine mit den Ausbrechern oder den Verschwundenen.«

»Weiß ich doch nicht.« Wicker hustete, weil ihm Rauch in die Nase gestiegen war. »Das sind nicht meine Sorgen, habe ich dir doch schon mal gesagt. Aber wahrscheinlich werden sie wieder die Wachen verstärken. Das bedeutet Überstunden.«

»Und Geld«, fügte Haskell hinzu.

Wicker winkte ab. »Hör doch auf. Ich bin froh, wenn ich zu Hause sein kann. Außerdem habe ich ein Hobby.«

Haskell hob die Augenbrauen. »Hätte ich dir ja gar nicht zugetraut.«

Wicker grinste verschmitzt. »Du wirst es kaum glauben, aber ich halte mir Schlangen.«

»Giftige?«

»Nee, da würde mir meine Alte aufs Dach steigen.« Wicker warf einen Blick auf die Uhr. »Teufel noch mal, jetzt muss ich aber verschwinden. Wie viel habe ich zu zahlen?«

»Zwei Bier.«

»Und der Gin?«

»Habe ich spendiert.«

»Man dankt, edler Sir«, sagte Wicker und grinste.

Er drückte die Zigarette aus, legte das Geld auf den Tresen, ging zu dem Garderobenständer und warf sich seine nasse Gummipelerine über die Schultern. Dann setzte er sich die Mütze auf und schimpfte, weil ihm Wasser in den Nacken lief.

Draußen goss es noch immer. Der warme Sommerregen hatte das Land förmlich zugedeckt. Der Himmel hatte sich bezogen. Kein Mond, geschweige denn ein Stern war zu sehen. Die Nacht war rabenschwarz.

Gleichmäßig rauschte der Regen und übertönte selbst die Geräusche aus dem nahegelegenen Sumpf, der mit dem Dartmoor Forest eine natürliche Einheit bildete.

Tom Wicker stieg auf sein Rad. Zum Dorf hinunter führte nur ein schmaler Pfad. Er war vom Regen aufgeweicht, und Wicker hatte Mühe, sein Fahrrad in der Spur zu halten.

Langsam fuhr er dem Dorf entgegen.

Es war wenige Minuten vor Mitternacht. Wicker dachte an seine Frau, die sich Sorgen machen würde. Er hoffte, so schnell wie möglich ins Bett zu kommen, ahnte allerdings nicht, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden sollte …

 

 

Mary Wickers Haltung verkrampfte sich. Aus schockgeweiteten Augen starrte sie auf die Hände, die sich an der Scheibe immer höher schoben.

Jetzt waren schon die Arme zu sehen. Dicke Muskelstränge, die grünlich schimmerten.

Die Angst schnürte Mary Wickers Kehle zu. Sie war unfähig, einen Ton von sich zu geben. Anstatt das Licht anzuknipsen und um Hilfe zu rufen, blieb sie sitzen.

Und dann tauchte ein Gesicht auf. Wie ein Ballon stand es vor dem Fenster.

Weiße Augäpfel quollen aus der schrecklichen, grün leuchtenden Fratze. Mary Wicker konnte sogar die Äderchen darin erkennen. Ein breiter Mund war in das Gesicht wie mit einem Meißel eingehauen. Die Lippen bestanden aus Hautfetzen.

Jetzt öffneten sie sich und gaben einen dunklen gierigen Schlund preis.

Der Unheimliche nahm seinen rechten Arm etwas zurück, dann krümmte er die Hand zur Klaue, und einen Atemzug später kratzten die Fingernägel über die Scheibe.

Das hässliche Geräusch erzeugte bei Mary Wicker kalte Angstschauer, die intervallweise über ihren Rücken liefen.

Die Frau begann zu zittern. Ihre rechte Hand suchte die Nachttisch­lampe. Doch Mary Wicker war so nervös, dass sie die Lampe umstieß.

Mary wollte sie aufheben, erstarrte aber mitten in der Bewegung.

Das Gesicht war verschwunden!

