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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 16

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Das Turnier am Maitag. Die Verhaftung der Lords Rochefort und Norris.

Der erste Mai wurde in England stets als Feiertag und noch jetzt auf dem Land mit den Überresten alter Festlichkeiten gefeiert. In den Dörfern erhebt sich eine sehr hohe, reich mit Blumen und Bändern geschmückte Stange, der sogenannte May-pole oder Maienbaum. Am Abend tanzen die festlich geschmückten Bauern und Bäuerinnen bis tief in die Nacht hinein. Die Häuser sind mit grünem Laub bekränzt, am festlichsten die trauliche Dorfkirche und die Wohnung der Gutsherrschaft. Nicht selten dehnt sich dieser grüne Waldschmuck auf die vierfüßigen Bewohner des Dorfes aus. Man sieht die stattlichsten Rinder, Kühe und Pferde mit grünen Kränzen um die festen Nacken von den Feldern heimkehren.

Heinrich liebte es, diese Nationalfeste mit Ostentation zu feiern, weil er wusste, dass sie dem Volk Freude bereiteten und ihn beliebt machten.

Auch in diesem Jahr, trotz seiner finsteren Pläne, durfte der Tag nicht ungefeiert vorübergehen. Daher wurde ein glänzendes Turnier auf seinem Lieblingssitz, Schloss Greenwich an der Themse, angeordnet.

Er selbst erschien in Person bei der Königin und lud sie feierlich und mit lächelnder Lippe ein, durch ihre holde Gegenwart das Fest zu verschönen. Anna zuckte schmerzlich bei dem Vorschlag zusammen. Dieses Fest erschien ihr als ein bitterer Hohn ihres wunden Gemüts. Schon öffnete sie den Mund, um die Ehre abzulehnen.

Aber der König kam ihrer Antwort mit den Worten zuvor: »Die Königin darf nicht fehlen. Wir selbst werden uns unter die Kämpfenden reihen und die Sieger von Eurer schönen Hand die Siegespreise empfangen.«

»Der Wunsch meines Gemahls ist mir stets ein heiliger Befehl«, entgegnete Anna sanft. »Wir werden im königlichen Schmuck samt unseren Damen erscheinen und wünschen Euch Glück und Sieg im Spiel.«

Es war ein herrlicher warmer Tag. Die Vögel im dichten Park sangen fröhlich ihr Loblied an den jungen Sommer, die Bäume prangten in ihrem reichen, frischen Blätterschmuck und strömten einen balsamischen duftigen Hauch aus.

Der Kampfplatz befand sich im inneren, großen Hofraum. Ringsum, auf erhöhten Sitzen, nahmen der Hof und die eingeladenen Gäste je nach ihrem Rang Platz. In der Mitte des Amphitheaters waren Thronsessel für das königliche Paar.

Der König wollte das Spiel mit einem Lanzenstechen in spanischem Kostüm beenden. Vorher bewiesen einige tüchtige Reiter und Kämpfer ihre Kunst und Gewandtheit. Unter diesen befanden sich der Vicomte Rochefort und Lord Henry Norris, der Lieblings-Kammerherr des Königs und dessen Vertrauter.

Rochefort hatte über seinen Gegner einen glänzenden Sieg errungen und von den Händen seiner königlichen Schwester einen silbernen Lorbeerkranz empfangen.

Auch Lord Norris hatte den Preis in einem Zweikampf mit Lord Suffolk gewonnen, der leicht verwundet sich zurückzog. Nun näherte sich Norris auf den Ruf des Königs der Balustrade. Anne lächelte. Aufgeregt durch das spannende Spiel, bog sie sich zu weit vor und ließ ihr feines Spitzentuch hinunter in die Arena fallen. Nicht sobald hatte Norris den kleinen Unfall bemerkt, als er mit ritterlicher Gewandtheit vom Pferd sprang, das Tuch aufhob, es an seine Lippen drückte und auf der Spitze seiner Lanze es der schönen Festkönigin hinreichte.

Anna dankte durch eine anmutige Bewegung des schönen, reizenden Hauptes und wandte sich mit einem süßen Lächeln zu dem Gemahl. Aber wie erschrak sie, als dieser mit finster zusammengezogenen Augenbrauen und glühendem Blick sie einen Augenblick fixierte, dann plötzlich sich vom Sessel erhob. Mit den Worten an sein Gefolge »Das Spiel ist beendet!« wandte er sich von der Galerie ab und verließ das Theater.

Eine allgemeine, unbeschreibliche Verwirrung entstand. Anne erholte sich zuerst von ihrer Bestürzung und sprach mit bewundernswerter Fassung: »Seine Majestät müssen unwohl sein.«

Dann verließ auch sie ihren Sitz und begab sich mit ihren Damen und Gefolge ins Schloss.

Mit nicht verhehlter, satanischer Schadenfreude lächelte Lady Rochefort, welche den Grund des königlichen Unmutes nur allzu richtig erriet.

