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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 6

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 6

Die Religion einer Gläubigen

In dem Augenblick, in welchem wir Argalenka in unserer Geschichte erscheinen ließen, fühlen wir das Bedürfnis, einige Worte über den Ursprung dieses Menschen zu sagen.

Es ist unmöglich, die Zeit zu bestimmen, zu welcher die Javaner, welche einige Gelehrte für Abkömmlinge einer ägyptischen Kolonie halten, aus ihrem Vaterland verbannt wurden und in Hindostan die Religion Brahmas und Buddhas annahmen. Die Handschriften der Eingeborenen sagen nur, dass gegen das Jahr 76 unserer Ära der Kultus der großen indischen Halbinsel der der Insulaner Javas war.

Gegen das Jahr 1400 beschloss Mulane Ibrahim, ein berühmter arabischer Scheikh, welcher erfahren hatte, dass die Bewohner eines so großen und volkreichen Distrikts Hindu wären, sie zu bekehren.

Seine geringen Hilfsquellen gestatteten ihm nicht, die Mittel anzuwenden, der sich der Prophet bedient hatte. Er glaubte, dass mithilfe Gottes zwei schöne Augen für seinen Ruhm ebenso viel zu bewirken vermochten, wie die schärfste Schwertklinge. Er hatte eine Tochter von wunderbarer Schönheit, schiffte sich mit ihr und seiner hinreichenden Anzahl von Dienern ein, landete bei Disa Leran, wo er sogleich eine Moschee bauen ließ und bewirkte binnen kurzer Zeit viele Bekehrungen unter dem Volk.

Aber der Zweck Mulane Ibrahims war noch nicht erreicht. Er wünschte einen der Mächtigen der Insel für den Kultus des wahren Gottes zu gewinnen, indem er hoffte, dass dann die ganze Bevölkerung dem Beispiel ihres Häuptlings folgen würde. Er schickte seinen Sohn zum Könige von Madjapahir, um ihm seinen Besuch ansagen zu lassen und machte sich dann selbst auf den Weg zur Residenz des javanischen Monarchen.

Der König von Madjapahir kam dem Scheikh entgegen und empfing ihn mit großen Ehren. Aber da der Scheikh dem Herrscher in einem einfachen Korb nur einen Granatapfel überreicht hatte, fühlte sich derselbe durch die Geringfügigkeit des Geschenkes beleidigt und fasste eine große Geringschätzung für einen Menschen, der seinem Freund nichts weiter zu geben vermochte, als eine auf dem Boden Javas so gemeine Frucht.

Mulane Ibrahim bemerkte, was in der Seele des Fürsten vorging. Nachdem er sich bei ihm verabschiedet hatte, verließ er ihn, um nach Disa Leran zurückzukehren.

Kaum war er fort, als der König von Madjapahir von heftigen Kopfschmerzen befallen wurde. Unwillkürlich griff er nach dem Granatapfel, um ihn zu essen, aber statt der saftigen und erfrischenden Körner, die er unter der Schale zu finden glaubte, bemerkte er voll Staunen, dass sie mit prachtvollen Rubinen angefüllt war. Er schickte eiligst Mulane Ibrahim nach, um ihn bitten zu lassen, wieder umzukehren. Aber wenn die Demut eine christliche Tugend ist, so wird sie dagegen von den Muselmännern nur wenig gewürdigt, und der neue Missionär, der sich durch die empfangene Beschimpfung verletzt fühlte, verweigerte hartnäckig die Umkehr.

Als Mulane Ibrahim nach Disa Leran kam, fand er seine Tochter krank. Ungeachtet der Sorgfalt, die er ihr widmete, starb sie einige Tage darauf in seinen Armen.

Als der König von Madjapahir das Unglück erfuhr, von welchem der arme Mann betroffen worden war, begab er sich zu ihm. Seit drei Tagen lag die junge Araberin bleich und erstarrt auf ihrem Lager, seit drei Tagen hatte der Engel des Todes seine finsteren Fittiche über diesen schönen Körper gebreitet und schon nahm die Farbe einen bläulichen Ton an. Aber man hatte dem Rajah die wunderbare Schönheit so sehr gerühmt, dass er nach den ersten Begrüßungen des Greises das sehen wollte, was von dieser Schönheit übrig blieb.

Man gab seinen Bitten nach. Als eine von den Frauen der jungen Muselmännin den Schleier weggenommen hatte, der die Leiche bedeckte, blieb der König von Madjapahir, geblendet durch das, was er sah, einige Augenblicke stumm vor Überraschung und Bewunderung. Dann warf er sich nieder auf die Knie und flehte Brahma laut an, der Seele des jungen Mädchens zu gestatten, wieder in diesen schönen Körper zurückzukehren.

