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Gold Band 3 – Kapitel 5.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 5.1

Der Gefangene

Baron Lanzot merkte bald, dass der Amerikaner mit seinem alten Freund etwas zu bereden hatte, zu dem sie gerade keine Zeugen wünschten. Er nahm deshalb, als sie den Lagerplatz der Deutschen und den zornigen Justizrat verlassen hatten, sein Maultier wieder am Zügel und schritt voran in das Paradies hinab, die beiden im eifrigen Gespräch zurücklassend. Wohl hatte der alte Mann Ursache, dass er dann und wann bedenklich mit dem Kopf schüttelte oder beschwichtigende Worte dazwischen sprach, denn Hetson schüttete sein ganzes Herz vor ihm aus, und erzählte ihm, mit kurz gedämpften, aber scharf bezeichnenden Worten alles, was in den letzten, so verhängnisreichen Tagen vorgefallen war. Trotzdem aber freute sich der alte Arzt auch wieder herzinnig über die wohltätige Veränderung, die im ganzen Wesen seines früheren Patienten vorgegangen zu sein schien.

Das war nicht mehr der schwankende, zaghaft verzweifelnde Mann, wie er ihn an Bord des Schiffes, wie er ihn noch in San Francisco gekannt hatte. Sein ganzes Benehmen, seine Ausdrucksweise, seine Ansichten selbst hatten sich gefestigt.

Sogar während er um Rat fragte, schien er schon zum Handeln entschlossen. Nur noch wie ein dünner Flor lag die Erinnerung der Vergangenheit auf seiner Seele.

Nur eins noch machte ihn wankend und nagte an seinem inneren Leben: der Gedanke, ja nach Siftlys Worten die Gewissheit, dass seine Frau vor ihm von der Anwesenheit des früheren Geliebten gewusst, dass sie, zu welchem Zweck blieb sich fast gleich, eine heimliche Zusammenkunft mit ihm gehabt hatte. Und das leugnete der alte Doktor Rascher. Sie konnte, seiner festen Überzeugung nach, mit ihm zusammengetroffen sein, aber nie würde sie selbst dieses Begegnen aufgesucht haben. Die Schilderung, die er dem jungen Amerikaner dabei von jenem Siftly gab, machte, was er sagte, noch wahrscheinlicher. Da sich Hetson nun erinnerte, dass seine Frau selbst ihn um eine Unterredung gebeten, wollte er jeden Entschluss über die Sache hinausschieben, bis er sie gesprochen hatte.

Darüber waren sich übrigens die beiden Männer einig, dass jener Engländer im Guten oder Bösen diesen Platz verlassen müsse. Sei er ein Ehrenmann, wie Rascher fest glaubte, so würde er das von selbst tun. Sei er das nicht und weigere er sich, so mussten entweder Mittel gefunden werden, ihn zu entfernen, oder Hetson selbst mit seiner Familie ein anderes Asyl suchen.

In ihr Gespräch vertieft, hatten sie den Mittelpunkt der Stadt schon wieder erreicht, ohne es selbst zu bemerken, als ihre Aufmerksamkeit auf einen wilden, die Straße herabkommenden Lärm und ein Gedränge von Menschen gelenkt wurde.

Hetson, noch immer nicht ganz sicher, ob nicht doch am Ende die gereizten Mexikaner mit den Indianern vereint einen Angriff wagen würden, bat Rascher, dort auf ihn zu warten, und eilte, so rasch er konnte, dem Mittelpunkt des Aufruhrs zu.

Diesen bildete aber niemand anderes, als unser alter Bekannter, der arg misshandelte und entstellte Mr. Smith, der, das geronnene Blut auf seinen Schultern, das Antlitz selbst blutig und totenbleich, die Haare wirr um seine Schläfe schlagend, auf seinem Pferd mehr hing als saß und mit gellender, fast kreischender Stimme die Amerikaner zur Rache gegen die Indianer aufrief.

Die leicht erregbaren wilden Burschen, ihre Waffen noch bei der Hand, waren auch rasch bereit, dem Ruf Folge zu leisten. Alles schrie nach Hetson, vor dem sie, nach den Vorgängen des heutigen Tages, einen gewaltigen Respekt bekommen hatten, sie anzuführen.

