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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 9

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 9

Cora

Während der ersten Tage, nach dem Eintritt der Negerin in dem Haus Eusebius van der Beek, bemerkte dieser ihre Gegenwart nicht einmal. Er gab sich ganz der Sorge um seinen Handel hin, dem Glück, mit welchem Unternehmungen, die er versuchte, ihn fortwährend gelangen, wie am ersten Tag. Er berechnete mit Freude, die an Trunkenheit grenzte, die Monate, während welcher er noch so fortfahren musste, um den beträchtlichen Verlust zu ersetzen, den er erlitten hatte. Nun, da er mehr als jemals das Glück sich auf seine Seite wenden sah, war er noch fester entschlossen, Esther den Fehltritt zu verbergen, den er unwillkürlich begangen hatte.

So kehrte er beim Beginn des Kampfes, den er gegen das Schicksal unternommen hatte, in sein Haus nur zurück, um Ruhe zu genießen und es am nächsten Morgen mit Tagesanbruch zu verlassen. Esther war mehr als je allein, aber da sie ihren Gatten nun fast immer heiter lachen sah, fühlte sie sich nicht versucht, sich über seinen Arbeitseifer zu beklagen, obwohl sie darüber staunte, wie begierig er sich zu bereichern suchte.

Indessen war Eusebius’ Glück nicht ganz ohne Wolken. Zuweilen erkältete ein plötzlicher Gedanke sein Herz mitten unter den Regungen der Freude, welche die Einziehung seiner Gewinne ihm verursachte. Er schien ganz verwirrt zu sein. Dann fragte er sich, ob er, seitdem das Fieber des Reichtums sich seiner bemächtigt hatte, nicht aufgehört hätte, für seine Frau die ungeteilte Liebe zu hegen, die sie ihm früher einflößte. Es schien ihm, als ob das Klirren der Goldstücke, welche seine Finger bewegten, etwas von dem höllischen Gelächter des Doktor Basilius an sich hätte. Er erblickte das Profil des Doktors in dem Bild jedes einzelnen Gesichtes auf den Goldstücken.

Aber er war viel zu sehr dabei interessirt, sich zu beruhigen, um diesen Täuschungen nachzugeben. Er sagte sich, dass der Durst nach dem Reichtum, dessen Esther gleich ihm genießen sollte, auch eine Art sei, ihr seine Zärtlichkeit zu beweisen, dass er die Schätze nur deshalb zu erringen wünschte, weil er sie damit überwerfen wollte. Er wies die finsteren Fathasien zurück, welche die ersten Tage, die der Verwirklichung seiner Hoffnungen folgten, vergiftet hatten.

Je weiter er kam, desto leichter wurde diese Aufgabe. Er hatte nach einiger Zeit dieser Kämpfe die Überzeugung gewonnen, dass Esther fortwährend allein in seinem Herzen herrschte. Es war ihm gelungen, die Erinnerung an den Doktor Basilius so zu verbannen, dass er an denselben nur noch dachte, wie an ein schmerzhaftes Alpdrücken, das ein dumpfes Gefühl zurücklässt, und dass er dahin gelangte, sogar die Wirklichkeit dessen zu bezweifeln, was zwischen ihnen vorgefallen war.

Indessen gelang es ihm doch nicht gänzlich, die Vorwürfe zum Schweigen zu bringen, die er sich in seinem Gewissen darüber machte, Esther oft so viel lange Stunden der Einsamkeit preiszugeben, obwohl kein Zug auf ihrem Gesicht ihren Unwillen darüber verriet. Er versuchte aber sein Unrecht gut zu machen, indem er durch Vergnügungen ersetzte, was er ihr an Glück entzog. Um ihm angenehm zu sein, musste die junge Frau sich darein ergeben, ihr bisher so friedliches Hauswesen mit dem Seelenzustand ihres Mannes in Einklang zu bringen und sich in einem Wirbel von Gesellschaften und Festen, welche ihm die Erinnerung an die Vergangenheit nur um so bitterer machten, zu betäuben.

