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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 17 Teil 2

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band
Kapitel 17 Teil 2

Es schlug fünf Uhr, als sie eintraten. Die Herren verbeugten sich und Cromwell fragte, ob sie ihm keinen Auftrag zu erteilen hätte.

»Mylords«, antwortete die arme Frau, »hier leiste ich nochmals vor Gott und Euch den heiligen Eid, dass ich dessen unschuldig bin, wessen man mich anklagt. Ich flehe Seine Majestät an, dass er mir die Gnade gewähre, mich in seiner Gegenwart verteidigen zu können.«

»Wir werden Euren Auftrag getreulich erfüllen, Majestät«, antwortete Cromwell. Dann verbeugte er sich achtungsvoll und verließ mit den übrigen Beamten das Gemach. Sir Kingston blieb noch zurück.

»Lieber Herr, sagt mir um Gottes willen, ist es wahr, dass mein teurer Bruder ebenfalls diese Wohnung innehat?«

Sir William nickte bejahend mit dem Haupt, worauf Anne mit dem Zeichen des tiefsten Schmerzes ihre Hände rang.

»Ich Unglückselige reiße alles, was mich liebt, ins Verderben!«

»Eure Unschuld wird gerechtfertigt werden«, sagte Kingston tröstend.

»Nicht wahr, Ihr glaubt der gottlosen Anklage nicht, Sir?«, fragte sie, mit bittendem Blick zu ihm aufsehend. »Nicht, dass ich meine Frauenehre soweit vergessen konnte, um mich eines solchen Verbrechens schuldig zu machen?«

»Hoheit«, antwortete Kingston, »ich bin von Eurer Sittenreinheit überzeugt. Wollte Gott, Eure Richter heilten meinen Glauben. Ihr habt Feinde, welche den Argwohn in der Brust des Königs geweckt haben und alles anwenden werden, um den Bruch zwischen Euch und dem Gemahl vollständig zu machen.«

»Ich weiß es«, war die Antwort. »Aber sie werden ihre Rache nicht so weit treiben, mir das Leben zu nehmen. Man wird mich nicht ungehört verurteilen, noch verdammen, Sir?«

»Gerechtigkeit wird in diesem Land dem ärmsten Untertan gewährt«, sagte Kingston ausweichend.

»Ich hoffe mehr von der Gerechtigkeit des Himmels, als von dem Erbarmen eines Gerichts, in dem Lord Norfolk und die Freunde Jane Seymours als Richter sitzen«, erwiderte Anne mit einem bitteren Lachen. »Habt die Gewogenheit, Sir, und bittet den König, mir einige meiner Andachtsbücher zur Erbauung und das Heilige Sakrament zu übersenden, damit ich, es anbetend, Trost für meine Seele finde.«1

»Soll geschehen, Majestät. Einstweilen erlaubt, dass ich mich zurückziehe. Gegen Abend werden Eure Dienerinnen eintreffen.«

Er entfernte sich, und Anne vernahm, wie der Schlüssel von außen im Schloss herumgedreht wurde. Sie war also wirklich eine Gefangene, als eine sittenlose Verbrecherin gebrandmarkt.

Eine unaussprechliche Wehmut überkam sie. Die Hände fest ineinandergeschlungen, das schöne Haupt, in dessen dunkeln Flechten noch die wertvollen Steine funkelten, tief auf die wogende Brust gesenkt, saß sie stundenlang in ihrem einsamen Kerker da. Zu bitterer Selbstanklage erhoben sich vor ihr das Bild der verstoßenen edlen Gattin Katharine, ihre eigene Rache an Wolsey, ihr leichtsinniges, in Vergnügen und Gefallsucht verschwendetes Leben, und die warnenden Worte der edlen Mary von England. Durfte sie sich über ihr Schicksal beklagen, traf sie nicht das Wort des Herrn: »Mit welchem Maße Ihr messet, wird Euch gemessen werden?«

Plötzlich durchzuckte sie die Erinnerung an ihr holdes Kind, und nun erst löste sich ihr Gram in heiße, aber wohltätige Tränen auf. Auch hier erkannte sie Gottes Gerechtigkeit und gedachte mit Beschämung des vielen Herzeleids, das sie der Tochter ihrer Rivalin im Übermut zugefügt hatte. Wie sie einst die Tochter vom Sterbebett der Mutter entfernt gehalten hatte, so sollte vielleicht auch sie dieses Trostes entbehren. Aufgelöst in Tränen warf sie sich auf die Knie nieder und flehte mit schwacher, erstickter Stimme: »Herr, gehe nicht mit mir ins Gericht, vergelte nicht nach meinen Missetaten!«

Der Tag hatte sich geneigt, sie lag noch in derselben Stellung, als die Tür ihres Gefängnisses aufging und Sir Kingston, von zwei Damen begleitet, hereintrat.

