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Der Spion – Kapitel 27

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 27

Nächtlicher Überfall

Von dem Fährten kundigen Fallensteller geführt, hatten Quinch und seine Bande, den Regenschluchten und gewundenen Wasserläufen folgend, den heutigen Tagesmarsch in einer Weise zurückgelegt, dass selbst ein geübter Kundschafter auf der nackten Ebene aus einiger Entfernung schwerlich eine Ahnung von ihrer Anwesenheit erhalten hätte. Die Sicherheit, mit welcher Kit sein Amt versah, diente nicht wenig dazu, den gesunkenen Mut der Mannschaft wieder einigermaßen zu heben, wogegen Quinch es sich angelegen sein ließ, ein freundschaftliches Verhältnis mit dem einfältig offenherzigen und redseligen Fallensteller aufrechtzuerhalten.

An der Spitze des mit beladenen Pferden und Maultieren reich versehenen, lang gereckten Zuges ritten sie, immer wieder die strenge Warnung rückwärts sendend, sorgfältig zu vermeiden, sich oberhalb der Schluchtränder zu zeigen. Nur Kit Andrieux selbst und Quinch begaben sich zuweilen hoch genug hinauf, um einen Blick über die weite Ebene zu werfen und sich von deren gänzlicher Vereinsamung zu überzeugen.

»Sie können sich denken, Gin‘ral«, erklärte Andrieux leichtfertig, »so gut wie wir mögen auch andere darauf ausgeben, Verstecken zu spielen. Da mag der Henker wissen, von welcher Sorte die Leute sind. Ich halte es zwar nicht für wahrscheinlich, allein der Teufel kann dennoch sein Spiel treiben und uns jemand auf den Hals schicken, der besser in der Hölle röstete, und ich wäre um meine hundertfünfzig Dollar leichter, die ich in den nächsten drei Tagen verdienen soll.«

»Ich ging bisher davon aus, dass Sie uns auf Wegen führten, wo wir gar nichts zu befürchten hätten«, erwiderte Quinch, dessen Argwohn nie schlummerte.

»Und das glaube ich selbst jetzt noch, bei Gott«, beteuerte Andrieux mit dem unschuldigen Lachen eines gutgearteten Schulknaben. »Und ich kalkuliere, ein so berühmter Gin‘ral, wie Sie, sollte wissen, dass es nicht in meiner Gewalt liegt, auch noch anderen Leuten als Ihnen den Weg zu zeigen und sie auf eine Art in die Irre zu führen, dass sie sich in einer ganzen Woche nicht mehr zurechtfinden. Sie dürfen nämlich nicht vergessen, dass der Little Osage, wo die Südlichen von den Unionisten ganz niederträchtig zusammengeschossen und in die Flucht gejagt wurden, keine zwei Tagesmärsche von hier entfernt ist. Da könnte es sich freilich ereignen, dass ein ordentliches Korps den Flüchtigen auf den Hacken geblieben wäre. Hängen will ich, wenn mich danach gelüstet, solchen von der Verfolgung heimkehrenden Gentlemen zu begegnen. Es wäre zwar Unsinn, daran zu glauben, allein ein pfiffiger Jäger soll nie die Vorsicht außer Acht lassen. Sind wir erst drei Tagereisen weiter, so bürge ich mit meinem Leben für Ihre Sicherheit, und ich mag mit den ehrlich verdienten Dollars meines Weges ziehen.«

»Wohin kommen wir zunächst?«, fragte Quinch mürrisch.

