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Der Detektiv – Die Augen der Jolante – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Die Augen der Jolante
4. Kapitel

Der Zirkus Kolossal unternahm am Vormittag eine Wanderung durch Sassnitz. Frau Schlump, also ich, durfte nicht mit. Harst hatte mich beauftragt, zum nahen Seebad Binz zu wandern und dort – aus Vorsicht sollte ich dies nicht in Sassnitz selbst besorgen – alles an Büchern einzukaufen, was über Zollwesen handelte.

Mittags war ich wieder zurück. Der Zirkus hatte 10 Mark 31 Pfennig verdient, wie Karl mir stolz erzählte. Harst war nicht daheim. Er wollte noch baden gehen, erklärte er.

»Baden?«, fragte ich erstaunt. »Ob Fritz Schlump, der echte, wohl auch Sehnsucht nach Seewasser gehabt hätte?«

Karl grinste. »Herr Harst hat mich natürlich beschwindelt«, sagte er. »Der weiß ganz gut, dass Baden nicht zu Fritze Schlump passt.«

Das Bad dehnte sich bis 2 Uhr nachmittags aus. Wir hatten längst Mittag gegessen, als Harst erschien. Karl holte ihm die warm gestellte Mahlzeit.

Als der Junge im Hintereingang der Kneipe verschwunden war, sagte Harst: »Ich war auch in Binz. Aber in der Apotheke. Sie, lieber Schraut, werden heute Abend schwer erkranken.« Dann griff er nach den Büchern über Zollwesen und überhörte meine Frage, weshalb ich erkranken sollte, gänzlich.

Nachmittags schlief Harst bis gegen halb sieben. Karl und ich mussten indessen den Wagen frisch streichen und die Inschrift Zirkus Kolossal in Rosa erneuern. Wir aßen dann Abendbrot, wieder auf dem Hof auf einer leeren Kiste. Harst unterhielt sich mit Frau Treibke dabei, teilte ihr auch mit, dass er mit mir sofort nachher zur Stubbenkammer wandern würde, damit wir dort Peter und Fips für die Besucher des Königsstuhls, bekanntlich der höchste, weit überhängende Kreidefelsen, ihre Künste zeigen lassen könnten. Karl würde hier auf Minni, das Zugpferd, auf Moritz und den Wagen derweilen achtgeben.

Frau Treibke, die Gemütlichkeit und Gutmütigkeit selbst, meinte darauf, wir sollten erst morgens aufbrechen, denn wir würden ja erst nachts an der Stubbenkammer ankommen. Aber Harst blieb bei seinem Entschluss.

Karl Malkes Gesicht kann man sich vorstellen. Dass er nicht mitdurfte, war für ihn schlimmer als eine Tracht Prügel.

Erst gegen acht Uhr verließen wir Sassnitz. Harst hatte Peter an der Kette, auf dem Fips in seiner Uniform thronte. Ich trug die Mandoline, mein Tamburin und einen schäbigen Rucksack mit recht buntem Inhalt. Eine Schar Kinder begleitete uns bis weit hinter die Kreidefabrik. Dann waren wir allein auf dem Weg zur Villa Klimke.

Ich war sehr gespannt, was nun werden sollte. Dass Harst es auf die Villa abgesehen hatte, stand ja außer Zweifel, obwohl er bisher stets so getan hatte, als würden wir tatsächlich zur Stubbenkammer wandern.

Er war schweigsam und nachdenklich. Er schritt vor mir her. Hinter ihm her trottete Peter, dem Fips unermüdlich Flöhe absuchte.

Nach einer halben Stunde sagte Harst dann, den Kopf zurückdrehend: »Schraut, die Jolante kann keine Schmugglerjacht sein. Wir sind auf falscher Fährte …«

Ich blieb nun neben ihm.

»Zweifel hegte ich ja immer, dass die Lösung so einfach sein sollte«, fuhr er fort. »Ich werde Ihnen jetzt auch sagen, weshalb oder besser: Sie sollen selbst darauf kommen. Denken Sie mal an die Lichtsignale.«

Gehorsam wie meistens tat ich es, freilich von vornherein in der Überzeugung, dass es zwecklos wäre. Es gehörte ein größerer Scharfsinn als der meine dazu, lediglich aus den Lichtsignalen die Schlussfolgerung zu ziehen, es handele sich um andere Dinge als Schmuggel. »Ich bedaure, mein Geist streikt heute«, erklärte ich nach einer Weile.

