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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 5

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Das Weinfass auf Spiegelsberge

Heinrich Julius von Braunschweig, welcher gegen Ende des 16. Jahrhunderts Bischof von Halberstadt war, residierte mit Vorliebe auf dem reizend an der Bode gelegenen Schloss Groningen.

An einem schönen Sommerabend saß derselbe in Gesellschaft eines anderen Bischofs, der bei ihm zu Gast war, draußen vor seinem Schloss, erfreute sich an den interessanten Schilderungen, die der Fremde von seinen Reisen entwarf, und füllte von Zeit zu Zeit den Pokal seines Gastes mit köstlichem Rheinwein.

Jener ließ mit Kennermiene das edle Nass über die Lippen gleiten und sprach: »Ei fürwahr, Ihr bergt einen herrlichen Wein in Eurem Keller, auch scheint Euer Vorrat nicht gering zu sein, da Ihr so fleißig zum Trinken mahnt. Doch wisset, eines fehlt noch, um Eurem Weinkeller den rechten Glanz zu verleihen. Das ist ein Fass von solcher Größe, wie jüngst es der rheinische Kirschenfürst sich erbauen ließ.«

»Ja, ja, das war kein übler Gedanke. Aber bedenkt, welche Summe Geldes ein so großes Fass kosten würde, und wahrlich, meine Ausgaben belaufen sich schon so hoch, dass mir für derlei Lustbarkeit nichts übrig bleibt.«

»Weiß Gott, Ihr habt recht,« entgegnete der andere, »unsereinem rinnt das Geld nur so durch die Finger. Das kommt aber daher, dass wir förmlich von Dieben und Betrügern umgeben sind. Keinem Diener ist zu trauen, aber die der geistlichen Herrn sind ohne Ausnahme Schurken. Ihr ganzes Sinnen und Trachten ist darauf gerichtet, uns zu hintergehen und übers Ohr zu hauen.«

»Herr Bruder«, fiel Bischof Heinrich dem Sprecher schnell in die Rede, »ich meine, Ihr urteilt doch allzu schroff und tut den Leuten unrecht. Ich wenigstens kann mich nicht über meine Untergebenen beklagen, sie sind fast alle ehrlich und treu.«

Überlegen lächelnd erwiderte der fremde Bischof: »Bester Freund, dann habt Ihr eben nicht so reiche Erfahrungen gesammelt, wie ich, und so traut Ihr noch allen Menschen. Glaubt mir, in Eurer Umgebung ist ebenso wenig ein ehrlicher Diener zu finden, wie in der anderer geistlicher Herrn.«

»Ei seht, der kommt mir gerade wie gerufen«, unterbrach Bischof Heinrich seinen Gast, indessen er auf einen Schäfer zeigte, der mit der Herde des Weges kam. »Hört, allein auf die Treue dieses Burschen könnte ich Häuser bauen, der wäre nicht imstande, auch nur eine Lüge über die Lippen zu bringen.«

Der fremde Bischof entgegnete nichts, nur ein spöttisches Lächeln umzog seine Lippen. Neugierig musterte er den nähertretenden Schäfer, der mit höflichem Gruß vorbeischreiten wollte. Aber sein Herr rief ihn heran. Er fragte den Untergebenen nach diesem und jenem und erhielt auf alles eine klare und offene Antwort. Schließlich rief Bischof Heinrich noch einen prächtigen Widder aus der Herde zu sich, der auf den Ruf Harm, Harm! sofort herbeirannte und seinen Kopf schmeichelnd auf des Bischofs Knie legte, als wisse er genau, dass dieser stets eine kleine Leckerei für seinen Liebling bereithielt. Auch der Gast bewunderte das schöne Tier. Bischof Heinrich erzählte ihm, dass er eine große Vorliebe für den Widder besäße, dass er demselben wie keinem anderen Tier zugetan sei und dass ihm ordentlich etwas fehle, wenn er Harm nicht täglich zu sehen bekomme.

