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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 17

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Der Mönchsbrunnen

Als einst das Kloster Himmelpforte bei Wernigerode zerstört wurde und alle Mönche fliehen mussten, da wandten sich die meisten zum Brocken, weil ihnen dort ein Versteck am sichersten schien. Der Abt des Klosters, welcher den Anstrengungen der Flucht erlegen war, wurde dort an der Mönchlagerstätte in einem goldenen Sarg begraben. Die Übrigen aber suchten später einen anderen Zufluchtsort, irgendein Kloster zu erreichen.

Einer derselben, Waldamus geheißen, hatte sich nicht entschließen können, nur um sein eigenes Leben zu retten, alle heiligen Geräte und Kostbarkeiten der Kirche den Feinden zu lassen. Bei seiner Flucht aus Himmelpforte nahm er daher mit sich, was er nur zu tragen vermochte. Von dieser Last aufgehalten, musste er sich ein näheres Versteck suchen. So wanderte Waldamus denn über Hasserode durchs Papental zum Markwardtsberg. Erschöpft von der schnellen Flucht, von der Last ermüdet, vermochte der Mönch sich kaum vorwärts zu schleppen und war froh, ein paar Klippen zu sehen, die sich einander so entgegen neigten, dass sich zwischen ihnen ein sicherer Versteck bot. Kaum hatte er sich aber niedergelegt und die Augen zum Schlaf geschlossen, als ein heftiger Ruck den Todmüden erschreckt auffahren ließ. Schon glaubte er, seine Verfolger hätten ihn erreicht, als er bemerkte, dass seine Lagerstätte in die Tiefe gesunken sei und er sich nun in einer Höhle befände.

Der Zufluchtsort kam dem Flüchtling gerade recht. Als die Sonne mit den ersten Strahlen die Höhle matt erhellte, fand er eine Felsspalte, in die er vortrefflich seine Schätze verbergen konnte und die er sodann durch vorgelegte Steine jedem Späherauge zu entziehen vermochte. Nachdem dies vollbracht war, eilte Waldamus hinaus, um zu sehen, ob nicht etwas zum Stillen seines heftigen Hungers zu finden sei. Einige Beeren waren das Einzige, was der Mönch fand. So wanderte er Tag für Tag hinaus, um sich mühsam seine kärgliche Nahrung zu suchen. Eines Tages traf er eine Jungfrau im Wald, welche ebenfalls Beeren suchte und den Gruß des Mönches freundlich erwiderte. Als derselbe fragte, wie ihr Name sei, erzählte sie ihm, dass man sie Papen (Pfaffen)-Annecke nenne, weil ihr Vater Pfarrer zu Unserer Lieben Frauen in Wernigerode sei.

Da machte der Mönch ein finsteres Gesicht und sprach: »O, dann bist du ein unglückseliges Kind, das nur Unheil bringen und keinem Gutes tun wird.«

Mit diesen Worten wollte er weitergehen, doch das Mädchen hielt ihn zurück und entgegnete: »Wie könnt Ihr mich verdammen und schelten, da Ihr mich doch nicht einmal kennt. Ich bin nicht so schlecht, wie Ihr denkt, und würde selbst meinen Feinden Gutes tun.«

»Wenn du die Wahrheit sprichst«, sprach der Mönch, »dann müsstest du auch mir Gutes tun, denn auch ich gehöre zu euren Feinden. Wärest du wohl dazu bereit?«

Annecke nickte und fragte, was sie denn für ihn tun könne. Da bat der Mönch das Mädchen, ihm täglich drei Eier, etwas Mehl und Butter auf jenen kleinen Berg zu stellen, damit er sich einen Eierkuchen backen könne, um seinen Hunger zu stillen. Annecke versprach, seine Bitte zu erfüllen und gegen jedermann darüber zu schweigen. Dankbar gelobte ihr Waldamus, wenn sie ihr Wort halte, sie nimmermehr für eine Ketzerin zu halten und täglich für sie zu beten.

Papen-Annecke blieb ihrem Versprechen treu, und kein Sturm und Regen, kein Eis und Schnee hielt sie von ihrem Gang zurück. Zur Belohnung aber fand sie jedes Mal unter der geleerten Schüssel ein Goldstück, welches der Mönch, wenn er des Nachts die Speisen holte, darunter schob.