»Das will ich Ihnen sagen, Gin‘ral«, antwortete Andrieux, »diese Regenschlucht hier führt in ein schmales, mit Bäumen und Strauchwerk bewachsenes Tal. In dem rieselt ein Bach dem Neoscho zu. Haben wir den aber erst erreicht, so liegt eine lange Strecke bequemen Weges vor uns.« Wie zufällig sah er zum schwer verhangenen Himmel auf. Fast gleichzeitig hielt er sein Pferd an. »Werfen Sie Ihren Blick nach oben, Gin‘ral«, sprach er sorglos weiter, »und nennen Sie mich den verdammtesten rothäutigen Landstreicher, der je eine doppelt gesottene Lüge über seine gespaltene Zunge jagte, wenn die leichten grauen Dinger da oben richtige Wolken sind.«

Quinch spähte eine Weile aufmerksam gen Himmel und meinte zweifelnd: »Das sieht nach Rauch aus.«

»Richtig, Gin‘ral, und Rauch ist es, oder ich will verdammt sein. Wo aber Rauch ist, da muss es auch Feuer geben. Verwundern soll es mich nicht, hätte das braune Gesindel auch hier herum mit dem Abbrennen der Prärie den Anfang gemacht, um noch vor Winter eine Kleinigkeit junges Gras für sein Viehzeug zu beschaffen und dem Frühlingswuchs etwas nachzuhelfen. Ein Unglück wäre es freilich nicht, denn saust so ein Brand über uns hin. Für einen sicheren Unterschlupf will ich schon sorgen – so wissen wir, dass keine unbequemen Gäste in der Nähe sind, oder sie müssten sich auf der Ebene zeigen. Doch kommen Sie nach oben, Gin‘ral, da wollen wir einen Blick um uns werfen. In einen Schlupfwinkel gelangen wir immer noch früh genug.« Nach einer zugänglichen Stelle hinüberreitend, trieb er sein Pferd den Abhang hinauf.

Quinch folgte ihm auf dem Fuß. Sobald sie die Prärie zu überblicken vermochten, hielten sie wieder an. Eine Weile betrachteten sie schweigend die vom Wind gepeitschten Rauchmassen, welche in weitem Bogen sie gleichsam zu umklammern drohten.

»Das ist roten Mannes Werk«, meinte Kit zuversichtlich, »aber der Henker mag es ihnen verübeln, wenn sie für ihr Vieh sorgen.«

»Hätten wir unsere Mittagsrast nicht über die Maßen ausgedehnt, so befänden wir uns jetzt in Sicherheit«, erwiderte Quinch, die Hünengestalt des munter dreinschauenden Fallenstellers misstrauisch von der Seite betrachtend.

»Unsinn, Gin‘ral«, versetzte Kit spöttelnd, ohne die leiseste Neigung zur Eile zu verraten, »zunächst gebührt den Leuten nach den anstrengenden Märschen etwas mehr Ruhe für die steifen Glieder oder sie werden ungeduldig. Ferner verschlägt es nichts, ob wir eine Stunde früher oder später an unserem heutigen Ziel eintreffen, denn darüber hinaus wären wir ohnehin nicht marschiert. Drittens ist solch ein Brand bei Weitem nicht das, wofür die Leute ihn halten. Bei hohem Gras und scharfem Wind kann er freilich verdammt unbequem werden. Allein wozu hat man seinen gesunden Menschenverstand, wenn man ihn bei solchen Gelegenheiten nicht ausnutzen will. Bei Gott, Gin‘ral, ich habe es schon erlebt, dass ich auf der Flucht vor dem Feuer meinen eigenen todmüden Gaul über den Haufen schießen und in seinen aufgeschlitzten Bauch kriechen musste, um nicht bei lebendigem Leib geröstet zu werden. Trotzdem war mir da drinnen zumute wie einem Stück Speck in einer heißen Bratpfanne.«

Quinch wurde bei den umständlichen Erzählungen des redseligen Fallenstellers immer unruhiger. »Der Satan plagt Sie mit Ihrem Gerede«, bemerkte er zähneknirschend, »da halten wir und mit uns die Burschen da unten, bis der Brand uns schließlich die Haare vom Kopf sengt.«