Als der Schäfer fortgegangen war, fragte Bischof Heinrich: »Nun, was sagt Ihr, sieht dem nicht die Ehrlichkeit schon aus den Augen? Klingt nicht aus jedem seiner Worte lautere Wahrheit?«

»Hm, hm«, machte der andere, »so leicht lasse ich mich nicht überzeugen. Auf den äußeren Eindruck gebe ich wenig oder gar nichts. Wenn ich dem Schäfer wirklich trauen sollte, so müsste er erst eine Probe bestehen, an der seine Ehrlichkeit scheitern könnte. Ich will hoch und teuer wetten, dass er der Versuchung unterliegen würde.«

»Oho, mein Bester, nicht zu vorschnell mit dem Wetten, denn ich sage Euch: Mein Konrad besteht jede Probe!«, rief lachend Bischof Heinrich.

»Nun gut, ich behaupte ebenso bestimmt das Gegenteil«, entgegnete der Fremde. »Da ich begierig bin, zu wissen, wer von uns beiden das Rechte getroffen hat, will ich Eurem guten Konrad eine Falle stellen. Wir wetten also betreffs seiner Ehrlichkeit. Der Preis soll sein geringer sein: Ein Weinfass, dem rheinischen gleich, spende ich Euch, wenn Ihr gewinnt, doch fällt der Gewinn an mich, so erhalte ich von Euch ein eben solches.«

»Bravo, da schlage ich ein«, gab Herzog Heinrich lachend von sich. »Ich freue mich schon im Voraus auf das Fass, das, wie ich sicher weiß, mir zufallen wird.«

»Lacht nur, lacht nur,« rief der fremde Bischof, »werden ja sehen, werden sehen.«

Die beiden Herrn redeten noch hin und her. Sie trennten sich erst zu später Stunde. Als der fremde Bischof sein Gemach betrat, rief er sofort seinen Diener herbei, einen schlauen, verschlagenen Burschen, auf den wohl die Beschuldigungen passen mochten, die sein Herr dem Wirte gegenüber vorgebracht hatte, der aber doch bei jedem schwierigen Vorfall zu Rate gezogen wurde, eben weil er so schlau und gerieben war.

Auch diesmal erzählte sein Herr ihm alles, was vorgefallen und geredet war und fragte, was wohl zu tun sei, um den Konrad zur Unehrlichkeit zu bewegen. Anfangs war der Diener mürrisch und antwortete kaum, denn der Schimpf, den sein Herr ihm angetan hatte, indem er alle Diener für Schurken erklärte, war zu groß, als dass er sich darüber nicht wenigstens hätte zornig stellen sollen. Doch ein blinkendes Goldstück ließ ihn die gekränkte Ehre vergessen. Als der Bischof versprach, ihm nach gelungenem Streich noch ein solches in die Hand zu drücken, bat der Diener, ihm die Sache ruhig zu überlassen. In kürzester Frist werde er alles zur Zufriedenheit seines Gebieters ausgeführt haben. Schon am nächsten Tag meldete er mit verschmitztem Lächeln dem Bischof, dass es ihm wohl gelingen werde, dem Schäfer eine sichere Falle zu stellen, sodass derselbe sie unmöglich umgehen könne. Nur müsse er noch eine gute Summe Geldes haben. Es habe nämlich Konrad eine Braut. Er könne sie jedoch nicht eher zu seiner Frau machen, bis er ein Häuschen zu kaufen imstande sei. Bei der Armut des Schäfers sei hieran vorerst gar nicht zu denken. Darauf baue er nun seinen Plan, der ihm sicher gelingen werde.

Als der Diener die Summe erhalten hatte, ging er damit hinaus aufs Feld, wo Liese, die Braut des Schäfers, bei der Arbeit war.

Er begann mit derselben ein Gespräch und ließ wie von ungefähr das Geld durch die Finger gleiten.

