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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 11 Teil 2

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Im ersten Raum war es dunkel. Durch die Verbindungstür fiel in das andere Zimmer ein starker Lichtglanz. Jane trat in dieses ein. Sie wurde nicht gewahr, dass Lady Rochefort die Ausgangstür nur anlehnte. Ebenso wenig vernahm sie die leisen Schritte des Paares, welches sie soeben durch ihre Gegenwart erschreckt hatte, noch die geflüsterten Worte Lady Rocheforts: »Haltet Euch still, um Gottes willen! Verratet mich und Euch nicht, bedenkt den Zorn des Königs, Lady Anne.«

Anne legte einen Finger auf ihre Lippen, Wyatt aber fasste sie bei der Hand und wollte sie zurückführen.

»Nein«, flüsterte Anne entschieden. »Horch! Man spricht im Nebenzimmer.«

»Der König ist bereits dort«, sagte Lady Rochefort, »Ihr dürft schon näher treten, sie werden Euch nicht hören. Liebende sind taub, wie Ihr wisst, und so gut wie blind.«

Anne schlich leise an die halb offene Tür, blickte ins Gemach und vernahm die folgenden Worte, die Jane ängstlich ausstieß: »Majestät, lasst mich los! Ich bin nicht deshalb hergekommen, sondern bei Euch für die meinen und für Eure edle Tochter zu bitten!«

»Für meine Tochter? Was verlangt sie von mir?«

»Sie selbst verlangt nichts, Majestät, sie ist eine zu ergebene Seele, aber ich bitte Euch um eine einzige, vielleicht letzte Gunst. Wollt der Tochter gestatten, zu der kranken Mutter zu eilen.«

»Krank? Wer sagt, dass Katharina krank sei?«

»Jedermann, Sire, die edle Frau wandelt dem Grab zu. Oh, sie wird Euch segnen, Majestät, segnen noch auf dem Totenbett, wenn Ihr die Tochter zu ihr sendet.«

»Wenn es wirklich so schlimm um Katharina stände«, sagte Heinrich, »dann könnte es vielleicht sein, das heißt, wenn man Anne bewegen könnte, darein zu willigen.«

»Majestät sind der Herr«, sagte Jane, »die Gattin fügt sich dem Willen ihres Gemahls!«

»Aber Anne nicht; sie ist leidenschaftlich, herrschsüchtig und gereizt. Nun darf ich ihr auch ohnedies nicht widersprechen, sie könnte mir eine Szene machen, die dem Kind das Leben kostete. Nachher, nachher werden wir sehen, was sich tun lässt.«

»Nachher!«, sagte Jane traurig. »Sire, nach dem Tod kommt die Reue zu spät.«

»Eine schöne Bittstellerin!«, sagte Heinrich mit weicher Stimme. »Hätte Katharina früher mir einen solchen Anwalt gesandt, bei unserer Lieben Frau! Wir hätten ihr keine abschlägige Antwort erteilt.«

Annes Herz schlug heftig, ihre Augen glühten unheimlich, als Heinrich das Mädchen rasch umschlang und leidenschaftlich küsste.

»Ihr könnt nicht fort«, sagte er. »An diesen goldenen Ketten halte ich Titania fest.« Er fasste die langen wallenden Locken in beide Hände und wickelte dieselben um seinen Arm.

»Lady Annes Haare sind länger und schöner als die meinen«, sagte Jane.