Gemächlich lenkte Kit Andrieux sein Pferd wieder in die Schlucht hinab. »Ich will Ihnen etwas sagen, Gin‘ral«, sprach er während des vorsichtigen Hinunterreitens, »durch Übereilung ist in der Welt mehr verdorben worden, als durch übertriebene Bedachtsamkeit. Oder wähnen Sie gar, ich möchte meinem Gaul auch nur eines seiner langen Hufhaare versengen lassen? Verdammt! Holte der Teufel die Mähre, was sollte ich da in dieser Einöde anfangen? Und ein Gaul ist es obendrein, der, bei Gott, ein Stückchen mehr leistet, als alle Ihre abgetriebenen Bestien zusammengenommen.«

Sie waren auf der Schluchtsohle eingetroffen, wo sie sich unverweilt wieder an die Spitze des Zuges setzten und ihren Weg weiter folgten. Wenn aber Quinch immer wieder Zweifel aussprach, so war Kit Andrieux unerschöpflich im Erzählen von Ereignissen, welchen jener diesen oder jenen Beruhigungsgrund entnehmen mochte. Die ersten Dämmerungsschatten machten sich schon bemerkbar, als sie endlich eine Stelle erreichten, auf welcher die Regenschlucht in das bewaldete Tälchen eines Baches mündete.

»Da wären wir«, erklärte Kit, den Arm im Halbkreis schwingend. »Hier in der Tiefe, die dem Feuer keine Nahrung bietet, machen wir es uns für die Nacht komfortabel. Drüben in dem Tal finden die Gäule Gras und Wasser, wir selbst trockenes Holz im Überfluss zum Kochen und den kalten Wind von den Knochen abzuhalten, das heißt, nachdem der Brand abgezogen ist. Da möchte ich fragen, ob ich für den heutigen Tag meine fünfzig Dollar nicht mit Ehren verdiente. Verdammt, Gin‘ral, meine Arbeit für heute ist getan, und an Ihnen ist es, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie wissen ja, wie man in solcher Lage das Beste davon macht.«

Quinch prüfte seine Umgebung mit den Blicken. Er gestand sich, dass Kit tatsächlich eine Stätte gewählt hatte, die von seiner Umsicht zeugte. Der Befehl zum Herstellen der Lagerordnung wurde erteilt. Während ein Teil der Mannschaft ans Werk ging, die Tiere zu entlasten, abzusatteln und zu pflocken, begab ein anderer sich an den Bach, um Holz und Wasser herbeizuschaffen. Zur Eile getrieben und durch die sich über sie hinwälzenden Rauchwolken und den Brandgeruch an den Ernst der Lage gemahnt, leisteten die Leute ihr Äußerstes. So verstrich eine halbe Stunde, als die Pferde sicher verkoppelt standen, hier und da Lagerfeuer aufflammten und jeder sich beeilte, nach dem ermüdenden Marsch ein notdürftiges Mahl zu bereiten.

Die Nacht war unterdessen vollständig hereingebrochen und noch immer schleppte man Holz herbei. Durch den eisigen Wind erkältet, verwandelte man die Küchenfeuer in Scheiterhaufen. Des näher rasenden Brandes gedachte man kaum oder doch ohne jegliche Besorgnis. Jeder einzelne der Bande begriff, dass man Dank der Führung Kit Andrieux‘ geschützt gegen ihn war. Erst als auch hier brennende Grasbüschel in die Schlucht hinabfielen und es darauf ankam, die aufgescheuchten Tiere zu beruhigen, entstand wieder reges Leben und Treiben. Nachdem aber der Brand die verhältnismäßig schmale Schlucht übersprungen hatte und man bald darauf die befreiten Pferde und Maultiere zum Grasen in das verschont gebliebene Tal trieb, gelangte das geräuschvolle Wesen der verrohten Naturen wieder zum vollen Durchbruch. Es wurden Branntweinrationen von den noch vorhandenen Vorräten verteilt. Es wurde gesungen, gelacht, geflucht und gescherzt, als ob man sich auf der Heimkehr von einem Siegeszug befunden habe. Dazu leuchteten die übermäßig genährten Feuer, dass man das langgestreckte Lager von einem Ende bis zum anderen bequem zu überblicken, sogar die einzelnen Gestalten zu erkennen vermochte.

