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Der Spion – Kapitel 26

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 26

Die Aufstellung des Netzes

Bald nachdem Maurus und Houston bei ihren Regimentern eingetroffen waren, hatte bei Kansas City der erste Zusammenstoß zwischen der südstaatlichen Armee, unter General Price, und den Unionisten, unter den Generälen Pleasanton und Rosencranz, stattgefunden. Obwohl die Übermacht auf Seiten der Ersteren, wurde sie doch nach empfindlichen Verlusten gezwungen, sich zurückzuziehen. Noch immer den Unionisten weit überlegen, trachtete sie, das südlich an einem Nebenarm des Osage River gelegene Fort Scott zu erreichen und sich der dort angehäuften Vorräte zu bemächtigen, bevor sie von den ihr nachsetzenden Gegnern angegriffen werden würde.

Trotz der Eile, mit welcher sie ihrem Ziel zustrebte, gelang es dem Kommandierenden der Bundesarmee, sich mit seinen Streitkräften zwischen sie und das genannte Fort zu werfen, worauf der blutige Zusammenstoß am Little Osage am 28. Oktober 1864 erfolgte.

Sein Korps in zwei gesonderte Abteilungen formierend, ermöglichte es der Bundesgeneral, die Sezessionisten zugleich im Rücken als auch in der Flanke anzugreifen und sie dadurch zu trennen. Dann aber folgten Kämpfe, welche in ihrer Erbitterung jeder Beschreibung spotteten. Angriff folgte auf Angriff, bis endlich der südstaatliche Kommandierende gezwungen war, seinen Rückzug nach Süden hin anzutreten. Es geschah dies erst, nachdem er seinen Munitionstrain in die Luft gesprengt und mehrere hundert andere Wagen verbrannt hatte. Damit konnte im Staat Missouri die Macht der Rebellion als gebrochen betrachtet werden.

Während diese Schlachten vorbereitet und geliefert wurden, suchten die zerstreuten Guerillabanden ebenfalls ihren Rückzug zu sichern oder sich der Hauptarmee anzuschließen. Letzteres gelang nur in vereinzelten, kaum nennenswerten Fällen. Durch die siegreich südwärts vordringenden unionistischen Truppenkörper eingeschüchtert, waren sie darauf bedacht, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Als sie dann aber überall in den von ihnen heimgesuchten Landschaften auf erbitterte, unbarmherzige Feinde stießen, von welchen sie, wo nur immer die Gelegenheit sich bot, wie schädliches Wild niedergeschossen wurden, glichen ihre Rückzugsbewegungen zuletzt offener Flucht. Die Verwirrung einzelner Bandenchefs wurde aber dadurch noch gesteigert, dass die ihnen in die Hände gespielten Nachrichten und Ratschläge ihrer Freunde seit kurzer Zeit sich als unzuverlässig erwiesen und in ihrer Ausführung gerade das Gegenteil von irgendwelchen Erfolgen bewirkten.

So hatte auch Quinch, der mit seiner Bande am weitesten nördlich vorgedrungen war, allmählich den Verdacht geschöpft, dass er entweder durch gefälschte Nachrichten irregeführt und über die Zeit hinaus so weit abwärts festgehalten worden oder dass unter seinen Freunden, die ihm bisher durch rechtzeitige Meldungen manchen Vorteil sicherten, sich Leute befanden, die nun beim Heruntergehen der Sezession ihr Heil vielleicht im Übertritt zu den Unionisten suchten.

