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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 8

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

8.

Die Geburt Elisabeths

Horch, die Kanonen donnern endlich vom hohen Wall Westminsters und vom Tower! Die Stunden, die Tage vielmehr, denn drei Tage lang dauerte der schwere Kampf, waren vorüber! Ein Kind ist wieder dem Thron geboren! In diesen drei Tagen mussten fortwährend, auf Befehl des Königs, Messen und Gebete für das Leben seiner Gemahlin in dem alten Kloster von Grey Friars gehalten werden. Die reiche Abtei war durch einen bedeckten Gang mit dem Schloss Greenwich an der Themse verbunden. Die Bruderschaft, obwohl strenge Papisten, verhielt sich äußerlich ruhig, ja sogar lenksam, da der Prior des Klosters durch seine Ernennung sich Anne persönlich verpflichtet fühlte.

Anne lag im schönen alten Staatsgemach des Palastes, welches nach seinen kostbaren Gobelin-Tapeten das Jungfrauengemach hieß. Die grotesken Gestalten der zehn weisen und törichten Jungfrauen gaben die Veranlassung zu dieser Benennung.

Heinrich, welcher bereits mehrere Sendschreiben im Voraus mit der Ankündigung eines Prinzen ausgefüllt hatte, sprang bei der Nachricht von seinem Sessel auf und eilte zum Gemach.

»Nicht wahr, ich habe einen Sohn?«, rief er, sobald er über die Schwelle trat.

Die Frauen blieben stumm und Lady Norfolk wagte es nicht, das Kind auf ihren Armen dem getäuschten Vater hinzureichen.

Da erhob Anne selbst, obwohl matt und schwach, das Haupt und sagte mit ihrer gewohnten Geistesgegenwart: »Nein, diesmal ist es eine Tochter, Sire. Aber lasst Euch das keinen Kummer bereiten, denn diese Kleine wird Eurem Haus mehr Ehre machen, als zehn Söhne. Sie wird als ein besonderes Lieblingskind der Heiligen Jungfrau erstarken, an deren Fest sie heute geboren ist.«1

Der Unmut verschwand plötzlich von Heinrichs Stirn bei diesen Worten. Er beugte sich zu seiner Gemahlin nieder und küsste dann die kleine Tochter auf dem Arm Lady Norfolks.

Darauf verließ er das Gemach, kehrte in sein Kabinett zurück und gebot seinem Sekretär Gardiner, in den Zirkularen zu dem Wort Prinz die Endsilben essin hinzuzufügen und den Befehl zu erteilen, dass nach drei Tagen das Kind mit allen Ehrenbezeigungen eines Thronerben unter dem Namen Elisabeth getauft würde.

Gardiner erschrak und blickte den König bestürzt an.

»Habt Ihr mich nicht verstanden, Mann«, rief Heinrich. »Gottes Tod, ich dächte doch, dass ich deutlich geredet hätte. Alle Kinder, welche aus dieser Ehe entspringen mögen, zählen wir zu unserer direkten Nachfolge, sowohl Mädchen als auch Knaben. So lange mir Lady Anne keinen Erben geschenkt hat, ist diese Tochter Elisabeth als präsumtive Thronerbin anzuerkennen.«

»Aber dieses Recht besitzt schon die Prinzessin Mary«, sagte Gardiner, der in seinem Eifer für die angebetete Katharina Heinrichs Zorn übersah.

»Die Prinzessin hat durch meine Trennung von der königlichen Witwe selbstverständlich die Ansprüche hierauf verloren. Das Kind einer ungültigen Ehe ist als unehelich geboren anzusehen.«

»Majestät«, bat Gardiner, vor dem König niederfallend, »übt Gnade und Barmherzigkeit, an den Armen, die nichts verschuldet haben.

Wenn Ihr auch die Mutter verstoßen habt, erbarmt Euch der holden Tochter, nicht nur um Gottes willen, sondern um der Achtung aller Gutdenkenden und Frommen.«

»Es wagt es niemand, sich meinem Willen zu widersetzen!«, rief Heinrich betroffen aus.