»Höre auf, deine Götter anzuflehen, denn sie sind von Gold und Elfenbein und können dich nicht hören, der meine allein kann deinen Wunsch erfüllen«, sagte Mulane Ibrahim.

Der König von Madjapahir erlag nun einem göttlichen Einfluss und betete voll Inbrunst zu dem Gott der Rechtgläubigen und zu Mohamed, seinem Propheten. Zur großen Überraschung der Anwesenden sah man den bläulichen Ring, der die Augen der Leiche umgab, allmählich verschwinden, ihre Lippen sich rosig färben und eine leise Purpurröte auf ihren Wangen hervortreten. Ihre langen gebogenen Augenwimper erhoben sich langsam und zeigten ihre großen schwarzen Augen, die man für immer geschlossen gehalten hatte. Sie reichte ihre Hände dem König von Madjapahir, der Moslem wurde und sie heiratete.

Gegen das Jahr 1421 hatte der Islamismus sich auf Java auf Kosten des Brahmaismus und Buddhaismus festgesetzt, deren prachtvolle Tempel verlassen wurden und verfielen.

Indessen gab es auf Java vom ursprünglichen Kultus der Eingeborenen noch etwas anderes, als die prachtvollen Ruinen der Tempel Brambanhan, Boro-Boda, Thandi-Süvu und noch vieler anderer. Gleich allen verfolgten Religionen hatte auch die Buddhas ihre treuen Anhänger, Herzen von Gold und Erz, welche viele Menschenalter hindurch, ungeachtet aller Martern, den Glauben bewahrten, den sie von ihren Vorfahren empfingen.

Ein ganzer Stamm der Anhänger Buddhas, oder Beduis, wie die Moslemiten sie nannten, wohnte in der Provinz Bantam.

Sie waren größtenteils Ackerbauer, arm, sanft und ruhig, arbeitsam und rechtschaffen. Gleichwohl war die Hand des Regenten, die sich von ihnen zurückzog, wenn es galt, sie gegen Bedrückungen niederer Beamten zu schützen, sehr hart gegen sie, wenn es eine Auflage zu erheben, irgendeine Naturalleistung zu gewähren galt. Aufrechterhalten durch den Spiritualismus ihres Glaubens, ertrugen sie geduldig das Elend ihrer traurigen Existenz, in der Hoffnung auf ein besseres Leben und entwaffneten durch diese Tugend den bösen Willen, den die moslemischen Herrscher oder Lehensträger erblich gegen sie bewiesen.

Thsermai, den seine Erziehung toleranter hätte machen sollen, zeigte sich im Gegenteil tyrannischer als seine Vorgänger. Diese hatten die Beduis unterdrückt. Er verfolgte sie. Nicht zufrieden damit, ihre Abgaben zu verdoppeln, machte er sich auch noch ein Vergnügen daraus, ihre Felder zu verwüsten, indem er seine Hunde darüber trieb, mit seinen Pferden und seinen Elefanten darauf umherritt. Es schien, als sei die sanfte demütige Tugend dieser Menschen für ihn ein Vorwurf und als wollte er ihr daher ein Ende machen.

Eine lange Zeit hielten die Beduis alles aus. Gleich den Ameisen, wenn die Bosheit eines Kindes ihr vergängliches Gebäude zerstört hat, verdoppelten sie ihre Tätigkeit und ihre Arbeit, um alles wiederherzustellen.

Ohne sich zu beklagen, ohne Widerspruch, ohne der Rache, die nicht in ihren Sitten lag, nur einen Gedanken zu widmen, erbauten sie die Hütten wieder, die eine Laune ihres Herrn niedergebrannt hatte, streuten sie neuen Samen in die Felder, welche seine Lustbarkeiten verwüsteten, brachen sie ihren Nächten die Zeit ab, wenn die Tage zu dieser Aufgabe nicht genügten, und beteten zu Buddha, ihrem Feind das Böse mit Gutem zu vergelten, wie nur die Christen es getan haben konnten.

Allmählich jedoch genügte diese Ergebung nicht mehr zu ihrer Verteidigung. Sie fielen einzeln ab, wie die Früchte einer überreifen Traube. Das Fieber raffte diese hin, die Anstrengung tödtete jene. Andere, die sich von allem entblößt sahen, flohen in die Wälder, um ihren armen Glaubensgenossen nicht zur Last zu fallen. Nach Verlauf eines Jahres war die kleine Kolonie auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Ein Mitglied dieses Stammes, welches – eine seltene Sache bei den Beduis – die Hälfte seines Lebens außerhalb seines Geburtslandes zugebracht hatte, kehrte aus Hindostan, wo er sich verheiratete, mit einer kleinen Tochter zurück, der er nach dem Tod seiner Frau seine ganze Sorgfalt widmete und die er liebte, wie der Geizige seinen Schatz.