Während einer Nacht, die auf ein großes Diner folgte, bei welchem Eusebius, der allmählich die Gewohnheiten der Kolonisten annahm, mit einer ihm nicht gewöhnlichen Unmäßigkeit getrunken hatte, schlief er in einem Zimmer, welches mit dem seiner Frau durch einen kleinen Gang zusammenhing. Plötzlich schien es ihm in der Betäubung, in welcher er lag, als ob zwei brennende Lippen sich auf die seinen pressten. Er fuhr aus dem Schlaf empor und streckte die Arme aus, aber er konnte nichts erfassen. Indessen hörte er leichte Tritte auf der Rohrmatte, welche den Fußboden bedeckte und die Vorhänge der Tür, die zum Zimmer Esthers führte, bewegten sich in ihren schweren Falten.

Eusebius stand rasch auf und eilte zumm Zimmer seiner Frau. Esther schlief sanft und ruhig. Die Wiege, in welcher das Kind lag, stand vor ihrem Bett. Sie konnte also nicht bei ihrem Mann gewesen sein.

Eusebius blieb einen Augenblick nachdenkend stehen, meinte dann, er sei das Spielwerk eines Traumes gewesen, und kehrte in sein Bett zurück.

Am nächsten Morgen, als er, ehe er zur Stadt hinabging, seiner Frau Lebewohl sagte, fand er die junge Amme bei ihr und hörte, wie Esther sie sanft ausschalt. Er fragte, welchen Grund zur Klage Cora ihr gegeben hätte. Sie sagte ihm, seit einiger Zeit scheine die junge Negerin ohne Ursache der Last irgendeines geheimen Kummers zu erliegen. Sie machte ihn auf die abgemagerten Züge der Amme, auf die Niedergeschlagenheit ihres Zustandes in diesem Augenblick aufmerksam und fuhr dabei fort, Cora teilnahmvolle Vorwürfe über ihren Mangel an Vertrauen gegen eine Gebieterin zu machen, die ihr so schnell und so aufrichtig ihre Zuneigung geschenkt hatte.

Cora antwortete nichts. Sie wiegte auf ihren Armen das ihrer Sorgfalt anvertraute Kind. Von Zeit zu Zeit küsste sie es mit einer Art fieberhafter Leidenschaftlichkeit. Dabei folgte jedem ihrer Küsse ein Blick, den sie auf Eusebius richtete.

Wenn dieses Benehmen Esther entging, welche der jungen Amme den Rücken zuwendete, so konnte Eusebius davon nichts verlieren. Es lag in dieser Liebkosung ein so eigentümlicher Ausdruck, die Augen Cora’s brannten, indem sie ihn ansah, mit so glühendem Feuer, dass es ihm schien, als gäbe das Herz der jungen Negerin diese Küsse nicht seinem Kind: er erinnerte sich dessen, was er während der vergangenen Nacht bemerkt hatte und lächelte.

Die Zeit war schon fern, in der Eusebius sich über jeden Gedanken empörte, welcher zum Gegenstand nicht die Frau hatte, welche Gott ihm zur Gattin gab.

Wenn die auffallende Schönheit der Negerin ihn kalt und gleichgültig ließ, so war wenigstens so viel klar, dass jenes Zartgefühl des Herzens, die das Bindemittel aller innigen und unbedingten Zuneigungen ist, bei ihm bereits abgestumpft war. Er empfand noch keine Begierde, aber er hatte schon keinen Widerwillen mehr.

Der Unterschied zwischen dem Gebieter und der Sklavin war so groß, dass er nicht daran dachte, sich durch die Zärtlichkeit beleidigt zu fühlen, die sie ihm so leidenschaftlich und so unbefangen ausgesprochen hatte. Er verachtete diese Gefahr zu sehr, um ihr die Gunst zu erweisen, sie zu fürchten und besonders, um Esther anzuvertrauen, was er entdeckt zu haben glaubte. Es fing bei Eusebius van der Beek alles an, Berechnung zu werden. Wie es die Gewohnheit der Menschen ist, die sich dem Positiven der Geschäfte ganz hingeben, berechnete er den Wert der gleichgültigsten Handlungen des Lebens.

