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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 41

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

41. Wie Rübezahl endlich begraben wird.

Es war ein herrlicher Sommertag gewesen. Rübezahl hatte ihn einmal genossen und sich auf dem Hochgebirge einen Spaziergang gemacht. Nun prangten gerade die Natur in ihrem Nachtfeierkleid, denn der Mond strahlte sein Silberlicht auf die Erde hernieder vom heiteren Nachthimmel, an dem nur einige leichte Wölkchen hinschwebten. Die Nacht war so ruhig und still, dass man das Gebell der Hunde aus den Dörfern heraufschallen hörte. Plötzlich vernahm Rübezahl einen zweistimmigen Gesang, der sich bald zu verlieren schien, bald verstärkt wieder heraufschwebte, begleitet vom leisen Rauschen der Elbe, der Pantsche und des Pudelbaches. Rübezahl merkte wohl, dass der Gesang von der Teufelsbaude herkam. Er ging also auf diese los, und bald, als er aus dem Walde heraustrat, lag sie auch im Mondlicht vor ihm. Drei Menschen bewegten sich vor ihr auf der hell erleuchteten Grasfläche. Es waren zwei Männer und eine Frau. Sie schauten hinunter in die wilden Gründe des Elbseiffens und links hinüber in die Siebengründe und mochten wohl, wie es schien, nicht viel reden, aber desto mehr empfinden. Die ganze Gegend glänzte im Silberlicht. Drüben, wo über die Felsenwände am Krkonošich die Pantsche 900 Fuß hoch herabfällt, glitzerten silberweiße Faden an den grauen Felsen hernieder, während im tiefen Talgrund milchweiße Nebel ruhten oder, durch den Nachtwind gehoben, in abenteuerlichen Gestalten an den Bergen hinaufgeführt oder in Seitengründe gedrückt und bald darauf, gleichsam miteinander kämpfend, wieder herausgedrängt, am Nachthimmel dahinschwebten. Rübezahl näherte sich den dreien unbemerkt und hielt an der Baude ein wenig an, die kleine Gesellschaft musternd. Es bestand dieselbe aus einem jungen Jägersmann, einem wohlgekleideten jungen Mägdlein und einem älteren Mann, der wie ein wohlhabender Bürgersmann aus einer der Städte unten am Gebirge aussah.

»Ach«, seufzte eben das Mägdlein, »welch eine reizende herrliche Nacht!« Es schmiegte sich sanft an die Brust ihres sie begleitenden Freundes, der sie mit einem wehmütigen Seufzer an sein Herz drückte.

»Ja«, antwortete der Bürger, »ja, es ist wahr. So einen Abend möchte ich mir nur einmal so recht bei Tage besehen.«

Da trat Rübezahl unter die Gesellschaft und bot ihnen einen guten Abend. Die Leutchen dankten ihm gar freundlich. Der Bürgersmann schien erfreut über den neuen Zuwachs und war bald mit Rübezahl im traulichen Gespräch, während die Liebesleute – denn das waren sie – außer sich um die ganze Welt sich nicht bekümmerten.

Indem nun der Bürgersmann mit Rübezahl sprach, erzählte er ihm denn auch, wer sie seien.

»Das junge Volk tut mir leid«, sagte er, »sie ist doch einmal meiner einzigen Schwester Tochter. Ich habe sie so lieb wie mein eigenes Kind und gönnte ihr gern alles Liebe und Gute, aber der Vater.« Dabei machte er ein betrübtes Gesicht und schüttelte den Kopf. »Der Vater«, fuhr er fort, »ist in unsrer Familie der Einzige, welcher aus der Art geschlagen ist und weiß vor Geldgier nicht, wo aus und ein. Er ist der größte Erbschleicher weit umher um Hohenelbe und war doch vorher so arm wie eine Kirchenmaus. Nun ist er in Hohenelbe ein Gastwirt Zur güldenen Kanne und einer der reichsten Männer im Ort. Die dort sitzt, ist sein einziges Töchterlein, die er auch gern an den Meistbietenden verkaufen möchte. Seht nur, Herr, wie sich die beiden so lieb haben. Er ist der Jäger von Marschendorf, aber dem Alten nicht reich genug, denn er hat mit ihr andere Absichten. Aber ehe sie ihn, den Laurenzi, lässt, da geht sie lieber in den Tod. Das Herz möchte einem brechen, wenn man das Leid sieht, was sie beide erdulden.«

Rübezahl hörte aufmerksam zu und recht teilnehmend. Endlich fragte er: »Ist denn den armen Leuten gar nicht zu helfen?«

»Dass ich nicht wüsste«, erwiderte der Mann, »bei so einem Vater ist nicht zu helfen. Hätte er das Mägdlein nicht nach Hirschberg hinübergeschickt, um seinen Bruder zum Jahrmarkt in Hohenelbe einzuladen, die armen Kinder hätten sich nicht einmal sehen können.»