»Aber, aber! Die Sache ist doch so klar. Und ich schäme mich, weil ich nicht sofort, sondern erst heute Nachmittag darauf gekommen bin. Lichtsignale. Darunter kann man zweierlei verstehen. Einmal etwas Ähnliches denen der Leuchttürme, das heißt Lichtzeichen, die sich dauernd gleichbleiben. Wir haben Leuchttürme mit sogenanntem festen Licht, solchem, das ununterbrochen in die Nacht hinausstrahlt, und andere mit Blinkfeuer, bei denen nur Licht für bestimmte Dauer erscheint. Dann zweitens: Signale, bei denen durch Lichtblitze von verschiedenen Leuchtdauer Mitteilungen in die Ferne gesandt werden, also Lichttelegrafie. Was kommt nun hier infrage, Schraut, ersteres oder zweites?«

Ich überlegte diesmal recht sorgfältig meine Antwort. Karl hatte mir berichtet, der Mann am Mast hätte ganz regelmäßig die drei Laternen abgeblendet. Von Telegrafie konnte also keine Rede sein.

»Ersteres« erwiderte ich nun.

»Freilich, etwas Leuchtturmähnliches! Und weiter jetzt: Der Mann hat fast anderthalb Stunden mit wahrer Engelsgeduld an der Leine gezogen, hat also sozusagen das Blinkfeuer eines Leuchtturms markiert. Weshalb dies? Bedenken Sie, Schraut, die Jacht ist doch schon so und so oft hier in der Nähe beobachtet worden. Ihr Führer muss also diesen Punkt der Küste längst ganz genau kennen und muss ihn auch ohne das Blinklicht finden! Er könnte fraglos, falls Schmugglerware ausgebootet werden soll, ohne die Signale dies fertigbringen! Und die Leute würden auf die gefährlichen Lichtzeichen, durch die sie leicht jemanden auf die Villa aufmerksam machen können, ebenso fraglos gern verzichten, wenn diese drei Laternen lediglich als Leuchtturm, als Wegweiser dienten. Trotz der steten Gefahr verzichten sie aber nicht, sich zu verraten, und daher …«

»… daher handelt es sich um keinen Wegweiser für Schmuggler«, ergänzte ich, da er von mir die Beendigung seines Satzes erwartete.

»Stimmt! Und Schmuggler sind es deshalb auch nicht, weil die drei Kisten, die das Boot gebracht hatte, recht klein waren, und weil die fremden, an die Ostsee grenzenden Staaten keinerlei Waren ausführen, die geringen Raum beanspruchen und die dabei hier hoch verzollt werden müssten. Lediglich der Kisten wegen hat der Mann niemals fast anderthalb Stunden lang an dem Mast geharrt, lediglich dieser Kisten wegen ist die geheimnisvolle Jacht in der verflossenen Nacht hier nicht abermals aufgetaucht, nein, niemals! Wenn es Schmuggler wären, brauchten sie nicht das gefährliche Blinkfeuer, dann würden sie auch ihr Fahrzeug bis oben hin beladen und nicht bloß drei Kistchen an Land schaffen! Auf falscher Fährte also, lieber Schraut! Die richtige können wir nur an Ort und Stelle finden. Deshalb war ich in Binz und habe Brechweinstein eingekauft. Hier in dieser Flasche habe ich ihn in Kaffee aufgelöst. Es tut mir leid, dass Sie davon trinken müssen, Schraut. Aber eine kranke Frau wird eher Mitleid erregen und in der Villa Klimke aufgenommen werden, als wenn ich plötzlich schwere Magenkrämpfe bekäme. Da – trinken Sie. Es geht nicht anders.«

Und ich trank. Mit welchem Gefühl, wird jeder begreifen. Doch, ich sah ein, es war wirklich die unauffällige Art, bei Klimkes Aufnahme zu finden.

Harst hatte alles sehr genau berechnet. Etwa zweihundert Meter vor dem einsamen Haus stellte sich die Wirkung ein. Ich brauche sie nicht näher zu schildern. Ich legte mich an den Wegrand. Harst eilte auf die Villa zu, nahm Peter und Fips aber mit.