»Vielleicht jetzt nicht, Majestät«, antwortete der Oberstaatssekretär, »aber wenn die traurige Stunde für England schlägt, wo Ihr durch den Tod abgerufen werdet, dann erhebt sich ganz England und Rom an der Spitze für Marys Recht.«

»Gottes Tod, Mann!«, rief Heinrich, »wozu hätte ich denn geheiratet, wenn nicht, um einen männlichen Erben zu erhalten.«

»Ja, Majestät, wenn Ihr diesen besitzt, muss natürlich die Tochter zurückstehen, aber im Augenblick besitzt Mary als die Ältere das Vorrecht des Titels.«

»Gut, gut«, sagte Heinrich, indem er sich von ihm abwendete, »wir wollen uns die Sache noch überlegen und mit der Lady Anne selbst reden.«

Dann ist Mary verloren, dachte Gardiner, indem er mit zorniger Miene nach der üblichen Verbeugung das Gemach verließ. Dies verfluchte Weib wird kein Mittel unversucht lassen, um das unglückliche Mädchen vollends in den Staub zu treten! Aber wehe ihr, wenn sie es wagt. Die Rache Roms schleicht ihr auf dem Fuße nach! Noch eine Tochter anstatt des Sohnes! Ha, ha! Dann bleibt sie auch nicht auf dem Thron von England!

Die Prinzessin Mary, welche bisher in Huntingdon mit einer eigenen Haushaltung als königliche Erbprinzessin gelebt hatte, wurde nicht wenig durch die eigenhändige Einladung Heinrichs überrascht, bei der Taufe zu erscheinen, um Patenstelle bei der jungen Schwester zu vertreten.

Ungewiss und bangend befragte sie brieflich ihre Mutter um Rat. Diese redete ihr zu, in allem, was recht sei, dem Willen des Vaters sich zu fügen, und Mary gehorchte.

Beim Tauffest war Marys Haltung fest und würdevoll, aber in dem bleichen zarten Antlitz sprach sich ein Ausdruck herben Kummers aus, der die Anwesenden sichtlich ergriff. Trotz der scheinbar bei dieser Gelegenheit geäußerten Freude wurden dennoch viele Stimmen laut, welche sie bedauerten.

Anne bemerkte diese Stimmung und heimliche Teilnahme für das Kind ihrer Rivalin und drang in den König, durch eine Parlamentsakte ihre Tochter als Erbin einzusetzen.

Heinrich erschrak über den Vorschlag und schien wenig Willens, durch eine solche Handlung abermals den Zorn der Nation auf sich zu ziehen, oder, was er noch mehr fürchtete, die Rache des Kaisers.

Er wollte auch die Möglichkeit »eines Knaben« abwarten.

Allein Anne ließ in ihren Bitten nicht nach, sie drohte mit einer Trennung von ihm, falls er ihren Kindern nicht die königlichen Rechte bewillige.

Heinrich ließ verdrießlich seine Tochter zu sich berufen, welche noch im Schloss geblieben war. Ihr bescheidenes, leidendes, aber geistvolles Wesen hatte des Vaters alte Liebe wieder stark in ihm belebt und zum ersten Mal eine Regung heimlichen Unmutes gegen Anne er weckt, die dieses Opfer von ihm verlangte. Indessen waren die Reize der Zauberin noch zu frisch, als dass Heinrich ihnen widerstehen konnte.

»Ihr habt nach mir verlangt, Majestät«, sagte Mary, indem sie sich vor dem strengen Mann auf die Knie niederließ.

»Ja, meine Tochter«, antwortete Heinrich sichtlich zögernd. »Wir wollten mit dir über einen Punkt reden, der vor deiner Abreise zu deinem Schloss festgestellt werden muss.«

»Ich bin zu jeder Zeit erbötig, mich Eurem Willen zu fügen, Majestät«, erwiderte Mary demütig. »So hat meine Mutter mich von Kindheit auf gelehrt.«

»Ich weiß es, meine Liebe, und bezweifle nicht, dass du unseren Wünschen entgegenkommen wirst. Die Ehe deiner Mutter ist, wie du weißt, als eine ungültige erklärt worden. Es folgt daraus von selbst, dass …« Hier stockte der König. Es fehlte ihm sichtlich an Mut, weiter zu reden. Der Tyrann, welcher Kaiser und Papst getrotzt hatte, errötete vor dem sanften Blick, den stummen Vorwürfen seines Kindes.