»Wann habt ihr denn euren Jahrmarkt«, fragte Rübezahl weiter.

»Nun, übermorgen«, entgegnete der Mann.

Das sei schön, sagte Rübezahl, da werde er mit ihnen nach Hohenelbe gehen. Er sei auch ein Handelsmann und müsse sehen, ob in Hohenelbe für ihn etwas zu machen sei. Und in der Güldenen Kanne müsse er wohnen.

Der günstige Leser merkt hier etwas, behält es aber für sich.

So brachen die lieben Leute am anderen Morgen zusammen auf, und stiegen das Gebirge hinunter, bis sie nach St. Peters kamen. Hier mussten sich die Liebesleute trennen und vergingen fast in ihrem Schmerz. Und werden es die Hohenelber ihren ihrer alten Elbe nicht angesehen haben, wie viel davon Wasser und wie viel Tränen gewesen waren. Ja, wer weiß, wie es gekommen, wenn nicht Rübezahl zu den Liebesleuten hinzugetreten wäre und ihnen gesagt hätte, sie sollte nur getrost sein. Wenn die Not am größten, so sei auch die Hilfe am nächsten. Er wisse gewiss, sie würden sich bald fröhlich wiedersehen.

Damit wandten sie dem Jägersmann den Rücken, der zu den Fuchsbauten wieder hinaufstieg, und setzten ihren Weg der Elbe entlang fort, indem Rübezahl dem armen Mägdlein recht kräftigen Trost zusprach.

Wenn nur alle Leute hier hätten den Rübezahl sehen können, den sie immer für einen Teufel hielten, und dem man gut werden musste, wenn man hörte, wie heilsamen Trost er dem armen Mägdlein einsprach. So brachte er es auch richtig dahin, dass sie ruhig und gefasst ins elterliche Haus eintrat.

Rübezahl bat den Wirt um ein eigenes Kämmerlein, damit sein Hab und Gut auch gesichert wäre, denn er sei ein Goldschmied, so mit goldenen und silbernen Gefäßen und mit Schmuckhandel treiben und erwarte demnächst hier seine Waren. Auf dem Markt, sagte er, wollte er aber nicht ausstehen, sondern er gehe zur Messe nach Prag. Der Wirt gab ihm also eine besondere Kammer. Als endlich ein Fuhrwerk mit einem Kasten ankam, so setzte Rübezahl diesen in seine Kammer. Während des Jahrmarktes ließ er was aufgeben, so das der Wirt dachte: Ja, wenn alle in Hohenelbe so wären!

Schon war der Jahrmarkt seit zwei Tagen vorüber und Rübezahl saß noch immer in Hohenelbe. Da ließ er gegen Abend den Wirt rufen und sagte ihm, er sei krank. Der Wirt wurde bestürzt und meinte, er wolle den Pankraz holen lassen, der sei ein geschickter Mann. Wenn man den habe, so könne der Tod nichts machen. Aber Rübezahl schüttelte den Kopf und wollte vom Arzt nichts wissen. Am anderen Tag fühlte er sich noch viel kränker, sodass der Wirt dachte: Der wird die Lerche auch nimmer singen hören. Er ließ also einen Geistlichen kommen, der ihm in seiner Not beistehen und Trost zusprechen sollte. Aber da kam er bei Rübezahl erst recht an, sodass der Geistliche unverrichteter Dinge wieder abzog.