Mary wischte sich über die Augen, sah noch einmal zum Fenster. Sie hatte sich nicht getäuscht.

Niemand stand mehr hinter der Scheibe. Nur noch der Regen trommelte gegen das Fenster.

Schluchzend ließ sie sich zurückfallen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Körper war schweißverklebt. Um ihrem Hals schienen unsichtbare Fesseln zu liegen.

Mary dachte an ihre Tabletten. Sie hob die Nachttischlampe auf – zum Glück war der Stecker in der Dose geblieben – und schaltete sie ein.

Die Birne war nur schwach, erhellte soeben die Hälfte des Zimmers.

Mary stand auf, traute sich aber nicht, an das Fenster zu gehen. Der Schock steckte noch zu tief. Vielleicht hatte sie sich das auch alles nur eingebildet. Ich sollte nicht mehr so viele Krimis lesen, dachte sie.

Dann nahm sie die Tablette. Trocken schluckte sie sie hinunter und verzog das Gesicht.

»Wenn nur Tom hier wäre«, murmelte sie. Sie dachte daran, dass er wahrscheinlich wieder Überstunden machen musste.

Mit müden Schritten ging sie durch das Schlafzimmer. Das weiße Nachthemd reichte bis zum Boden. Mary hatte das dunkelblonde Haar hochgesteckt. Die Frisur machte sie älter. Dabei war sie erst dreißig, doch das Leben hatte schon seine Spuren hinterlassen. Die ersten Falten gruben sich in die Gesichtshaut.

Außerdem tat Mary wenig für ihre schlanke Linie. Sie war ziemlich mollig und dazu auch noch klein. Das Gesicht glich dem eines Posaunenengels. Die Augen waren von einer graublauen Farbe, die Hände rissig und abgearbeitet.

Mary Wicker verließ das Schlafzimmer. Nachdenklich blieb sie im Korridor stehen. Sie blickte auf die offen stehende Tür, die in die Küche führte. Der Geruch von gebratenem Fleisch lag noch in der Luft.

Das Häuschen, das das Ehepaar Wicker gemietet hatte, war klein. Es besaß nur drei Zimmer und einen Speicher, zu dem eine Holzstiege hinaufführte. Im Keller hatten die beiden sich ein provisorisches Bad angelegt. Eine Zinkwanne und ein Kohleofen, das war alles.

Grabesstill war es im Haus. Eine Stille, die Mary Wicker körperlich belastete.

Sie ging ein paar Schritte weiter und hörte, wie der Holzfußboden unter ihren Füßen knarrte. Das Licht aus dem Schlafzimmer erhellte den Korridor kaum noch. Mary Wicker sah nur

 die Umrisse der Haustür. Sie war abgeschlossen. Das machte Mary immer, wenn ihr Mann nicht zu Hause war.

Sie dachte wieder an Tom. Mein Gott, warum kam er denn nicht?

Plötzlich hörte Mary das Kratzen an der Haustür. In der lastenden Stille wirkte es doppelt laut.

Stocksteif blieb die Frau stehen.

Hatte sie sich getäuscht?

Nein, jetzt wieder.

Es war, als würde jemand mit Fingernägeln über das rissige Holz schaben.

Mary biss die Zähne zusammen.

Personen

  • Mary Wicker, Toms Ehefrau
  • Tom Wicker, Aufseher im Zuchthaus Dartmoor
  • Clark Haskell, Wirt des Dartmoor Inn, der Meister
  • Grüne Bestie
  • Slim Bekker, Kaufmann des Dorfes
  • Dorfbewohner
  • Dr. Jim Murdock, Gefängnisarzt
  • Frederick K. Bannister, Zuchthausdirektor
  • Titus McGivern, Oberaufseher
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Bob Miller, Beifahrer des Gefangenentransporters
  • Reddy Redcliff, Fahrer des Gefangenentransporters
  • Peddy, Penner
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Paul Kubak, Johns Zellennachbar
  • Joe Cramer, Zuchthauswärter

Orte:

  • Scranton
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 38. Bastei Verlag. Köln. 12. 02. 2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000