»Aber die blonden gefallen mir besser, auch die Frauen mit solchen Haaren. Sie sind sanfter und weiblicher als die Brünetten.«

»Horcht!«, sagte Jane erschrocken. »Hörtt Ihr nichts, Sire? Mir war es, als seufze jemand in unserer Nähe.«

»Nichts, nur Eure aufgeregte Fantasie, schöne Jane. Fürchtet Euch nicht, ich bin Euer Schutz und Schirm!«

»Möglich, dass ich mich irrte«, sagte Jane, »aber ich will fort. Majestät, eine ehrsame Jungfrau sollte sich nicht allein mit einem Mann hier zu dieser Stunde treffen. Auch wäre ich nimmer erschienen, wenn nicht Lady Rochefort mir versprochen hätte, mich nicht zu verlassen. Gehen wir in den Park, Majestät! Ich bitte Euch demütig um unserer beider Ehre und um Annes Willen, die mir heute Nacht vertraut.«

»Ihr seid ein edles, liebes Wesen«, sagte Heinrich, von ihrer Zurückhaltung entzückt. »Ich will Euch nicht länger mit Gewalt zurückhalten, wenn Ihr mir versprechen wollt, mich zu lieben und manchmal mich hier zu treffen. Den Schlüssel gebe ich Euch zum heimlichen Gebrauch.«

»Majestät, ich darf Euren Wunsch nicht erfüllen«, sagte Jane. »Bedenkt Eure Gemahlin!«

»Sie wird es nie erfahren«, war die Antwort, »und so wahr ich lebe, Eure Ehre soll mir heilig sein wie die der Madonna!«

»Dann, Majestät, will ich es versprechen. Aber wenn …«

»Kein wenn, kein aber!«, rief Heinrich aus. »Und damit Ihr stündlich an mich erinnert werden möget, an meine glühende Liebe und Treue, tragt dieses Bild von mir auf Eurem edlen Herzen!«

»Und Lady Anne?«

»Ah, ja, vor ihr muss unsere Liebe natürlich ein Geheimnis bleiben. Es könnte, wie gesagt, dem Kind schaden. Ist erst diese Krisis vorüber …«

»Mit dem Sohn wird das Glück in Eurem Bund neu erblühen«, sagte Jane heiter.

»Ja … wenn … ich hoffe es, sonst weiß ich nicht, was geschieht, Jane! Euch kann und will ich jetzt nicht mehr entsagen.«

»Wieder«, sagte Jane bebend, »wieder dieser geisterhafte Ton!« Zitternd und bebend schmiegte sie sich an die stattliche Gestalt des Königs, welcher sie zärtlich liebkoste.

»Führt mich fort«, bat Anne flüsternd, »ich sterbe!«

Wyatt fasste sie rasch in die Arme und trug sie in den Wald hinaus.

Lady Rochefort trat sofort zu dem Liebespaare ein. Sie lächelte vergnügt, als sie Jane in den Armen des Königs sah.

»Sie ist erschrocken«, sagte Heinrich bestürzt, »sie glaubte durchaus, Gespenster zu hören. Weiber sind immer abergläubisch.«

»Dieses Mal hat sie sich nicht getäuscht«, sagte Lady Rochefort, »eine Eule hatte sich oben festgenistet und flog durch die offene Tür in das dunkle Nebenzimmer. Ihr habt wohl das Geräusch vernommen und wie ich das Untier hinaustreiben wollte?«

»Es ist gut«, sagte Jane, sich sanft aus der Umarmung losmachend und nach der Maske greifend. »Wir wollen jetzt gehen, Lady Rochefort.«

»Ich auch«, sagte Heinrich und band sich auch seine Maske wieder vor. »Wir machen noch einen Gang durch den schönen Park, Liebchen.«

»Ich rate Eurer Majestät, durch die andere Tür hinauszugehen und nicht den geraden Weg ins Schloss einzuschlagen«, sagte Lady Roche fort.

»Ihr habt recht«, sagte Heinrich, nahm Jane bei der Hand und verließ mit ihr den Pavillon.

Lady Rochefort schloss sorgfältig zu, blickte sich nach den Liebenden um, deren hohe Gestalten noch sichtbar waren, rieb sich dann vergnügt die Hände und schlug die Richtung zum Schloss ein.

