Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 12 Teil 3

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Wer beschreibt jedoch den Schrecken, den unterdrückten Zorn, die Besorgnis Sir Edmunds, als er wie gewöhnlich am folgenden Morgen nach dem Frühmahl bei der Königin eintretend, zu Häupten Katharinas Lady Willoughby sitzen sah, den einen Arm um die geliebte Herrin geschlungen, mit der anderen Hand ihr ein Getränk an die Lippen haltend. Die übrigen Fräulein befanden sich im Nebenzimmer beim Frühmahl. Nur der Arzt und der alte Priester saßen am Fuße des harten Lagers.

»Lady Willoughby«, sagte Sir Edmund streng, »Eure Anwesenheit hier ist gegen die Abrede.«

»Die Zeit wurde mir zu lang«, entgegnete Elvira ruhig, obwohl mit klopfendem Herzen, »und da ich Eurer Erlaubnis am Ende gewiss war, so hoffte ich, Ihr würdet mir verzeihen, wenn ich früher meinen Dienst anträte.«

»Dienst? Ihr dürft nicht bleiben«, sagte Sir Edmund.

»Oh, Sir«, bat Katharina mit flehendem Blick. »Ich habe nicht lange mehr zu leiden … duldet … sie … wenn ich Euch segnen soll.«

»Hohe Frau«, rief Sir Edmund außer sich, indem er achtungsvoll vor dem Lager niederkniete, »Gott weiß es, wie gern ich Euch dies und alles Liebe im Leben gönnte. Aber meine Befehle sind so streng. Bedenkt auch, dass Ihr durch diesen Besuch den Zorn Lady Anns gegen diejenigen erregt, die Euch teuer sind. Lady Mary ist in Annes Gewalt, Eure edlen Beichtväter Abell und Forrest schmachten in Ketten!«

»Wehe!«, stöhnte die Königin, ihre Hände ringend. »Geht, Elvira, verlasst mich! Ihr dürft nicht bleiben, um ihretwillen nicht.«

»Und dennoch werde ich es tun«, sagte Lady Willoughby entschieden. »Seht diesen Ring an, Sir Edmund, und sagt mir, ob Ihr ihn erkennt.«

»Wie! Des Königs Privatsiegelring!«, rief dieser betroffen aus.

»Gut, das wäre in Richtigkeit«, erwiderte Lady Willoughby. »Er wurde mir anstatt einer schriftlichen Erlaubnis von Seiner Majestät dem König selbst übergeben, den ich fußfällig um diese Gnade bat.«

»Warum zeigtet Ihr ihn nicht gleich vor?«

»Weil ich dem König um Annes willen versprechen musste, dass es ein Geheimnis bleiben solle. Nur im höchsten Notfall, wenn Ihr mir den Eingang verweigertet, sollte ich den Ring und damit des Königs stillschweigende Genehmigung vorweisen.«

»Gott sei gelobt dafür!«, sagte Sir Edmund. »Ich würde nimmer ruhig in meinem Bett geschlafen haben, hätte ich Euch forttreiben müssen. Wenn die Könige und Großen wüssten, wie schwer uns oft die Erfüllung ihrer Befehle wird.«

»Heinrich liebt mich noch!«, sagte Katharina sanft, während ein süßes Lächeln ihr bleiches, edles Gesicht überflog und verjüngte. »Er liebt mich noch, weil er Euch zu mir sandte, meine teuerste Freundin. Er wird meinen Brief auch nicht ungütig aufnehmen, noch verschmähen!«

»Wollt Ihr an ihn schreiben?«, fragte Sir Edmund.

»Wenn Ihr es erlaubt«, war die demütige Antwort, »und Ihr den Brief sicher übergeben wollt?«

»Ich schwöre es auf dieses Kruzifix, Majestät.«

»Ich danke Euch. Elvira, ich will ihn Euch diktieren, heute noch, nein, gleich jetzt. Ich fühle mich so schwach.«

Auf einen Wink der Lady reichte man ihr Tinte und Papier. Die Übrigen entfernten sich und Lady Elvira schrieb die folgenden Zeilen nach dem Willen der Sterbenden nieder.