Mit zwölf Jahren versprach dieses Kind so schön zu werden, wie seine Mutter gewesen war, das heißt, eines der prachtvollsten Muster des afghanischen Stammes.

Eines Abends kehrte das junge Mädchen zu der gewohnten Stunde nicht in die Hütte zurück. Ihr Vater dachte an die Tiger, welche in diesem Teil der Insel zahlreich sind. Er gewährte seiner Besorgnis nicht die Zeit, zu wachsen. Er ergriff als Waffe eines seiner Arbeitsgeräte, nahm eine Fackel in die Hand und durchsuchte die Gebüsche des Waldes, ohne sich darum zu kümmern, ob er nicht statt der blutigen Überreste seiner Tochter, die wilden Tiere selbst finden würde.

Mit Tagesanbruch suchte er noch und als er die Blicke umherwarf, erkannte er, dass er sich in der Nähe von Dalam oder dem Palast Thsermais befand. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Er hatte den Tigern Unrecht getan. Nicht in ihren Höhlen, in ihren Junglen, sollte er sein Kind finden, sondern in der Wohnung seines Herrschers. Er schritt derselben zu, als er einem Beduis begegnete, der seinen Büffel zur Arbeit trieb. Dieser Beduis erzählte ihm, dass er am Abend zuvor bei der Rückkehr von der Arbeit dem vertrauten Diener Thsermais begegnet wäre, welcher das junge Mädchen mit sich führte. In seiner unschuldigen Einfalt wagte er indessen, dem verzweifelten Vater zu sagen, die junge Indianerin wäre scheinbar mit der Entführung ganz einverstanden gewesen. Sie wäre heiter und lachend erschienen.

Der Vater wagte, was keiner seiner Glaubensgenossen vor ihm gewagt hatte. Er betrat den Dalam Thsermais, wie er die Höhle der Tiger betreten haben würde, ohne zu erbleichen und zu zittern. Er wandte sich an den ersten Diener des Rajah, dem er begegnete, er bat mit den Tränen, mit dem Flehen eines Vaters, ihm sein Kind zurückzugeben. Der Mensch lachte ihm ins Gesicht und seine Gefährten, die herbeikamen, ahmten seinem Beispiel nach. Jede Klage des Beduis fand ein spöttisches Echo. Da der Lärm die Ruhe des Gebieters stören konnte, schlug man ihn, bis er zu Boden fiel und warf ihn dann zu dem Schloss hinaus.

Als der Greis wieder zu sich kam, dachte er nicht daran, in seine Hütte zurückzukehren. Ohne sein Kind, ohne das, was er als das Licht und die Freude seines Lebens betrachtete, musste sie ihm nun abscheulich und verhasster erscheinen als die Wüste. Er erhob sich, sagte dem Tal, das ihn geboren werden sah, Lebewohl, richtete einen letzten Blick auf den Palast, aus welchem in diesem Augenblick der Lärm von Tambourins und anderen Instrumenten tönte, und ging, sich denen seiner Brüder anzuschließen, die in der Einsamkeit der Wälder ein Asyl gesucht hatten.

Unsere Leser haben bereits erraten, dass dieser Vater, dieser Greis, Argalenka war, den wir von einer Laune des Glückes das erbitten sahen, dessen er bedurfte, um die Habgier des javanischen Fürsten zu befriedigen, indem er das Lösegeld seiner Tochter bezahlte. Nur täuschte er sich, indem er annahm, Arroa sei sogleich in den Harem Thsermais gekommen. Der Vertraute eines Herrschers hatte sie für sich selbst entführt. Erst nachdem sie beinahe zwei Jahre in einem Haus des Doktor Basilius in Batavia zugebracht hatte, wie wir sahen, war sie dem javanischen Fürsten zugeführt worden.

Am Abend nach dem Tag, an welchem Madame van der Beek Mutter geworden war, erfolgte Argalenka den Weg, der von Tangwang nach Jasinga führt. Die Nacht war angebrochen, eine jener lauen, würzigen Nächte, wie man sie nur in den Tropenländern kennt. Die Seeluft kühlte die Atmosphäre etwas ab und strich über Java hin, indem sie sich mit den süßen Düften der wohlriechenden Bäume seiner Wälder schwängerte und vor sich die brennenden Dünste hertrieb, die aus dem Boden aufstiegen, welchen das Feuer des Tages ausgedörrt hatte. Alles war Schweigen. Das Geheul des Schakals, der seine Beute an den Rändern der Reisfelder suchte, und der grelle Schrei der Geier störten allein die majestätische Ruhe der Natur.