In dieser misslichen Lage, in welcher er schließlich nicht mehr wusste, wohin er sich wenden sollte, um dem Verderben zu entrinnen, die von ihm ausgesendeten Kundschaftertrupps dagegen regelmäßig desertierten, erschien es ihm als eine glückliche Fügung des Geschicks, dass ein einzelner Indianer, ohne den eigentlichen Zweck seines Auftrages und dessen möglichen Folgen zu kennen, einer ihm begegnenden Patrouille auf deren Frage arglos einen Brief aushändigte, welchen er dem Befehlshaber eines nördlichen Streifkorps überbringen sollte. Dieses Schreiben war vom Spion Kampbell selbst unterzeichnet und verriet eine so genaue Kenntnis der Lage und Pläne des verwegenen Bandenführers, als ob es aus dessen nächster Umgebung hervorgegangen wäre. Unzweideutig bezog der Inhalt sich darauf, dass man vor allen Dingen ihn selbst in die Gewalt seiner Feinde zu liefern trachtete. Aus solchen Ursachen beabsichtigte man, ihm den Weg zu verlegen, von einem Hinterhalt aus ihn samt seiner bis auf ein Drittel ihrer früheren Stärke zusammengeschmolzenen Horde zu überfallen und bis auf den letzten Mann niederzumachen. Hatte dieser Brief aber das ihm ursprünglich bestimmte Ziel nicht erreicht, so gewährte das Quinch keine Beruhigung. Zu viel hatte er vom berüchtigten Spion gehört, um zu bezweifeln, dass derselbe es bei dieser einzigen Botschaft nicht bewenden lassen würde. So sah er sein Heil nur darin, alle bisherigen Pläne umzustoßen und andere Richtungen einzuschlagen, als in dem Schreiben angegeben worden waren. Gedachte er bisher, seinen Marsch in möglichst gerader Linie anzutreten, um auf kürzestem Weg in den Staat Arkansas und in das Ozarkgebirge zu gelangen, so wusste er nun, dass man ihm gerade in dieser Richtung auflauerte. Es kam also alles darauf an, zwischen den unionistischen Truppenkörpern hindurchzuschlüpfen, was ihm dadurch erleichtert wurde, dass Kampbell selber ihn, vermeintlich unabsichtlich, über die Bewegungen der einzelnen von ihm bedienten Streifkorps unterrichtet hatte. Und so entschied er sich zunächst dafür, vorläufig bekannte Bodenverhältnisse sich zu Nutze machend, auf seinem Rückzug die einst von ihm gebrandschatzte Kolonie abermals zu berühren. Selbst seines Versuches, an der Mündung des Nebraska sich der Tochter des Colonels Rutherfield zu bemächtigen, wurde in dem aufgefangenen Schreiben Erwähnung getan, begleitet von der Mahnung, ihn nach seiner Habhaftwerdung zu hängen, bevor es ihm gelinge, zu entweichen und mit den ihm gebliebenen Anhängern anderweitig neue Raubzüge einzuleiten.

Zähneknirschend las Quinch diese furchtbare Drohung. Er gedachte einer anderen, die einst neben der Leiche seines Adjutanten auf den Tisch genagelt worden war. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben ergriff ihn Zagen. In dem Bewusstsein, dass man ihm mit so viel Eifer und Geduld nach dem Leben trachte, wurde er unstet in seinen Entschlüssen, was seinen Leuten nicht verborgen bleiben konnte. Das einst unbedingte Vertrauen zu ihm wurde daher erschüttert. Immer mehr fanden sich, die sein Los zu teilen fürchteten und sich daher demselben durch die Flucht entzogen. Gelang es dem einzelnen Mann doch leichter, sich der Aufmerksamkeit der Feinde zu entziehen, als einer geschlossenen Truppenabteilung.

So war seine Streitmacht bis auf etwa hundertfünfzig Mann zusammengeschmolzen, als er, die zurzeit gefürchtete Kolonie vorsichtig umgehend, wieder auf die Spuren geriet, die er auf dem Hinmarsch in den Schluchten und Niederungen zurückgelassen hatte. Doch auch dort schwebten ihm fortgesetzt die Ankündigungen Kampbells vor, der es sich unzweifelhaft zur Aufgabe gemacht hatte, vor allen anderen Bandenchefs sich gerade seiner Person zu bemächtigen. Verwegen bis zur Tollheit sichtbaren Gefahren gegenüber, sank vor den geheimnisvollen Drohungen sein Mut bis zur Feigheit herab. Wo er ging und stand, wähnte er sich von Verrätern umringt. Selbst den eigenen Leuten, die gleich ihm das Leben vielfach verwirkt hatten und im Fall einer Gefangennahme ebenfalls auf keine Schonung rechnen durften, traute er nicht mehr. Nur der Furcht vor deren offenem Auflehnen gegen seine Gewalt war es zuzuschreiben, wenn er ihnen gegenüber seine in blutigen Handlungen gipfelnde Wut jetzt einigermaßen zügelte. Erst als die Kolonie einen Tagesmarsch weit hinter ihm lag, atmete er wieder freier auf. Ein einfacher Fallensteller, von Süden heraufkommend und auf der Wanderung zum oberen Missouri begriffen, hatte sich des Abends im Lager eingestellt und in rauer Weise seine Gastfreundschaft angesprochen. Derselbe erregte dadurch besonders seine Aufmerksamkeit, dass er alle an ihn gerichteten Fragen sorglos beantwortete und redselig, ohne jeglichen Rückhalt Auskunft über die gelieferten Schluchten wie die Truppenbewegungen der Unionisten erteilte. Von ihm erfuhr er auch, dass die Strecken, welche er in den letzten Tagen durchritt, vollständig vereinsamt seien, und es einem Kommando, wenn es nur einigermaßen Vorsicht walten lasse und bestimmte, durch Regenschluchten führende Richtungen verfolge, gelingen möchte, das Ozarkgebirge zu erreichen, ohne auf einen einzigen Unionisten zu stoßen. Da der Fallensteller sich durch eine Aufrichtigkeit auszeichnete, die an Einfalt grenzte, seine heitere Gemütsart und unbegrenzte Sorglosigkeit dagegen für seine Ehrlichkeit zeugten, richtete Quinch die Frage an ihn, ob er wohl fähig sei, ihm jene Wege genau zu beschreiben.

