Jack Lloyd Folge 24
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Pflichtbesuch
Jack stand in der Empfangshalle des riesigen Anwesens des Gouverneurs von Port Royal. Er hasste dieses Haus mittlerweile. Es war weniger ein Haus, nicht einmal eine Stadtvilla, nein es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Palast. Jack hatte sich früher immer gefragt, von welchem Geld Männer wie der Gouverneur solche Anwesen unterhalten konnten. Heute wusste er es. Der Anteil, den der Gouverneur von der Beute seiner Freibeuter einbehielt, war wahrscheinlich höher als das, was ihm von Seiten der Krone als jährliche Geldleistung erbracht wurde. Und natürlich war der königliche Vertreter von Port Royal sicher, jedes noch so winzige bisschen dieses Reichtums wert zu sein. Jack betrachtete wieder einmal die wertvollen und exquisiten Ausstellungsstücke, mit denen der Herr von Port Royal hier prahlte. War er am Anfang von diesem offen zur Schau gestellten Reichtum und dieser Weltmännigkeit regelrecht überwältigt gewesen, so stieß ihn die Eitelkeit und Arroganz seines Geschäftspartners mittlerweile ab. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Er hatte sich an den Mann gebunden, dessen Kaperbrief er entgegengenommen hatte. Aber immerhin hatte der Gouverneur versprochen, dass Jack mit diesem Auftrag seine Schuld erfüllt hatte und von nun an sein eigener Herr sein sollte, was ihn freilich nicht von seiner Verpflichtung, den vereinbarten Anteil abzuliefern, befreite. Aber damit konnte der Freibeuter durchaus leben, solange er sich nicht den Launen und Wünschen des rundlichen Wichtigtuers im Gouverneurspalast beugen und dessen Aufträge erfüllen musste. Joe und Pablo hatten die Unterlagen, die Jack nun in seiner Jacke bei sich trug, in der Kapitänskajüte der Jungfrau von Cartagena gefunden. Natürlich hatten sie die Papiere an sich genommen, bevor Elena und ihre Männer davongesegelt waren. Jack konnte nicht sagen, ob die junge Frau wusste, dass er die Dokumente, die letztlich den Tod ihres Vaters verschuldet hatten, wieder an sich genommen hatte. Es war letztlich auch egal. Denn entgegen der Meinung Joes, der seiner Sache in diesem Punkt ziemlich sicher war, glaubte Jack nicht, Elena jemals wiederzusehen. Allerdings war er sich selbst noch nicht ganz im Klaren darüber, was für Gefühle diese Erkenntnis in ihm hervorriefen. Mal war es blanke Melancholie, mal hatte er nicht mehr als nur ein Achselzucken für derartige Gedankengänge parat. Es schien, als hätte er sich selbst noch nicht entschieden, ob Elenas Verschwinden für ihn ein Verlust oder einfach nur ein normaler Abschied gewesen war.
Endlich, nachdem der Kapitän fast eine Stunde gewartet hatte, öffnete sich eine breite Flügeltür und zwei Männer betraten den Raum. Der eine hoch aufgeschossen, schlank und in der Uniform der englischen Marine. Der andere klein, fast ebenso breit wie groß und mit einer weißen gepuderten Perücke auf dem Kopf und einer Menge Schminke im Gesicht fast ebenso grotesk anzusehen wie manche der indianischen Masken, die er in seiner Halle zu hängen hatte. Everet und der Gouverneur. Jack war dem Stadtherrn noch nie allein begegnet. Wann immer er ihn traf, war sein Schoßhund, der englische Leutnant, anwesend. Und auch diesmal war es Everet, der Jack direkt ansprach, während der Gouverneur sich schweigend seine fetten Hände rieb.
»Es ist schön, Euch wohlbehalten wiederzusehen, Kapitän.«
»Es ist auch schön, wieder hier zu sein, Leutnant.« Jack hasste diesen sinnlosen Austausch von unehrlichen Höflichkeiten. Für einen kleinen Moment hatte er mit dem Gedanken gespielt, dem Gouverneur die Dokumente einfach von einem Boten überbringen zu lassen. Aber Joe hatte ihn dezent darauf hingewiesen, dass man einen Mann wie diesen nicht verärgern sollte.
»Ihr habt, worum wir Euch gebeten haben, Mr. Lloyd?«, war es nun der Gouverneur, der seine Stimme vernehmen ließ. Jack war, als hörte er einen lauernden Unterton. Er beschloss, vorsichtig zu bleiben. Wenn man mit Schlangen verhandelte, wusste man nie, ob sie nicht doch einmal zubeißen wollten.