Beim matten Scheine, welcher, selbst lohne den Mond, die schönen Nächte erhellt, bemerkte man die Umrisse der Bäume des Tales, die grauen Gebüsche der Kaffeepflanzungen und an dem Horizont die hohen Wipfel des Panderango und des Salek, die schwarz gegen den Himmel abstachen.

Fühllos gegen die Pracht und den Zauber der ihn umgebenden Natur, schien Argalenka seine ganze Aufmerksamkeit auf die unzugänglichen Gipfel dieser Berge zu richten, denen er beständig seine Blicke zuwendete, sobald er seine Schritte den ersten Abhängen derselben zu lenkte.

Durch die Ermüdung erschöpft, was sein gebeugter Körper und die mühsamen Bewegungen seiner Füße verrieten, schien er durch die Betrachtung des Zieles, das er erreichen wollte, neue Kräfte zu schöpfen. Aber der Weg war weit, die Aufgabe schwer und die Überreizung, die ihn aufrechterhielt, erschöpfte auf die Dauer seine Kräfte immer mehr und mehr. Gleichwohl schritt er immer vorwärts, den Blick auf den Berg Salek gewendet. Da strauchelte er über einen Stein auf seinem Weg, fiel zu Boden. Als er sich wieder aufrichten wollte, fühlte er sich so erschöpft, dass er das Bedürfnis empfand, eine kurze Ruhe zu genießen. Gleichwohl schien er sich nicht leicht zu entschließen, seine Reise zu unterbrechen. Mehrmals versuchte er es, sich wieder auf den Weg zu machen. Als er die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen erkannte, rief er, die Arme zum Himmel erhebend, mit Tränen des bittersten Schmerzes: »König des Weltalls, Herr der Götter und der großen Menschen, Buddha, dich rufe ich an! Möge deine Hand sich gegen mich ausstrecken und mich aufrecht erhalten während des Weges, den ich noch zurückzulegen habe, um die zu treffen, die mich erwartet!«

Argalenka hatte diese Worte noch nicht vollendet, als er, zehn Schritte von sich entfernt, das wohlbekannte Zischen der Cobra Capella hörte und eine schwarze Linie sah, die sich über den Weg schlängelte. Er machte keine Bewegung des Schreckens, er tat nichts, um dem fürchterlichen Tier zu entrinnen. Dieses aber suchte keine Beute, sondern floh und der Beduis sah es sogleich in dem Gebüsch verschwinden. Beinahe in demselben Augenblick wogten die Reishalme an der entgegengesetzten Seite des Weges. Ein Mann trat daraus hervor und blieb am Saum der Straße stehen. Dieser Mann war Harruch. Er bemerkte Argalenka und suchte den zu erkennen, den er hier im Staub sitzend erblickte.

»Was machst du da?«, fragte er endlich.

»Ich erwarte, dass das Gebet, welches ich an Buddha richtete, erfüllt werde«, erwiderte der Beduis, »dass er mir die Kraft sende, welche mir mangelt, oder einen Menschen, der lieber ein gutes Werk tun, als einen Schatz erringen will.«

Harruch hörte auf die Antwort Argalenkas nur mit der größten Zerstreutheit. Er schien damit beschäftigt, die Spur zu erkennen, welche die Schlange im Sand zurückgelassen hatte. Ehe er dem Beduis antwortete, verfolgte er diese Spur, den Kopf gegen den Boden gesenkt, bis zu dem Ort, wo die Kobra die Straße verlassen hatte. Dann erst näherte er sich dem, der seine Hilfe anflehte.

»Ei«, sagte er, »es ist unmöglich, diese Nacht die blauen Berge zu erreichen. Du bedachtest nicht, dass du, wenn du den Jasinga überschrittest, in den Wald des Lebak kommst, der so von wilden Tieren erfüllt ist, dass Buddha und Mahomed selbst ihre Gebeine nicht retten könnten.«

»Und wären sie von Menschen erfüllt, die auf mein Verderben sinnen, und die weit mehr zu fürchten sind, als die wilden Tiere, so würde ich dennoch dahin gehen, wohin ich zu gehen habe.«

»Welcher Beweggrund läddt dich dieser Gefahr trotzen? Ich, der ich ein Günstling der Dadung-Arvu bin, der guten Geister der Jäger, ich, der ich mein Geschäft daraus mache, die wilden Tiere in ihren geheimsten und dunkelsten Verstecken aufzusuchen, ich selbst würde zögern.«

Argalenka antwortete nicht.