Wie wir soeben zeigten, hatte Esther eine eigentümliche Zuneigung für das Mädchen gefasst, welchem die Sorge für ihr Kind anvertraut war. Sie brachte mit ihr die langen einsamen Stunden hin, welche die Geschäfte ihres Mannes ihr ließen. Dies war doppelt nützlich für Eusebius, welcher sich wohl hüten musste, das gute Einverständnis zu zerstören, welches zwischen der Gebieterin und der Sklavin herrschte und das seinen Interessen diente.

Wäre es ihm möglich gewesen, die Stelle Coras bei Esther durch eine andere ersetzen zulassen? Hätte seine Frau, der Zerstreuung beraubt, welche sie in der Gesellschaft des jungen Mädchens fand, vielleicht von ihrem Mann verlangt, sein Kontor zu verlassen, um bei ihr zu bleiben?

Diese Betrachtungen flogen wie eine Wolke durch Eusebius Gehirn und das Lächeln, welches wir seine Lippen umspielen sahen, war die ganze Aufmerksamkeit, die er einem Benehmen schenkte, welches ihn erschreckt haben würde, hätte er die Erinnerung zu seinem Beistand ausrufen wollen.

Am folgenden Tag war Eusebius, was er auch tun mochte, mit der jungen Amme beschäftigt. Ging er durch die Gänge der Gärten oder durch die Zimmer seines Hauses, so fand er sie beständig auf seinem Weg. Es schien, als vervielfältige sie sich, um sich überall zu befinden, wo Eusebius war. Bald bemerkte er sie durch die Gebüsche des Gartens irrend, den Kopf auf die Brust herabgesunken, den Samt ihrer schönen Augen gerötet durch Tränen; bald aber sah er sie wieder durch die Stäbe einer Jalousie auf einem Stein sitzen, den brennenden Strahlen der Sonne der Fenster gerade gegenüber ausgesetzt, schauend, ohne zu sehen, horchend, ohne zu hören, mit Leib und Seele versetzt in die ideale Welt ihrer Träumereien.

Wenn er ein Zimmer betrat, um eine der Berechnungen anzustellen, die ihn Tag und Nacht beschäftigten, und in welchen er sich allein glaubte, hörte er plötzlich hinter sich einen sanften monotonen Gesang in einer ihm unbekannten Sprache. Er wandte sich um. In einer Ecke bemerkte er die schwarze Gestalt, welche, in ihre schöne Kleider von weißem Wollenzeug gehüllt, den Säugling mit einem Liedchen ihres Landes einschläferte.

Ein anderes Mal, wenn er durch einen Gang ging, hörte er flüchtige Schritte, die den Fußboden kaum zu berühren schienen, sich entgegenkommen. Es war Cora, die, wenn er an ihr vorüberging, sich gegen die Mauer drückte und deren heißen Atem er dennoch sein Gesicht berühren fühlte.

Bedurfte er irgendetwas, verlangte er irgendeinen Dienst, so war es stets die Amme, welche erschien, um denselben zu leisten. Wenn sie auch stumm blieb, so sprachen doch jederzeit ihre Blicke zu seinem Herzen und richteten an Eusebius in eben dieser Sprache Bitten der Liebe.

Ehedem würde eine solche Zudringlichkeit Eusebius wenigstens ungeduldig gemacht haben. Seitdem seine Seele die edle Strenge verloren hatte, welche eine heilige Leidenschaft verleiht, wurde durch ein solches Benehmen nur noch seine Eigenliebe gekitzelt. Bei den Regungen des Mitleides, die in ihm entstanden, wirkte die befriedigte Eitelkeit weit mehr mit, als Teilnahme, wenn er den Zustand bemerkte, in welchen die Liebe seine Sklavin versetzt hatte.

Eines Abends arbeitete Eusebius noch spät. An einem kleinen Tisch in dem Zimmer seiner Frau berechnete er seinen Gewinn, wie er dies täglich zu tun pflegte, als ob diese Beschäftigung für ihn die süßeste Zerstreuung gewesen wäre, die er nach einem Tag der Anstrengung hätte finden können.«

Esther wiegte ihr Kind auf ihren Knien und versuchte, ihm sein erstes Lächeln zu entlocken. Neben ihr saß Cora auf einer Matte, hinter ihr standen in verschiedenen Gruppen die anderen Frauen Esthers.

