Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Diane Teil 2 – Kapitel 15

Alexander von Ungern-Sternberg
Diane
Ein Kriminalgemälde der modernen Gesellschaft
Berlin, 1842, Buchhandlung des Berliner Lesekabinetts
Zweiter Teil

Fünfzehntes Kapitel

Der Genius des Nordens

Der Saal im Schloss war erleuchtet. Eine glänzende Gesellschaft, der Adel aus der Nachbarschaft und aus den Städten, bewegte sich in den festlich aufgeputzten alten Räumen. Alles deutete auf eine großartige, ungewöhnliche Feier. Trotz der schon versammelten Menge, die, auf mehrere Tage gekommen, sich wohnlich in den für sie bestimmten Fremdengemächern eingerichtet hatte, rollten immer von Neuem Kutschen in den Schlosshof. Hier und da glitt auch ein leichter Schlitten, die karge Schneelage benutzend, über die Fläche und lief den schwerfälligen Wagen den Rang ab, indem er mit dem hellen Geklingel seiner Glöckchen gleich einer kleinen Barke sich durchs Geschwader der mächtigen Kriegsschiffe Bahn machte. Pechfackeln und Flammenbehälter erleuchteten die Enge des alten Torwegs und zerstreuten das Dunkel des Hofplatzes. Ein Transparent setzte das gräfliche Wappen in brennende Farben und ließ die Insignien desselben, geziert mit einer stolzen Krone, wie ein Pharus für die in der Nacht heranjagenden Wagen weit hinaus leuchten. Die Stufen der großen Haupttreppe glänzten mit farbigen Teppichen. Das Gewächshaus hatte einige seiner fremdartigsten Kinder zum Schmuck der breiten Stufen hergeliehen. Man erblickte eine prachtvolle, palmenartige Staude neben dem schlanken Wuchs einer Zypresse, das farbige Blumengitter der Pelargonien neben dem funkelndem weißen Kelch einer schönen Calla. An diese Pflanzenterrasse streiften die Atlasgewänder der Damen, die hinaufstiegen. Die feinen Florschleier wehten in dem durchwärmten Raum, wie von Frühlingslüften geschwellt, über die Blumen hin. Da alle Türen offen standen, so erblickte das Auge schon im Vorsaal eine weite Perspektive mit geschmückten Räumen in einem Lichtmeer schwimmend. Tief aus der Ferne sah man die wandelnden Gruppen herauskommen und sich verteilen. Eine gewisse Feierlichkeit und Stille machte sich noch geltend, wie sie beim Beginn eines Festes zu herrschen pflegt, wo die Neuheit der Umgebung die Aufmerksamkeit auf sich zieht und die Erwartung des Kommenden die Gemüter gespannt hält.

Um diese Zeit war es, als der Wagen der Vicomtesse Blanche de Sanneterre vorfuhr. Simeon hatte auf kürzerem Weg die seiner Obhut Anvertrauten sicher zum Ziel geleitet. Er verschwand, und man fragte nicht weiter nach ihm. Von Berlin aus war die Ankunft der Vicomtesse schon gemeldet worden. Graf Ernst ihr entgegengefahren, hatte sie jedoch verfehlt und irrte nun umher, die Freundin suchend. Sie wurde in die Gemächer der Fürstin geführt. Nach Verlauf einer Stunde brachte diese den Gast in die erleuchteten Zimmer, wo sich zuerst der General ihr vorstellen ließ, was mit einem großen Aufwand alter, chevaleresker Phrasen von seiner und mit einem leichten Kopfnicken und einem munteren Lächeln von ihrer Seite geschah, danach bei der übrigen Gesellschaft die üblichen Präsentationen stattfanden. Es war eine fremdartige Erscheinung, die elegante Französin, die Blüte der modernsten Bildung, sich hier im Saal unter den Gestalten einer kräftigen Zeit und einer anderen Gesittung bewegen zu sehen. Denn so sehr die Mode ihr ausgleichendes Gepräge jeder Erscheinung unserer Tage auszudrücken pflegt, so hatte sich hier doch manche Eigentümlichkeit erhalten. Eine lange Zeit stand die Vicomtesse neben dem Genera. Hier schien es, als ob das 18. Jahrhundert sich mit dem 19. beim Schimmer der Girandolen unterhielt. Die schöne Frau, in ihrer bequemen Haltung, mit ihren weichen, runden, blütenweißen Formen, mit ihren lang herabstürzenden, schwarzen Locken und den munteren, blitzschnellen Bewegungen, mit ihrem kleinen Füßchen, das, unter dem Seidenrock hervorglänzend, manchmal ungeduldig auf dem Boden Takt schlug, als wollte es die langsamen Worte des Sprechenden beschleunigen. Ihre weißen Hände, die mit der Kette und dem Augenglas spielten, kontrastierten anmutig gegen den Greis mit schneeweißen Haaren, und in der strengen, militärischen Haltung, mit dem Rock und dem Gesicht, die beide einer vergangenen Zeit angehörten, mit Blicken, die stolz und gütig niedersahen, wie man auf ein hübsches Kind hinzublicken pflegt. Allein Frau von Sanneterre war nicht geneigt, eine fortgesetzte, streng zeremonielle Unterhaltung zu führen. Es lag nicht in ihrer Weise, geduldig in die Gesellschaftsnormen, wo diese noch einen beschränkenden Charakter an sich trugen, zu fügen. Sie entfernte sich also vom General, machte sich auch von der Fürstin los und wählte den schnellfüßigen Franz zu ihrem Begleiter, um durch die Säle zu laufen, hier und da stehen zu bleiben, um ein Bild zu betrachten und im Übrigen zu tun und zu sprechen, was sie wollte. Franz ergötzte sich an diesem Treiben. Leider aber musste er seinen Führerdienst bald aufgeben. Ernst erschien, nachdem man ihn aufgesucht und von der Ankunft der Vicomtesse unterrichtet hatte. Das Wiedersehen war von einer stürmischen Zärtlichkeit begleitet. Nachdem Franz einen Moment hindurch die Gruppe mit einem sarkastischen Lächeln betrachtet hatte, verschwand er diskreter Weise, um nicht zu stören.