Bereits nach fünf Minuten kehrte er ohne unsere Menagerie in Begleitung eines mittelgroßen Herrn mit blondem Schnurrbärtchen und einer Dame zurück. Er redete diesen mit Herr Klimke an. Man brachte mich dann zu dem Haus, wo man uns ein Hinterzimmer zu ebener Erde anwies, das vollständig leer war. Wir erhielten dann aber Decken und zwei Strohbündel. Die Dame – es konnte ja nur Frau Hella sein – war wirklich sehr mitfühlend und hätte mich am liebsten selbst gepflegt, was mein Mann aber nicht zuließ. Auch Essen bekamen wir, heißen Tee, kalten Braten, Wurst, Schinken. Peter und Fips waren unten im Keller eingesperrt worden. Alles in allem benahmen die drei Bewohner der Villa, denn auch Habicht-München ließ sich bei uns sehen, sehr warmherzig.

Mir ging es dann bald etwas besser. Als wir allein waren, reichte mir Harst eine zweite Flasche, die guten alten Cognac enthielt und die die Wirkungen der ersten sofort beseitigte. Als Beleuchtung hatte uns Frau Hella eine Petroleum Küchenlampe gebracht.

Harst streckte sich sehr bald auf sein Strohlager hin und blies die Lampe aus. Draußen war es jetzt völlig finster. Es begann auch zu tröpfeln.

Dann plötzlich Harsts Stimme dicht neben mir: »Vorsicht. Man belauscht uns vom Nebenzimmer aus.« Er schlich auf sein Lager in der anderen Ecke zurück, fragte nun ganz laut: »Na, Olja, jeht’s dia bessa?«

»’n bissken«, erklärte ich kläglich. Darauf wünschte er mit nochmals gute Nacht.

Aber zur Ruhe kamen wir noch lange nicht. Es klopfte. Die beiden Männer traten mit einer Stehlampe ein. Nun machte der Lange, glattrasierte den Sprecher.

»Uns ist es doch zu unheimlich, dass der Bär so ohne Aufsicht im Keller eingesperrt ist«, sagte er zu Harst. »Wir haben für Sie und Ihre Frau daher einen anderen Kellerraum schnell etwas wohnlich hergerichtet, der auch einen Verschlag für den Bären hat. Kommen Sie, wir helfen beim Umzug …«

Gleich darauf befanden wir uns in dem neuen Quartier. Harst hatte auch Peter und Fips in den Verschlag gebracht. Abermals löschte er die Lampe aus. Er hatte nun unsere Matratzen und Decken dicht nebeneinandergelegt, sodass wir bequem miteinander flüstern konnten.

»Die Bande ist schlau«, begann er. »Die niedrigen Fenster hier sind vergittert. Ich wette, der Kellereingang ist jetzt verschlossen, sodass ich nicht raus kann. Die Leute haben sich eben erst nachträglich überlegt, dass wir ihnen als Gäste da oben zu gefährlich sind. Jetzt können wir sie nicht irgendwie überraschen, weil wir ebenso gut wie gefangen sind.«

»Glauben Sie, dass sie Argwohn geschöpft haben?«, flüsterte ich zurück.

»Durchaus nicht! Sie sind eben nur auf ihre Sicherheit bedacht und wollen für sich jeden unangenehmen Zwischenfall vermeiden. Trotzdem werde ich …« Er schwieg plötzlich, fing furchtbar zu schnarchen an.

Dann nach einer Weile: »Es war jemand an der Tür. Jetzt ist er wieder fort. Ich hörte die Kellertreppe knarren. Ich werde bis gegen ein Uhr warten, Schraut. Dann wage ich es.«

Er verschwand dann wirklich gegen ein Uhr. Ich hatte bis dahin kein Auge zugetan. Wie sollte ich auch! Die Angst um Harst fraß mir schon vorher am Herzen. Ich malte mir aus, was ihm alles zustoßen könnte. Als er dann lautlos hinausgeschlichen war, als ich allein war, litt es mich sehr bald nicht mehr auf meinem Lager. Mir wurde unter all dem Denken so siedend heiß, dass ich aufstand und an das eine Kellerfenster trat, das sich etwa in Kopfhöhe befand. Ich öffnete es leise, befühlte draußen die Eisenstäbe, sah, dass am Himmel wieder ein paar Sterne blinkten und dass nur noch einzelne Wolkenfetzen langsam gen Osten zogen. Frische, erquickende Nachtluft atmete ich ein. Sie machte mich ruhiger. Mit der zunehmenden Gewissheit, dass Harst doch ganz der Mann danach war, auch die bösen Zufälligkeiten zu überwinden, überkam mich ein Tatendrang, der sich irgendwie Luft machen wollte.