Quinch hatte sich seine Ruhestätte in der Schlucht aufwärts am äußersten Ende des Lagers eingerichtet, und zwar auf einer Stelle, wo die schroff aufsteigende Uferwand die von dem vor ihr brennenden Feuer ausströmende Wärme zurückstrahlte. Zu beiden Seiten lag sein Gepäck aufgeschichtet. Oberhalb dieser Stätte stand auf jedem Ufer eine Schildwache. Eine dritte befand sich eine kurze Strecke aufwärts in der Schlucht selbst. Bei ihm weilten mehrere seiner Offiziere, Leute, die sich im Äußeren wie im Auftreten durch nichts von den rohesten Mitgliedern der Bande auszeichneten. Wie eine weiße Taube unter hässlichen Krähen nahm sich dagegen Kit Andrieux mit seiner unverwüstlich heiteren Laune und den harmlos tollen Einfällen aus. Sein Pferd hatte er denen der Bande beigesellt, seine Decke in der Nähe der Schlafstelle Quinchs ausgebreitet. Eine Pfeife nach der anderen rauchte er. Wenn immer Lachen in diesem Kreis erscholl, so durfte man darauf rechnen, dass es durch den verschlagenen Fallensteller hervorgerufen worden war.

 

*

 

So gingen die Stunden dahin. Mitternacht war vorüber, als Quinch, von einer ihm selbst unerklärlichen Unruhe ergriffen, auf Andrieux‘ Rat sich zu einem Rundgang entschloss. Wie gewöhnlich blieb dieser ihm zur Seite. Beide Ufer schritten sie ab. Mit jedem einzelnen Posten sprachen sie, ihm zugleich scharf einprägend, jedes zu seinen Ohren dringende auffällige Geräusch sofort dem Kommandanten selbst zu melden. Denn ihre Blicke reichten in der schwarzen Finsternis kaum über ein Dutzend Schritte hinaus, namentlich, nachdem sie zuvor träge in die erhellte Schlucht hinabgeschaut hatten. Was Quinch aber nicht beachtete, das war von Kit Andrieux schlau berechnet worden: Die in der Schlucht brennenden Feuer sandten ihre Helligkeit hoch über diese hinaus in die schwarze Atmosphäre hinein, sodass sie einen lichten Hintergrund bildete, vor welchem auch aus größere Entfernungen ihre Gestalten sich erkennbar abzeichneten. Dabei sprachen sie wie gute Freunde zueinander, dass es fast den Eindruck erzeugte, als habe Quinch sich in des Fallenstellers Gesellschaft am sichersten gefühlt. Seine letzten Leute hatten ja in jüngster Zeit mehrfach die Neigung verraten, sich gegen seine Befehle aufzulehnen und truppweise davonzugehen. Vor allem wagte er nicht mehr, ihnen in der alten tyrannischen Weise gegenüberzutreten und sie mit der Waffe in der Faust zu bedrohen. Gerade das aber deuteten sie als Schwäche oder vielmehr Furcht vor ernsten Gefahren, die er vor ihnen verheimlichte. Unter solchen Verhältnissen gewann Kit Andrieux immer größeren Einfluss auf ihn. Bereitwillig ging Quinch darauf ein, als er ihm zu dem Befehl riet, beim ersten Grauen des Morgens zu rüsten und mit erwachten Tageslicht den Marsch über die versengte Ebene fortzusetzen.

Bald nach ihrer Rückkehr ins Lager begaben sie sich zur Ruhe. Kit hatte seine Decke etwas dichter neben die Quinchs hingezogen, um noch ein wenig mit ihm zu plaudern.