Der Einzige, der in dem ganzen Lärmen und Toben vollkommen ruhig und gleichgültig blieb, war der alte Nolten. Schon wieder gerüstet, zu seinem Arbeitsplatz und zu seinen übrigen Gefährten zurückzukehren, hielt er auf seinem grobknochigen Schimmel mitten zwischen den Leuten.

Als Mr. Smith eben seinen kreischenden Aufruf beendet hatte und nun erschöpft innehielt, Atem zu holen und dann aufs Neue zu beginnen, sagte er: »Verdammt der Finger, den ich für den Burschen aufhebe, und alle ehrliche Amerikaner werden sich hoffentlich ebenso besinnen. Hättet Ihr neulich nicht den armen Teufel von Rothaut mutwillig erschlagen, so würdet Ihr jetzt so sicher zwischen den Indianern durchreiten können, wie ich es in der nächsten Viertelstunde tue. So aber geschieht es Euch recht. Misshandeln und treten wollt Ihr das arme Volk. Und wenn sie die Hand erheben, sich zu schützen, schreit Ihr Eure Freunde zusammen und fordert Rache. Dass sie Euch das Leben gelassen haben, begreife ich nicht einmal recht. Mit dem Abschneiden der Ohren ist Euch aber nur Euer Recht geschehen, und das ist meine, des alten Noltens Meinung. Passt Euch das nicht, so dürft Ihr es mir sagen.«

Damit lenkte er sein Pferd langsam durch die ihn umringenden Amerikaner und Fremden hin, aus deren Mitte manches ihm zustimmende Jawohl – ist ihm auch recht geschehen heraustönte, und ritt im Schritt die Straße wieder hinauf den Bergen zu.

Hetson wollte sich nun in die Menge mischen, als ihm Hale entgegenkam, ihn unter den Arm nahm und zurückführte, während er ihm mit kurzen Worten die Vorgänge jenes Tages unter dem vorigen Alkalden erzählte. Der Spieler hatte jedenfalls höchst unnötigerweise Blut vergossen und die Indianer auf eine Art gereizt, die diese Rache vollkommen entschuldigte.

Hale selber sprach sich auch ganz entschieden dahin aus, »dass er, was seine Person beträfe, fest entschlossen sei, keinen Schritt gegen die Indianer zu tun, denn hätten sie sich früher nicht deren Sache angenommen, so dürften sie auch nun dem Spieler nicht beistehen. Dass dieser ein Bürger der Vereinigten Staaten wäre, sei ohnedem ein Unglück. Wollten einige der tollköpfigen Burschen hinaus, an den Rothäuten Rache zu nehmen, so könne er sie allerdings nicht halten, seine Meinung aber sei, der Alkalde möge ihnen ein gerichtliches Einschreiten rundweg abschlagen. Wenn sie sich in ihrem Recht von den Eingeborenen gekränkt glaubten, sollten sie dieselben verklagen, und eine Jury würde dann entscheiden.«

»Hallo Hetson«, rief den Richter da eine raue Stimme an. Als er sich danach umdrehte, kam ihm Siftly mit dem bleichen, blutenden Smith an seiner Seite und von einem Schwarm lärmender Burschen gefolgt, entgegen. »Und da steht Ihr auch noch und schwatzt und beratet«, fuhr der Spieler fort. »Sollen wir etwa ruhig zusehen, wie die verdammten Rotfelle uns überfallen und verstümmeln? Den Teufel auch! Ehe er die ganzen Fremden mit diesen dunkelhäutigen Halunken von der Erde vertilgt, ehe wir einen einzigen Tropfen amerikanisches Blut ungerächt diesen Boden färben lassen.«

Hetson betrachtete mit Ekel und Mitleiden die traurige Gestalt des Verstümmelten und fragte nun nach den Einzelheiten des ganzen Überfalles, die Mr. Smith auf seine Weise vortrug und ausschmückte.