Anne, in deren Gemach diese Unterhaltung stattfand, kam ihm rasch zu Hilfe.

»… die Kinder der zweiten Ehe die direkten Nachfolger des Königs sind«, ergänzte sie mit scharfem Ton. »Ihr werdet daher dem Titel der Thronerbin von England entsagen, Lady Mary, und denselben auf Eure jüngere Schwester übertragen.«

Über Marys feines Gesicht ergoss sich bei diesen Worten eine glühende Röte der Scham. Sie stand mit stolzer Würde von ihren Knien auf und sagte fest, aber bescheiden: »Freiwillig werde ich niemals mich meines Erstgeburtsrechts entäußern. Das Kind will ich aus Liebe zu meinem erhabenen Vater »Schwester« nennen, aber nichts mehr. Ich würde dadurch die Ehre meiner Eltern beschimpfen, nicht nur die meine, denn es hieße zugestehen, dass diese in einem sittenlosen Verband, nicht in heiliger Ehe gelebt hätten.«2

Heinrich blickte mit sichtlichem Wohlgefallen auf seine Tochter. Er hätte sie verachtet, wenn sie aus Furcht in diesem Begehren nachgegeben hätte.

Sie ist die würdige Tochter meiner edlen Katharina, dachte er.

Anne aber wurde leichenblass vor Zorn. »So wird man Euch dazu zwingen«, rief sie aus.

»Ich muss mich der Gewalt beugen«, entgegnete Mary ruhig und wehmütig, »aber nie wird meine Hand eine Verzichtleistung auf meine Geburtsvorrechte unterzeichnen. O mein königlicher, teurer Vater«, fügte sie aufgeregt hinzu, sich ihm wiederum zu Füßen werfend, »Ihr werdet, Ihr könnt das furchtbare Opfer nicht von mir verlangen, Ihr werdet mich nicht verstoßen.«

»Nein«, erwiderte Heinrich sanft, ihr die Hand zum Kuss reichend, »verstoßen werden wir dich nicht, du bleibst mein anerkanntes Kind, aber nur in der Thronfolge soll Elisabeth dir vorangehen, im Falle ich ohne männliche Erben sterbe.«

»Ich täte Euch gern den Willen, Majestät«, sagte Mary, »denn mein Herz hängt nicht an dem Besitz eines Thrones. Aber so lange meine arme Mutter lebt, darf ich um ihretwillen mich nicht freiwillig als uneheliche Geburt brandmarken.«

»Man sieht, Ihr habt trefflich die rebellischen Lehren Eures Anbeters Sir Reginald Pole benutzt, Lady Mary«, warf Anne spöttisch ein.

»Es sind die Lehren der Ehre, Lady Anne«, entgegnete Mary fest. »Diese verdanke ich meiner allgemein geachteten, hochgeehrten Mutter! Die Ehre ist das letzte, aber auch das teuerste Gut, welches meine Feinde mir nicht nehmen können.«

»Unter den Feinden bin ich wohl zu verstehen?« sagte Anne scharf und giftig. »Nun, es ist mir lieb, einmal offen Eure Ansicht über mich zu vernehmen. Wir werden Sorge tragen, dass Ihr in Zukunft etwas mehr unter Aufsicht gestellt, Lady Mary, und den Einflüsterungen Lady Salisburys3 entzogen werdet.«

Mary antwortete nicht. Ihr Blick hing bittend an dem des Vaters.

»Ziehe dich jetzt zurück«, sagte dieser, »und erwarte unseren Befehl auf deinem Schloss. Aber ich gebe dir die Mahnung mit, dass du jegliche verbrecherische Korrespondenz mit dem Rebellen Pole abbrichst. Er muss nicht glauben, weil er zum Kardinal erhoben worden war, dass er mir ungestraft drohen dürfe. Ist er auch fern, so hat er auf englischem Boden Geißeln zurückgelassen, die für seine Frechheit büßen werden. Geh, meine Tochter!«

Kurze Zeit nach dieser Unterhaltung erschien eine königliche Deputation bei der Prinzessin Mary und teilte dieser mit, dass sie Kraft einer gerichtlichen Akte ihres Erstgeburtsrechts als Prinzessin von Wales verlustig erklärt worden sei. Auch sollte sie sofort das Gut Huntington der jungen Prinzessin Elisabeth zur Wohnung einräumen.

