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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Fünfzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Fünfzigste Erzählung

Die unterirdische Erleuchtung in einer der Kirchen des Friedrichstädter Marktplatzes zu Berlin

Der verstorbene Sekretär beim Berg- und Hüttendepartment, Herr Weichmann, und der jetzige Packhofinspektor, Herr Kanngießer zu Havelberg, gingen im Herbst des Jahres 1770 um Mitternacht aus einem freundschaftlichen Zirkel über den Friedrichstädter Marktplatz zu ihren Wohnungen zurück. Mit nicht geringem Erstaunen bemerkten sie in einer der dortigen Kirchen einen Lichtschimmer, der bald zu verschwinden schien, bald wieder in erneutem Glanz da war. Anfangs glaubten sie, es sei wohl nur der Widerschein von irgendeinem Licht der den Platz umgebenden Häuser. Schon wollten sie daher unbekümmert vorübergehen, allein wie sie beim Fortsetzen ihres Weges jenseits der Kirche diese aus einem entgegengesetzten Blickwinkel nochmals anblickten und wiederum eine ganz eigene Erleuchtung des inneren Kirchraumes bemerkten, so bewog sie dies, die Sache zu untersuchen. Sie trafen eine Anstalt, welche sie in den Stand setzte, durch eines der Kirchenfenster in den inneren Raum der Kirche zu sehen. Und was erblickten sie da? Über dem Fußboden eine kleine schwache Flamme, in deren Lichtkreis die Erde gleichsam in Aufruhr war. Daneben schien sich die Erde geöffnet zu haben und ein magischer Lichtschimmer strahlte aus dem Schlund hervor.

Beide Beobachter erschraken heftig über die sonderbare Erscheinung und fragten aus Misstrauen gegen ihre Augen sich gegenseitig, was sie gesehen hätten.

Ihre Wahrnehmungen stimmten vollkommen überein. Beide waren geneigter, eine ihnen zurzeit noch unbekannte, natürliche Ursache als ein Gespenst zu vermuten. Sie rieten hin und her und erschöpfte alle Wahrscheinlichkeiten, aber an die wahre Veranlassung der Erscheinung dachte keiner. Noch immer schlichen sie von einem Kirchenfenster zum anderen, und jeder veränderte Blickwinkel, aus welchem man das anscheinende Wunder in neuen Richtungen betrachtete, war eine mit Bestätigung der früheren spukhaften Wahrnehmungen. Dies war auch der Fall, als man durch das Schlüsselloch der Haupttür sah.

Zufällig berührten die Herren in ihrer Verlegenheit den Drücker der Tür. Aber wie sehr erschraken sie, als sie beim Aufklinken des Ersteren die Letztere unverschlossen fanden. Man fuhr, wie unter ihren Händen die Tür aufsprang, bestürzt einige Schritte zurück. Allein es bedurfte nur eine kleine Sammlung der Gedanken und ihr Entschluss war gefasst. Man trat mittels der offenen Tür der unter- und überirdischen magischen Erleuchtung des Gotteshauses prüfend näher.

Beim Eintritt in die Kirche sahen beide von einem Gespenst Kopf und Brust aus der Erde hervorragen. Es war nicht anders, als ob ein längst beerdigter Geist sich dem Grab wieder entwinden wolle. Da mag ein anderer nicht zusammenschaudern, dachten sie, und wollten die Flucht ergreifen. Aber nein! Vor der Kirchentür, also noch eben zur rechten Zeit, erwachte das Ehrgefühl in ihnen, die Vernunft wollte die angefangene Untersuchung nicht unvollendet lassen. Die Entschlossenheit kehrte wieder. Man trat der Erscheinung wieder einige Schritte näher und sprach sie an. Aus der Totengruft erscholl eine Stimme, die im weiten Raum der Kirche sehr feierlich hallte.

»Guten Abend, meine Herren! Was steht denn hier so spät noch zu ihren Diensten?«

Diese Frage, die offenbar so klang, als komme sie wenigstens von keinem Gespenst, riss jene Herren plötzlich aus aller Verlegenheit und flößte ihnen den Mut zu einer unbefangenen Antwort und neugierigen Frage ein.

»Guten Abend, altes Gespenst! Was machst du denn hier so spät noch unter den Toten?«

Der Totengräber kann nun ganz aus dem Gewölbe hervor und gab für ein Trinkgeld die erwünschte Auskunft über die sonderbare und ungewöhnliche Versetzung seines Berufsgeschäftes in diese Stunde der Gespenster. Die zu spät bestellte Zubereitung eines Kirchengewölbes, in welches am nächstfolgenden Tag eine Leiche versenkt werden sollte, war die Veranlassung, dass man zur Vollendung dieses Totengräbergeschäfts die Nacht mitbenutzen musste. Um nicht im Finsteren zu sein, wenn etwa die aus der Gruft aufsteigende mephitischen Dünste das Licht verlöschen sollten, hatte der durch frühere Erfahrungen gewitzigte Alte zwei Laternen bei sich. Die eine verbreitete ein sehr schwaches Licht neben dem Gewölbe. Das andere, viel hellere Licht innerhalb der Gruft gab jenes anscheinend magische Feuer, welches gleichsam aus dem Inneren der Erde hervorloderte.

Hätten die nun beruhigten Herren nur ein Zehntel Entschlossenheit weniger gehabt, als sie wirklich hatten. Dazu gehörte, die angefangene Untersuchung unter so sonderbaren Umständen ehrenvoll zu beenden.

Wer steht uns dafür, ob nicht aus ihrer ersten Wahrnehmung ein vielleicht nie auf geklärtes Gespenstermärchen entstanden wäre?