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Der Konstanzer Hans Teil 16

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Sechzehntes Kapitel

Hans macht wieder eine Schweizerreise.

So vorsichtig Hans nach seiner letzten Gefangenschaft auftrat und so ängstlich er bei dem nun erzählten Diebstahl sich zeigte, so tollkühn und verwegen waren seine nächsten Unternehmungen. In den drei verflossenen Jahren seines Gaunerlebens (von 1779 bis 1782) war er zwar immer sehr tätig gewesen; allein das nun folgende vierte und letzte war das an Gaunerstreichen Fruchtbarste, aber zugleich auch das Gefahrvollste.

Wie die Einbrüche und Diebstähle nun häufiger vorkamen und mit fast unglaublicher Verwegenheit begangen wurden, so war auch sein Betragen gegen seine Umgebung brutaler und gewalttätiger denn je. Dies mussten Seppe und die Schleiferbärbel, die ihn wieder dem Gaunerleben zugeführt hatten, am fühlbarsten tragen.

Hasste er die Letztere auch von ganzem Herzen, so war es ihm doch unerträglich, sie in Gesellschaft eines anderen zu sehen. Beiden schwor er daher schwere Rache, die er auch alsbald ausgeübt hätte, wären seine Füße in besserem Zustand gewesen. So aber bedurfte er, wie sein Kamerad Peter, eines Gehilfen, wenn eine weitere Unternehmung gemacht werden sollte.

Die ganze Gesellschaft begab sich in die Schweiz und nahm einem Tuchhändler in Oberdietweil Kleider und Waren, so viel sie mitschleppen konnte. In einem einsamen Wirtshaus wurde der Raub verteilt. Durch sein übermütiges Betragen brachte Seppe den Wirt, der sonst ein Freund der Gauner war, so auf, dass dieser in aller Stille aus dem nahen Bischofszell Streifer beorderte. Peter suchte gerade in der Scheuer nach einem Stück Zeug, um das er sich von Seppe betrogen glaubte, und sah die Streifer in einiger Entfernung auf das Haus zukommen. Auf seine Anzeige wurde sogleich eingepackt und eiligst die Flucht ergriffen. Von den Verfolgern unbemerkt, erreichten die Fliehenden ein benachbartes Wäldchen an der Thur, wo sie die Nacht ruhig zubrachten.

Die Schleiferbärbel gab sich alle erdenkliche Mühe, Hans wieder für sich zu gewinnen. Dieser aber kannte ihre Verstellung und listige Bosheit zu genau, als dass er sich durch ihre Schliche und Schmeicheleien hätte bestechen lassen. Überdies vermutete er nicht ohne Grund, dass sie seinen Pass noch in Händen habe. Sein Groll und Hass gegen sie vermehrte sich im Gegenteil durch dieses Benehmen. Sie würde seine rächende Hand wohl auf der Stelle zu fühlen bekommen haben, wenn nicht ein plötzlicher Überfall ihnen allen die größte Gefahr gedroht hätte.

Der aufsteigende Rauch des Feuers, das sie am frühen Morgen im Wald gemacht hatten, führte die Streifer, die noch in der Nähe waren, auf die Spur. Plötzlich waren die Diebe eingeschlossen, hinter sich hatten sie den Fluss, vor sich die Streifer. Peter und Seppe stürzte sich in den Fluss und entkamen glücklich. Hans, seine Beute wegwerfend, erstieg unbemerkt einen Baum und verbarg sich in dessen dichten Zweigen und Ästen. Die Schleiferbärbel geriet in Gefangenschaft und wurde zuerst nach Bischofszell, dann nach Frauenfeld gebracht, wusste sich aber durch schlaue Verantwortung bald wieder frei zu machen.

Nachdem Hans die Streifer nicht mehr zu fürchten hatte, verließ er sein Versteck und fand in Kurzem Seppe und Peter in einem Diebswirtshaus. Dort nahm er dem Seppe einen Taler weg mit den Worten: Der gehört mir. Denn in seinem Herzen kochte es stark wegen des Betrugs, den jener bei der Verteilung des letzten Raubs begangen hatte. Als der Letztere sich unterwegs gegen Hans über erlittenes Unrecht beklagte, prügelte ihn dieser so unbarmherzig durch, dass er wie ohnmächtig dalag. Peter wollte dem Misshandelten das Messer in die Brust stoßen, weil auch er über Seppes heimtückische Bosheit aufs Äußerste erbittert war. Allein Hans wurde nun der großmütige Retter seines Feindes, nachdem dieser sich ihm unterworfen und ihn um seinen Schutz angefleht hatte. Ebenso stand er demselben bei gegen den Schweizer Gauner Viktor, der Julian Seppe blutige Rache geschworen hatte wegen der Untreue und Verstoßung einer Schwägerin von Viktor.

