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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 18

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Cranmer und Cromwell als Annes Verteidiger. Die Ränke Gardiners und Lord Norfolks.

Heinrich erwartete mit Ungeduld die Rückkehr Cranmers vom Tower. Er hoffte alles durch seinen Einfluss über Anne zu erlangen. Dies alles aber bestand in dem genügenden Bekenntnis ihrer Schuld. Es genügte ihm nun nicht mehr, eine Scheidung herbeizuführen, wie bei Katharina – nichts Geringeres als ihr Tod konnte ihm die ersehnte Freiheit geben, ihm Jane Seymours Besitz sichern.

Cranmer wurde daher mit lebhafter Freude von seinem König empfangen. Er war nicht allein. Cromwell und Gardiner befanden sich im königlichen Kabinett.

Cromwells Antlitz war umwölkt, seine Stirn und Miene sorgenvoll, fast ängstlich. Gardiners Antlitz strahlte seine innere Zufriedenheit aus.

Cranmer erriet auf den ersten Blick, dass Annes Angelegenheit eine traurige Wendung genommen habe. Er las es in den Mienen des Feindes und des Freundes der Unglücklichen.

»Willkommen, Ehrwürden«, rief Heinrich dem Bischof zu. »Was bringt Ihr uns für Nachricht. Hat sie ihre Schuld endlich eingestanden?«

»Nein, Majestät«, entgegnete Cranmer entschieden, »vielmehr habe ich ihre Unschuld klar und deutlich erkannt und ihr deshalb Kraft meines Amtes die Absolution der heiligen Kirche gewährt. Ein Unfall hat mich abgehalten, mich früher Euch vorzustellen, königlicher Herr. Mein Pferd scheute in der engen Straße und drückte mich gegen eine Mauer, sodass ich den Fuß verstauchte.«

»Wann verließet ihr den Tower?«, fragte Heinrich.

»Vor drei Tagen, Majestät. Es war mir schmerzlich, Eurem Herzen den süßen Trost solange vorenthalten zu müssen, dass Eure Gemahlin unschuldig und rein, Eurer zärtlichsten Liebe würdig sei.«

Gardiner schoss auf den Prälaten einen Blick des tiefsten Hasses und des Ingrimms, Cromwell aber lächelte dem Erzbischof wehmütig zu.

Heinrich war durch Cranmers Rede sichtlich in die peinlichste Verlegenheit geraten. Er getraute sich doch nicht, die Larve abzuwerfen und seinen wahren Wunsch kund zu tun. Es lag ihm daran, von der Welt bemitleidet, bedauert zu werden als der betrogene, gekränkte Ehemann – nicht vor ihr als der sittenlose Despot dazustehen.

»Ihr habt recht, Ehrwürden«, sprach er daher mit scheinbar betrübter Miene. »Es wäre mir ein hoher Trost, dürfte ich mich unbedingt Euren Worten hingeben. Anne war mir, wie Ihr wisst, lieb und über alles teuer, sodass ich sie zu meiner Gemahlin erhob. Das Gefühl ihrer Unwürdigkeit hat mich tief gebeugt und gekränkt, aber meine Ehre verlangt eine Genugtuung oder eine klare Rechtfertigung. Die Beweise, welche vorliegen, zeugen allzu deutlich von ihrer entsetzlichen Schuld.«

»Ich denke kaum, dass die Zeugen, welche sich gegen die Reinheit Eurer Gemahlin aufgestellt haben, es mit dem gewichtigen Zeugnis der Beichte aufnehmen, Majestät. Anne ist unschuldig, so wahr ich dereinst selbst selig zu werden hoffe.«

»Ihr seid ein warmer Advokat!«, sagte Gardiner spöttisch.

