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Oberhessisches Sagenbuch Teil 39

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Hexe gesehen

Einem mittelschlägigen Mann fiel eine Kuh. Es fiel ihm die zweite, dann die dritte, sodass er nur noch eine Einzige hatte, den grauen Scheck. Aber auch der schien etwas an sich zu kriegen. Nun wurde es dem Mann doch zu arg. Auf das Begehr seines Schwähers ging er auf Rat, weil das sicherlich eins dem Vieh angetan hatte. Also machten sich die zwei, der Mann und seine Frau, auf den Weg nach Grünberg zum Wasenmeister.

Als sie zu ihm eintraten, rief er ihnen schon entgegen: »Ihr kommt noch gerade vor Torschluss! Wäret ihr eine Stunde später gekommen, so wäre eure grau-blümige Kuh auch hin. Es ist eine Hexe in euerm Dorf, die hat euch das Schicksal angerichtet. Aber geht her, ihr sollt sie sehen.«

Nun stellte er einen Zuber mit Wasser mitten in die Stube und hieß sie hineinblicken. Sogleich sahen sie ihre nächste Nachbarsfrau, der sie so etwas nicht im Traum zugetraut hätten, im Wasser, und zwar splinterhagelnackt, wie sie unser Herrgott erschaffen hatte.

In ihrer Ärgernis wollte die Frau haben, der Wasenmeister sollte der verseuchten Hexe die Augen ausstechen. Allein er sagte, das dürfe er nun nicht mehr tun, vor Zeiten hätte man es wohl gekonnt. Dagegen gab er ihnen Gezeugs mit zum Brauchen bei der Kuh und befahl ihnen gar gestreng, ihr Haus fest zuzuschließen, weil die Hexe alsbald kommen und etwas leihen würde.

Richtig, sie kam auch, schnaubte und haselierte um alle vier Ecken herum, konnte aber nicht hinein. Selbst unter die Gläser lief sie, ob vielleicht eines offen wäre. Endlich wollte sie die Zitter, die an die Wagendeichsel befestigte Stange, an welche man das Vorspannvieh jocht, die auf dem Hof lag, forttragen, aber der Mann sprang ihr mit der Holzaxt nach wie ein Blutvergießer. Da entfloh sie mit Wehgeheul, und die Kuh war gerettet. Weil die Hexe aber eine mächtige Freundschaft im Dorf hatte, wurde die Geschichte gar bald wieder vermümpelt und vermampelt verdreht und totgeschwiegen.