 

»Gin‘ral«, redete er ihn mit geheimnisvoll gedämpfter Stimme an, »ich will des Henkers sein, wenn ich Ihren Leuten noch viel Ehrlichkeit zutraue. Hörte ich es nicht in Worten, so erkenne ich es doch aus ihren Augen heraus. Sie sollten nur die Blicke sehen, wenn Sie ihnen den Rücken kehren. Da steckt nämlich die leibhaftige Hölle drin, und das gilt nicht allein Ihrer Person, sondern wohl mehr noch Ihrem Gepäck, worin der eine und der andere sicher einen handlichen Haufen Dollars vermutet. Das ist auch die Ursache, weshalb ich gerade hier am Ende des Lagers einen abgesonderten Platz zum Kampieren für uns ausmachte. Es erscheint nämlich weise, den Rücken und wenigstens eine Seite frei zu halten, sofern es irgendwelchen pfiffigen Schurken einfallen sollte, in Ihrem Gepäck ein wenig nachzuforschen.«

»Nicht doch, Andrieux«, versetzte Quinch kleinlaut, denn so verwegen im Glück, so feige war er, wie die meisten verbrecherischen Naturen, wenn Widerwärtigkeiten auf ihn hereinbrachen, »unzufrieden mögen die Burschen sein, bin ich selbst doch nicht oben auf. Aber nach den gemeinsam ertragenen Fährnissen traue ich keinem unter ihnen Verrat an seinem Kommandeur zu, der ihm so manches liebe Mal zu einer anständigen Beute verhalf.«

»Und doch sind die meisten nach den ersten Misserfolgen und der Kunde von den verlorenen Schlachten ausgerissen wie mürbes Schafleder.«

»Unter denen mögen sich freilich Verräter befunden haben, doch was blieb, das ist der Kern.«

»Ein feines Wort, Gin‘ral, bei Gott, findet bei mir aber keinen rechten Glauben, denn ich traue nicht einem Einzigen und ich sage es offen: Ich bin ein zu friedliebender Mann, als dass ich mein Leben samt meinen Dollars um nichts aufs Spiel setzen möchte. Es kann Sie daher nicht verwundern, wenn ich beim ersten Zeichen von Verrat meinen Gaul besteige und mich aus dem Staub mache. Denn was hätte ich davon, erhielte ich an Ihrer Seite – und zu Ihnen stehen müsste ich schon um der Rechtschaffenheit willen – ein paar Lot Blei in den Leib gejagt.«

»Darüber beruhigen Sie sich«, erwiderte Quinch finster, »an meiner Seite ist ein Mann von Ihrer Sorte so sicher wie auf der Treppe des Capitols in Washington.«

»So denken Sie, Gin‘ral«, versetzte Kit zweifelnd, »ich denke dagegen anders oder ich will noch vor Sonnenaufgang mit Haut und Haaren wie der elendeste Galgenschwengel zur Hölle fahren. Doch die Zeit geht hin und die Knochen verlangen ihr Recht. Daher gute Nacht und ein so fröhliches Erwachen, als ob Sie zu den Singvögeln gehörten, die jeden neuen Tag mit einem lustigen Liedlein anpfeifen.«

Er warf sich auf die Seite, zog die Decke über den Kopf. Bald darauf tönte unter derselben das von einem gesunden Schlaf zeugende tiefe Atmen und Schnarchen hervor.

 

Quinch lag mit Schultern und Rücken erhöht, sodass er über das Feuer hinweg um sich zu spähen vermochte. Abwechselnd stierte er in die lodernden Flammen und auf das nur ein wenig zwischen den Falten der Decke hervorragende Antlitz des leichtfertigen Fallenstellers, der keine Sorgen, keine Furcht kannte. Während das Gift, welches derselbe ihm mit seiner letzten Bemerkung einflößte, in seinem Inneren fortwirkte, beneidete er ihn um die zuversichtliche Ruhe, um die unerschöpfliche heitere Laune. Doch nicht die Erinnerung an vergossenes Blut und die rauchenden Trümmer vernichteter glücklicher Häuslichkeiten war es, was ihn marterte, nicht die Vergegenwärtigung verbrecherischer Handlungen, die auf frühere Zeiten entfielen, sondern das blasse Gespenst eines gewaltsamen Endes. Während der Name des anscheinend allwissenden rätselhaften Spions Kampbell ihm in den Ohren donnerte, an seinem verrotteten Gewissen zerrte und sein Gehirn in Flammen setzte, sank sein letzter Mut dahin. Im offenen Kampf mit einem sichtbaren, wenn auch überlegenen Feind hätte er nie verzagt, nicht mit einer Miene etwas anderes als grimmige Entschlossenheit und Todesverachtung verraten. Furchtbaren Phantomen gegenüber, zumal auf der Flucht vor einem schweren Verhängnis, verlor er dagegen den letzten Halt.