Das gibt etwas für Gardiner, dachte sie, und wir wollen die Folgen davon bald bei dem übermütigen Dämchen Anne sehen! Wenn sie keinen lebenden Knaben zur Welt bringt, ist sie verloren! Rein verloren! Was gilt es, der König lässt sich von ihr scheiden wie von Katharina und heiratet Jane – Jane, meinen Liebling!

Sie war noch nicht sehr weit gegangen, als sie gegen eine Dame anstieß, welche allein und ohne Schleier mit hastigem, sicherem Schritt daherkam.

Lady Rochefort blickte zornig auf, aber das Wort erstarb auf ihren Lippen, als sie die Störende erkannte.

»Lady Willoughby! Und zu dieser Stunde hier?«, rief sie betroffen aus.

»Ja, ich bin es, Lady Rochefort. Ich weiß, dass Ihr, obwohl eine nahe Verwandte von Lady Anne, dennoch an der edlen Königin …«

»Lassen wir das«, unterbrach sie die Rochefort kurz. »Das ist eine sehr bekannte Tatsache, allein Ihr seid nicht da, um mir dies zu sagen, Lady Elvira.«

»Nein, nein! Ich suche den König, ich muss ihn sprechen.«

»Den König? Er wird sich in seiner Unterhaltung schwerlich stören lassen. Ich verließ ihn soeben mit einer schönen Dame.«

»Ah! Also sie ist nicht bei ihm?«, fragte Lady Willoughby freudig überrascht.

»Nein, sie ist auf ihrem Zimmer geblieben, wenn Ihr von Lady Anne redet«, antwortete Lady Rochefort. »Es geht bei uns am Hofe freisinnig her, seitdem unsere edle Königin hat weichen müssen. Die Eheleute amüsieren sich jedes nach seiner Fasson.«

»Desto besser, so darf ich endlich hoffen, bis zum König vorzudringen und meine heiße Bitte vorzutragen. Wisst Ihr die traurige Nachricht schon?«

»Welche?«, fragte die Rochefort ängstlich.

»Dass Katharina schwerkrank darnieder liegt, ohne Hoffnung.«

»Ist das so rasch eingetreten? Nein, wir wissen davon gar nichts, auch der König kann es nicht vernommen haben.«

»Die edle Märtyrin ist schon lange sehr leidend gewesen, aber das Interdikt gab ihrem liebenden Herzen den letzten Schlag, denn unbegreiflicherweise liebt sie den treulosen Gemahl immer noch.«

»Sie wird gerächt werden«, sagte die Rochefort mit finsterer Energie. »Sagt das der hohen Frau zum Trost. Annes Herrschaft wird nicht so lange währen wie die ihre.«

»Wir haben schon dunkle Gerüchte vernommen«, sagte Lady Willoughby gespannt, »von einer heimlichen Liebe des Königs. Doch haben wir es bezweifelt.«

»Dann habt Ihr unrecht gehabt«, sagte die Rochefort, »denn soeben in dieser Stunde widmet er sich ihr und liebkost sie unter dem Schutz der Nacht. Ich selbst … ich … Annes Schwägerin, habe dieses erste Rendezvous veranstaltet.«

»So wäre es Euch wohl möglich, mich auf einen Weg zu führen, wo ich dem König unverhofft begegnen könnte? Die Seymour wird mir mein Gesuch nicht schwer machen, denke ich, man sagt, sie liebe die Prinzessin Mary.«

»Ja, und aufrichtig, obwohl sie Annes Freundin war. Aber was sucht Ihr beim König?«

»Ach, die Erlaubnis, zu meiner geliebten Herrin eilen zu dürfen und sie bis zu ihrem Ende zu pflegen. Ich habe zweimal schriftlich um die Gnade nachgesucht, aber meine Briefe sind unbeantwortet geblieben.«

»Cromwell oder Anne werden sie unterschlagen haben. Aber Ihr habt einen günstigen Moment gewählt. Wenn wir den König treffen, hoffe ich, dass Ihr getröstet von dannen ziehen werdet. Lasst sehen, welchen Weg mögen sie eingeschlagen haben? Ah, ich denke zu den Teichen, unten am Garten. Kommt, Mylady, wenn Ihr nicht müde seid?«