»So darf ich wohl zu meiner unglücklichen Mutter?«, fragte Mary, nachdem sie sich von diesem neuen Schlag erholt hatte.

»Wir bedauern, Hoheit«, war die Antwort, »denn wir haben Befehl, Euch mit uns nach London zu nehmen, wo Ihr fortan leben sollt.«

»Was? Die Tochter unserer edlen Königin soll unter demselben Dach mit ihr … der …«

»Liebe Lady Salisbury«, bat Mary erschrocken, »schweigt um Gottes willen. Überlassen wir uns und unser Schicksal der Barmherzigkeit Gottes.«

»Meine Herren«, fügte sie mit stiller Würde hinzu, »ich gehorche dem Willen meines Vaters, wiewohl mit schwerem Herzen. Wollet bei uns bis morgen verbleiben, dann werde ich Euch begleiten. Noch eins aber! Darf meine edle Salisbury mit mir ziehen?«

Die Herren senkten traurig und schweigend das Haupt.

»Ah! Die Ketzerin fürchtet meinen Einfluss, meine Geringschätzung!«, rief Lady Salisbury aus. »Mag sie es. Ich habe nie meine wahre Ansicht verborgen.«

Mary wurde somit der königlichen Haushaltung eingereiht und dazu verurteilt, täglich in der Nähe der verhassten Stiefmutter zu sein und deren spöttisches, geringschätziges Benehmen zu dulden.

Es schien Anne eine geheime Wollust zu gewähren, den edlen Stolz des herrlichen Mädchens zu beugen, es zu beleidigen. Die Mutter blieb ihrer Macht entrückt, aber an der Tochter konnte sie die Rache ausüben. Kein Mittel war zu niedrig, kein Wort zu scharf, um Mary zu kränken.

Die Korrespondenz zwischen Mutter und Kind, jegliche Verbindung zwischen der edlen Salisbury und ihrem Zögling, kurz, jeder Verkehr mit der Außenwelt wurde ihr entzogen.

Bitter müssen die Kränkungen gewesen sein, deren Anne sich gegen die Prinzessin zu Schulden kommen ließ, da sie dieselben in ihrer Todesstunde bereute.

War der Unwille des größeren Teils der Nation gegen Anne nie erloschen, er wurde durch diese Behandlung ihrer geliebten Prinzessin auch laut. Anne verfehlte, geblendet durch ihren Hass, vollkommen ihren Zweck. Das Volk nimmt bekanntlich, zumal das englische, stets Partei für den Unterdrückten. Marys liebenswürdiges Wesen, das schon im Glück alle Herzen für sich eingenommen hatte, erregte durch ihre Leiden noch mächtiger die Sympathie der Nation. Die Stiefmutter konnte alle äußeren Zeichen der Ehrfurcht vor ihr verbieten, sie vermochte es nicht, dieselbe der vielen stillen Beweise einer Liebe zu berauben, welche das Herz des jungen Mädchens erheiterten. Ungeachtet der zahllosen Spione, welche jeden ihrer Schritte beobachteten, besaß sie dennoch treue, warme Freunde, welche mit Gefahr ihres Lebens eine Korrespondenz mit der Mutter vermittelten. Unter den treuen Anhängern Marys bewährte sich Gardiner. Obwohl er sich aus wohlberechneter Klugheit der kirchlichen Obergewalt Heinrichs scheinbar fügte, blieb er dennoch dem Papst treu und dessen geheimer Verbündeter. Ruhig, aber mit seltener Energie verfolgte er seinen Weg, unbekümmert um die Hindernisse, die sich ihm durch die neue Kirche, namentlich durch Cranmer, entgegenstellten. Sein späterer Erfolg lohnte ihm diese seine Anhänglichkeit an Mary.

Am römischen Hof war unterdessen eine Veränderung eingetreten: Papst Clemens war mit Tod abgegangen, und Paul IV. als sein Nachfolger im Amt erwählt worden.

Show 3 footnotes

  1. Geschichtlich
  2. Marys eigene Worte
  3. Eine Verwandte Poles, welche später auf dem Schafott starb, so wie auch Poles Bruder