»Hoheit, ich bringe Euch die Dienerinnen!«, sagte er sanft und dicht zu ihr herantretend.

»Mary, meine Mary!«, sagte Anne, das Haupt erhebend und liebevoll ihre Arme nach der Frau ausstreckend.

»Sie ist nicht mit uns gekommen«, sagte eine der Fremden, aus dem Hintergrund tretend, sodass Anne sie erkennen konnte.

»Lady Boleyn2 und Mistress Cassyns, meine erbittertsten Feinde!«, rief Anne bestürzt aus.

»Warum hat man Euch gesandt? Für Euch muss dieser düstere Aufenthalt eine Strafe sein.«

»Wir mussten den Befehlen des Königs gehorchen!«, war die Antwort. »Ihr habt recht gesagt, Lady Anne, dieser Aufenthalt ist ebenso entehrend, wie peinlich für uns.«

»Ich will mich Eurer Dienste entschlagen!«, sagte Anne heftig. »Begebt Euch in das innere Gemach und lasst mich mit meinem Gram allein.«

»Leider können wir Eurem Befehl nicht Gewähr leisten«, erwiderte Lady Boleyn. »Unser Auftrag lautet, dass wir Euch streng bewachen und auch nachts in Eurem Zimmer schlafen sollen!«

»Sir Kingston«, rief Anne flehend und ergriff seine beiden Hände, »habt mit mir Erbarmen und befreit mich von ihrem verhassten Anblick!«

»Euch wäre freilich die Gegenwart der Liebhaber angenehmer«, versetzte Lady Boleyn mit tröstendem Hohn, »aber lasst Euch der Gedanke trösten, dass Ihr mit ihnen unter einem Dach seid.«

»Still!«, herrschte ihr Kingston streng zu. »Kein solches Wort, Mylady, oder ich werde über Euch Klage führen. Lady Anne ist meiner Obhut übergeben und keine Beleidigung soll ihr unter meinem Dach werden.« Dann sich an Anne wendend, fügte er mit Milde hinzu: »Hoheit, beugt Euch in christlicher Demut dieser neuen Prüfung, weil es der Wille Gottes und Eures hohen Gemahls ist. Ich werde selbst nach London gehen und es zu bewirken suchen, dass man Euch Miss Gaynsford und Lady Guilford sendet.«

Ein rührender Blick lohnte dem trefflichen Mann seine Güte, dann wandte sie sich zu ihren beiden Gefährtinnen und sagte sanft: »Verzeiht mir meinen Unmut. Tut, was Eures Amtes ist. Und wie Ihr an mir handelt, so möge Gott einst vergelten!«

Die beiden Frauen ließen sich ein gemeinschaftliches Lager in Annes Gemach einrichten. Wenn die Unglückliche eingeschlummert war, erhoben sich die Spione leise und schlichen sich an ihr Bett, um die unzusammenhängenden Reden, ihre rührende Selbstanklage zu belauschen und später der königlichen Kommission als untrügliche Bekenntnisse ihrer Schuld zu berichten.3

Kingston hielt jedoch sein Wort. Er erwirkte die Abberufung dieser verhassten Wesen und dafür die Gegenwart Mary Gaynsfords und Lady Guilfords unter der Bedingung jedoch, dass sie die Königin nur zu bestimmten Stunden sehen und sich mit ihr in Gegenwart des Gouverneurs oder dessen liebenswürdiger Gattin unterhalten durften. Ein Gemach neben Annes wurde ihnen eingeräumt und zu ihrer großen Freude die Tür desselben nicht verschlossen, sodass die Freundinnen sich verstohlen zu ihrer geliebten Herrin schleichen konnten.

Einige Tage später kamen noch andere Damen ihres Haushalts im Tower an, welche es sich als eine besondere Gnade ausgebeten hatten, die Gefangenschaft zu teilen. Diese wurden in entfernten Zimmern einquartiert, doch erst nach Annes Verurteilung ihnen der Zutritt zu ihr gestattet.

Anne hatte sich zum Beichtvater Pervett, einen ernsten, gelehrten Theologen erwählt; aber anstatt dessen trat eines Tages der Erzbischof Cranmer bei ihr ein.

Mit einen lauten Schrei der Freude eilte die hohe Gefangene dem alten Freund entgegen, dann blieb sie plötzlich einige Schritte von ihm entfernt stehen und sank mit den Worten »Ich bin unschuldig!« auf die Knie.

Cranmer hob sie mit bebenden Händen auf und führte sie zu einem Sitz.