Mylord und teurer Gemahl!
Ich empfehle mich Eurer Güte. Die Stunde meines Todes naht schnell. Die zärtliche Liebe, welche ich zu Euch hege, treibt mich, Euch zu ermahnen, dass Ihr an das Heil Eurer Seele denkt. Die Sorge um diese soll uns höher stehen, als die Sorge um Leib und Gut, um deren willen Ihr mich ins Elend verstoßen habt und Euch selbst bittere Reue bereitet. Was mich anbelangt, so vergebe ich Euch von Herzen und bitte Gott, dass er dereinst Euch nicht zur Rechenschaft ziehen möge. Ich empfehle Euch Mary, unser teures Kind, und flehe Euch an, ihr ein guter Vater zu sein. Ich bitte Euch für meine Jungfrauen, dass Ihr ihnen ein Heiratsgut gebt, ohnehin dies nicht kostspielig ist, da ihrer nur drei sind. Für alle übrigen Diener und Dienerinnen bitte ich, ihnen das Gehalt getreulich auszuzahlen, damit sie hier nicht Mangel leiden oder in ein anderes Land gehen können. Zu allerletzt schwöre ich, dass meine Augen sich über alles nach Eurem Anblick sehnen.

Katharina Regina.

»Nun lasst ihn sofort absenden«, sagte Katharina, nachdem sie mit großer Anstrengung das Schreiben unterzeichnet hatte. »Vielleicht erweicht es Heinrichs Herz und ich darf hoffen, ihn oder Mary zu sehen!«

Zwei Tage vergingen den Bewohnern des Schlosses von Kinbolton in ängstlichem Harren.

Katharinas sinkende Lebenskraft schien sich noch einmal am Anker der Hoffnung anzuklammern und sich wieder aufzuraffen. Da erscholl gegen Mittag die Glocke am Tore, deren Klingen sämtliche Besatzung auf die Füße brachte.

Man wusste, dass ein Eilbote nach London abgegangen war, dass die Gattin Heinrichs Besuch erbeten hatte.

Niemand glaubte daran, dass der König diese letzte Bitte gewähren werde. Nur die Kranke fuhr bei dem Ton zusammen und ihre Damen mussten sie stützen, damit sie nicht ohnmächtig wurde.

»Wenn er es wäre, Elvira?«

»Mut, meine teure Königin, Mut, auch eine Täuschung zu ertragen?«

»Täuschung? Oh, nein! Heinrich wird kommen.«

»Hört! Man nähert sich dem Zimmer«, rief Lisbetta und eilte zur Tür, wo nun Sir Edmund in Begleitung eines Herrn erschien.

»Ich bringe den Gesandten Eures erlauchten Verwandten, Hoheit«, sprach Sir Edmund mit bebenden Lippen, gegen das Bett gewendet. »Seine Majestät senden ihn zu Euch.«

»Er sendet ihn?«, sagte Katharina tonlos. »Er kommt nicht? Er kommt nicht?«

Sir Edmund wandte sich in höchster Bewegung ab und verließ das Gemach, indem er zwischen den Zähnen die Worte murmelte: »Vergebe ihm Gott, ich kann es nicht.«

Der Gesandte war Campucius, ein gelehrter, aber ebenfalls ränkesüchtiger Katholik. Er trat auf Katharina zu und legte feierlich seine Hand auf ihre feuchte Stirn.

»Ich bringe Euch Gottes Segen, hohe Frau, sowie den letzten Gruß Eures Gemahls und Eurer Tochter. Der Kelch ist bitter, den der Himmel Euch reicht, aber Engel umschweben Euch, wie den Herrn in Gethsemane, und werden Eure Seele stärken.«

»Niemand mehr … sehen … Nie … mand!«, stammelte Katharina, wie gebrochen in die Arme der Frau zurücksinkend.