Der Morgen rückte immer näher, ohne dass er auch nur den kleinsten Teil der früheren Entschlossenheit zurückgewonnen hätte. Immer neue Bilder erstanden vor seiner Seele, die ihn abwechselnd mit Entsetzen erfüllten oder ihn veranlassten, die Zähne knirschend aufeinander zu reiben. Wäre ihm nur die Gelegenheit geboten worden, mit den Früchten seiner Räubereien zu entkommen, so hätten seine Leute alle der Reihe nach zur Hölle fahren mögen.

Wohin sollte er fliehen? Mit wessen Hilfe die schweren Satteltaschen fortschaffen, ohne zu jeder Stunde gewärtig sein zu müssen, auf dem unabsehbaren schwarzen Aschenfeld durch Mangel am Notwendigsten elend zugrunde zu gehen oder seinen Feinden blindlings in die Arme zu laufen.

Er betrachtete Kit Andrieux‘ ruhiges Antlitz. Wenn der nur wollte, folgten seine Gedanken aufeinander, so musste es ihm unter dessen Beistand sicher gelingen, allen Nachstellungen zu entrinnen. Unwillkürlich streckte er die Hand nach ihm aus, um ihn zu ermuntern, zog sie aber hastig wieder zurück. Argwöhnisch lauschte er in die Nacht hinaus. Alles war still ringsum. Das letzte Leben schien von der versengten Steppe verschwunden zu sein. Verstummt war das Gekläffe und Heulen der Wölfe, die auf der Flucht vor dem eilenden Feuer wer weiß wohin verschlagen worden waren. Kaum, dass in der Schlucht selbst hier und da ein Heimchen zirpte. Und dazu der widerwärtige Brandgeruch. Wonach erinnerte er nicht? Und dann das Brausen des Windes, welcher die Atmosphäre mit Staub und Asche erfüllte und das Atmen erschwerte. So oft ein Pferd in dem nahen Tälchen schnaubte, fuhr er erschrocken empor. Woher die schwarzen Ahnungen kamen, er wusste sich keine Rechenschaft darüber abzulegen. Wohin er sich wenden mochte: Überall wähnte er sich von Verrätern und unerbittlichen Verfolgern beobachtet. Die Feuer waren niedergebrannt. Nur das seine loderte hin und wieder auf, so oft er von dem zur Hand liegenden Vorrat einige Äste auf die Glut warf.

Um sich der finsteren Betrachtungen zu erwehren, seinen Geist zu zerstreuen, zog er alte Briefschaften unter dem abgetragenen Uniformrock hervor. Nach Anhaltspunkten für seine ferneren Bewegungen wollte er unter denselben suchen. Gleichsam mechanisch öffnete er das erste Schreiben. Es war der von dem Indianer ihm zugetragene Brief. Ihn in den flackernden Schein der Flammen haltend, galt sein erster Blick der Unterschrift.

»Kampbell«, las er. Als wäre das Papier glühendes Eisen gewesen, schleuderte er es mit einem lästerlichen Fluch von sich in die Flammen. Kit Andrieux schlug die Augen auf. »Was gibt es, Gin‘ral?«, fragte er neugierig, ohne seine Lage zu verändern. »Sie scheinen sich den Schlaf verdammt früh aus den Augen gerieben zu haben.«

»So ziemlich«, antwortete Quinch, sein in Wut verzerrtes Gesicht zur Seite kehrend, »der Satan mag bei dem nichtswürdigen Höllengeruch schlafen.«

Kit Andrieux lachte in seine Decke hinein und erzählte spöttisch redselig: »Da sollten Sie erst in einem indianischen Wigwam kampieren, Gin‘ral. Bei Gott, da würden Sie einen Brandgeruch kennen lernen, der noch über die Hölle geht. Mauersteine und Einfriedgungspfähle könnte man daraus schmieden.«

Und weiter schlief er zu Quinchs Verdruss, ob wirklich oder scheinbar, das hätte nicht leicht jemand zu unterscheiden vermocht.