Als er aber dem Alkalden, nur von den entrüsteten Ausrufen der Umstehenden dabei unterbrochen, auch erzählte, dass ihn der Häuptling Kesos geplündert und ihm achthundert Dollar abgenommen habe, da rief auf einmal eine laute kräftige Stimme durch den Lärm: »Das ist eine Lüge!«

Alles drehte sich rasch und erstaunt nach dem kecken Rufer um. Mitten unter die Männer hinein aber dem Alkalden gerade gegenüber, trat Graf Beckdorf, wie er seinen Arbeitsplatz eben verlassen, das rotwollene Hemd an und den Strohhut auf, und rief: »Wenn dieser Mann da irgendjemandem Ursache hat dankbar zu sein, dass ihm wenigstens das Leben geschenkt wurde, so ist es jener Häuptling, den er hier verleumdet. Ich selbst war Zeuge der ganzen Szene, wenn ich und mein Kamerad auch nicht imstande waren, den armen Teufel vor dem, was ihn betroffen hat, zu schützen. Dass wir uns Mühe dahin gegeben haben, muss er uns bezeugen. Keiner der Indianer aber hat sein Geld angerührt und unbelästigt durfte er sein Pferd besteigen, auf dem die Satteltasche hing.«

»Wie sie mich den Berg hinaufschleppten, habe ich es verloren«, stammelte der Spieler, in stillem Grimm die Zähne zusammenbeißend. »Was wisst Ihr davon? Redet den roten Halunken auch noch das Wort!«

»Ich rede nur dem Häuptling das Wort, der sich wie ein Ehrenmann benommen hat«, sagte aber Beckdorf ruhig. »Dass sie Euch gestraft haben, ist Eure und ihre Sache. Ich will kein Urteil darüber fällen. Ein Raub ist aber nicht verübt worden. Wenn das Geld nur einfach verloren wäre, müsste es sich wiederfinden. Achthundert Dollar in Gold oder Silber trägt man aber nicht in der Brusttasche bei sich, und Banknoten haben wir hier nicht. Ich dachte mir übrigens, dass der Herr da die Sache hier im Lager nicht so erzählen würde, wie sie wirklich war, und bin deshalb hereingekommen, eine etwaige falsche Anklage zu entkräften.«

»Und was zum Henker geht Euch die ganze Geschichte an, dass Ihr Euch so merkwürdig darum bemüht?«, rief Siftly mit ausbrechendem Zorn über den kecken Fremden.

»Halt da, Siftly!«, sagte aber der Richter, in dem er seinen Arm ergriff, »dem Mann da bin ich dankbar für die Mitteilung, denn er verhindert, dass wir einen ungerechten Zug unternehmen, der sich kaum vermeiden ließe, wenn jener Mr. Smith auch von den Indianern geplündert worden wäre. Dass sie Rache an ihm für einen verübten Mord oder Totschlag genommen haben, ist eine andere Sache und gehört vor eine Jury, wenn dein Freund gewillt sein sollte, klagbar gegen die Indianer aufzutreten. Natürlich werde ich bereit sein, ihm darin zu willfahren.«

»Wirklich?«, rief Siftly, ihn höhnisch dabei vom Kopf bis zu den Füßen messend. »Schade nur, dass wir nicht Lust haben, darauf zu warten. Wer geht mit, Jungens, sich ein halb Dutzend Skalpe da draußen von den roten Kanaillen zu holen?«

»Eine ganze Menge, denke ich«, schrie Briars, stets bereit, wo es eine Rauferei galt. »Ich – wir alle gehen mit.«

»Nein, wir alle gehen nicht mit«, sagte aber ruhig ein anderer Amerikaner. »Wer sich in den Bergen unnütz macht, mag auch die Folgen davontragen. Überdies hat der Bursche da, der so gottjämmerlich ohne Ohren aussieht, auch faulen Kram, sonst hätte er nicht gelogen und uns mit den achthundert Dollar locken wollen. Dieselbe Geschichte haben sie schon einmal in Murphys drüben ebenso angezettelt. Verdammt die Hand, die ich gegen einen Indianer erhebe.«

»Es hat Euch noch niemand dazu verlangt, Mr. Cook«, trotzte ihm Siftly. »Und wenn wir ein halbes Dutzend richtige Messer zusammenbringen, hauen wir die ganze Sippschaft in die Pfanne. Vorwärts, meine Burschen, wir wollen den Kanaillen zeigen, was es heißt, sich an einem Weißen zu vergreifen!«

Während sich ein Teil der Amerikaner um ihn sammelte, zog er mit diesen die Straße hinauf. Die meisten blieben aber doch zurück und viele trennten sich noch später von dem Zug, die entweder kein weiteres Interesse dabei hatten oder doch ihre Sache nicht für so ganz gerecht hielten. Dass die Indianer dem Amerikaner die Ohren abgeschnitten hatten, war freilich eine schmähliche Frechheit, aber die Burschen waren auch gereizt worden. Der Häuptling selbst hatte sich ihnen stets freundlich gezeigt und dann schwärmten auch heute die Berge ordentlich von dem roten Gesindel. Man wusste eigentlich nie recht, wie man mit ihm daran war.