Plötzlich, als Eusebius die Augen zu seiner Frau erhob, sah er in ihren Fingern einen goldenen Schein blitzen, wie der des Goldes. Es war ein Stein mit metallischem Widerschein, den die Negerin ihrer Gebieterin geschenkt hatte und dem diese in den Strahlen des Lichtes spielen ließ, um die Augen des Kindes daran hinzulenken.

Eusebius entriss diesen Stein den Händen Esthers mit einer so heftigen Bewegung, dass er sie erschreckte. Ohne ein Wort an sie zurichten, besichtigte er neugierig den Stein.

»Wo hast du das her?«, fragte er endlich mit einer Stimme, die vor Aufregung zitterte.

»Cora hat ihn mir gegeben«, erwiderte die junge Frau. »Aber was ergreift dich denn bei diesem Stückchen Kiesel so lebhaft, mein Freund?«

Eusebius gab den Dienerinnen Esthers ein Zeichen, sich zu entfernen, und der Amme ein zweites, zu bleiben.

»Cora«, sagte er zu dieser, »hast du zuweilen gewünscht, die Freiheit zu erlangen?«

»Ja«, erwiderte sie, »ehe das Kind, an dessen Stelle das Eure getreten ist, tot war, träumte ich, als die schönste Erbschaft, die eine Mutter ihrem Sohn hinterlassen kann, die Freiheit. Jetzt möchte ich sie nicht mehr.«

»Arme Cora!«, sagte Esther, welche in den Worten der Negerin den Ausdruck einer Anhänglichkeit sah, durch welche dieselbe die Zuneigung erwiderte, die ihre Gebieterin ihr bewies. Für Eusebius hatte der Ton, mit welchem Cora ihre Worte sprach, eine zu große Übereinstimmung mit den Blicken, die er oft bei ihr überraschte, als dass er sich aber das Gefühl, durch welches sie eingegeben worden waren, hätte täuschen können.

»Cora«, sagte er, »es ist keine arme und von Sorgen bedrückte Freiheit, die ich dir zu bieten hätte, wenn die Hoffnungen, die ich bei Betrachtung dieses Kiesels hege, sich verwirklichen sollten. Es ist der Reichtum, das heißt, der Besitz alles dessen, was dein Herz hienieden wünschen kann, alles dessen, was dein Glück auf dieser Erde zu begründen vermag.«

»Nein«, sagte Cora, indem sie den Kopf schüttelte, »die arme Cora hat in dieser Welt nichts zu hoffen. Gott selbst könnte ihr nicht geben, was ihr Herz haben möchte.«

»Siehst du nicht, dass das arme Mädchen fortwährend ihr Kind betrauert?«, sagte Esther mit leiser Stimme, indem sie sich zum Ohr ihres Mannes neigte. »Erwecke doch nicht so schmerzhafte Erinnerungen bei ihr.«

»Es mag sein«, sagte Eusebius, der unwillkürlich errötete. »Aber Cora ist jung und der Kummer, der ihr das Herz bedrückt, kann verschwinden.«

Obwohl Eusebius diese Antwort mit leiser Stimme gegeben hatte, war sie Cora dennoch nicht entgangen und diese sagte: »Nein, Cora wird aufgehört haben zu leben, bevor ihr Kummer verschwunden ist.«

»Aber du hast doch vielleicht in dieser Welt irgendeine Neigung?«, erwiderte Eusebius, der, ganz seinen eigenen Gedanken hingegeben, nicht sah, dass er eine schändliche Handlung beging, indem er die Teilnahme, welche seine Frau der Negerin bewies, dadurch missbrauchte, dass er die Leidenschaft derselben ausbeutete.

»Ach, ja wohl!«. sagte Cora mit innigem Gefühl.

»Wärest du nicht zum Beispiel froh, wenn du zum Glück der Gebieter beitragen könntest, die dich mehr wie ihr Kind, als wie eine Sklavin behandeln?«

»Was soll ich tun, um ihnen nützlich zu sein? Sprecht! Verlangt Ihr mein Blut?

»Gute Cora!«, sagte Esther.