»Müde bin ich«, sagte die treue Gefährtin Katharinas, »allein, mein Leben gehört der Herrin. Geht nur voran, liebe Gräfin. Gott gebe, dass es mir gelingt!«

»Lehnt Euch an mich«, sagte die Rochefort. »Ich führe Euch sicher, denn ich kenne den Weg gut. Mich wundert nur, wie Ihr Einlass bekommen habt.«

»Ich stieg in der Herberge ab und vernahm dort, dass heute Nacht ein Fest im Freien gegeben werde. Da fiel es mir ein, dass ich mich als einer der Gäste beim Torwärter melden könnte. Es geschah, man ließ mich samt dem Diener in den inneren Hof reiten, wo ich abstieg und auf meine Erkundigung hin gleich in den Garten ging. Es war gewiss eine gnädige Fürsorge Gottes, dass ich Euch begegnen musste.«

»Seht, dort sind wir am Ziel! Nun gebt wohl Acht! Damit wir das Paar nicht verfehlen, müssen wir uns trennen, und jede in einer entgegengesetzten Richtung um den See gehen.«

»Woran erkenne ich den König?«

»Er trägt an seinem braunen Mantel einen Stern auf der Brust«, sagte die Rochefort, »aber still, seht Ihr nicht dort jemand zwischen den Gesträuchen wandeln.«

»Ja, und jetzt treten sie heraus auf den freien Sandweg und setzen sich am See.«

»Sie sind es!«, flüsterte Lady Rochefort vergnügt. »Ich irre mich nicht. Vorwärts, liebe Lady! Gott sei mit Euren Worten!«

»Geht mit mir«, bat Lady Willoughby.

»Nein, nein, geht nur, fürchtet Euch nicht, bittet die Seymour um ihre Fürsprache.«

»In Gottes Namen denn!«, sagte die Lady, drückte ihrer Beschützerin die Hand und wollte sie verlassen.

»Noch eins: Nachher sucht mich im Schloss auf, Mylady, und ruht Euch bei mir aus.«

»Dank, tausend Dank!«, war die Antwort, worauf sie schieden.

Lady Willoughby eilte, obwohl mit klopfendem Herzen, auf das Paar zu, welches auf eine Moosbank sich niedergelassen hatte. Es wandte der Ankommenden den Rücken. Da es sich hier völlig sicher fühlte, so hatte der König seine Maske abgenommen und den linken Arm traulich um Janes schlanke Taille gelegt.

Plötzlich trat Lady Willoughby vor und sank mit dem Ausrufe »Mein gnädigster Herr!« vor Heinrich nieder.

Jane erschrak und stieß einen leisen Schrei aus.

Der König aber sagte mit finsterer Stirn: »Lady Willoughby, warum drängt Ihr Euch auf diese Art in unsere Gegenwart?«

»Verzeiht mir, gnädigster Herr! Ich wusste nichts von dem Fest, bis ich hierher kam. Ich bin einen weiten Weg geritten, um meines Königs Antlitz zu sehen und meine Bitte ihm persönlich vorzutragen.«

»Warum schriebt Ihr mir nicht?«

»Ich tat es zweimal, aber es kam keine Antwort, Sire. Und dennoch wusste ich, dass die Briefe sicher in London ankamen.«

»Ha, das ist sonderbar! Was wünschtet Ihr von uns, Mylady Willoughby?«, fragte Heinrich schon in einem sanfteren Tone. »Redet! Euer Gesuch ist Euch im Voraus zugesagt, um der Liebe und Achtung willen, welche wir für die edle Katharina empfinden.«

»Majestät«, erwiderte Lady Willoughby schüchtern, »meine Bitte betrifft Katharina, sie ist schwer, ja sogar tödlich erkrankt!«

»O mein Gott!«, rief Jane ergriffen aus.