»Ich spreche als ein rechter Diener des allwissenden Gottes«, antwortete Cranmer fest. »Möchte die heimliche Bosheit und Tücke in den Staub getreten werden, die das erste lästernde Wort erhob, und den finstern Argwohn in des edlen Königs Seele streute.«

»Die Zeugen haben widersprechende Aussagen getan«, sagte Cromwell nun, durch Cranmers Kühnheit aufgemuntert. »Mein hoher Monarch und Herr«, redete er demütig Heinrich an, »verzeiht mir, wenn ich Euch gestehe, dass mir Zweifel gegen die Wahrheit derselben aufgestoßen sind. Bedenkt, Majestät, welcher furchtbare Tadel uns vonseiten der Gläubigen und vonseiten Roms treffen würde, wenn wir die hohe Frau ungerecht verurteilten. Die langen Verhöre, welche wir mit den Gefangenen angestellt, haben keine Schuld erwiesen.«

»Jedenfalls war diese Ehe von Anbeginn eine ungültige und unselige«, fiel ihm Gardiner hitzig ins Wort, »Lady Anne mit Lord Percy feierlich verlobt und seine anerkannte Braut. Nach den Gesetzen der Kirche ist dieses Verhältnis ebenso bindend wie eine Ehe, kann also weder ohne Dispens vom Heiligen Vater nicht gelöst werden noch eine andere Ehe gestatten.«

»Das ist eine unbestrittene Wahrheit«, rief Heinrich, sich vergessend, aus.

»Der hochwürdige Herr Erzbischof von Canterbury, der diese Ehe einsegnete, kann sie auch wieder lösen und annullieren«, sagte Gardiner.

Cranmer heftete einen ernsten, festen Blick auf den Sprecher, aber antwortete nicht. Da trat ein Kammerherr ein und meldete, dass der Herzog von Norfolk dringend bitte, vorgelassen zu werden.

»Ah! Er kommt vom Tower«, sagte Gardiner gespannt, »das dritte Verhör sollte stattfinden.«

»Man führe den Herzog sogleich zu uns«, gebot Heinrich.

Cromwell wechselte mit dem Erzbischof einen flüchtigen, aber bedeutsamen Blick. Er verriet Sorge und Angst.

Lord Norfolk betrat das Kabinett mit hastigem Schritt, näherte sich dem königlichen Stuhl und warf sich vor demselben mit den Worten nieder: »Herr, ich bringe wichtige Nachrichten, wir haben das vollkommenste Zeugnis von Lady Annes ehebrecherischer Schuld erlangt.«

Eine diabolische Freude belebte das Angesicht des Königs sowie das seines Sekretärs, während Cromwell tief seufzte und Cranmer entrüstet ausrief: »Ihr lügt, Mylord! Die Gefangenen haben die Qualen der Tortur bestanden und werden mit ihrem letzten Lebenshauch ihre und Lady Annes Unschuld bezeugen.«

»Das wird ihnen nichts helfen«, sagte Norfolk höhnisch, indem er sich erhob. »Smeaton hat alles eingestanden. Hier das Protokoll, unterzeichnet von den drei Ältesten des peinlichen Gerichts.«

»Was hat er gestanden?«, fragte Heinrich mit der Begierde eines Raubtiers, das sich auf seine Beute stürzen will.

»Dass Lady Anne ihn heimlich bei Nacht in ihrem Zimmer empfangen und allda ihre schnöde Lust mit ihm getrieben habe, ebenso die Lords Rochefort und Norris. Er, Smeaton, habe sich gegen seine Rivalen aufgelehnt und Anne Vorwürfe gemacht. Sie habe ihn jedoch weidlich ausgelacht und versichert, sie liebe alle drei in gleichem Maße.«1

»Nun, so wahr ich lebe!«, rief Heinrich aus, »was bedarf es da weiterer Zeugnisse, Mylords?«

»Und ich wiederhole es«, sagte Cranmer feierlich, »dass es eine schnöde Unwahrheit ist, entweder dem Mann abgekauft oder ihm abgezwungen durch die Folter.«

»Smeaton ist bekannt als ein weichlicher, schwacher Mensch«, sagte Cromwell. »Das Letztere ist mehr als wahrscheinlich, Majestät, zudem mir bekannt ist, dass die Herren des geheimen Gerichts den Gefangenen Gnade unter der Bedingung anboten, dass sie ihre Herrin verrieten.«

»Ich wusste es«, sagte Cranmer. »O, Majestät, bei dem Andenken an unseren gekreuzigten Heiland beschwöre ich Euch, habt Erbarmen, wenn Ihr selbst bei Eurem Tod Gnade erlangen wollt.«

Nun, bei allen Heiligen, Bischof«, rief Norfolk aus. »Ihr werdet doch nicht verlangen, dass der König diese Ehebrecherin wieder als seine Gemahlin anerkennen soll?«

»Der Herr Erzbischof hat nicht vergessen, dass er der Lady Anne Boleyn den Talar verdankt«, sagte Gardiner.

