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Der Konstanzer Hans Teil 2

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Zweites Kapitel

Hans wird wandernder Krämer

Hans empfand das Unangenehme und Bittere seiner Lage so tief, dass er den Entschluss, seinen Eltern zu entlaufen, gewiss ausgeführt haben würde, hätte sich nicht etwas ereignet, das seinem Schicksal eine andere Wendung und seinem Leben einen neuen Schwung gab.

Der sogenannte Sulzerjörgle, Herrenbergers alter Bekannter, gab diesem in Weingarten den Rat, seinen Sohn mit geistlicher Ware handeln zu lassen. Diese bestand in allerlei geistlichen Bildern und Zetteln, welche kräftig und wundertätig sein sollten, wenn sie berührt und geweiht worden waren durch die Reliquie, die im Weingarten aufbewahrt wurde und ein Tropfen von dem Blut Christi war, in Edelsteine und Gold gefasst. Hans hatte große Freude an seinem neuen Geschäft und betrieb es auch mit regem Eifer und großer Geschicklichkeit so, dass er seinem Vater immer einen schönen Erlös bringen konnte. Er hatte gar bald gelernt, wie man mit jeder Klasse von Menschen reden müsse, und welche Ortschaften und Gegenden für den Handel am einträglichsten waren. Das Warenlager wurde in kurzer Zeit erweitert durch hölzerne Christusbilder, Wachsfiguren, Rosenkränze, Ablasspfennige, Tabakpfeifen usw., und warf beträchtlichen Gewinn ab. Denn er verstand es, schwachsinnige Leute durch Erzählungen von Wundern zu unterhalten, welche durch seine Waren schon da und dort geschehen sein sollten. Da hierdurch sein Warenabsatz sich vergrößerte, so dachte er immer auf neue Lügen und erreichte vollkommen seinen Zweck, indem es der törichten Leute genug gab, welche auch den albernsten Versicherungen unbedingten Glauben schenkten.

Aber welcher Schaden für seine Seele entstand hieraus! Das beständige Herumwandern wurde ihm zum Bedürfnis und zur Gewohnheit. Die frühere Begierde, ein Handwerk zu erlernen, verschwand. Die Fertigkeit zu lügen, wuchs und bereitete ihn für seine künftige schlimme Lebensweise vor. Hinzu kam noch, dass sein Vater ihn sehr kurz hielt in Ansehung auf Kleidung und Nahrung, ihn in schlechten und zerlumpten Kleidern und öfters zwei bis drei Tage ohne eine warme Speise ausziehen ließ und ihm nie auch nur einen Kreuzer als Belohnung und Fleiß für seinen Eifer schenkte. Und doch stand Hans nun in dem Jünglingsalter, wo er hier und da an den Freuden und Vergnügungen seiner Altersgenossen auch gern teilgenommen hätte. Die Kargheit seines Vaters war daher zunächst die Ursache, die den Sohn verleitete, einige Mal etliche Batzen von dem Erlös zurück zu behalten, um sich ein Vergnügen durch Spielen und Trinken machen zu können. Überdies war Hans in seiner Freiheit auch insofern allzu sehr beschränkt, als der Vater ihm die Orte vorschrieb, die er besuchen sollte. Machte er ihm Vorstellungen und setzte ihm auseinander, dass er an anderen Orten mehr Absatz habe, als an den bezeichneten, – was doch Hans aus seiner Erfahrung gewiss besser wusste –, so kam es öfters zu sehr schlimmen Auftritten. Je häufiger sich solche Fälle wiederholten, desto mehr musste dem Sohn der Aufenthalt bei seinen Eltern und die lästige Beschränkung seiner Freiheit verleidet werden. Er entlief auch wirklich einmal und hielt sich einige Wochen bei einem Bauern als Viehhirte auf. Nach seiner Rückkehr gab es aber bald wieder dieselben ärgerlichen Auftritte, und die gemeinsten Schimpfreden und Drohungen des Vaters brachten den Sohn auf das Äußerste.

Gerade nach einem solchen Vorfall kam der sogenannte Schul-Toni, ein junger Mann von sehr ansehnlicher Größe, einer der kühnsten und gefürchtetsten Gauner. Hans klagte diesem, den er schon von den Kindesjahren her kannte, des Vaters Strenge und Härte und rühmte sich seines Eifers im Warenhandel, wodurch doch er eigentlich allein für den Unterhalt der ganzen Familie zu sorgen habe.

»Warum lässt du dir das gefallen?«, sprach Toni. »Du bist ein Bursche, der sich selbst fortbringen kann. Komm in meine Gesellschaft. Ich gebe dir meine Stieftochter und 100 Taler dazu, und du wirst es besser bekommen, als du es jetzt hast.«

Das waren für Hans recht reizende Aussichten, dennoch siegte noch der bessere Gedanke in seiner Seele.

»Ich mag meinen Vater doch nicht verlassen«, erwiderte er.

»Nun«, sprach Toni, „wenn du es bei deinem Vater nicht mehr aushalten kannst, so suche mich auf.«

So trennten sie sich.