Häufig, wenn Annecke ihre tägliche Wanderung antreten wollte, hatte ihr Bräutigam, dem es nicht lieb war, dass seine Braut so allein in den Wald ging, ihr angeboten, sie zu begleiten, aber stets hatte Annecke dies abgelehnt. Ärgerlich über diese Weigerung verlangte er von seiner Braut, dass sie ihm ihr Geheimnis verrate. Das Mädchen weigerte sich entschieden, bis es endlich auf die Drohung des Bräutigams, dass er sie verlassen würde, ihm aus Angst alles gestand, ihn aber bat, Waldamus kein Leid zu tun, denn er sei gut und edel.

Aber Anneckes Verlobter war außer sich über die Keckheit des Mönches, welcher es zu verlangen wagte, dass ein junges Mädchen seinetwegen in Wind und Wetter den Wald durchstreifte und, was schlimmer war, es wohl seinem Glauben und dem Vater zu entfremden versuchte, ja die Wehrlose vielleicht gar geraubt hätte.

Diese Gedanken erfüllten ihn dermaßen mit Zorn, dass er noch denselben Abend auf die bewusste Anhöhe ging, um den Pater zu erwarten.

Zwischen elf und zwölf Uhr kam wie immer der Mönch, um seine Speisen zu holen. Als er sah, dass die Schüssel leer war, wollte er umkehren. Da rief ihm Anneckes Bräutigam, der sich hinter einem Felsen verborgen hatte, nach: »Räuber und Verführer werden tot und lebendig hier und dort auf dieser und jener Welt keine Ruhe finden.«

Wohl war der Mönch anfangs über diese Worte erstaunt, doch wandte er sich dahin, woher sie kamen, und entgegnete ruhig und fest: »Die Unbarmherzigen aber werden wachsen, doch nicht gedeihen.« Dann schritt er den Berg hinab, zurück in seine Höhle. Obwohl er schon seit Monaten die Höhle bewohnte, wusste er nicht, dass außer ihm noch jemand darin hause. Ja, hätte er gewusst, mit wem er hier zusammenlebte, er hätte längst das Weite gesucht. Die Eigentümerin dieser Höhle war nämlich eine alte Hexe, den Bewohnern der Umgegend gar wohl bekannt und von ihnen Großmeime genannt. Nie zuvor hatte Waldamus sie erblickt; doch heute bei seiner Rückkehr trat sie ihm entgegen und blickte ihn wütend mit ihren roten Augen an. Erschreckt fuhr der Mönch zurück. Noch nie hatte er ein so entsetzliches Wesen gesehen. Ihre Nase war wie ein langer Rabenschnabel, die Ohren mit Federn bewachsen. An den Händen, die sie drohend ihm entgegenstreckte, ragten mächtige Krallen.

»Ungetüm, du wagst es, mein Reich zu betreten!«, schrie sie dem vor Entsetzen zitternden Mönch entgegen. »Die Frechheit musst du mit dem Tode büßen.«

»Habt Erbarmen, gute Frau«, bat Waldamus, »seht, ich bin ein armer, elender Mann, der keine Heimat hat und dem niemand helfen will. Ruhig habe ich hier gewohnt und Euch keinerlei Unbill zugefügt. Warum wollt Ihr mich also verderben? Seid barmherzig und lasst mich ungeschoren gehen.«

»Nun, da will ich dir dein Leben schenken«, entgegnete freundlicher die Hexe, »und dir gar erlauben, hier zu bleiben, das heißt, wenn du meine Befehle getreu vollziehst. Ich verlange nur eine Kleinigkeit von dir: Ich will, dass du den Armen im Tal ihr Brot nehmen und die Reichen verfluchen und verwünschen sollst. Die Kraft dazu werde ich dir geben.«

Waldamus versprach, den Auftrag der Alten genau auszuführen. Diese aber verschwand.