Als er bemerkte, dass Liese liebäugelnd die blanken Geldstücke betrachtete, sprach er: »Ja, sieh, das wäre wohl gerade so viel, wie Ihr zum Ankauf eines Häuschens haben müsstet.«

Liese seufzte und meinte: »Ach ja, wer das hätte!«

»Nun, du kannst es haben, wenn du nur willst«, entgegnete der Diener.

»Ach geht, Ihr wollt mich foppen«, rief Liese, halb ärgerlich, halb neugierig den Burschen betrachtend.

»Nein, es ist kein Scherz, was ich sage, verstehe ich im vollen Ernst. Du sollst all dies schöne Geld haben, wenn du mir eine kleine Gefälligkeit erweist, nämlich den Widder Harm dafür von deinem Bräutigam erbittest und ihn mir schenkst.«

»Das kann ich freilich nicht«, sprach Liese enttäuscht, »denn Harm gehört nicht Konrad, sondern dem Bischof, und der hält große Stücke auf den Widder und würde ihn nie fortgeben.«

»Nun, der Bischof braucht auch nicht darum zu wissen. Konrad könnte ja nur sagen, Harm habe sich verlaufen. Dann kräht kein Hahn danach, und Ihr habt das Geld und könnt heiraten.«

Der schlaue Diener drang weiter auf sie ein. Er wusste mit seinen betörenden Worten das unschuldige Herz Lieses so zu umgarnen, es ihr so klar vor Augen zu führen, dass es eigentlich gar kein Unrecht sei und dass jeder zuerst für sich selbst sorgen müsse, dass sie schließlich stracks zu ihrem Bräutigam lief und demselben ihr Anliegen vortrug.

Der aber ließ sich keineswegs so leicht bereden, als sie es sich wohl gedacht hatte. Er konnte es vielmehr gar nicht fassen, wie seine Braut eine so unehrliche Handlung von ihm fordern könne. Entschieden und fest schlug er Lieses Bitte ab und stellte ihr ernstlich vor, wie es doch ganz undenkbar sei, dass er das Gut seines Herrn angreifen solle.

Liese begann zu schmollen, dann wieder suchte sie durch freundliches Bitten und Zureden ihren Konrad zu bewegen und meinte, es passiere doch so oft, dass sich einmal ein Schaf in den Wald verirre, warum das nicht auch dem Harm, der noch dazu so unbändig sei, einmal passieren könne. Der Bischof würde seinem Schäfer sicher Glauben schenken und den Verlust des Widders bald verschmerzen.

Doch Konrads Antwort blieb dieselbe, ruhig und freundlich suchte er seine Braut davon zu überzeugen, dass ihre Bitte für ihn unerfüllbar sei.

Endlich riss Liese die Geduld. Sie hatte sich schon im Geist als Konrads Frau in dem hübschen neuen Häuschen schalten und walten sehen, und nun sollte das ganze Glück an der Hartnäckigkeit ihres Bräutigams scheitern. Es war empören! Da ihre Tränen nicht fruchteten, begann sie ernstlich zu zürnen, trocknete die Augen mit der Schürze und rief: »Nun gut, tue, wie du willst. Ich sehe aber daran, dass du mir nicht einmal diesen kleinen Dienst erweisen kannst, wie es mit deiner Liebe zu mir nicht weit her ist. Nur Lüge waren deine Worte, dass du für mich alles tun könntest.«

»Liese, liebste, beste Liese, wie kannst du nur so sprechen«, sprach traurig der Schäfer zu seiner Braut. »Du weißt es doch gewiss, dass ich die Wahrheit gesagt habe und ich dir sonst jedes Opfer bringen könnte. Aber sieh, Liese, unehrlich darf ich darum doch nicht werden, denn einen Dieb könntest auch du nicht lieb haben.«