Nicht lange darauf ließ Rübezahl den Wirt und die Wirtin zu sich kommen, übergab ihnen den Schlüssel zu seinem Kasten und sagte ihnen, dass sie ihn öffnen und alles darin sich genau ansehen möchten. Denn, sagte er mit matter Stimme, er fühle, dass sein Ende nahe sei. Da er weder Kind noch Kegel hinterlasse, so wünsche er nur noch dessen sicher zu sein, dass er auf eine stattliche Weise zur Erde bestattet werden möge. Der Wirt und seine Frau waren außer sich vor Verwunderung über die Menge goldener und silberner Gefäße, über den Schmuck und die Menge schwerer Goldmünzen, welche den Kasten füllten. Da er aber bald den Vorteil sah, welchen er von der Sache ziehen könnte, so machte er doch zu dem Wunsch des Kranken ein bedenkliches Gesicht. Denn, sagte er, da der Herr ein völlig Unbekannter sei, so werde ihm zwar ein ehrliches, aber unmöglich ein so stattliches Begräbnis zuteil werden, wie er es wünsche.

»Wollt Ihr jedoch mir einen bedeutenden Teil Eures Vermögens vermachen«, fuhr er fort, »so verspreche ich es Euch, ein Begräbnis nach Eurem Wunsch durchzusetzen.«

»Nun«, versetzte Rübezahl, »so sollt Ihr gar nichts haben. Ich will lieber meine ganze Habe dem Bräutigam Eurer Tochter geben, der gewiss dankbarer sein wird.«

Der Wirt dachte: Auch gut.

»Damit ich aber«, setzte Rübezahl hinzu, »sicher sein kann, dass auch mein Gut nicht in unrechte Hände komme, so müsst Ihr mir wenigstens ein schriftliches Versprechen geben, wem Ihr Eure Tochter geben wollt.«

»Das will ich wohl tun«, versetzte der wird, »ihr bestimmter Bräutigam ist der alte Lohgerber Lunjak. Und innerlich dachte er: Der muss bluten.

Also ließ er ein förmliches Eheversprechen vom Gerichtsschreiber aufsetzen, dass niemand anders seine Tochter haben sollen, als der Lohgerber Lunjak.

»Und«, sagte der Gerichtsschreiber, »Euren Namen könnt Ihr zu Hause in aller Bequemlichkeit daruntersetzen.«

Vergnügt unterzeichnete er also zu Hause das Eheversprechen und brachte es dem Rübezahl.

Der aber sagte: »Freund, Ihr müsst das noch einmal abschreiben lassen und Euren Namen hier an meinem Lager daruntersetzen, damit ich gewiss weiß, dass Ihr es geschrieben habt.«

Der Wirt musste es also noch einmal abschreiben lassen. Währenddessen vertauschte Rübezahl, der unsichtbar in der Kanzlei zugegen war, das Blatt mit einem nachgemachten, worin er als Bräutigam den Jägersmann eingetragen hatte. Nachdem der Wirt dasselbe an seinem Lager unterschrieben hatte, schickte er dem Jäger durch seine unsichtbaren Boten das Versprechen und ließ ihm sagen, dass er sich nur in einigen Tagen damit melden solle.

Als die Sache auf diese Art abgemacht war, sagte Rübezahl, nun wolle er gern sterben. Der Wirt möge die fünfzig Dukaten, die im Kasten oben auflägen, zu seinem Begräbnis herausnehmen. Kaum war der Kasten wieder verschlossen, so fing der Kranke an, erbärmlich zu schreien, sperrte das Maul auf und verdrehte die Augen. Als er das einige Male gemacht hatte, war er tot. Währenddessen hatte der Wirt seine heimliche Freude und dachte: Stirb nur immer drauf los, es kann einmal nicht anders sein.

Der Tote wurde nun auf das Stattlichste begraben. Bis auf den Kirchhof kamen sie glücklich. Aber als gerade die Totengräber in einsenken wollten, so sperrte der Tote auf einmal das Mal auf und sang:

So lasset mich nun allhier schlafen,

und geht heim eure Straßen.

Vielleicht möcht ich noch eher aufsteh’n,

als heim sind, die mit zu Grabe geh’n.

In größter Bestürzung lief die ganze Leichenbegleitung davon und machte Anzeige bei der Obrigkeit. Der Sarg wurde hierauf geöffnet, aber er war leer. Der Wirt dachte: Du weißt, was du hast, und das ist das Beste. Aber dem war nicht so. Denn als er den Kasten öffnete, waren nur Knochen und Schweineborsten darin. Der Jägersmann aber, der das Eheversprechen vorzeigte, wurde dabei vor Gericht geschützt, da es die eigenhändige Unterschrift des Wirts hatte. Er führte sein Mägdlein heim.

So hatte Rübezahl wieder einmal etwas Gutes gestiftet, und es heißt:

Ende gut alles gut!