»Es ist weniger erforderlich«, sagte Eusebius. »Trachte nur, deine Erinnerungen wachzurufen. Wo hast du diesen Stein gefunden? Weißt du es?«

»Ich erinnere mich darauf, als ob es erst gestern gewesen wäre, dass er in meine Hände fiel, und gleichwohl ist es schon lange her.«

»Sprich, Cora, wir hören.«

»Mein erster Herr war ein weißer Mann, der meine Mutter gekauft hatte, als ich noch nicht größer war, wie das weiße Kind, dem ich jetzt meine Milch gebe. Wir wohnten in der Provinz Preangers, am Fuße des Berges Golung-Gung. In einer Nacht – ich hatte damals zehn Regenzeiten auf zehn heiße folgen sehen – wurden wir durch das Geschrei aller Bewohner des Hauses sowie durch dumpfes und schallendes Getöse erweckt. Meine Mutter stand hastig auf und verließ das Haus, indem sie mich auf ihre Arme nahm. Die Erde zitterte unter ihren Füßen und hinter uns stürzten die Mauern des Hauses zusammen. Draußen wartete unser ein fürchterliches Schauspiel. Der Berg war mit dickem Rauch bedeckt, der von Zeit zu Zeit von hohen Flammensäulen durchzuckt wurde, welche bis zu den Wolken emporstiegen. Die Atmosphäre war von einem heißen stinkenden Dunst erfüllt, dessen Einatmen beinahe unmöglich fiel. Man hörte Ströme siedenden Wassers in gewaltigen Massen von Fels zu Fels niederdonnern. Der dunkle Schein, den die Flammen des Berges verbreiteten, zeigte uns die Bäume, die Häuser, die Hügel, fortgerissen oder niedergebrannt durch diesen Glutstrom. Die Dampfwirbel, die er hinter sich ließ, bezeichneten seinen Lauf. Kaum war noch eine Stunde Weges erforderlich, so erreichte er den Ort, an dem wir uns befanden. Alle entflohen, die Frauen trugen auf ihren Armen ihre kleinsten Kinder, wie meine Mutter mich trug. Die Männer beluden sich mit ihren wertvollsten Gegenständen und trieben ihr Vieh vor sich her. Das entsetzliche Tosen des Wassers, das uns verfolgte, kam immer näher und näher. Alle beschleunigten ihren Lauf. Die Last, welche meine Mutter trug, drückte sie nieder und rieb ihre Kräfte auf. Bald kamen uns diejenigen voraus, mit denen wir das Haus zugleich verlassen hatten, bald wurden auch die Schritte meiner Mutter schwerfälliger und ihre Beine brachen unter ihr zusammen.

In diesem Augenblick sprengte ein Mann zu Pferde im Galopp an uns vorüber. Es war unser Gebieter.

»Wirf dein Kind fort!«, sagte er zu meiner Mutter. »Es ist das einzige Mittel, dein Leben zu retten.«