Abermals schlich eine Stunde in tiefer Stille dahin, für Quinch, der sich ungeduldig nach freier Umschau sehnte, eine Ewigkeit. Nachdenklich beobachtete er den über den östlichen Schluchtrand hinausragenden Himmel, der allmählich eine lichtere Färbung annahm. Die an einem Kettchen von seinem Hals herabhängende Metallpfeife an die Lippen hebend, sandte er einen schrillen Ton über das Lager hin. Gleich darauf wurde derselbe durch ein Hornsignal beantwortet. Hier und da erhoben sich verschlafene Gestalten, um die mit Asche bedeckten Gluthaufen zu schüren und mit neuem Brennstoff zu versehen.

Kit Andrieux hatte sich aufgerichtet. Nachlässig zu den allerwärts aufflammenden Feuern hinüber spähend, rieb er anscheinend ungläubig seine Augen.

»Hören Sie, Gin‘ral«, begann er unzufrieden, »für einen feinen Feldherren haben Sie es verhenkert eilig. Hätten Sie noch eine Stunde gewartet, sodass man die Blicke um sich werfen konnte, war es gescheiter.«

»Für das, was Sie zu sehen haben, wird der Schein der Feuer wohl ausreichen«, antwortete Quinch verdrossen. Dann lauter zu seinem Diener hinüber: »Hallo! Howler! Hierher in der Hölle Namen, und sorge für einen warmen Trunk und etwas dazu!«

 

Kit hatte seine Büchse unter der Decke hervorgezogen und prüfte deren Schloss und Ladung. Ebenso verfuhr er mit der Drehpistole.

»Es geht nichts über ein gutes Gewehr«, sprach er gleichsam kosend. »Ist das richtig geladen und arbeiten Feder und Hahn, wie es sich gehört, so braucht man den Teufel in der Hölle nicht zu fürchten, und besäße er statt des einen Pferdefußes deren ein halbes Dutzend. Hab schon erlebt, dass ein alter Kamerad von mir in der Ladung etwas versah, und das kostete ihn das Leben. Ich hatte nämlich einen grauen Bären, ein ordentlicher Riese war es, mit meiner Kugel zu Fall gebracht. Als wir aber herantraten, da richtete er sich plötzlich auf die Hintertatzen auf. Mein Kamerad, Gott habe ihn selig, befand sich ihm am nächsten. Da mochte die Bestie denken, der Nächste ist der Beste, und stürzte dann auch auf ihn ein. Der hob freilich seine Büchse. Er hätte dem grimmigen Burschen sicherlich den Rest gegeben, wäre der Schuss losgegangen. Bevor ich ihm aber meine Kugel ins Auge schickte, hatte er dem armen Jungen die Kehle aufgerissen, dass er nach fünf Minuten in meinen Armen den Geist aufgab.«

»Zum Satan mit Ihren Mordgeschichten, die verderben einem nur die Laune«, hob Quinch an. Was er hinzufügen wollte, erstarb ihm auf der Zunge, als eine kurze Strecke abwärts Maurus‘ Stimme durchdringend in die Schlucht herabschallte.

»Wer eine Waffe anrührt, ist des Todes!«, rief er aus, »ergebt euch auf Gnade und Ungnade, bevor ihr dazu gezwungen werdet!«

Wie ein elektrischer Schlag wirkte diese Drohung auf jedes Mitglied der Bande ein. Kurze Zeit verharrten alle wie gelähmt. Dann aber einem unwiderstehlichen Selbsterhaltungstrieb nachgebend, griffen die Meisten dennoch zu ihren Musketen.