Jeden Morgen ging nun der Mönch zu früher Stunde ins Zwölfmorgental und setzte sich an den kleinen Brunnen, weil er wusste, dass hier die armen Holzsucher sich einen Trunk Wasser zu ihrem Brot holten. Wie nun die ersten Leute kamen und in der Hand ein Stückchen hartes, trockenes Brot trugen, die einzige Nahrung, die sie sich verschaffen konnten, ergriff Waldamus Mitleid. Er brachte es nicht übers Herz, die Armen ihrer kärglichen Nahrung zu berauben. Doch fürchtete er sich, gegen die Befehle der Hexe zu handeln und wollte nicht ohne Brot heimkehren. Darum bat er die Holzsucher freundlich um ein Stück Brot, und wer willig mit ihm teilte, erhielt ein Goldstück oder einen Edelstein. Bald hatte sich aber diese Geschichte im Dorf und selbst im Städtchen verbreitet. Jeder hätte Lust, einen so guten Tausch zu machen. Von nah und fern kamen Leute mit großen Broten herbei. Als es nun des Guten so viel wurde, dass der Mönch es kaum forttragen konnte, entschloss er sich, nur dienstags und freitags an den Brunnen zu gehen. Doch die Holzsammler merkten sich das gar schnell. Während sie sonst alltäglich den Wald durchsuchten, kamen sie nun nur am Dienstag und Freitag, dann aber in großen Scharen und mit ihren Broten am Brunnen vorüber. Es waren aber nicht nur Arme und Bedürftige, die Brot brachten, nein, mancher Reiche und Geizige versuchte auf diese Weise seine Schätze zu vermehren. So kam es denn, dass Papen-Annecke, die nun verheiratet war, ebenfalls mit ihrem Mann zu dem Brunnen ging, um bei dem Mönch Brot gegen Gold und Edelsteine zu tauschen. Sie ahnten nicht, dass es der Flüchtling war, dem die Härte des Mannes einst die Nahrung verweigert hatte. Sehr früh hatten sich die beiden auf den Weg gemacht, damit die schönsten Edelsteine nicht schon vergeben wären, und so waren sie zeitiger am Brunnen als der Mönch selbst. Endlich kam derselbe die Gleie herunter. Fast schien es Annecke, als sei ihr der Mann nicht fremd, doch achtete sie wenig darauf und bot mit ihrem Gatten ihm die großen Brote dar.

Finster und durchdringend blickte der Mönch auf die beiden Leute und rief: »Die Unbarmherzigen werden wohl wachsen, aber nicht gedeihen!« Er erhob seine Hand, verfluchte beide und mit den Formeln, die ihm die Hexe gelehrt hatte, verzauberte er Annecke in einen krüppelhaften Rosenstrauch und ihren Mann in einen Eichbusch.

Dann ging der Pater zurück in seine Höhle. Die armen Holzsucher aber erwarteten ihn sowohl an jenem Tag als auch später vergeblich – ihr Freund kehrte nie wieder zurück.

Als Waldamus an dem Tag, wo er Annecke und deren Mann verflucht hatte, die Höhle betrat, kam ihm die Hexe entgegen. Wütend fuhr sie ihn an und fragte, warum er ihre Befehle so schlecht vollzogen hatte. Er habe gewusst, dass sein Leben daran hänge. Dennoch habe er gegen ihren Willen gehandelt. Dafür werde sie ihn strafen. Weil aber Waldamus die beiden Reichen verflucht und somit den Befehl halb vollzogen habe, wolle sie ihn nicht töten, sondern nur in eine Schlange verwandeln. Noch ehe der Mönch um Gnade bitten konnte, erhob die schauerliche Alte ihren Zauberstab, murmelte Verschwörungen und durchfuhr die Luft mit dem Stab. Dichter Dunst erfüllte den Raum. Als derselbe gewichen, war die Höhle leer. Nur vor dem Felsspalt, wo die Schätze verborgen waren, ringelte sich eine große, hässliche Schlange.

Zu späterer Zeit verschwand auch die Höhle und mit ihr die gefürchtete Großmeime. Andere Orte aber tragen noch heute die Namen, welche an diese Begebenheit erinnern. So heißt die Stelle, wo der Mönch die Jungfrau zuerst erblickte, Papen-Annecke. Der Berg, wohin Eier, Mehl und Butter gelegt worden waren, wurde der Eierkuchenkopf und die Gleie, der Weg, den der Mönch zum Brunnen wandelte, Großmeimentreppe genannt. Der Brunnen aber, an dem der Mönch so vielen aus der Not half, wurde zum Andenken Mönchsbrunnen geheißen. In der Nähe desselben stehen noch heute ein verkümmerter wilder Rosenbusch und ein verkrüppelter Eichbaum. Die beiden Tage Dienstag und Freitag wurden hinfort immer zum Holzlesen bestimmt und sind auch bis heute freie Holztage geblieben.