Harruch schien die Zurückhaltung, die der Beduis bewahrte, nicht übel zu nehmen.

»Das ist dein Geheimnis«, begnügte er sich zu sagen.

»Nein«, entgegnete Argalenka, »der Bittende hat kein Geheimnis mehr. Sein Herz gehört dem, von welchem er das Leben erfleht. Weshalb sollte ich dir übrigens auch meine Absichten verbergen? Mein Herz ist rein, wie das Wasser, welches Gott in den Stock des Ravenalia, den Baum der Reisenden, legte.«

»Gut«, sagte Harruch, »dein Vertrauen soll dich nicht täuschen. Ich schwöre, für dich zu tun, was ein armer Mensch für einen noch ärmeren tun kann, und dir mit dem beizustehen, was ich besitze, mit meiner Kraft und meinem Mut. Aber erspare dir die Mühe, mir deine Geschichte zu erzählen. Ich kenne diese«, fuhr Harruch fort, der seit einigen Augenblicken den Beduis mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte.

»Du kennst mich?«, sagte dieser.

»Ja; du nennst dich Argalenka und bist aus deiner Hütte entflohen, weil der Vertraute Thsermais dir deine Tochter raubte. Du kamst vor zwei Tagen zu Mynheer Cornelis. Du hast den Chinesen ausgeplündert und dessen Gold deinem Fürsten geboten, dass er dir dein Kind zurückgebe. Er hat es verweigert und du bist fortgegangen. Du kehrtest nach Weltevrede zurück und erwartetest am nächsten Tag auf dem Königsplatze die Öffnung des Palastes. Ist das alles so wahr?«

»Das alles ist die Wahrheit«, erwiderte Argalenka.«

»Gut. Jetzt höre das Ende. Am 13. Tag des Monats Katigo hatten sich Männer, Javaner, Beduis, Chinesen, Malaien und Mauren im Wald von Tjidaval versammelt und dort davon gesprochen, die Herren der Insel niederzumetzeln. Der Beduis Argalenka, der im hohlen Stamm eines Liquidamber verborgen war, welcher ihm seit einem Jahr zur Zufluchtsstätte diente, hatte alles gehört. Wenn Argalenka am Tage darauf auf dem Gouvernementsplatz die Eröffnung des Hauses des weißen Sultans erwartete, so geschah es, weil er diesen sagen wollte, was jene Männer berieten.«

»Das ist« wahr«, entgegnete Argalenka. »Meine Religion gebietet mir, so viel ich es vermag, das Blutvergießen der Geschöpfe zu verhindern, die sämtlich aus den Händen Buddhas hervorgegangen sind.«

»Ja«, sagte Harruch, »aber wenn du dich so sehr beeiltest, die Vorschriften deiner Religion zu erfüllen, so geschah das auch, weil du im Wald von Tjidaval Thsermai erkannt hattest. Gleichwohl sagt ein anderes Wort Buddhas: Du sollst denen nichts Böses tun, die dir welches zufügten.«

Argalenka senkte den Kopf und antwortete nicht.

»Noch mehr; eine Minute hat genügt, um dich das zweite Gebot deines Gottes vergessen zu lassen, wie du das erste vergessen hattest. Während du den blau und gelb gekleideten Soldaten betrachtetest, der vor den Bogengängen des Palastes auf- und nieder schritt, beobachtete dich ein Mensch, ein Malaie, als Seemann gekleidet. Dieser Mensch näherte sich dir und sagte: Argalenka, willst du deine Tochter wiedersehen? Du erbebtest, wie du in diesem Augenblick erbebst, und antwortetest: Für einen Kuss meines Kindes gebe ich mein Leben hin. Du dachtest schon nicht mehr daran. Das Gebot Buddhas zu erfüllen, zu verhindern, dass das Blut seiner Nebenmenschen vergossen würde, ebenso wenig, wie ich daran denke, den Lauf des Tjidaval aufhalten zu wollen.«

Argalenka achtete nicht auf diese letzte Äußerung des Guebern. Er hatte ihn atemlos vor Angst angehört.