»Er hat sich selbst gerichtet«, flüsterte sie ihrem Verbündeten Lord Norfolk zu. »Der König wird diese Vertraulichkeit nie vergeben. Gebt Acht, Mylord, es ist heute das letzte Mal, dass sie als Königin einem Fest in England vorsteht!«

»Jedenfalls«, versetzte dieser, »müssen wir den Vorfall zu benutzen suchen. Ich will dem König nacheilen und das Feuer schüren, so lange der Zorn tobt und lodert.«

Anne begab sich ebenfalls zu Heinrich, um eine offene Erklärung über das rätselhafte Benehmen des Gemahls zu verlangen, aber sie kam zu spät. Er hatte rasch einen weiten Mantel über sein reiches Gewand werfen lassen, sein Pferd zu satteln befohlen und war in Begleitung von Rochefort und Norris nach London aufgebrochen. Die Nachricht der königlichen Abreise galt den Gästen als das Signal eines allgemeinen Aufbruchs. Die Pferde wurden gesattelt, die Boote losgebunden und innerhalb einiger Stunden blieben keine weiteren Spuren des mit großen Kosten angeordneten Festes, als die geschmückten Wände und die trauernde Königin mit ihren Jungfrauen und Ehrendamen, welche hier im bangen Vorgefühl eines Unglücks die Nacht zubrachten. Ihr Schmerz wäre unendlich größer gewesen, wenn sie gewusst hätten, was sich indessen zutrug.

Heinrich hatte nämlich seinen Weg in mürrischem Schweigen zurückgelegt, sein Gefolge keines Blickes gewürdigt. Als sie die Barrieren der City erreichten, wo damals eine königliche Gardeabteilung stationiert war, hielt er sein Pferd an, winkte mit der Hand den wachhabenden Offizier heran und sagte, auf Rochefort deutend, in kaltem befehlenden Ton: »Verhaftet diesen dort und bringt ihn unverzüglich in den Tower.«

»Mein Gott, Majestät, mich!«, rief Rochefort bestürzt aus, »was habe ich verbrochen?«

»Darüber soll Euch bald Licht werden«, lautete die kühle Antwort. »Wohl Euch, wenn Ihr unschuldig befunden werdet!«

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt hastig weiter. Die Soldaten umringten Rochefort und führten ihn ins Gefängnis.

Nach einigen Augenblicken winkte der König Norris an seine Seite. Sein Antlitz hatte plötzlich den Ausdruck verhaltenen Grimms verloren und dem der Trauer Raum gemacht.

»Norris«, sagte er in einem sanften, einschmeichelnden Ton zu diesem, »Ihr wisst, wir haben Euch stets gern um unsere Person gelitten, Euch Vertrauen bewiesen in manchen wichtigen Angelegenheiten. Wir sind daher geneigt, Euch Gnade widerfahren zu lassen, wenn Ihr durch ein offenes, redliches Bekenntnis Euch derselben würdig zeigt.«

»Majestät, Ihr sprecht in Rätseln«, erwiderte dieser. »Ich habe so wenig ein Verbrechen begangen, wie Lord Rochefort, und kann daher ebenso wenig ein Bekenntnis ablegen.«

»So reden alle, die sich einer Schuld bewusst sind«, entgegnete Heinrich, immer noch in mitleidigem Ton. »Aber Euer Leugnen hilft Euch nichts mehr, wird Euer eigenes Leben und das Eurer Mitschuldigen gefährden. Ich wiederhole es, nur Eure Reue und ein freies Bekenntnis kann Euch meine Gnade sichern.«

»Aber Majestät, ich bitte Euch demütig, wollt mir mein Verbrechen nennen?«

»Nennen? Glaubt Ihr, ich sei stockblind und wüsste nicht, dass Ihr einen schändlichen Liebeshandel mit meiner Gattin führt? Habt Ihr Euch heute nicht selbst und sie, die entartete Buhlerin, durch Eure vertrauliche Tat gebrandmarkt, Eure Schande an den Pranger gestellt?«

»Bei meinem Leben!«, rief Norris aus und legte beteuernd seine rechte Hand auf die redliche Brust, »Eure Majestät sind falsch berichtet worden und haben einer unschuldigen, vielleicht unbesonnenen Galanterie eine unreine Deutung gegeben. Es ist wahr, ich verehre die Königin.«

»Ha! Endlich gesteht Ihr!«, unterbrach ihn Heinrich frohlockend.

»Ja, ich gestehe es, Sire, dass ich die Königin verehre und hochachte, wie ein treuer Diener die Gemahlin seines hohen Herrn verehren soll. Aber eine andere Gesinnung hege ich nicht für sie, vielmehr liebe ich eine tugendhafte, sittsame Jungfrau und habe zu ehelichem Bund mich um sie beworben. Die Königin aber ist so rein wie der Strahl jener sinkenden Sonne, und jedem, der das Gegenteil zu behaupten wagt, werfe ich meinen ritterlichen Handschuh auf Tod und Leben ins Gesicht.«

»Wie, Ihr wagt mir zu drohen?«, sagte Heinrich entrüstet.