»Ach was, darum bist du doch noch kein Dieb!«, entgegnete heftig das Mädchen. »Du suchst nur nach leeren Ausflüchten, willst nur meinen Wunsch nicht erfüllen. Aber das sage ich dir jetzt«, rief sie, immer heftiger werdend, »mit unserer Brautschaft ist es aus. Ich habe nicht Lust, mich länger von dir an der Nase herumführen zu lassen; denn nun, da wir endlich heiraten könnten, da geht es nicht, weil du so dickköpfig bist und nicht einen kleinen Teil zu unserem Glück beitragen willst. Geh nur und suche dir eine andere, die sich jahrelang schöne Worte vorschwatzen lässt. Ich danke dafür. Mit uns beiden ist es jetzt vorbei!«

Hastig drehte Liese sich herum, ließ Konrad, der ihr treuherzig die Hand entgegenstreckte, unbeachtet stehen und schritt hinab von der Weide, um sich wieder auf dem nahe gelegenen Feld an die Arbeit zu begeben.

Verstört und trübe blickte der Schäfer dem davoneilenden Mädchen nach. War es denn möglich, seine Liese, die er so überaus lieb hatte, war von ihm gegangen, wollte ihn verlassen, und nur, weil er ehrlich bleiben und das Eigentum seines Herrn nicht antasten wollte! Da er doch ihre Bitte nicht erfüllen konnte, würde sie am Ende auch niemals zu ihm zurückkehren!

Der arme Konrad warf sich ins Gras, weinte und schluchzte wie ein Kind und konnte sich über Lieses Verlust gar nicht trösten. Er hatte sie so lieb, dass er nicht mehr leben mochte ohne die Braut, die ja sonst so gut und brav war und nur jetzt sich von einem schlechten Menschen hatte verführen lassen.

Nein, er hielt es nicht länger aus, er musste Liese sehen und wieder ein freundliches Wort von ihr hören. Ehe Konrad es selbst wusste, hatte er sich erhoben und schritt mit Harm zu seiner Braut hinab. Zwar war ein schwerer Kampf in der Brust des ehrlichen Menschen entbrannt, aber die Liebe zu seiner Liese hatte gesiegt.

Liese sah wohl, wie Konrad mit dem Widder des Weges kam, aber sie steckte den Kopf ganz tief in das Erbsengebüsch, an welchem sie beschäftigt war, die Schoten zu pflücken, damit er ihr Gesicht nicht gleich sehen sollte, denn das strahlte vor Glück über den errungenen Sieg.

»Hier, Liese«, rief der Schäfer, seine Braut auf die Schulter klopfend, »hier hast du Harm und nun sei wieder gut.«

Liese drehte sich schnell herum, umarmte ihren Konrad stürmisch, ihm herzlich für seine Güte dankend und ihn wegen seiner Klugheit belobend. Doch der Schäfer, den sonst jedes freundliche Wort, welches von Lieses Lippen kam, ganz glücklich machte, sah trotz aller Liebkosungen gar nicht heiter aus. Als sie ihn bat, sich ein Weilchen zu ihr zu setzen, damit sie von der Zukunft und dem neuen Häuschen plaudern könnten, meinte Konrad still und ernst, dazu habe er keine Zeit, denn der Spitz bewache allein des Bischofs Herde, und er möchte um keinen Preis, dass noch mehr Schafe abhandenkämen. Der Verlust des Widders sei gerade schlimm genug.

Nach kurzem Gruß schritt Konrad zurück zur Weide, indessen Liese schleunigst dem Diener des fremden Bischofs den Harm überbrachte und den klingenden Lohn dafür in Empfang nahm.

Ja, die Liese war wieder gut und war weit freundlicher als sonst zu Konrad gewesen. Und doch ging dieser so trübe einher, als wäre ihm sein Liebstes gestorben. Bei seiner Rückkehr sprang der Schäferhund wedelnd an ihm empor, als wolle er erzählen, wie gut er die Herde seines Herrn behütet habe. Dann aber schnüffelte das gute Tier an dem Schäfer herum und sah ihn so seltsam an, gleichsam als wolle es sagen: »Wo ist denn unser Freund, unser braver Harm?« Dieses Gebaren des Hundes brachte den Schäfer vollends außer Fassung. »Du bist nur ein Tier«, rief er und streichelte weinend den Spitz, »und du bist deinem Herrn treu ergeben, und ich, ein Mensch, bin ein solcher Schurke und konnte so treulos handeln, ließ mich durch Weibertränen zur Sünde verlocken!«