»Ja«, entgegnete er, »ja, er versprach mir, dass ich mein Kind wiedersehen sollte. Du hast es gehört, du, und kannst es bezeugen. Wie glaubtest du, dass ich an etwas anderes denken werde, als an meine süße Arroa, als an die Liebkosungen, deren ihr alter Vater noch genießen wird? Denn jetzt, da du weißt, dass sie es ist, die ich auf dem Berg Sidjiva finden soll, dass sie mich dort vielleicht erwartete. Ach, mein Gott, ich werde nicht hinkommen und sie könnte glauben, ich liebte sie nicht mehr! Du wirst dich nicht weigern, mich hinzuführen. Ein Vater, der sein Kind wiedersehen will, das ist etwas Heiliges für einen Menschen, für ein Volk, für alle Götter. Komm, leiste mir Beistand, aufzustehen, hilf mir, diese widerspenstigen Beine bezwingen, stütze mich. Und wenn mein Körper mich wieder verrät, so lass ihn am Wege liegen, aber öffne seine Brust, nimm sein Herz heraus und trage es zu der, von der es ganz erfüllt ist.«

»Argalenka«, sagte ernst der Schlangenbeschwörer, »Arroa erwartet dich nicht auf dem Berg Sidjiva.«

»Du irrst dich, Mensch, das ist unmöglich. Der Malaie sagte mir: ›Erwarte deine Tochter auf dem Berg Sidjiva, an dem Ort, wo die steilen Gipfel beginnen. Ehe die Sonne die blauen Spitzen fünf Mal mit Purpur umsäumt hat, wird Arroa in deinen Armen liegen. Die Klage des Greises hat mich gerührt und ich werde von Thsermai erlangen, dass er tut, was du begehrst.‹ So hat er gesprochen und er kann mich nicht haben betrügen wollen. Und sobald Arroa erfahren hat, dass man ihr erlaubt, ihren alten Vater wieder in die Arme zu schließen, wird sie sich wohl gehütet haben, dies zu unterlassen.«

»Du glaubst vielleicht, dass meine Tochter mich nicht liebt? Ach, mein Gott«, rief der Greis, indem er sich selbst aufregte, »wie kann man so etwas denken? Wenn du in unserer Hütte gesehen hättest, wie sie abends meinen Segen erbat! Da waren es Küsse, Liebkosungen, die kein Ende nehmen wollten. Und am Morgen fing es wieder ebenso an. Sie war so hübsch, meine Arroa, so schön, dass du sie eher für die Tochter eines Genius gehalten hättest, als für die eines armen Beduis! Nein, sage das nicht, Mann, sage vielmehr, dass sie, gleich mir, die Nacht damit zugebracht hat, auf die Schläge ihres Herzens zu hören, wie sie meinen Namen aussprachen, ganz so, wie das Klopfen meines Herzens mir ihren Namen zuruft, seitdem ich Weltevrede verlassen habe. Sage das, sage, dass sie kommen wird, sage, dass sie mich liebt. Sprich es aus. Es kann dir nicht schwer werden, denn es ist die Wahrheit, und du musst daran glauben. Sage, wenn du es auch nicht glaubst, sage es dennoch, aus Mitleid für den armen Beduis, der dich auf den Knien darum anfleht! Mir das Gegenteil zu beweisen, würde mich töten; wie ich auch sterben würde, wenn nach so vielen Hoffnungen ich das Glück verschwinden sähe, das mich seit sechzehn Stunden beinahe wahnsinnig macht!«

Diese Klagen Argalenkas durchdrangen die raue Schale, welche das Herz des Guebern umgab. Er ergriff die Hand des Greises mit mehr Herzlichkeit, wie er gewöhnlich zu zeigen pflegte.

»Ich sage nicht, dass Sie den nicht mehr liebt, der ihr das Leben gab«, erwiderte er, »aber ich bestätige auch ebenso wenig, dass sie ihm ihre Zärtlichkeit bewahrte. Was ich weiß und was ich mit einem Eid bekräftigen will, ist, dass sie es nicht sein wird, die du an dem Ort findest, wohin der Malaie dich bestellte.«

»Was werde ich denn dort finden?«

»Zwei Kris, welche in deinem Herzen die Zusammenkunft des Waldes von Tjidaval begraben.«

»Meine Tochter! Meine Tochter!«, rief der arme Vater mit herzzerreißender Verzweiflung, als ob bei dem Tod, welchen Harruch ihm als über seinem Haupt schwebend verkündete, nur der eine Gedanke ihn ergriffen hätte, von seinem Kind getrennt zu werden.

»Deine Tochter ist bei dem Rajah. Basilius hatte sie dir geraubt. Nach seinem Tod hat Thsermai sie genommen.«

Argalenka verbarg sein Gesicht in den Händen.

