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Die Riffpiraten – Kapitel 3

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 3
Die Plantage

Auf Kuba, jener glücklichen Insel, wo die Palme wächst, wo die Datteln und die Apfelsinen gedeihen, wo die tropischen Gewächse in ihrem natürlichen Boden wurzeln, wo der grüne Papagei und der schneeweiße Kakadu sich auf den Zweigen duftender Wälder wiegen, auf dieser glücklichen Insel, über welche der gütige Himmel das Füllhorn der Ernte in einem Jahr zweimal ausschüttet, hier liegt in der Umgebung von Havanna die Plantage des Daniel Isaak Madachai.

Ein prachtvolles, schlossartiges Hauptgebäude, das Wohnhaus des Pflanzers, umgeben mit blütenreichen Gebüschen, liegt auf einer Anhöhe, welche die Umgegend beherrscht, und bietet eine weite Fernsicht über Plantagen, Dörfer und Weiler, welche alle zu seiner Besitzung gehören.

Diese Besitzung, welche vor einem Jahr dem Madachai als Erbsitz zugefallen war, hatte nach der bei dieser Gelegenheit erfolgten Schätzung den Wert von zehn und eine halbe Millionen Dollar.

Wenn irdische Güter das Glück eines Menschen bedingen, so war Madachai glücklich, da er über eine fast fürstliche Besitzung zu gebieten hatte. Hierzu kam noch die glückliche Wahl einer jungen Gemahlin, die an natürlicher Herzensgüte und seltener Schönheit des Körpers gleich bewunderungswürdig war. Sie war eine Mestizin, unter dem heiteren Himmel von Santo Domingo in dem freien Negerstaat geboren, und hatte sich unter den Einflüssen der tropischen Natursegnungen entwickelt. Madachai, der sich vor dem Antritt seines Erbsitzes in Mexiko aufhielt, lernte sie dort als armes, jedoch tugendsames Mädchen, welches sich unter die Obhut einer Tante begeben hatte, kennen. Ihre Tugend und stille, anspruchslose Bescheidenheit sowie die Anmut ihres Wesens fesselten ihn, sodass er es als den Hauptmoment seines Glückes ansah, sie zum Altar führen zu dürfen. Sie, eine Christin, wurde seine Gattin, obwohl er ein Jude war.

Madachais Vater, welcher ein Jude vom alten Schlag oder wie man es nennt, ein Ortodoxer war, eiferte in fast unbezähmbarer Wut über diese Ehe und hätte den Sohn bei seinem bald erfolgenden Tod beinahe enterbt, wenn er nicht seinen törichten Eifer kurz vor seinem Hinscheiden rechtzeitig eingesehen hätte, obwohl das Testament mit einigen für die Nachkommenschaft Madachais misslichen Klauseln versehen blieb.

Nach dem Tod des Erblassers und kurze Zeit nach der Übernahme seiner Pflanzung ließ Madachai seiner Gemahlin zur Liebe und aus wahrer Überzeugung sich taufen, behielt jedoch seinem verblichenen Vater zu Ehren seinen vollen jüdischen Namen bei.

Der Plantagenbesitzer beschäftigte über viertausend Seelen von Negern und Weißen, welche alle unter dem Schutz des glücklichen Ehepaares ebenfalls glücklich waren. Sämtliche Sklaven, die ihm mit der Erbschaft zufielen, hatte er beim Antritt derselben sofort freigelassen.

Insbesondere ließ es sich seine neunzehnjährige Gattin angelegen sein, jede Not, jedes vorkommende Ungemach ihrer Leute zu überwachen und den Übeln möglichst abzuhelfen. Die beiden Ehegatten wurden daher auch von allen geehrt, die sie kannten, ihre Hand von allen ehrfurchtsvoll gesegnet, über die sie sich ausbreitete.

Es war eine Stunde nach Mittag. Alles flüchtete sich vor der verzehrenden Sonnenglut in den Schatten duftender Bäume oder in die Wohnungen, um sich während dieses heißen Tagesabschnitts der Ruhe und dem Schlaf zu überlassen, als sich zwei verdächtige Personen an den Umgrenzungen des Parks der Madachai’schen Besitzung umhertrieben.