»Ist es möglich, Blanche, Sie hier?«, rief Ernst, indem er die kleine Hand unermüdlich an die Lippen drückte.

»Haben Sie daran gezweifelt, dass ich kommen würde?«, fragte Frau von Sanneterre. »Ich schrieb Ihnen doch, dass mich ein Gelüst umwandelte, bei Ihrer Hochzeit gegenwärtig zu sein. Nun, mein Freund, Sie könnten wissen, dass ich meine Entschlüsse immer sehr schnell ausführe.«

»Sie machen mich unbeschreiblich glücklich, teure Blanche. Haben Sie meine Braut gesehen?«

»Nein.«

»So werde ich sie Ihnen bringen.«

»Nicht doch – bleiben Sie. Ich will mich fürs Erste mit Ihnen begnügen. Das ganze gotische Schloss ignoriere ich. Himmel! Wie viel Seltsamkeiten sieht man hier! Welche Menschen, welche Gegenden, welch ein Schnee, wie viel Dunkelheit und Kälte! Ich habe mir immer nach Viktor Hugos Romanen und nach Balzacs Seraphita dieses schauerliche Skandinavien, diese Gegenden, wo um Mitternacht die Sonne scheint, schon grauenvoll genug gedacht. Allein die Wirklichkeit überbietet jeden Traum der Fantasie. Dafür will ich meine Pariser Freunde auch von einem Entsetzen ins andere jagen, wenn ich ihnen von diesen Streifereien am Nordpol erzähle. Ich werde meine Musiker und Poeten mit Stoffen zu ganz neuen Opern versehen. Dazu zeichne ich Skizzen. Vorzüglich muss eine Ansicht der Sonne um Mitternacht Effekt machen.«

»Geliebte Blanche«, bemerkte Ernst mit Lächeln, »Sie sind im Irrtum, die Sonne um Mitternacht ist nicht hier zu finden. Da müssen Sie höher, viel höher hinauf.«

»Noch höher?«, rief Frau von Sanneterre und presste die Hand vor die Augen, »ach, ich kann nicht. Kein Gott bringt mich noch höher hinauf! Und wie, mein Lieber, Sie fragen nicht nach Poppäa?«

»Sie haben sie in Rom zurückgelassen.«

»Ich sie zurücklassen? Welch ein Einfall! Sie ist bei mir, sie hat die lange Reise mitgemacht, ich habe ihr im Wagen ein Bett zubereiten lassen. Der schöne Engel hat so süß geschlummert, als läge er daheim auf seinem Rosenlager. Ach, Sie wissen, Ernst, dass ich ohne ein Wesen, das mich liebt und das ich ebenfalls liebe, nicht existieren kann. Ich bedarf so sehr eines Herzens, das mich versteht.«

»Wenn irgendetwas Sie für das Opfer dieser Reise entschädigen darf, geliebte Blanche, so lassen Sie es meine Freundschaft sein.« Er berührte mit einem leichten Kuss ihre Stirn.

Ein Beifallsgemurmel vom Saal her ließ sich hören und störte die Vertrauten in ihrem leisen Geplauder.