Da lachte Kit Andrieux belustigt. »Ja, beschreiben? Ja!«, rief er aus, »ob Sie aber imstande sind, nach meiner Beschreibung Ihren Weg auszumachen, möchte ich bezweifeln. Es geht nämlich eine Kleinigkeit hin und her, wie bei einem hungrigen Gaul auf einem dürftigen Weideplatz. Verdammt will ich sein, wenn nicht für jemand, der unbemerkt bleiben will, ein feines Auge dazu gehört, sich allerwärts zurechtzufinden.«

»Wie wäre es«, meinte Quinch finster, »wenn Sie selbst mir ein halbes Dutzend Tagesreisen weit als Führer dienten?«

Kit Andrieux wühlte mit den Fäusten in seinem buschigen Schläfenhaar, grinste verschmitzt und erklärte offenherzig: »Leicht gesagt, Gin‘ral, oder was Sie vorstellen mögen, doch des Henkers will ich sein, wenn für mich Zeit nicht mehr wert ist, als eine Tasche voll guter Dollars. Sie müssen nämlich wissen, Gin‘ral, nach den Council-Bluffs, wo ich zu überwintern gedenke, ist es ein langes hartes Stück Wegs. Bin ohnehin schon im Rückstand, weil ich mich zu mancherlei Umwegen bequemen musste, um den verschiedenen Truppenabteilungen auszuweichen, denn der Satan mag es solcher Gesellschaft ansehen, was für eine Sorte drinnen steckt. Und für einen gesunden Mann geht nichts d‘rüber, seine Kehle in guter Ordnung zu erhalten.«

»Unbezahlt würde ich Ihre Arbeit nicht lassen«, versetzte Quinch missmutig, »und ein Stück Geld lege ich noch auf den ausbedungenen Preis, wenn wir unbemerkt und wohlbehalten in die Nachbarschaft der sezessionistischen Armee gelangen.«

»Ob sezessionistisch, ob unionistisch oder keines von beiden, das schert mich wenig«, bemerkte Andrieux sorglos, »ich nehme meine Dollar von dem einen so gern, wie von dem anderen, bleibe im Grund aber am liebsten beiden Teilen aus dem Wege. Und mit dem Bezahlen möchte ich ebenfalls meine Bedingungen stellen, oder, sofern es nicht in Ihren Kram passt, Ihnen anheimgeben, immer südlich der Nase nachzugehen. Hängen will ich, wenn Sie schließlich nicht vor einem Ozarkgebirge Halt machen.«

»Das weiß ich ohne Ihren Rat, ob aber unbemerkt, ist eine andere Frage. Also heraus mit Ihren Bedingungen, in der Hölle Namen, und machen Sie es kurz.«

»Ich bin nämlich eine friedliebende Natur«, versetzte Andrieux. Er grinste wieder einfältig verschmitzt. »Nur mit dem Getier führe ich Krieg und bin dafür, mir die Haut so lange wie nur irgend möglich undurchlöchert zu erhalten. Da ich es also weder mit den Nördlichen noch mit den Südlichen verderben möchte, so stelle ich zunächst die Bedingung, dass, wenn es wirklich zu einem kleinen lustigen Gefecht kommen sollte, ich mich daran nicht zu beteiligen brauche. Dergleichen sehe ich mir lieber aus der Ferne an, wo die Kugeln nicht hinreichen.«

»Zugestanden«, erklärte Quinch ungeduldig. Verachtung prägte sich auf seinem verwitterten Gesicht aus. »Um ganz sicher zu gehen und Ihre kostbare Gesundheit zu schonen, haben Sie nur nötig, solche Wege zu wählen, auf welchen wir keinen feindlichen Angriffen ausgesetzt sind.«