»Und dass Ihr hier vor dem König steht und nicht im Kerker statt ihrer schmachtet, Herr Sekretär. Das verdankt Ihr der Gnade Lady Annes. Wir beide tragen heute unsere Schuld der Dankbarkeit ab, ich als ein treuer Untertan des Königs, indem ich seine Ehre in der Person seiner Gattin verteidige, Ihr, indem Ihr als feiger Mietling des römischen Antichristen, beide in den Stand zu werfen trachtet. Aber Ihr könnt die Menschen nicht täuschen, Herr, noch weniger Gottes allsehendes Auge, das nun auf uns herniederblickt und die Bosheit Eures fanatischen Herzens kennt. Nicht die Königin wollet Ihr stürzen – die Ketzerin, die Euch ein Dorn im Auge ist. Aber so wahr es einen Gott gibt, er wird selbst das Racheschwert in die Hände nehmen und Euch Sklaven des Papstes eine Kette der Wahrheit anlegen, welche Ihr nicht abschütteln könnt. Mögen auch meine schwachen Bitten an Euren Tücken scheitern und Lady Anne untergehen. Ihr Name wird in der Geschichte fortleben, so lange es einen Protestanten auf Erden gibt. Und ihr Werk wird Eure Macht zersplittern, wie der Sturm die Blume. Was sie nicht vollenden konnte, wird einst ihr Kind tun, aus dessen klaren Blicken der verwandte Geist ihres Vaters leuchtet. Zittern mögen dann die Sünder, winselnd um Gnade betteln und die Hand verfluchen, welche dieses Papier mit dem Lasterzeugnis beschrieb, dessen Inhalt mit Blut erzwungen wurde!«

Cranmer schwieg, sein Anblick war in diesem Augenblick furchtbar durch den hohen Ernst, die feurige Beredsamkeit, den verklärten prophetischen Blick, mit dem er gleichsam hier die Zukunft enthüllte. Alle seine Zuhörer unterlagen dem mächtigen Einfluss seiner Erscheinung und seiner Worte. Gardiner und Norfolk waren leichenblass geworden, während Heinrich und Cromwell ihn mit leuchtenden Augen ansahen.

Eine atemlose Stille herrschte im Gemach. Erst nach einer langen Pause nahm Cranmer wieder das Wort, jedoch nun sanft und mit der Miene eines Leidenden.

»Nun erlaubt mir, Majestät, dass ich mich zurückziehe. Meine eifernde Seele taugt nicht zu den blutigen Verhandlungen, welche nun folgen werden. Möge Gott Euer Herz lenken, dass Ihr das Richtige erwählt und nicht Euren Fein den Grund zum Hohn und Spott gebt. Ich will in tiefer Einsamkeit für Euch und für die Unglücklichen beten, und vor dem Allmächtigen meine Hände in Unschuld waschen. Vergebt und befreet die Angeklagten und gönnt Eurer Gemahlin in einem stillen Kloster ein ehrenvolles Grab.«

»Cranmer«, sagte Heinrich ergriffen und in huldreichem, diesmal ehrlichem Ton, »ich will Eure Achtung nicht verscherzen. Von allen Männern in meinem Königreich besitzt keiner so wie Ihr mein Vertrauen und meine Liebe. Es schmerzt mich, dass Ihr glaubt, ich wolle und könne Anne ungerecht verstoßen oder verurteilen.«

Der Bischof trat auf den König zu, beugte ein Knie vor demselben und sprach mit demütiger Stimme: »Mein teurer Herr und König. Ich erkenne Eure Huld und Güte. Ich richte nicht, denn wir Priester sollen das Amt eines Vermittlers ausüben und Worte der Versöhnung reden. Ihr wisst, wie viel Grund ich zur Dankbarkeit gegen Lady Anne habe. Verzeiht mir daher meine warme Fürbitte. Wenn Ihr ernstlich meines demütigen Rates bedürft, so findet Ihr stets in mir den treuen Untertanen. Entlasst mich jetzt, Majestät.«

»Geht nun, weil Ihr es also wünscht, Hochwürden«, sagte Heinrich, ihm die Hand zum Kuss reichend, »aber mir ahnt, wir werden Eurer in dieser Angelegenheit noch bedürfen.«

Cranmer erhob sich, grüßte freundlich, aber formell die Herren und verließ das Gemach.