Nun, allzu viel selbständiges Handeln missbilligte Harst bei mir stets. Ich sagte mir daher, es könnte für uns nur günstig sein, wenn ich versuchte, eins der Gitter zu lockern. Das war etwas, wodurch ich mir kaum eine Rüge zuziehen konnte und das doch meinem Wunsch nach irgendeiner Betätigung zunächst genügen würde.

Die Villa war noch ziemlich neu und musste etwa sechs Zimmer in ihrem Erdgeschoss und dem einzigen Stockwerk beherbergen. Sie war nur als Sommerhaus gebaut. Die Gitter mehr zur Zierde da. Meines Taschenmessers große Klinge genügte, in die Mauer ganz oberflächlich eingeführt zu werden. Jedenfalls konnte ich nach etwa einer Viertelstunde das ganze Gitter etwas anheben und nach außen umklappen, wobei die oberen Längsstäbe sozusagen die Gelenke dieses Pendelverschlusses bildeten, der einen Menschen unten nun ganz bequem durchließ.

Mir war recht warm geworden bei der leisen, vorsichtigen Ausbrecherarbeit. Ich setzte mich nun zum Ausruhen eine Weile auf den Holzstuhl neben meinem Lager und überlegte dabei, ob ich es wagen sollte, einen kurzen Ausflug ins Freie zu unternehmen.

Da hörte ich, dass Peter sehr unruhig wurde. Die tiefe Dunkelheit ringsum hatte etwas ungemein Bedrückendes in dieser Lage an sich, in der wir uns befanden. Nun noch das Rasseln der Kette dieses Bären und sein lautes Schnuppern, das brachte meine leicht erregbaren Nerven nur allzu schnell wieder in Aufruhr. Ich glaubte, plötzlich auch allerlei andere Geräusche zu vernehmen, Schritte vor der Tür unseres Kellerraums, glaubte auch durch die Ritzen dieser Tür einen sofort wieder erlöschenden Lichtschein zu bemerken. Ich hoffte, Harst kehre zurück. Doch ich täuschte mich. Abermals etwas wie ein Aufflammen weißen Lichts draußen vor der Tür.

Jetzt hielt ich es in meiner Einsamkeit nicht länger aus.

Ich wollte Gesellschaft haben. Ich schlich zum Verschlag, in welchem Peter und Fips untergebracht waren, schob den Riegel der Tür leise zurück, öffnete sie und schaltete dann mit vorgestrecktem Arm meine Taschenlampe ein. Ihr Kegel fiel auf Peter, der aufrecht dasaß und nun jenes freundliche Brummen hören ließ, das er stets für mich, seinen Freund, in Bereitschaft hatte. Ich ging hin und streichelte ihm den Kopf. Er leckte mir die Hand, äugte aber immer wieder zur linken Wand hin, die oben ein kleines Luftloch hatte, das in den Kellereingang mündete.

Dann – ich schaltete blitzschnell die Lampe aus – dann gewahrte ich in unserem Gelass den augenblicklich wieder verschwindenden Strahlenkegel einer elektrischen Laterne wie der meinen. In diesem Augenblick wurde ich mir auch über Peters Unruhe klar: Er hatte draußen im Gang einen Fremden gewittert. Und dieser Fremde war nun bei uns eingedrungen.

Mein Herz begann zu rasen. Was wollte der Mann? Es konnte ja nur Klimke oder der andere sein, der wie wir nun wussten, sich Muskulski nannte. Hatten die beiden doch Argwohn gegen uns geschöpft? Wollten sie uns etwa unschädlich machen? Hatte Harst mir nicht gesagt, dass die Leute keine Durchschnittsverbrecher wären? Würden sie nicht jedes Mittel anwenden, uns, ihre Gegner, die ihnen schon so dicht auf den Fersen waren, zu beseitigen?

Ich tastete nach dem Schnapphaken, der die Kette an Peters Halsband festhielt. Ich löste den Haken, ließ ihn und die Kette ganz sacht zu Boden gleiten. Dann packte ich Peters Ohr, zerrte ihn hoch. Er folgte und ich drängte ihn nun in unser Gelass hinein.