Es waren eine Frau und ein Mann. Jene war in die luftigen Stoffe gekleidet, welcher die Bewohner der glücklichen Insel sich bedienen, und trug gegen den Sonnenbrand einen Hut mit großer Krempe, welche ihre fast nackten Schultern und den Oberkörper beschatteten. Der Mann war mit einer Art Beinkleid angetan, welches ihm bis zu den Knien reichte und über den Hüften durch einen Knopf gehalten wurde. Ein breiter Hut aus Palmblatt bedeckte seine Schläfe, während er im Übrigen nackt und barfuß war. Es war dieser Mann niemand anders, als der Indianer, und seine Begleiterin die ihm von dem Fremden beigegebene Frau.

Beide standen im Schatten einer riesigen Palme, welche hart an der Umzäunung des Parks lag, und von wo sie eine freie Aussicht in denselben hatten.

»Wir werden unsere Absicht nicht erreichen«, sagte der Indianer mürrisch. »Schon vier Tage haben wir vergeblich auf eine günstige Gelegenheit gewartet.«

»Und dennoch müssen wir dem Befehl nachkommen«, antwortete die Frau. »Auch hoffe ich, dass er endlich seinen Lieblingsplatz, die Laube dort an der Seeseite, einmal wieder zum Schlafen benutzen wird. Von hier aus sehen wir ganz genau, wenn er aus dem Haus geht.«

Hierauf trat eine lange Pause ein, in der die beiden Leute sich ihren verschiedenen Gedanken überließen. Der Mann hing mit langem, ernsten Blick an dem Wohnhaus des Pflanzers, während sich ein schmerzlichem sorgenvoller Zug über sein Antlitz verbreitete.

»Tausend!,« rief die Frau plötzlich und fuhr mit der Hand in ihrem Korb umher, »da habe ich wohl gar den Dolch im Gebüsch verloren! Doch nein, da ist er noch!« Nach diesen Worten holte sie einen scharf geschliffenen Dolch hervor, den sie wohlgefällig von allen Seiten betrachtete, nachdem sie ihn bedächtig aus seiner Scheide gezogen hatte.

»Die kleine Kanaille versteckt sich sogar am letzten Tag«, fuhr sie fort. »Aber macht Euch keine Sorgen, Mann. Wo der Wurm fehlt, den Ihr in Eurem Kasten habt, da hilft dieser.«

Sie zeigte wieder auf den Dolch, dessen Spitze rot angelaufen war und dessen Klinge in den Sonnenstrahlen blitze, die durch die Blätter des Baumes fielen.

Der Mann blickte seine Begleiterin von der Seite an. Ein Schauer schien ihn zu durchrieseln, was seine Begleiterin bemerkte und deshalb spöttisch sagte: »Aber, Mann, weshalb seid Ihr so niedergeschlagen? Ihr werdet Euch doch nicht vor unserem Vorhaben fürchten? Meiner Treu, Ihr seid doch kein Lehrling mehr in solchen Spielereien!«

Der Indianer antwortete nicht, ein tiefer Seufzer entstieg seiner offenbar beklommenen Brust, als das Weib fortfuhr: »Erzählt mir doch von Eurer verstorbenen Gattin, mit der Ihr so glücklich gelebt habt, wie Ihr sagt.«

»Sehr glücklich!«, meinte der Mann in verächtlichem Ton.

»Seht, Männchen«, fuhr die Frau fort, »die lange Seereise und das ununterbrochene Zusammenleben hat uns schon bekannt und vertraut gemacht. Ich wäre beinahe imstande, meine Gefühle gegen Euch zu verraten, da Ihr alle Liebenswürdigkeiten eines Mannes in Euch vereinigt.«

Während die Frau dies sprach, legte sie einen Arm um den Leib des Indianers und küsste ihn nach Beendigung ihrer Rede auf die Wange, um ihn hinterher zu beißen, dass das Blut herabfloss.

Der Indianer ließ einen leichten, durch Überraschung und Schmerz ausgepressten Ruf vernehmen und hob bereits die Hand gegen das Weib, sie zurückzustoßen.

Doch in diesem Moment wurde die Aufmerksamkeit beider durch das Erscheinen des jungen Ehepaares gefesselt, welches durch den Park einer dem See naheliegenden Laube zuschritt. Vor derselben trennte sich jedoch die Frau von Madachai, der in die Laube hineinging, während jene wieder dem Haus zuschritt. Die beiden versteckten Personen hatten keinen Blick von dem Paar gewendet, während dieses Abschied voneinander nahm. Indessen blieben sie still und regungslos, bis die Frau wieder das Haus erreicht hatte.