Heinrich aber ging einige Male unruhig im Gemach auf und ab, wie in Gedanken versunken. Dann wandte er sich mit der Frage an seine Minister: »Was tun wir nun, Mylords? Dieses Bekenntnis Smeatons fordert eine ernste Entscheidung. Und doch, wenn der Bischof wahr spräche und Lady Anne wirklich unschuldig wäre!«

»Ich würde, als der kürzeste Weg, zu einem Entschluss zu gelangen, ein Ehrengericht versammeln«, sagte Lord Norfolk, »wie einst in der Sache Katharinas, und diesem das Urteil überlassen. Schuldig oder unschuldig, dann trifft den König kein Vorwurf der Ungerechtigkeit infolge der Leidenschaft.«

»Ein guter Rat!«, rief Heinrich aus. »Was sagt Ihr dazu, Cromwell? Und Ihr, Gardiner?«

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden«, antwortete Cromwell gedankenvoll, »doch erfordert es Überlegung in der Wahl der Richter.«

»Diese steht natürlich dem König allein zu«, ergriff Gardiner mit einem vielsagenden Blick auf denselben hastig das Wort.

»Es müssen alle anerkannt ehrenhafte Männer sein«, sagte Cromwell streng, denn er hatte Gardiners Blick richtig gedeutet. »Vor allen Dingen dürfen keine leiblichen Verwandten der Angeklagten dem Gericht beiwohnen.«

Norfolk runzelte die Stirn.

»Im Gegenteil«, erwiderte Gardiner, »Lord Norfolk und andere Verwandte müssen notwendig zugelassen werden, um jeden Anschein des persönlichen Hasses in den Augen der Nation zu vermeiden. Man wird nicht von der Parteilichkeit der Krone zu reden wagen, wenn Männer wie Lord Norfolk sich zu Richtern der Angeklagten aufwerfen.«

»Ich teile vollkommen Eure Meinung, Gardiner«, sagte Heinrich. »Wir wollen mit der strengsten Gerechtigkeit bei diesem schweren Schritt handeln, wozu uns nur die Ehre treibt. Dazu gehört, dass wir der Angeklagten den vollen Wert der Fürsprache ihrer Freunde gewähren. Die Sache ist also abgemacht, Mylords. Ihr, Lord Norfolk, tragt Sorge für die Wahl der tauglichsten Mitglieder dieses Gerichts und dass dieselben sich in Bälde versammeln.«

»Lady Anne wird sich in Person verteidigen dürfen, Majestät?«, fragte Cromwell.

»Nein«, sagte Heinrich betroffen und keineswegs von dem Vorschlag entzückt, da er den Einfluss von Annes Schönheit und Geist fürchtete. »Das ist kaum notwendig. Man kann ihr einen Anwalt geben, den wir ernennen.«

»Das Recht in England bestimmt, Majestät, dass jeder Verbrecher sich verteidigen darf. Wir dürfen mit Lady Anne keine Ausnahme machen.«

»Dann geschehe es«, sagte Heinrich ärgerlich.

Damit war der Ministerrat geschlossen und das Schicksal der Unglücklichen schon im Voraus bestimmt. Denn es stand zu erwarten, dass in dem Ehrengericht die Feinde Annes die Mehrzahl bilden würden.

Lord Norfolk vollzog aufs Schnellste den ihm erteilten Befehl. Die Wahl der Mitglieder rechtfertigte Heinrichs teuflische Wünsche und Norfolks schlechtes Herz. Von den dreiundfünfzig Pairs von England, deren Pflicht es gewesen wäre, die hohe Schuldige zu richten, wurden nur sechsundzwanzig vom König als untersuchungsfähig erklärt. Den Vorsitz führten der übermütige Norfolk, der Herzog von Northumberland, der Herzog von Richmond, Heinrichs unehelicher Sohn, und der Herzog von Suffolk. Die beiden Letzteren waren allgemein als Annes Feinde und als treue Anhänger der Prinzessin Mary von England bekannt.

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  1. Geschichtlich