»Wie, und wir wussten es nicht!«, rief Heinrich zornig aus. »Beim Himmel, wir werden morgen unserem Herrn Kanzler eine Rede halten, die ihm nicht gefallen wird!«

»Sie fürchten sich alle vor Anne, Majestät«, warf Jane sanft hier ein. »Vielleicht wollten die meisten Eure Majestät nicht betrüben.«

»Ich bitte um die Gnade, zu meiner Herrin eilen zu dürfen, Majestät, um ihr die Augen zuzudrücken. O, habt Erbarmen mit der Frau, die Euch so treu geliebt hat und es noch tut! Seid barmherzig, mein König, wenn Ihr jemals Gnade im Himmel zu finden hofft.«

»Ich würde Euch gern gewähren lassen«, sagte Heinrich unschlüssig und sichtlich bewegt, aber meine Ehre steht auf dem Spiel. Die Römischen werden sogleich in diesem Beweis meiner Liebe nur eine Nachgiebigkeit ihnen gegenüber sehen.«

»Fürchtet die Menschen nicht, Sire! Folgt der Stimme Eures Gewissens, Eures Herzens! Lasst mich zu ihr und gebt mir die Tochter mit. Katharinas Herz bricht aus Gram um ihren Verlust!«

»Mein teurer, gnädiger Monarch«, sagte Jane Seymour und schmiegte sich bittend an die breite Brust Heinrichs, »erhört meine erste Bitte, gewährt der edlen Frau den Wunsch.«

»Wie, Schätzchen, du trittst zu meinen Feinden über?«, sagte Heinrich lächelnd.

»Katharina liebt Euch, Sire, und darum wird sie mir stets teuer bleiben«, war die Antwort.

»Ich kann es nicht erlauben«, sagte Heinrich verdrießlich. »Es würde Aufsehen erregen. «

»Dazu bedarf es keines Kabinettsbefehls«, sagte Jane schmeichelnd,» nur der Versicherung unter der Hand, dass Ihr dem Besuch nichts in den Weg legen wollt. Das braucht Lady Anne nicht einmal zu erfahren.«

»Seht die Politikerin«, sagte Heinrich freundlich. »Gut, Lady Willoughby, wenn Ihr es möglich machen könnt, Einlass zu ihr ohne eine schriftliche Erlaubnis von mir zu erhalten, so mag es geschehen. Hinsichtlich meiner Tochter aber muss ich noch warten, bis ich mich vom nahen Ende Katharinas überzeugt haben werde. Der Gouverneur Sir Edmund Bedingfield wird mir gewiss die Kunde überbringen oder übersenden. «

»Ich will es wagen, Majestät. Nichts soll mich mehr abhalten, da ich nun Eure Herzensgesinnung kenne. «

»Man wird Euch nicht einlassen«, sagte Jane ängstlich, nicht ohne die Handschrift.

»Dennoch will ich es, im Vertrauen auf Gott, unternehmen«, versetzte die edle Frau. »Er verlässt ein redliches Herz nicht.«

»Majestät, habt Ihr keinen lieben Gruß der edlen Frau zu übersenden?«, fragte Jane schüchtern. »Nur ein kleines Wörtchen, dass Ihr der Treuen freundlich gedenkt? Nicht Menschenwillkür hat Euch ja getrennt, sondern Gottes Wille, mein König, und die Stimme Eures Gewissens. Aber damit ist des Opfers genug gewesen. Es kann keine Sünde sein, die edle Frau noch zu lieben. Und wir wissen doch, dass Katharina Eure erste, innigste Liebe gewesen ist«, fügte sie schelmisch zärtlich hinzu.