Meine Mutter antwortete nur dadurch, dass sie mich dichter au ihren Busen schloss. Der Herr war wütend über einen Ungehorsam, der ihn zwei Sklavinnen statt einer kosten konnte. Er brach deshalb in Verwünschungen und Drohungen aus und wollte meine Mutter mit einer Waffe schlagen, die er in der Hand hielt. Diese neue Gefahr gab ihr ihre Kräfte zurück und sie entfloh vor ihrem Gebieter, wie sie soeben vor der glühenden Lava entflohen war, mit welchem der Berg Golung-Gung die Ebene bedeckte. Sie hatte mich auf ihren Rücken gesetzt, um in ihren Bewegungen freier zu sein. Schon fühlte ich an meinen Schultern den glühenden Atem vom Pferd unseres Herrn, als meine Mutter einen Fels, neben dem wir vorüber kamen, mit einer Schnelligkeit und Kraft erkletterte, die bei der Erschöpfung ihrer Kräfte unmöglich schienen. Auf den Schrei der Wut, den unser Herr ausstieß, als er sah, dass sie ihm entrann, folgte ein zweiter voll Entsetzen und Todesqual. Indem er sein Pferd umwendete, bemerkte er, dass der Feuerstrom ihn an Schnelligkeit übertroffen hatte. Er ließ sein Pferd einen gewaltigen Satz machen, um eine kleine Schlucht zu überspringen, in welche der Strom sich zu ergießen angefangen hatte, aber betäubt durch die Schwefeldünste, die der Lava entströmten, erreichte das Tier das entgegengesetzte Ufer nicht und beide stürzten hinab in die Lava, die sich über ihrer Beute schloss. Der Fels, auf welchen meine Mutter sich geflüchtet hatte, lag an dem Abhang des Berges Taikoekoie, der den Golung-Gung berührt. Hätte sie den Berg ersteigen können, so würden wir beide gerettet gewesen sein, aber hinter uns erhob sich eine senkrechte Felswand, und nun, wo das siedende Wasser des Vulkans zu unseren Füßen tobte, durften wir nicht mehr daran denken, die Höhen auf einem anderen Weg zu erreichen. Meine Mutter blieb regungslos auf dem Felsblock stehen, indem sie vielleicht hoffte, dass der heiße Strom die Höhe nicht erreichen würde, auf welcher wir uns befanden. Die Dünste, die demselben entströmten, drohten uns zu ersticken, aber zum Glück rieselte an dem Orte an welchem wir uns befanden, ein Bach vom Berg herunter. Sie ließ mich von dem Wasser desselben trinken. Indem er in Absätzen von der Höhe herabfiel, hatte er eine Art von kleinem Becken in dem Fels gehöhlt. Sie tauchte mich in dieses frische klare Wasser. Gleichwohl erkannte sie mit Entsetzen, dass die Gefahr von Augenblick zu Augenblick wuchs. Der glühende Strom kam immer näher und näher. Bald war er nur noch wenige Schritte von uns entfernt und schlug schon an den Fuß des Felsens, auf den wir uns geflüchtet hatten. Meine Mutter nahm mich wieder in ihre Arme, schloss mich fest an sich und versuchte mich zu beruhigen. Dies gelang ihr so gut, dass ich einschlief, als ob ich in unserer Hütte gewesen wäre. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Horizont. Meine Mutter, die sich gegen den Felsen stützte, hielt mich noch immer in ihren Armen und schien ebenfalls zu schlafen. Ich machte mich leise aus ihrer Umarmung los, um sie nicht zu erwecken, und glitt auf die Fläche unseres Felsens nieder. Er war noch glühend heiß, aber die Lava hatte sich zurückgezogen. Man sah sie nur noch in der Schlucht, in welcher unser Gebieter seinen Tod gefunden hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Füße und die Beine meiner armen Mutter entsetzlich verbrannt waren. Ich rief sie, doch sie antwortete mir nicht. Ich schüttelte sie. Sie machte keine Bewegung. Ich fürchtete mich ebenso sehr vor ihrem Schweigen, wie vor der Einsamkeit, in der ich mich befand, und fing an zu weinen. Aber bei dem Alter, welches ich damals hatte, ist der Kummer nicht von langer Dauer. Kiesel, diesem hier ähnlich, die ich in dem Becken bemerkte, in welches meine Mutter mich während der vorhergehenden Nacht getaucht hatte, zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Wasser, welches von dem Fels herabstürzte, hatte sie von dem schwarzen Schlamm gesäubert, mit dem es ohne Zweifel, wie die ganze übrige Felsfläche, bedeckt gewesen war. Die Steine glänzten in den Strahlen der Sonne, die sie zurückwarfen. Ich spielte damit, als Leute, welche die Opfer der Katastrophe aufsuchten, uns fanden. Sie trugen meine Mutter fort und nahmen mich mit sich, doch nicht, ohne dass ich unter meinen Kleidern den Schönsten der Steine verborgen hatte, die mir so unterhaltend erschienen waren. Ich bewahrte ihn einige Zeit als ein Spielwerk. Dann erkannte ich, dass meine Mutter gestorben sei, indem sie mich gegen jede Berührung des heißen Stromes schützte und dass sie sich also opferte, um mein Leben zu erhalten. So wurde dieser Kiesel mit dem glänzenden Schein ein Erinnerungszeichen an meine Mutter.«

»Arme Cora«, sagte Esther, indem sie mit ihren weißen zarten Fingern durch das dichte Haar der jungen Negerin fuhr. »Du hast viel gelitten. Aber ich werde es versuchen, dein übriges Leben minder sorgenvoll zu machen, als der Anfang desselben war.«

Cora senkte die Augen und antwortete nicht. Eusebius konnte durch nichts von dem Ziel abgewendet werden, dem er zustrebte.