Nun fühlte ich mich ganz sicher. Der Bär war ein harmloses Tier, wenn er seine Künste zeigte. Er machte aber einen sehr feinen Unterschied zwischen Publikum und Fremden, die ihn etwa in seinem Stall ohne Begleitung eines seiner Herren besichtigen wollten. Gegen solche Eindringlinge wurde er tückisch. Davor hatte uns schon Schlump gewarnt. Wir hatten es dann selbst während der Wanderung nach Sassnitz erlebt, dass Peter eines Nachts, als wir im Wald rasteten und ihn in den Küchenverschlag des Wagens eingesperrt hatten, einen neugierigen Forstbeamten beinahe übel zugerichtet hätte.

Ja, ich fühlte mich unter meines zottigen Lieblings Schutz nur zu sicher!

Plötzlich nämlich entglitt Peters Ohr meiner Hand. Er hatte sich losgerissen.

Ich ahnte, was folgen würde. Ich stand wie gelähmt da.

Sekunden nichts – kein Laut – um mich her die lastende Finsternis.

Dann in unserem Raum ein unterdrückter Angstruf. Mit einem Satz war ich drinnen. Meine Taschenlampe blitzte auf.

Peter hielt einen Mann umschlungen – Klimke! Und Klimkes Augen waren vor Entsetzen riesengroß, sein Gesicht leichenblass. Hilfeflehend schaute er dorthin, wo er einen der beiden Zigeuner hinter dem blendenden Strahlenstreifen vermutete.

Ich nahm Peter am Halsband. Meine Stimme kannte er genau. »Zurück, zurück!«, rief ich leise und puffte ihn mit der anderen Hand in die Rippen.

Er brummte, gehorchte aber.

»Was wollten Sie hier?«, fragte ich Klimke, Peter dicht an mich heranziehend.

Er antwortete nicht gleich. Da drohte ich: »Soll ich den Bär wieder loslassen?«

»Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht«, stotterte er.

Er log natürlich. Ich konnte mich aber mit ihm nicht lange aufhalten. Ich glaubte nun bestimmt, dass die Leute hier uns durchschaut hatten und dass Harst vielleicht in Gefahr schwebte.

Ich zeigte auf den Eingang des Verschlags. »Dort hinein!«, befahl ich Klimke. »Den Bären behalte ich als Wächter hier in diesem Raum. Sofern Sie um Hilfe rufen, geht es Ihnen schlecht.«

Er wagte keinen Widerstand, keine Widerrede. Viel Mut besaß er nicht. Ganz geduckt schlich er in den Verschlag, den ich wieder verriegelte, nachdem ich Fips herausgeholt hatte. Dann streifte ich schnell meine Frauenröcke ab. Darunter trug ich hoch aufgekrempelte, gestreifte Männerbeinkleider. Ich wollte durch die Röcke nicht behindert werden.

Ohne Mühe kroch ich zum Fenster hinaus, kroch weiter auf allen vieren um das Haus herum in den Vorgarten. Es war nun hell genug, um den Langen deutlich zu erkennen, der da vor mir am Flaggenmast stand und wieder in Pausen an der Leine zog.

Mir war dieser Anblick eine große Beruhigung. Ich sagte mir, dass Harst bisher wohl kaum hier draußen von den beiden erwischt sein könnte, sonst würde Muskulski nicht so gelassen seine seltsame Arbeit verrichten.

Ich wandte mich dem Steilhang zu, kletterte links über den niedrigen Zaun und legte mich dann dicht am Rand des Abhanges unter ein paar Tannen, deren Äste sich ganz tief herabsenkten. So konnte ich sowohl die See als auch Muskulski und das Haus beobachten.

Ich sah auf dem Meer kaum zweihundert Meter von der Küste ab einen kleinen Segler, der sehr langsam nach Süden fuhr, dann wendete und nun mit gerefftem Großsegel nach Norden steuerte, abermals parallel dem Strand entlang. Dieses Auf- und Abkreuzen wiederholte sich vier Mal. Dass der Segler die Jacht war, daran zweifelte ich nicht. Ich merkte auch, dass die Strecke, die er beim Kreuzen zurücklegte, etwa sechshundert Meter lang war und dass ihr Mittelpunkt der Fahnenstange gegenüber lag. Dann erschien auf der Jacht erst ein grünes, nun ein rotes und wieder ein grünes Licht.

Daraufhin kam Muskulski sofort aus dem Vorgarten an den Abhang und verschwand links von mir in einem Gestrüpp, das sich bogenförmig weit ins Land hineinzog. Es konnte nur dasjenige sein, in dem der kleine Motor und der Aufzug verborgen war.