»Natürlich, My Lord Gouverneur«, erklärte Jack und deutete eine galante Verbeugung an. Lächelnd nickte der Mann, dessen Doppelkinn seinen Hals völlig verdeckte, und streckte dem Freibeuter eine Hand entgegen.
»Lasst sehen.«
Jack reichte dem Gouverneur die begehrte Beute. Die Dokumente waren in einem Zylinder verstaut. Der Gouverneur öffnete den Behälter, zog eine erste Rolle heraus, wickelte sie auseinander und warf einen Blick auf den Inhalt. Ein breites Lächeln zog über seine Züge.
»Wie habt Ihr das angestellt? Ich habe gehört, es ist einiges geschehen, während Ihr dort draußen unterwegs wart, Mr. Lloyd.«
»Das kann man wohl sagen, Mr. Gouverneur.«
»Was ist eine gute Geschichte ohne einen mindestens ebenso guten Schluck, oder was sagt Ihr dazu, Everet?«
»Wie könnte ich Euch da wiedersprechen, Gouverneur.«
Die beiden Kumpane lächelten sich an, sodass Jack am liebsten die Augen verdreht und schreiend kehrt gemacht hätte. Stattdessen folgte er der einladenden Geste des Hausherrn in den angrenzenden Salon mitzukommen. Hier ließ man sich in einer dick gepolsterten Sitzgruppe nieder. Ehe der Kapitän sich versah, hatte er ein Glas mit einer bräunlichen Flüssigkeit in der Hand.
»Auf Euer Wohl, Kapitän.«
Die Männer prosteten sich zu und jeder nahm einen Schluck. Jacks Kehle brannte, aber er musste zugeben, dass der Whiskey des Gouverneurs bei weitem besser war, als das Gesöff, das in den Tavernen Port Royals angeboten wurde. Ein weiteres Privileg dieses mächtigen Teufels.
»Und nun berichtet mir, was Euch wiederfahren ist. Ihr wart länger weg, als wir erwartet hatten.«
»Ich weiß. Wir bekamen auch Probleme mit den Nahrungsmittelrationen.«
Der Vorwurf schwebte einen Moment im Raum, während Jack einen weiteren Schluck aus seinem Glas nahm. Doch da keiner der beiden Männer Anstalten machte, auf seine Bemerkung einzugehen, begann Jack zu berichten, was vorgefallen war. Er erzählte jedes noch so kleine Detail, von der Meuterei Edmunds über die Gefangennahme der Tochter des Kaufmannes bis hin zum Tod des Spaniers und dem freien Abzug, den er Elena gewährt hatte. Nachdem er geendet hatte, herrschte für einen Moment Schweigen. Dann stellte der Gouverneur sein Glas auf den Tisch, der in der Mitte der Sitzgruppe stand. Er klatschte dreimal laut in die Hände. Dann erklärte er lächelnd: »Ein echter Gentlemen unser Kapitän Lloyd. Es war Recht, dass Ihr die Dame habt davonsegeln lassen. Ihr habt Euren Auftrag erfüllt und dafür bin ich Euch dankbar. Das bedeutet für Euch, dass Ihr von nun an Euer eigener Herr seid. Allerdings müsst Ihr vorher noch eine Kleinigkeit für mich erledigen.«
Jack spürte, wie Wut in ihm hochkochte. Wenn diese Kleinigkeit genauso verlief wie das Beschaffen einiger einfacher Dokumente, würde er Schwierigkeiten bekommen, seiner Crew zu erklären, warum sie noch einen unlukrativen Auftrag für den Gouverneur ausführen sollte. Doch der schien seine Gedanken zu erahnen. Abwehrend hob er beide Hände, während ein hinterhältiges Lächeln über seine Züge wanderte.
»Nein, mein junger Freund. Kein Auftrag mehr wie der, den Ihr und Eure Mannschaft gerade mit Bravour gemeistert haben. Ich möchte nur, dass Ihr eine Person anhört, die extra wegen Euch einen weiten Weg hergekommen ist. Im Prinzip ist es ihre Schuld, dass Ihr vorhin so lange warten musstet. Werdet Ihr sie für mich anhören?«
»Wer ist es?«
»Schaut selbst.«
Wieder klatschte der Gouverneur in die Hände. Diesmal noch lauter. Eine kleinere Tür am anderen Ende des Raumes öffnete sich und jemand betrat den Salon. Jack, der mit vielem gerechnet hatte, aber nicht mit diesem Anblick, musste sein Glas abstellen, um es nicht vor Schreck fallen zu lassen. Everet lächelte, als er das Gesicht des Kapitäns betrachtete.
»Ich würde sagen, diese Überraschung ist gelungen, was Kapitän?«
Fortsetzung folgt …
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