Schon warfen die Berge lange Schatten auf die Weide, die Stunde des Aufbruchs nahte heran. Dem gequälten Konrad aber wurde es immer zaghafter ums Herz. Was sollte er dem Bischof auf seine Frage nach Harm antworten? Sollte er wirklich sagen, der Widder habe sich verlaufen oder er sei von der Höhe herabgestürzt und gestorben? Ja, was das Beste war, er wusste es nicht, ihm waren beide Ausflüchte gleich verwerflich.

»Nein und nochmals nein«, rief Konrad plötzlich so überlaut, dass der Spitz erschrocken auffuhr. »Ich kann und mag nicht lügen. Mag kommen, was da will, ich spreche die Wahrheit.«

Beruhigter, wenn auch vom Bewusstsein seiner Schuld schwer bedrückt, zog der Schäfer mit seiner Herde heim.

Vor dem Schloss saßen wiederum die beiden geistlichen Herrn. Innerlich frohlockte der fremde Bischof, als er Konrad so trübe daherschleichen sah. Er freute sich über seine Wette, die er schon so gut wie für gewonnen hielt.

»Grüß Gott, Herr Bischof«, rief Konrad und erhielt freundlichen Dank. Dann aber kam der gefürchtete Augenblick, denn mit lauter Stimme rief sein Herr den Widder heran.

»Aha«, jubelte heimlich der Fremde, »nun kommt die Lüge und ich erhalte mein Fass.«

»Wo ist denn der Harm?«, fragte erstaunt Bischof Heinrich, als der Widder seinem Rufe nicht Folge leistete.

Da trat Konrad heran, drehte die Mütze krampfhaft in den Händen, sah bekümmert auf seinen Gebieter und sprach: »Herr, vergebt mir, ich habe den Harm verkauft.«

»Was hast du? Meinen Widder hast du verkauft? Bist du von Sinnen, Bursche? Wie konntest du das wagen?«, schrie Bischof Heinrich den zerknirschten Schäfer an.

»O Herr, ich weiß, es war sehr schlecht von mir, und straft mich nur so schwer Ihr wollt. Ich fühle, dass ich es verdient habe. Aber seht, ich habe meine Braut – Ihr kennt sie ja – so lieb, dass ich nicht von ihr lassen kann.«

»Ach was«, unterbrach ihn ungeduldig der Bischof, »das hat doch nichts mit meinem Widder zu tun.«

»Doch, Herr! Ein böser Schelm hat meine Liese verführt, sie solle von mir den Harm verlangen und hat ihr dafür so viel Geld gegeben, wie wir zum Heiraten brauchen.«

Dann erzählte Konrad dem begierig aufhorchenden Bischof ausführlich die ganze Geschichte.

Zwar fand derselbe nun die Handlungsweise seines Schäfers ein wenig entschuldbarer, aber der Verlust seines Lieblings wurmte ihn doch gar sehr.

Der fremde Bischof hatte erstaunt die Worte des ehrlichen Burschen vernommen. Eine solche Wahrheitsliebe hätte er nimmer erwartet und am wenigsten in diesem Fall. Zwar ärgerten ihn die enormen Kosten, die für das große Fass herausgegeben werden mussten, aber dennoch war es ihm ein wohliges Gefühl, dass er sich in seiner Behauptung getäuscht hatte. Durch diese verlorene Wette hatte er den Glauben an die Ehrlichkeit der dienenden Klasse wiedererlangt. So legte er die Hand auf die Schulter des zürnenden Bischofs und rief lachend: »Ich wünsche Euch Glück zum großen Weinfass und beuge mich hinfort Eurer Ansicht, denn Ihr habt gesiegt.«

Nun erst wurde dem Bischof Heinrich die Sache klar, also das war der Grund, warum sein sonst so gewissenhafter Konrad sich an dem Eigen­tum seines Herrn vergreifen konnte. Sofort hellte sich sein Antlitz auf, wusste er doch auch, dass sein Harm ihm nicht verloren war und sich in guter Obhut befand.