Ich hatte mich nun aufgerichtet. Aber Muskulski zu folgen, getraute ich mich nicht. Das konnte wohl ein Harst wagen, der gelenkig wie ein Akrobat war, nicht ich.

Dann erblickte ich auch diesen Harst. Ein Rauschen der Zweige rechts von meinem Versteck hatte meinen Kopf argwöhnisch herumschnellen lassen.

Er stand kaum drei Schritt entfernt, nickte mir zu, drohte mir aber gleichzeitig mit dem Finger und deutete auf das Haus. Das hieß: Marsch – zurück in den Keller.

Ich trat schnell dicht vor ihn. Überhastet berichtete ich, dass wir nun einen Gefangenen in Peters bisherigem Gelass hätten.

»Ah, also deshalb!«, flüsterte er nun, als ich nichts mehr hinzuzufügen wusste. »Schraut, passen Sie scharf auf Klimke auf. Es darf nicht offenbar werben, dass wir ihn nun in unserer Gewalt haben«, fügte er hinzu. »Ich komme sofort nach, will nur noch feststellen, ob Muskulski wieder zum Strand hinabfährt.«

Er glitt davon. Ich schlich mit größter Vorsicht in den Keller zurück, überzeugte mich, ob Klimke noch in seinem Kerker saß, fand ihn auch in einer Ecke auf dem Boden hocken und riegelte ihn wieder ein, nachdem ich ihn nochmals gewarnt hatte, ja nicht um Hilfe zu rufen. Er hatte mich nur ganz verstört angeschaut und keinen Ton erwidert.

Nach etwa einer halben Stunde hörte ich die Kellertür laut zufallen und ebenso laute Schritte auf der Treppe, die sich unserer Tür näherten.

Unwillkürlich packte ich wieder Peter, der neben mir gelegen hatte, am Halsband. Es musste Muskulski sein! Denn: wie hätte Harst es wagen dürfen, so geräuschvoll zurückzukehren!

Und doch war es Harst. Die Tür ging auf. Er hatte eine brennende Petroleumlampe in der Hand, sagte, als ob nichts Besonderes geschehen wäre.

Er nannte mich beim richtigen Namen: »Da wären wir, lieber Schraut. Ich habe mir den kleinen Scherz erlaubt, den Motor auszuschalten und die Stromzuleitung zu unterbrechen, als Muskulski gerade wieder emporschwebte. Nun hängt er im Förderkorb genau in der Mitte des Abhangs und kann weder nach oben noch nach unten, denn an dem dünnen Drahtseil kann kein Mensch hochklettern. Er reißt wie verrückt an der Leine, die mit dem Motoreinschalthebel verbunden ist, und vermutet vorläufig nur eine Betriebsstörung. Sie wundern sich, dass ich jetzt so tue, als ob ich hier zu Hause wäre? Sehr einfach: Ich habe Klimke und Muskulski vorhin belauscht, konnte aber nur die Sätze verstehen: ›Gut, dass wir sie zu Gerda geschickt haben.‹ Das sagte Muskulski. Und Klimke antwortete: ›Sie tut mir so leid. Sie ist so ängstlich. Wenn du dich nur nicht täuschst, und die beiden doch harmlos sind …‹ Natürlich war Frau Hella gemeint. Die beiden konnten sie nun hier nicht brauchen, da sie uns ans Leder wollten. Klimke ist hier als Spion erschienen, um festzustellen, ob wir schliefen. Nachher hätten sie uns dann wohl gewaltsam zu entlarven versucht.« Er hatte all das ohne Scheu in gewöhnlichem Ton gesagt, ohne seine Stimme zu dämpfen. Nun ging er auf Klimkes Kerker zu, befahl unserem Gefangenen auf seine Fragen zu antworten.

Klimke schwieg hartnäckig.

Plötzlich erklärte Harst mit Nachdruck: »Ihre Verstocktheit hilft Ihnen gar nichts. Ich weiß, was Sie und Ihre Gefährten hier treiben – jetzt weiß ich es! Und was ich noch nicht weiß, wird mir die nächste Nacht verraten.«

Da lachte Klimke ironisch auf. Das war aber auch alles. Er wurde wieder eingesperrt. Harst und ich verließen nun gemeinsam das Haus und begaben uns zum Abhang in das große, hohe Gestrüpp.