»Aber«, fuhr der Gueber fort, dessen Stimme jetzt keine Aufregung mehr verriet, »erregt das Böse, das man dir zusagte, bei dir kein anderes Gefühl, als das eines vergeblichen Schmerzes?«

»Was willst du damit sagen?««

»Ist für dein verwundetes Herz die Rache kein Heilmittel, wie der Dajdah es gegen den Biss der Schlangen ist?«

»Ach«, entgegnete der arme Greis, »meine Tochter zu lieben, das ist alles, worauf ich mich verstehe, und mein Herz ist so von diesem einen Gedanken erfüllt, dass es keinen Raum für einen anderen hat.«

»Vater, du hast auf deiner Stirn einen Kranz von weißen Haaren. Wenn du unter den Menschen gelebt hast, musst du sie kennen. Reicht denn dein Blick nicht weiter, als deine Augäpfel? Ich brachte mein Leben in den Wäldern, in der Mitte wilder Tiere zu, und was ich sah, höre: Wenn der Kidang nur noch ein Füllen ist und sanfter als das sanfteste Weib, bedroht er doch schon seinen Vater, wenn dieser ihn in seiner Liebe stören will. Danach beurteile, was der junge Tiger wagt. Du bist arm und deine Tochter lebt in Pracht. Du ruhst am Wege und sie bewohnt einen Palast. Gleich mir hast du die Hälfte deines Sacongs an den Dornen der Wälder zurückgelassen. Die Mieder Arroas funkeln wie die Fluten in den Strahlen der Sonne. Was kann noch zwischen dir und ihr gemein sein?«

»Sprich nicht so. Du lästerst Gott in der Liebe der Kinder zu denen, welche ihnen das Leben gaben.«

»Ich werde dennoch so sprechen. Man hat dich zu Boden getreten und ich will, dass du dich erheben sollst. Man hat dich geschlagen und ich will, dass du den Kopf aufrichtest. Wenn die Liebe deiner Tochter dir nicht mehr gehört, denke an die, welche sie dir raubten, und an deinen Hass. Wie in deiner Zärtlichkeit, wirst du eine unendliche Süßigkeit finden.«

»Buddha hat uns auf die Erde gesetzt, um zu lieben und nicht, um zu hassen.«

»Buddha ist kein Gott«, fuhr der Gueber fort. »Zeige mir deinen Gott, wie ich dir den meinen zeigen werde. Der wahre Gott ist die Sonne, die uns das Feuer gab. Betrachte diesen Vulkan«, fuhr Harruch fort, indem er auf die Gipfel des Panderango deutete, der seinen rötlichen Scheitel in die Nacht emporstreckte. »Betrachte diesen Vulkan, der nur brennt, um vernichten und zu zerstören. Gleichwohl ist der Gott, der ihn in den Eingeweiden des Berges anzündete! So soll es auch nach seinem Willen mit den Leidenschaften sein, die er in unsere Leben legte.«

»Ich sage es dir, Mann, mag ich auch suchen, wie ich will, so finde ich dennoch keinen Hass in der Seele, die ich von Buddha empfing.«

Harruch stampfte ungeduldig auf den Boden. »Argalenka«, sagte er, »der Malaie, der dir versprach, dir deine Tochter zurückzugeben, hat dich belogen.«

»Handelt er so, dann beklage ich ihn«, sagte Argalenka, »und werde zu Buddha beten, dass er ihn den Wert der Aufrichtigkeit kennen lehrt.«

»Argalenka, ich sagte es dir schon, dass Arroa aus dem Haus des fränkischen Doktors in den Harem des Rajah kam. Sie ist zwei Mal besudelt worden.«

»Die Liebe ihres Vaters wird sie läutern.«

»Argalenka, nicht zufrieden mit dem Besitz ihres Körpers, hat dieser Mensch dir auch das Herz deines Kindes geraubt. Der Geist deiner Tochter ist die Beute des Dämons geworden.«

»Buddha ist allmächtig. Sein Hauch fegt die Dämonen hinweg, wie der Wind die Blätter des Tales vor sich hertreibt.«

»So gehe denn, unsinniger Greis, gehe zu dem Sidjiva. Deine Augen werden dort nichts sehen, als die Mauern des alten verlassenen Stalles, als die grünen Bäume und Gesträuche. Deine Ohren werden nichts hören, als das Geschrei der Bewohner der Einsamkeit, welche eine leicht zu erfassende Beute wittern. Dann wirst du es zu spät bereuen, nicht auf den gehört zu haben, der dir redlich seine Hand bot und der allein es vermochte, wo nicht dir das Herz deines Kindes zurückzugeben, doch wenigstens deine väterlichen Blicke durch die Freude zu sättigen, die zu betrachten, der du das Leben gabst.«

»Du, du!«, rief Argalenka, indem er seine Schwäche vergaß und sich auf seinen Beinen emporrichtete, als wären sie von Stahl. »Ich danke dir, Buddha, dass du mich erhörtest und mir diesen Menschen sendest! Ich werde sie sehen! Ha, die Freude erstickt mich, meine Tränen, die soeben noch reichlich flossen, versiegen in meinen Augenwimpern und verbrennen sie. Dir werde ich das Glück verdanken. Ich hatte gleich erkannt, dass du gut bist.«

Die Finsternis verhinderte Argalenka, das unheimliche Lächeln zu bemerken, welches bei diesen Worten Harruchs Lippen umspielte.