»Konrad, Konrad«, rief er, mit dem Finger drohend, »du hast einen bösen Streich gemacht, aber deine Ehrlichkeit hast du dir trotzdem bewahrt. Bleibe so und lass nie eine Lüge über deine Lippen kommen. Die kleine Schlange aber, deine Liese, die muss bestraft werden. Ich denke, die ärgste Strafe wäre, wenn man ihr einen Herrn und Meister gäbe, der mit eiserner Strenge über sie wache, nur der bösen Eva Wahrheit und Ehrlichkeit tief ins Herz zu prägen. Weil du nun so wahr und treu bist, gedenke ich dich mit diesem hohen Amt zu betrauen, das du in nächster Zeit schon antreten magst. Vorher aber müsst ihr wohl Mann und Frau werden, damit die kleine Eva nicht mehr ihrem Gebieter entlaufen kann. Das Haus, das ihr wünschtet, gebe ich Euch. Eure Hochzeit wollen wir dann heiter und vergnügt im Schloss feiern.«

Konrad wurde rot vor Freude. An Strafe hatte er gedacht und nun machte sein Herr ihn zum Glücklichsten der Menschen. Das verwirrte ihn so, dass er kaum seinen innigen Dank stammeln konnte.

Um das Maß der Freude voll zu machen, erhob sich der fremde Bischof, klopfte ihm auf die Schulter und sprach: »Auch ich will einen Teil zu deinem Glück beitragen. Das Geld für den Widder, welcher schon heute wieder unter deiner Herde sein wird, mögt ihr behalten und zu eurer Aussteuer benutzen.«

Konrad wusste gar nicht, wie ihm geschah, denn was der Grund zu all diesem war, davon hatte er ja keine Ahnung. Er musste sich erst in seinem Glück fassen. Dann aber dankte er den beiden geistlichen Herrn aufs Innigste und eilte mit seiner Herde fort.

Noch nie wurden die Schafe so schnell unter Dach und Fach gebracht, denn der Schäfer konnte die Zeit nicht erwarten, wo er seiner Braut das unerwartete Glück verkünden konnte. Wie Konrad bat, seine Liese möge nun auch dem gütigen Bischof danken, da weigerte sich diese erst, denn sie fürchtete noch eine tüchtige Strafpredigt für ihre Verführung zu bekommen. Endlich aber entschloss sie sich dazu und ging klopfenden Herzens den sauren Weg. Doch sie kam leichteren Kaufs davon, als sie gefürchtet hatte, denn Bischof Heinrich klopfte ihr freundlich die Wangen und sprach: »Füge dich nur in allen Stücken dem Willen deines Konrad, denn der ist brav und gut, und vor allem lerne von ihm das Sprichwort, dass ehrlich am längsten währt. Dann wird es stets gut um euch bestellt sein.«

Herzog Heinrich Julius erhielt wirklich um das Jahr 1594 das Fass, welches einhundertfünfzig Fuder Wein fassen konnte, sechzehn Fuß hoch und dreißig Fuß lang war. Anfangs lag es in Groningen, später aber, im Jahre 1780, erhielt es der Domdechant Spiegel als Geschenk von König Friedrich II. Er ließ es nach Halberstadt bringen, wo ein eigens für dasselbe erbautes Schlösschen auf Spiegelsberge es aufnahm.

Auch heute wandert noch jeder Besucher Halberstadts hinauf zum anmutigen Hügel, staunt das riesige Fass an und erfreut sich der herrlichen Aussicht, die man von dort aus genießt. Schattige Laubgänge führen zur Ruhestätte des Domdechanten von Spiegel, der hier inmitten der von ihm geschaffenen Anlagen ruht.