Hans konnte es nicht leiden, wenn ein anderer neben ihm brutal sein und herrschen wollte. Auch kam es ihm unedel vor, dass so viele sich vereinigten zur Unterdrückung eines einzigen Wehrlosen. Viktors Drohungen brachten ihn daher auf und er erklärte diesem beim Zusammentreffen, dass er Seppes Freund sei. Der feste und bestimmte Ton, in welchem Hans diese Erklärung gab, stellte den Frieden wieder her.

Aber das tat nicht auf lange gut. Denn kaum hatte Seppe sich der Freundschaft Viktors wieder versichert und Peter unter irgendeinem Vorwand seinen Säbel abgefordert, als er gegen seine bisherigen Beschützer Hans und Peter auftrat und ihnen erklärte: Heute noch müsse es für die gestrigen Schläge rote Augen und blutige Köpfe geben. Hans und Peter waren nicht die Männer, die eine solche Drohung so leicht hinnahmen. Der Erstere schlug den heimtückischen Seppe gleich zu Boden. Viktor mit seinen Leuten kam seinem Schwager zu Hilfe. Alle drangen mit Messern und Stöcken auf Peter und Hans ein. Aber diese wehrten sich tapfer und siegten. Kaum hatten sie sich entfernt, als die Besiegten ihnen nacheilten und sie um ihre Freundschaft baten. Die Bitte wurde gewährt, nur Seppe wurde ausgeschlossen und musste eilig fliehen, wollte er nicht Hans’ Rache erfahren.

Nach der letzten Gefangennahme der Schleiferbärbel hatte Hans von Seppe erfahren, dass diese seinen Pass noch habe. Gerade verteilten die Diebe eine Beute, die sie soeben gemacht hatten, als jene Frau zu ihnen kam. Kaum hatte Hans sie erblickt, so war er schon entschlossen, sie mit seiner Pistole niederzuschießen, und würde es auch getan haben, wenn seine Kameraden ihn nicht daran gehindert hätten.

Da er nun sah, dass diese um die Freundschaft der Schleiferbärbel sich bewarben, so wurde sein Entschluss schnell wieder geändert. Ihre Eigenschaften als Gaunerin waren so vorzüglich, dass er um derselben willen die Frau nicht einem anderen überlassen wollte, sondern sie wieder zu seiner Bedienung behielt. Nun aber war ihr Los ein sehr hartes. Tat sie das, was er verlangte, nicht sogleich oder handelte sie gegen seinen Willen, so bekam sie jedes Mal eine scharfe Züchtigung. Gern wäre sie ihm daher entlaufen, aber sie durfte es ohne Lebensgefahr nicht wagen.

Wie Hans gegen die Schleiferbärbel über jede Kleinigkeit aufgebracht war, ebenso reizbar war er auch gegen seine übrige Umgebung. Auch diese hatte, wenn er sich beleidigt glaubte, seine Rohheit und sein aufbrausendes Wesen zu fühlen.

Um sich einen Pass anfertigen zu lassen, hatte sich Hans auf einige Zeit nach Maria Einsiedel und dann nach Rapperswil begeben. Auf dem Rückweg kam er mit einer Gaunergesellschaft zusammen, zu der auch der schwarze Toni gehörte. Da der Letztere sich an zwei Kameraden von Hans während dessen Abwesenheit vergriffen hatte, so wollte dieser dafür Rache an Toni nehmen. Bei dem Aufsuchen seines Gegners verfuhr aber Hans so lärmend, dass das ganze Dorf in Bewegung kam und er auf schleunige Flucht bedacht sein musste. Die von ihm Verfolgten wurden nun seine Verfolger, kamen aber außer Toni alle in Gefangenschaft. Julian Seppe wurde für immer aufgehoben, zuerst in Breisach, nachher in Kufstein in Tirol, und zuletzt gebrauchte man ihn in Ungarn zum Schiffziehen.