»Ja«, sagte derselbe, »wenn sie nicht zu dir gekommen ist, wollen wir es versuchen, zu ihr zu gelangen.

»Wann brechen wir auf«, fragte der Greis, »es scheint, als verlieren wir viel Zeit. Ach, ich finde, dass der Morgenvogel lange zögert, den Schrei auszustoßen, durch den er den Tag begrüßt. Arroa, mein Kind, ich soll dich also wiedersehen!«

»Ja, aber ich stelle dazu eine Bedingung?«

»Welche? Sprich, verlangst du mein Blut? Verlangst du mein Leben? Soll ich bis zu ihr durch das Feuer gehen?« Du brauchst nur zu sagen, was du verlangst und ich werde es tun. Du, der du Mitleid mit meinem Schmerz hattest. Du musst wissen, was es heißt, Vater zu sein.«

»Höre! Ich bin gleich dir ein Opfer, aber nicht ein trauriges, ergebungsvolles Opfer, wie du es bist. Wenn Harruch beleidigt wurde, hört er gleich dem Tiger, der nur auf den Ruf seiner Eingeweide achtet, weiter nichts mehr, als seinen Hass und schreitet seiner Beute mit sicherem Fuß entgegen, kriecht, wenn er kriechen muss, verbirgt sich, so lange die Stunde noch nicht geschlagen hat, aber er ist stets bereit, auf die Unklugen, die seinen Zorn reizen, einzuspringen und sie mit seinen stählernen Krallen zu zerreißen.«

»Und was verlangst du von mir?«

»Ein Mensch, so stark und so tapfer er auch sei, ist doch immer nur ein Mensch. Er kann sterben und seine Rache mit ihm. Ich will aber nicht, dass meine Rache stirbt. Du wirst daher beim Tempel von Boro-Boda schwören, mir in meinem Werk beizustehen, mich dabei mit all deinen Kräften zu unterstützen, wenn das, was ich verkünde, nicht wahr ist, wenn deine Tochter in dir nur noch einen Fremden, einen schmutzigen Bettler sieht.«

»Es ist unmöglich! Meine Arroa ihren Vater nicht anerkennen?«, sagte der Greis mit einem unbeschreiblichen Ausdruck des Lächelns.

»Weshalb zögerst du dann, einen Eid zu leisten, der dich zu nichts verpflichtet?«

»Dieser Eid verwirft Buddha. Ich verdamme dich nicht, Harruch, aber deine Ansichten sind nicht die meinen. Du hast recht, indem du dich mit dem Tiger der großen Wälder vergleichst, wenn du gleich ihm dich nur durch Blut sättigen kannst. Ich glaube an die Gerechtigkeit dessen, der mich auf die Erde stellte. Da ich mein Möglichstes tat, um seine Gesetze zu befolgen, glaube ich, dass er sich meiner Sache annehmen wird, dass er den straft, der gestraft werden muss, dass er mich rächt, wenn ich gerächt werden soll und in seine Hände übertrage ich dies alles. Aber wenn ich mich weigere, das zu tun, was mein Gott mir verbietet, ist das für dich ein Grund, mich des Glaubens zu berauben, dass du mir versprachst, den lachenden Becher nur meinen Lippen genähert zu haben, um mich desto empfindlicher die Qualen des Durstes fühlen zu lassen!«

»Nein«, erwiderte Harruch darauf, »ich sagte dir meine Bedingungen. Du wolltest sie nicht erfüllen, unsinniger Greis, und ich verlasse dich daher. Bitte Buddha, dass er dir deine Tochter zurückgibt und erwarte von Harruch nichts mehr.«

»Das will ich tun«, erwiderte der Greis mit schmerzhafter Ergebung, »ich bin elend, verlassen von allen, ich habe nicht mehr die Kraft, meine schwachen Hände zu erheben, aber meine Sache ruht in der Hand meines Gottes und ich hoffe, dass er die Boshaften bestrafen wird.«

»Ich hoffe nichts, als von mir selbst«, erwiderte Harruch, indem er die Falten seines Sacong zusammenzog, um sich wieder in Gang zu setzen. »Mein Arm wird die treffen, die mich getroffen haben. Lebe wohl.«

Indem Harruch diese Worte sprach, entfernte er sich mit großen Schritten, Argalenka zurücklassend, wo er ihn gefunden hatte und kniend in dem Staub des Weges.