»Aber«, sagte er, »wenn du damals zehn Jahre alt warst, so würdest du jetzt vielleicht nicht den Fels wieder zu finden wissen, auf welchem sich der Austritt zutrug, den du soeben erzähltest.«

»Sagt, dass Euch damit ein Gefallen geschieht, verbindet mir dann die Augen und in der finstersten Nacht werde ich Euch hinführen«, sagte Cora mit voller Zuversicht.

»Mein Gott«, fiel Esther ein, »weshalb quälst du das arme Kind wegen einer Sache, die vielleicht nur eine Kinderei ist? Welchen Wert kannst du denn diesem Stein beilegen?«

»Esther«, sagte Eusebius. indem er seine Stimme dämpfte, als fürchte er, sie möchte durch die Mauern gehört werden, »dieser Stein ist ein Diamant!«

»Wirklich?«, sagte die junge Frau, indem sie den kostbaren Gegenstand mit kindischer Neugier betrachtete.

»Ja, ein Diamant, und wenn, wie alles dies vermuten lässt, er nicht der Einzige dort war, und man, indem man dem Bach folgt, der ihn in seinem Lauf mit fortgerissen hat, zu dem Gebiete gelangen kann, das diese Steine enthält, so urteile von dem Reichtum, den der Besitzer eines solchen Schatzes erwerben würde!«

Indem Eusebius so sprach, war seine Farbe lebhafter geworden und seine Augen funkelten in ungewöhnlichem Glanz. Esther wurde dadurch beinahe erschreckt.

»Mein Freund«, sagte sie, »wo ist die Zeit hin, zu welcher du unseren gegenwärtigen Reichtum zurückweisen wolltest? Wo sind die Pläne, uns der Schätze zu entledigen, nachdem wir sie dazu benutzt haben würden, unseren Kindern das zu begründen, was früher das Ziel unseres ganzen Strebens war, nämlich einen bescheidenen Wohlstand.«

Dieser Vorwurf, der erste vielleicht, den sie jemals an Eusebius gerichtet hatte, rührte diesen nicht, aber zum ersten Mal fühlte er sich dadurch gegen seine Frau aufgebracht.

Sobald das Herz, an welches man sich wendet, nicht mehr ganz eingenommen ist, wird es zu einem unverzeihlichen Unrecht, gegen dasselbe recht zu haben. Man verletzt es, man demütigt es, man verwundet es, ohne es zu überzeugen. Gleich allen Tyrannen sind die Leidenschaften taub gegen das, was ihnen nicht schmeichelt.

Die Worte Esthers, welche auf die fieberhafte Glut der Habgier fielen, von der die Seele ihres Mannes erfüllt war, brachte die Wirkung des Öls auf das Feuer hervor. Weit entfernt, ihn zu beruhigen, reizten sie ihn. Er antwortete voll Bitterkeit, verteidigte heftig das, was er die Liebe zu seiner Familie nannte, die Sorge für das Wohl der seinen. Die Tränen, die er aus den Augen Esthers fließen sah, als sie ihn um Verzeihung bat, rührten ihn nicht.

Obwohl die Ergebung Esthers in jeden Willen ihres Mannes für die Verlängerung von dessen Zorn keinen Vorwand ließ, währte es dennoch längere Zeit, bis der Friede zwischen beiden Gatten wiederhergestellt war. Mochte Esther immerhin die unglücklichen Worte, die diesen Sturm heraufbeschworen hatten, zu vergessen bitten, so kehrte Eusebius doch stets zu denselben zurück. Er konnte sich nicht entschließen, sie zu vergessen. Sein Unwille war so lebhaft, dass die arme Frau nach der kurzen und kalten guten Nacht, die sie von ihrem Mann empfing, gezwungen war, das freundliche und wohlwollende Lächeln zu beneiden, mit welchem Eusebius Cora antwortete, als die Negerin ihrem Gebieter sagte, er könnte, wenn er es wünschte, während einiger Tage den kostbaren Stein, die erste Ursache dieses häuslichen Zwistes, bewahren.