»Nicht Euch, Majestät, aber dem frechen Verleumder, der Eure Ehre in der Gattin zu beflecken sich erkühnt hat.«

»Spart Eure Entrüstung für einen edleren Gegenstand auf, Mylord«, erwiderte Heinrich spöttisch. »Es geziemt einem Edelmann von Eurer Geburt schlecht, um die Ehre eines schlechten, entarteten Weibes zu eifern, um ein Weib, das sich einer blutschänderischen Verbindung mit ihrem eigenen Bruder schuldig gemacht hat.«

»Von welchem Weib redet Ihr, Majestät? Ich glaubte, Ihr nanntet soeben Eure hohe Gemahlin.«

»Die ein und dieselbe Person ist, Mylord. Rocheforts eheliche Gemahlin hat ihn jener Ruchlosigkeit bezichtigt, ihn dem Urteil des Gesetzes preisgegeben.«

»Fluch treffe die verruchte Schlange!«, rief Norris heftig erregt aus. »Sie soll meinem strafenden Arme nicht entgehen. So wahr ich ein ritterliches Schwert führe, sie soll diese Verleumdung eines Freundes mit ihrem Blut büßen.«

»Sorgt zunächst, dass Euer eigenes Blut nicht durch das rächende Schwert des Richters fließe«, erwiderte Heinrich zornig. »Ich gebe Euch in hoher Gnade die letzte Warnung, Mylord. Nur durch ein redliches Bekenntnis Eurer Schuld dürft Ihr Eure Freiheit zu retten hoffen.«

»Nie werde ich mit einer Lüge oder einer Verleumdung mein Leben erkaufen!«, erwiderte Norris mit hochherziger Begeisterung.

»Besinnt Euch!«, warnte Heinrich mit unheildrohender Stimme, »ehe es zu spät ist.«

»Nie! Eher lasse ich mir Glied um Glied von diesem Körper reißen, als mich zu einem solchen Bubenstück herzugeben.«

»Wird sich zeigen«, entgegnete Heinrich kühl und ritt schweigend weiter.

Whitehall war erreicht, die Diener stürzten erschrocken über die unerwartete Rückkehr herbei und halfen dem König absteigen. Als Norris sich vom Pferd schwingen wollte, um seine Dienste anzubieten, wies ihn Heinrich finster ab. Dann, sich an den Offizier wendend, gebot er mit strenger Stimme: »Führt Lord Norris sofort in den Tower und verhaftet mit ihm Master Smeaton, den Musikus Ihrer Majestät!«

Als er ins Schloss getreten war, blickten sich die Umstehenden betroffen an. Keiner wagte dem Befehl zu gehorchen, denn Norris war allgemein als des Königs treuester Freund bekannt und ebenso herzlich geliebt.

»Tut, was Euch befohlen ist, Sir Edward«, sagte Norris ernst, aber ruhig zu dem Kommandanten. »Ich folge ohne Widerstand.«

»Aber um aller Heiligen willen«, sagte dieser, »was ist vorgefallen, lieber Norris?«

»Das weiß nur der König selbst«, lautete die Antwort, »und der Teufel im Weiberrock, welcher das Unheil ausgesonnen hat. Ich habe nichts verbrochen, so wahr ich lebe, ebenso wenig mein Freund Rochefort, der mir in den Tower vorangegangen ist.«

»Wie, Rochefort verhaftet? Der Bruder der Königin? Unmöglich, Sir!«

»Leider rede ich eine traurige Wahrheit«, sagte Norris. »Gott weiß, was die Ursache dieser königlichen Laune sein mag. Wenn mich meine Ahnung nicht trügt, sind wir nur die Vorläufer eines edleren und zarteren Opfers. Doch besteigt Euer Pferd, Sir Edward, unterwegs berichte ich Euch das Nähere.«

»Ich muss wohl gehorchen, mein teurer Mylord. Aber sagt, habt Ihr keinen Auftrag, den ich für Euch besorgen lassen könnte, keine Gegenstände oder Papiere, die Euch kompromittieren?«, fügte er leiser hinzu.

»Nein«, war die feste Antwort, »ich wiederhole Euch, dass ich nichts verbrochen habe; aber, weil ich nicht weiß, wie sich die Angelegenheit gestalten möge, wollt mir die Freundschaft erweisen, Sir Edward, und eine gewisse junge Dame von meiner Verhaftung benachrichtigen.«

»Den Namen, Mylord?«

»Lady Guilford«, sagte Norris zögernd. »Sagt Ihr, wenn sie mich liebe, möge sie zum König eilen und ihm unsere lange Treue entdecken. Vielleicht rettet sie durch dieses Bekenntnis mehr Leben, als nur das meine.«

»Es soll geschehen, verlasst Euch darauf. Sogleich berufe ich meinen vertrauten Burschen.«

»Jetzt nicht, Sir Edward, Lady Guilford ist in Greenwich. Wartet ihre Rückkehr bis morgen ab, dann sucht sie selbst auf. Sagt ihr, was mir auch zustoßen möge, sie solle an meiner Unschuld nicht zweifeln, denn bei allem, was droben heilig ist, ich habe nur sie geliebt.«

Sir Edward sprang in den Sattel, zwei berittene Landsknechte schlossen sich ihnen an, und fort ging der traurige Zug, der finsteren Behausung des Blutes an der Themse zu.