»Du hast recht«, antwortete, Heinrich, indem er ihre schöne, weiße Hand küsste. »Ich habe sie nicht nur geliebt, sondern vergöttert. Wollte Gott, Anne dächte so christlich und versöhnlich wie du, meine sanfte Jane. Dann wäre auch wohl Katharina glücklicher.«

»Katharina wird Euch segnen, Majestät, vergeben hat sie schon lange. Doch nun erlaubt, dass ich mich zurückziehe, damit ich den Gartenverlasse, ehe der Hof aus dem Wald kommt«, sagte Lady Willoughby.

»Wollt Ihr denn diese Nacht schon weiter?«, fragte Jane ängstlich.

»Nein, ich fühle mich dazu zu schwach, auch wünschte ich einen Brief von der Prinzessin an ihre Mutter mitzunehmen, und den werde ich erst morgen früh empfangen können. Lady Rochefort hat mir ein sicheres Asyl in ihren Gemächern für die Nacht zugesagt. Morgen breche ich bei Anbruch des Tages auf.«

»Ah! Die Trompete gibt das Signal zur Heimkehr«, sagte Heinrich. »Eilt, Lady, und bringt der hohen Kranken meinen Gruß und meine brüderliche Liebe! Doch wartet, es wäre möglich, man verweigerte Euch den Eingang ins Schloss. Nehmt diesen Siegelring, der Gouverneur kennt ihn. Zeigt ihn im Geheimen demselben vor, wenn er sich weigert. Doch nur im Notfall macht davon Gebrauch, denn ich dürfte hinsichtlich der Gerechtigkeit keine Ausnahme mit Euch machen, Lady Willoughby.«

»Dank, tausend Dank!«, sagte Lady Willoughby überrascht, küsste nochmals die Hand des Königs und verließ das Paar.

»Auch wir wollen nun unser stilles Plätzchen verlassen«, sagte Heinrich aufstehend. »Es wäre nicht ratsam, dass neugierige Augen uns beisammen fänden, Liebchen. Es waren zwei schöne Stunden für mich in Eurer Nähe, Jane!«

»Auch für mich, Majestät«, erwiderte das Mädchen, »denn ich habe nun fast alle törichte Furcht vor Euch verloren.«

»Wie, Ihr fürchtetet mich?«

»Ei, wie konnte das anders sein, Majestät. Ihr seid so himmelhoch mit Eurem großen Geist über mich dummes Weiblein erhaben. Schüchtert Ihr doch den Heiligen Vater wie ein Schulkind ein, sagt man, wie viel mehr denn mich!«

»Also tadelst du mich nicht, dass ich dem Papst den Zügel angelegt habe?«

»Tadeln, Majestät? Ich Euch tadeln? O, wie sollte mir ein solcher Übermut kommen, selbst wenn ich Euch nicht so hoch verehrte, ja fast anbetete! Nein, Euer Wille wird mir stets Gesetz sein, Euer Glaube auch der meine!«

Heinrich umarmte sie und küsste sie zärtlich auf die schönen vollen Lippen. Jane aber entwand sich ihm sanft und eilte in die nächste Allee hinein, wo sie rasch ihre Maske vorband.

Auch Heinrich verließ seinen Platz, schlug aber den entgegengesetzten Weg ein. Sein Schritt war langsamer und schwerfälliger als der Janes, obwohl noch elastisch und männlich kühn. Unwillkürlich verglich er Jane mit Anne und dachte dann weiter zurück an die edle Katharina, an das Ideal seiner jungen Liebe, den Inbegriff aller weiblichen Vollkommenheit.

»Warum trennte ich mich von ihr?«, fragte er sich hier in tiefer, einsamer Stille, »warum? Weil ich einen Sohn zu besitzen wünsche, der einst meinen Namen führen und das angefangene mühsame Werk der Reformation vollenden soll! Wenn Anne ihn mir nicht gibt, was dann? Ich muss Verzicht leisten für immer, so lange sie lebt, denn ich dürfte der Welt das Schauspiel einer dritten Ehe nicht geben, hätte auch keinen Vorwand, diese aufzulösen!«