»So müssen wir uns wiedersehen, meine teure Gönnerin und Freundin?«, sagte er wehmütig, indem er ihre kalte Hand küsste. »O, wer hätte das geahnt, als Ihr vor drei Jahren in dieses Gemach tratet!«

»Wäre ich damals in der Niedrigkeit und der Furcht Gottes geblieben, Herr«, antwortete Anne, »so stände ich heute nicht hier. Aber Gottes Wille geschehe an mir! Willig lege ich die schwere Last der Krone ab und suche nur nach einem Asyl der Freiheit, wo ich in der Verborgenheit sterben darf. Nur einen Wunsch hege ich auf Erden, den mir der Himmel gewähren möge, dass mein reiner Name von dem Flecken befreit werde, der ihn heute bedeckt. Um meines Kindes, meiner Elisabeth willen, erbitte ich dies.«

»Hoheit, Ihr dürft noch nicht alle Hoffnung aufgeben«, sagte Cranmer, von seinen Gefühlen fast überwältigt. »Der König hat leider schlechten Menschen Gehör geliehen, aber glaubt mir, Ihr werdet gerechtfertigt werden.«

»Wünscht er das?«, fragte Anne zweifelnd und bang.

»Gewiss, er ließ mich ja aus Deutschland zu dem Zweck zurückberufen, Euch beizustehen und Eure Sache zu untersuchen. Auf seinen Befehl bin ich hier.«

»Ich habe um einen Beichtvater gebeten«, sagte sie, »damit ich mein belastetes Gewissen erleichtern und mich mit dem Herrn wieder versöhnen könne. Wollt Ihr, hoher Freund, meine Beichte vernehmen und meinen gebrochenen Mut aufrichten?«

»Von Herzen gern!«, sagte Cranmer.

Auf ein Zeichen von ihm zogen sich die Frauen zurück, und Anne kniete demütig vor dem Diener Gottes nieder.

Es war eine lange, feierliche Unterredung.

Als nach Verlauf einer Stunde die Frauen wieder Eintritt erhielten, lag Anne noch auf den Knien, aber mit verklärtem Antlitz.

Cranmer selbst war heftig erschüttert und bewegt. Er reichte den beiden Mädchen die Hände zum Abschied mit den Worten: »Ich verlasse dieses Trauerhaus um eine Welt von Sorgen leichter und in der Überzeugung, dass Gott die reuevolle Seele in Gnaden aufnehmen wird.«

»Sie ist unschuldig, Herr! O, sprecht es aus!«, flüsterte Mary.

»Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen«, sagte der Prälat ernst, »aber von der Sünde, deren man sie anklagt, spreche ich sie als Gottes Priester frei.«

»Gelobt sei Jesus Christus!«, rief Lady Guilford aus.

»Ihr werdet das auch dem König sagen, hoher Herr?«, fragte Mary Gaynsford. »Ihr werdet für sie bitten?«

»Mary brauchte diese Frage nicht an mich zu richten!«, antwortete Cranmer. »Selbst wenn ich sie schuldig erfunden, würde ich das Äußerste gewagt haben, wie viel mehr nicht jetzt. Gott beschirme ihr geliebtes Haupt und Euch. Elisabeth, auch deiner werde ich beim König gedenken, Kind, denn ich habe Rochefort und Norris in ihren Kerkern besucht.«

»Und nicht wahr, ehrwürdiger Vater, Norris, mein Norris ist rein, unschuldig und mir treu?«, fragte das Mädchen mit Tränen in den schönen Augen. »O, ich habe nie an ihm gezweifelt, ich kenne ihn ja – seit Jahren haben wir uns treu geliebt.«

»Ich weiß es, mein liebes Kind, und ich kann Euch die Beruhigung geben, dass er Eurer Liebe würdig war und Euer Bild durch keine unkeusche Leidenschaft entweihte. Betet und hofft alles von Gottes Liebe und Gerechtigkeit. Möget Ihr Euch bald in einer freudigeren Umgebung wiedersehen.«

»Gott wolle es!«, sagte Mary. »Habt Ihr Nachrichten von Never, Sir? Wie ertragen die  edlen Eltern diese Schmach?«

»Wie ich höre, sind sie tief gebeugt. Ah! Das erinnert mich, dass ich vergessen habe, Lady Anne auf den Besuch ihrer ältesten Freundin, Mary Wyatt, vorzubereiten. Sie hat es beim König ausgewirkt. Doch stört Lady Anne nicht in ihrer Andacht, meine Lieben, wartet Marys Ankunft ab.«

Show 3 footnotes

  1. Dieses Verlangen Annes beweist, dass sie noch immer nicht entschieden mit dem Katholizismus gebrochen hatte.
  2. Lady Boleyn, eine entfernte Verwandte Annes
  3. Geschichtlich