»Urteilt nicht allzu streng, Hoheit«, sagte Campucius bewegt, »der König liebt Euch redlich, aber er glaubt, es wäre gegen seine Ehre, wenn er Euch nachgäbe. Als er Euren Brief las, brach er in heftiges Weinen aus und drückte ihn wiederholt an seine Lippen. Schon hatte er den Befehl gegeben, sein Pferd zu satteln und Lady Mary herbeizuführen, als Euer böser Geist, Lady Anne, ins Gemach trat und bei der Nachricht in Krämpfe verfiel. Ihr wisst, man erwartet ein zweites Kind. Die Angst um diese Frucht der Sünde gebot dem König, auch die Mutter zu schonen. Er versprach zu bleiben, aber er berief mich heimlich, sagte mir, dass Lady Willoughby sich hier befände, und bat mich, zu Euch zu eilen, Euch seiner Freundschaft zu versichern.«

»Ich verzeihe ihm«, sagte Katharina matt.

»Ihr bleibt bei uns«, bat Lady Willoughby mit einem bedeutsamen Blick auf ihre Herrin.

»Ja, so lange mein Besuch Euch lieb ist«, war die Antwort. »Wir können dann über alle Herzenswünsche Ihrer Majestät reden und ich werde sie getreu meinem Kaiser und dem Papst überbringen.«1

»Aber Sir Edmund soll immer bei unseren Unterhaltungen gegenwärtig sein!«, sagte Lisbetta.

»Dafür kann gesorgt werden«, entgegnete Lady Willoughby. »Wir reden alle Spanisch miteinander.«

»Vortrefflich, und ich werde Sir Edmund auseinandersetzen, dass wir auch seine Gegenwart im Krankenzimmer entbehren können. Die Königin von England soll als freie Frau sterben und nicht an ihr Gefängnis erinnert werden.«

Campucius hielt sein Wort. Nach einigem Widerstreben zog sich Sir Edmund aus den Gemächern der Königin zurück. Seine Untergebenen wollten wissen, dass er im Herzen sichtlich darüber erfreut sei.

Der Morgen des 7. Januar brach nach einer leidensvollen Nacht für die hohe Kranke an. Auf ihren Wunsch legte sie ihre letzte Beichte ab und ließ ihre Diener um sich versammeln. Mit einem liebevollen, fast verklärten Blick reichte sie ihren weinenden Frauen und dann den Dienern die Hand zum Abschied. Auch Sir Edmund hatte sie herbeirufen lassen und dankte ihm mit matter Stimme herzlich für eine milde, achtungsvolle Haft.

»Ich habe für euch alle gebeten«, sagte sie dann zu den Getreuen, »dass Seine Majestät eurer gedenken möge. Schätze habe ich euch keine zu hinterlassen. Ich sterbe nur reich in eurer Liebe und Geduld, aber der Segen Gottes wird auf euch ruhen! Bleibt dem König, meinem Gemahl, und unserer Tochter getreu sowie dem Papst und der römischen Kirche. Was ihr auch darum leiden müsset, haltet eure Seelen rein von den verderblichen Irrlehren der Ketzerei.«

Einige Stunden später empfing sie die heiligen Sterbesakramente, da sie selbst ihre Kräfte sinken fühlte. Nach dieser ernsten Handlung, welche für immer die Seele der Erde entrückt, lag die sterbende Dulderin mit bleicher Miene, aber sanften, verklärten Ausdrucks da, die Hände auf der Brust zusammengefaltet, und zwischen ihnen ein kleines Kruzifix mit dem Bild des Gekreuzigten. Gegen Mittag wandte sie langsam das Haupt gegen Lady Willoughby und deutete an, dass sie aufgerichtet zu werden wünsche.

Man willfahrte ihr, Campucius auf der anderen Seite des Bettes, legte einen Arm unter ihr Haupt und richtete es sanft auf.

Katharina lächelte liebreich, einen Augenblick glänzten die halb erloschenen Augen wie im Leben, sie streckte mit einer raschen Bewegung, als wolle sie jemand entgegeneilen, beide Arme weit aus und rief mit klarer, aber leiser Stimme:

»Domine memor esto mei!«

Dann fiel sie zurück, ihr Haupt auf die Brust Lady Willoughbys.

Niemand wagte zu reden, nur ein mühsam unterdrücktes Weinen und Seufzen unterbrach die tiefe Stille. Kaum bemerkbar, ohne äußeren Kampf entfloh die müde, im Tempel des Leidens geläuterte Seele Katharinas zum besseren Leben.

Sie war erlöst und frei.

Show 1 footnote

  1. Geschichtlich