Graf Beckdorf stand mit untergeschlagenen Armen neben dem Sheriff und schaute dem fortziehenden Schwarm mit finsterem Blick nach, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und, sich danach umdrehend, in ein paar braune lachende Augen sah.

Erstaunt hielt er aber den Blick eine ganze Weile auf das ihm zugedrehte Antlitz geheftet. Es war augenscheinlich, dass er den ihm hier so plötzlich begegnenden Fremden kannte, aber in all den wilden Gestalten umher, aus all den tausend und tausend fremden Gesichtern, die uns in einem solchen Land nach und nach begegnen, fand er nicht gleich den Anknüpfungspunkt an diese Züge.

»Herr Graf, Sie entschuldigen vielleicht«, sagte lachend der Fremde, »wenn ich Ihnen …«

»Emil!«, rief Beckdorf, aber nun kaum seinen Sinnen trauend, unter solchen Umständen hier mit einem alten Freunde zusammenzutreffen, »bist du es denn wirklich?«

»Wie du siehst, lebendig, frisch und gesund.« Der junge Mann musste erneut lachen. »Aber zum Teufel, Georg, gräbst du denn auch nach Gold? Du siehst wenigstens wie ein richtiger Miner aus, im roten Hemd, den alten Strohhut auf und mit dem rechten, schief getretenen Schuh.«

Beckdorf hatte aber seine Hand ergriffen. Sie aus Leibeskräften schüttelnd, rief er aus: »Tausend Mal willkommen in den Bergen, was dich nun auch hergeführt hat. Solche Freude hätte ich mir heute bei Gott nicht träumen lassen. Du bleibst hier?«

»Vor der Hand, ja. Ich bin gerade auf einem Streifzug begriffen, der mich an keinen Platz natürlich bindet, wie dies ja auch in Kalifornien Sitte ist. Wer bindet sich hier?«

»Und bist du schon lange im Land?«

»Etwa sechs Monate und in der Zeit Holzhauer, Kommis, Bootsmann, Maultiertreiber und Kellner gewesen. Aber all die Fragen könnte ich auch dir stellen. Welcher Wind hat dich aus den deutschen Salons in diese Wildnis geweht?«

»Derselbe wahrscheinlich«, gab Beckdorf lachend von sich, »der dich herüberfegte; der Äquinoktialsturm, der im Jahre 48 in Paris ausbrach und wie ein echter

Tauwind vom Westen kommend das alte morsche Eis im Vaterland brach. Besser konnte ich die Zeit da nicht anwenden, als dass ich eben auf Reisen ging.«

»Und jetzt arbeitest du hier?«

»Mit einem anderen Deutschen zusammen. In den Minen hast du dich noch nicht versucht?«

»Noch nicht.«

»Oh, vortrefflich, dann weihe ich dich gleich heute in die Geheimnisse des edlen Goldwaschens ein. Du hast doch Zeit?«

»Ich …  hm … ja … allerdings. Welche Beschäftigung sollte ich schon haben?«

»Gut, dann begleitest du mich hinaus zu meinem Arbeitsplatz. Mein Kamerad wird überdies schon mit Schmerzen auf mich warten. Unterwegs und draußen plaudern wir nach Herzenslust.«

»Und wann kommen wir wieder zurück?«

»Mit Feierabend«, antwortete Beckdorf darauf. »Die Bedeutung des Wortes wirst du in diesem Land schon kennen gelernt haben, wenn wir daheim auch nicht viel davon wussten.« Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, legte er seinen Arm in den des Freundes und wandelte mit ihm die Zeltstraße hinauf, der stillen Talschlucht zu.

***