Dann sagte das Weib: »Jetzt ist es Zeit, Mann. Lassen wir die günstige Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen. Auf, mein Freund!«

Der Indianer bebte. Ohne eine Antwort zu geben, warf er einen wilden, zornigen Blick auf das Kästchen, welches an einem Riemen über seiner Schulter hing. Danach schwang er sich behände über den Zaun und verlor sich in den Gebüschen des Parks.

Endlich schlüpfte er in ein Gesträuch von einer einheimischen niedrigen Pflanzenart, welches sich in einem Halbkreis bis zu der gedachten Laube hinzog, bei der er bald anlangte.

Die Laube, außerordentlich fest von Schlingpflanzen gebildet und umrankt, bot ihm anfangs keine Gelegenheit, durch die Wandungen einzudringen, bis er endlich eine kleine Öffnung in der Nähe des Bodens entdeckte, durch welche er schlüpfte und in hineingelangte.

Reichlicher Schatten, angenehmer Duft von Blumen, der luftige Raum und das gemilderte Licht machten das Innere dieser Laube sehr angenehm.

Madachai hatte sich auf einen kostbaren Lammhaarteppich hingestreckt, welcher auf dem Rasen ausgebreitet lag. Er schlief bereits sanft und ruhig. En angenehmes Lächeln schwebte um seinen Mund und schien anzudeuten, dass er träume.

Der Indianer schlich hinzu, beugte sich über den Schlafenden und lauschte lange auf dessen Atem.

Der Schläfer schien die Nähe eines Menschen zu empfinden und deshalb unruhig zu werden.

Doch der Indianer nahm einen blätterreichen jungen Baumzweig und fächelte ihm Kühlung zu, bis er wieder ruhig und still da lag.

Der Indianer ergriff, sobald jener wieder fest schlief, den Kasten, öffnete die Klappe und das Drahtgitter durch einen Druck, wodurch das in dem Kasten befindliche giftige Gewürm hervorkam und von ihm ungefähr zwei Zoll hinter dem Kopf ergriffen wurde.

Zwar versuchte das Tier, als es sich ergriffen fühlte, wieder in den Behälter zurück zu schlüpfen. Als ihm dies nicht gelang, sondern es vielmehr mit Gewalt aus dem Kästchen hervorgezogen wurde, wand es sich um den nackten Arm des Mannes, zischte und ließ die Klapper seines Schwanzes hören. Sein kleiner Kopf mit den glänzenden Augen fuhr bald nach dieser, bald nach jener Seite, während die gespaltene Zunge jeden Moment zum Vorschein kam.

Das Tier wurde immer wütender. Als es, bis aufs Äußerste gereizt, um sich zu beißen begann, näherte es der Indianer dem Schläfer, in dessen Oberarm es biss, als jener seine Hand an die verletzte Stelle brachte, auch diese Hand durch einen Biss verwunden.

Madachai erwachte. In diesem Moment aber ergriff der Indianer den Wurm beim Schwanz und vernichtete ihn angesichts des Pflanzers, indem er den Kopf des Tieres kräftig gegen den harten Boden der Laube schlug.

»Ich bin verwundet«, sagte der Pflanzer, indem er sich einige Blutstropfen aus der vergifteten Wunde wischte.

»Dieses giftige Tier hat Sie gebissen, ohne dass ich es abwehren konnte«, antwortete der Mörder und zeigte auf das Tier, welches sich auf dem Boden krümmte.

»Aber, Mensch, wo kommt Ihr her?«, fragte Madachai, indem er in sitzender Stellung seine Lage begriffen hatte und fortfuhr, die Blutspuren mit einem Tuch zu verwischen.

»Ich verirrte mich in diesen Besitzungen«, erwiderte der Indianer, »gelangte in den Garten, wollte im Haus Schutz gegen die Hitze suchen und um einen Trunk für meine trockene Zunge bitten, als ich dieses Tier im Laubwerk hörte. Ich versuche es zu töten, traf es jedoch nur an der äußersten Spitze des Schwanzes und es schlüpfte in die Laube. Zwar erreichte ich es hier, aber leider erst, als es schon zu spät war und Sie von ihm verletzt wurden. Sie müssen sich schleunigst nach ärztlicher Hülfe umsehen, sonst sind Sie verloren, Mylord.«

»Nehmt das Tier«, sagte er zu dem Indianer, »und begleitet mich.«

Gefolgt von dem Indianer, der die sich noch bewegende Schlange trug, schritt der Pflanzer seiner Wohnung zu.