Frau von Sanneterre warf einen Blick durch die halb offene Tür des Kabinetts und rief lebhaft: »Poppäa ist im Saal erschienen. Kommen Sie, Ernst, wir dürfen die Kleine nicht dem Sturm der Begrüßungen und Umarmungen einer fremden Menge aussetzen. Sie ist von der Reise noch zu schwach, um dies zu ertragen.«

Blanche zog den Grafen nach sich und beide traten in den Saal, wo sie einen weiten Kreis geschlossen fanden, in dessen Mitte sich die Pflegetochter der Französin, auf einer Erhöhung stehend und in ein auffallendes Kostüm gekleidet, bewegte. Ein Bärenfell, mit vergoldeter Kette auf der Brust gehalten, legte sich um die Schultern und hing hinten in einer Schleppe herab. Ein Kranz aus Eichenblättern zierte das Haupt. Die rechte Hand hielt eine kolossale Keule aus Pappe gefertigt. Nie sah man einen grotesken Anblick so eigentümlicher Art. Die blasseste, magerste, schwächste Gestalt zeigte sich behängt mit den Attributen der Stärke und Wildheit. Unwillkürlich hatte man den Eindruck, als sei an einem Blumenstängel ein Pelzhandschuh aufgehängt. Die dürren Arme, welche die Keule schwangen, kamen unter dem schwarzen Wulst des Bärenfells wie zwei elfenbeinerne Stöckchen zum Vorschein. Das bleiche Gesicht mit den großen blauen Augen verlor sich, kaum sichtbar unter dem überhängenden Eichenlaub. Frau von Sanneterre stieß einen lauten Schrei der Bewunderung aus, als sie ihren Liebling erblickte. Allein man winkte ihr, zu schweigen, denn Poppäa deklamierte eben Verse, in welchen sie kund tat, dass man sie für den Genius des Nordens zu halten habe, und dass sie erschienen wäre, um bei der Vermählung eines liebenden und geliebten Paares gegenwärtig zu sein. Nebenbei versicherte sie, dass das Königreich Preußen ewig dauern werde.«

Die letzten Worte setzten die Menge in Kenntnis über den Zweck der ganzen Erscheinung. Man klatschte Beifall. Der Genius des Nordens, unfähig sich länger unter der Last seines Bärenfelles zu halten, sank ohnmächtig in die Arme zweier Gardeoffiziere, die ihm den Kranz und den Mantel abnahmen. Die Frauen drängten sich an die Vicomtesse, indem sie ihr für diese schöne poetische Überraschung dankten, doch Blanche, glühend vor Freude über die Triumphe ihres Lieblings, versicherte, von allem nichts gewusst zu haben. Es sei dies ein Impromptu ihrer Freundin, die sich heimlich die Maske in Berlin habe zubereiten lassen. Der Beifall wollte nicht enden. Als Poppäa sich erholt hatte, eilte sie und stürzte sich in Ernsts Arme, der sie etwas kalt, nach einem kurzen Gruß, beiseiteschob. Die Gesellschaft hatte durch diese Szene etwas von ihrer Förmlichkeit und Gezwungenheit verloren. Man fing an, sich in Gruppen zu teilen und durch die Gemächer zu wandeln. Mittlerweile vergingen die Stunden, die Trauungszeremonie rückte heran. In einem halbrunden kleinen Saal, welcher der Gesellschaft fürs Erste noch nicht offen stand, hatte man die Anordnungen zur kirchlichen Feier getroffen. Ein kostbarer Teppich war ausgebreitet und bezeichnete die Stelle, wo das Brautpaar und der Prediger stehen sollten. Zwei Girandolen waren zu beiden Seiten aufgestellt und hielten, da sie die einzige Beleuchtung des Saales bildeten, den Lichtglanz um die Hauptgruppe geschlossen, indem sie zugleich, an die Altarkerzen der Kirche erinnernd, der Szene einen Charakter der Feierlichkeit und Würde gaben, der mit dem priesterlichen Akt zusammen stimmte. Je näher der zeremoniöse Moment kam, desto stiller und gesammelter wurde wieder die zerstreute und lebhafte Gesellschaft. Man vereinigte sich im Saal und erwartete den Ruf, um in das Heiligtum aufzubrechen. Die Braut hatte sich der Sitte zufolge nicht sehen lassen. Sie sollte erst auf dem Teppich stehend der Menge sichtbar werden. Allein es dauerte etwas lang. Nun verschwand auch der Bräutigam. Die Ungeduld wurde allgemein. Man flüsterte zusammen, das Plaudern der jungen Damen verstummte völlig, während sie sich in einige tiefe Fensterwölbungen zurückzogen. Nur wenige, und zwar die hartnäckigsten und unabweislichen Verehrer wagten es, den Schönen nachzufolgen, um die peinliche Stille durch einige Scherze zu zerstreuen, die aber keinen Beifall fanden. Wir wollen sehen, was der Grund dieser Verzögerung war.