»Halt!«, tönte es auf der anderen Seite in die Schlucht hinab, ein Beweis, dass das Lager umzingelt war, jedoch ohne der verworrenen Bewegung Einhalt zu tun.

»Feuer!«, hieß es weiter. Bald hier, bald dort krachte ein Schuss in die Tiefe hinab, je nachdem dieses oder jenes Feuer das Zielen erleichterte. Das Fallen mehrerer Genossen aber verursachte, dass alles nunmehr zunächst aus der gefährlichen Beleuchtung zu entkommen trachtete und den Schatten dicht unterhalb der Uferwände suchte. Panischer Schrecken hatte jeden Einzelnen ergriffen. In dem Bewusstsein, von einer Übermacht, zumal von einem die Tiefe beherrschenden Standpunkt aus angegriffen zu werden, drängten sich die verwilderten Gestalten kopflos durcheinander. Die von Quinch herübergesendeten Kommandos, sich um ihn zu sammeln und Widerstand zu leisten, ließ man unbeachtet. Dagegen wurden wütende Stimmen laut, die ihn einen Verräter nannten und unter Verwünschungen sich gegenseitig anfeuerten, ihn niederzuschießen, bevor man selbst seiner Schurkerei zum Opfer falle. Zugleich flüchtete man dem bewaldeten Tal zu, wo man Schutz gegen die feindlichen Kugeln zu finden hoffte, die immer wieder in den wirren Haufen einschlugen. Man besaß nicht einmal die Überlegung, die Schüsse zu erwidern, mochte auch das Nutzlose jeglichen Widerstands begreifen, weil die auf den Uferrändern verteilten Infanteristen noch zu sehr mit der erst wenig gelichteten Dunkelheit zusammenfielen, um ein einigermaßen sicheres Zielen zu ermöglichen. Nur Flucht kannte man noch, nur das verzweifelte Bestreben, einer Lage zu entrinnen, welche man als gleichbedeutend mit einem sicheren Tod betrachtete. Es beflügelte die Eile die Überzeugung, als Mitglieder einer gesetzlosen Raubbande auch im Fall der Gefangennahme auf keine Gnade rechnen zu dürfen. Und so dauerte es nur kurze Zeit, nachdem der erste Schuss in die Schlucht hinabdröhnte, als der Letzte der Horde im Tal verschwand. Dort in dem Gehölz stoben alle auseinander, um unter dem Schutz der noch herrschenden Dunkelheit eine andere Schlucht zu erreichen und in dem dort wuchernden Gestrüpp einen vorläufigen Unterschlupf zu finden. Die Gewehre hatten die meisten fortgeworfen. An die Benutzung der Pferde konnte noch weniger gedacht werden, weil jeder einzelne Zaum, jede Fangleine beim Gepäck zurückgeblieben waren.

Die Angreifer hatten sich unterdessen zur Verfolgung aufgelöst. Wohin die Flüchtlinge sich in ihrer Not wenden mochten, noch lange hörten sie das Sausen und Pfeifen der ihnen nachgesendeten Kugeln. Wo aber nach Lichten des Tages kleinere Trupps sich sammelten, da wirkte der empfundene Schrecken in einer Weise, das man nichts anderes mehr hoffte, als nur noch das nackte Leben zu retten.

Damit durfte die Raubbande, die unter der Führung eines der verbrecherischsten und verwegensten Chefs so viel Jammer und Elend verbreitete, als aufgerieben betrachtet werden. Wer nicht gefallen war oder auf der Flucht seinen Wunden erlag, dessen harrte auf dem Weg über die versengte Steppe Hunger und Mangel jeder Art. Mochte das Bewusstsein, nirgends Erbarmen oder Mitleid zu begegnen, von jedem ihm Begegnenden als Feind betrachtet und niedergeschossen zu werden, die Zähigkeit der Sehnen stählen: Das an seine Fersen geheftete Gespenst des um die Kehle geschlungenen Stricks trieb ihn weiter und immer weiter fort, bis er schließlich wie ein angeschossenes Stück Wild in irgendeinem Winkel qualvoll verendete.