»Recht so, Gin‘ral. Dafür will ich schon sorgen, und derjenige soll noch geboren werden, der es mir im Fährte suchen zuvortut, oder ich will verdammt sein. Als zweite und letzte Bedingung nenne ich noch, dass Sie mir für den Tag fünfzig Dollar auszahlen, zwar eine ziemlich hohe Summe, allein Sie sind in Not, und mir ist an der Fahrt rückwärts nichts gelegen. Da wäre ich ein Narr, wollte ich das nicht ausnutzen.«

»Auch das bewillige ich«, versetzte Quinch ingrimmig, »und was sonst noch?«

»Nur noch eine kleine Nebenbedingung, Gin‘ral«, antwortete Andrieux gleichsam kindlich harmlos. »Ich bin nämlich stets für eine gute Sicherheit in Geschäftssachen, und daraufhin mache ich für mich aus, dass Sie mir an jedem neuen Morgen die fünfzig Dollar vor dem Aufbruch in die Hand zählen. Es dürfte sich nämlich sonst ereignen, dass eines Tages die Feinde vor uns aus der Erde wuchsen und Sie samt Ihren stolzen Jungens massakrierten. Da könnte ich ohne diese kleine Vorsicht meinen Dollars nachpfeifen.«

»So mags d‘rum sein«, erwiderte Quinch Zähne knirschend, als hätte er sich geschämt, von dem einfältigen geldgierigen Fremden sich überhaupt Bedingungen vorschreiben zu lassen. »Doch jetzt meine Gegenbedingungen: Sie werden mir fortan zur Seite bleiben, damit ich jederzeit in der Lage bin, Ihnen das Gehirn aus dem Schädel zu schmettern, wenn Sie die geringste Veranlassung zu Misstrauen geben sollten.«

Kit Andrieux lachte so herzlich, dass ihm die Tränen in die Augen drangen. »Gin‘ral!«, rief er aus, noch immer gegen seine Heiterkeit ankämpfend, »bei Gott, Sie sind eine schlaue Hand, oder ich will zur Hölle fahren, bevor das Feuer hier vor uns ausgebrannt ist. Sie wollen ebenfalls sicher gehen, und das verdient Achtung. Ja, zur Seite bleibe ich Ihnen gern, und wenn Sie es verlangen, schlafe ich sogar mit Ihnen unter derselben Decke, obwohl ich lieber meines Weges nach den Council- Bluffs zöge und es Ihnen überließe, sich Ihren Weg selber so gut zu suchen, wie es Ihnen gefällt. Denn der Teufel traue Ihnen. Wenn Sie eines Tages aus Missverständnis etwas zu viel Tageslicht in meinen ehrlichen Rumpf hineinscheinen ließen, hätte ich selber den größten Schaden davon.«

So gelangte Kit Andrieux als Führer zu Quinch, der schon an den beiden ersten Marschtagen die Gewandtheit und Umsicht des verschlagenen Fallenstellers schätzen und achten lernte. In der verwilderten Bande aber befand sich kaum jemand, der nicht sein Wohlgefallen an dem jederzeit zu tollen Scherzreden aufgelegten neuen Gefährten gefunden hätte. Das Vertrauen zu dem Glück Quinchs und die Hoffnung auf Entkommen wuchsen in demselben Maß, in welchem Kit Andrieux jede Bodensenkung, jeden Hain oder Waldstreifen zum Schutz der von ihm geführten Horde auszunutzen verstand.

Wenige Tage waren verstrichen, seitdem Kit Andrieux mit Quinch Freundschaft schloss, als am Neoscho River auf einer Stelle, wo dessen tief ausgespültes Tal einen nicht minder versteckt fließenden Nebenarm in sich aufnahm, gegen achtzig Infanteristen der Unionsarmee ihr Lager aufgeschlagen hatten. Captain Durlach befehligte dieselben. Eine andere Kompanie lagerte ungefähr eine halbe englische Meile weiter östlich an einem mit dem Neoscho fast parallel laufenden Zufluss desselben, wo ihr durch die höher gelegene Ebene ein ähnlicher Schutz geboten wurde. Etwas tiefer in die erste Abzweigung des schmalen Neoscho Valley hinein, also nur eine kurze Strecke von Maurus entfernt, hart unterhalb der nördlichen nach oben führenden Abhänge und umringt von bereits winterlich kränkelnd belaubter Baum- und Strauchvegetation, hausten seit etwas längerer Zeit Markolf und die zu ihm gehörenden Männer. Wie Kit Andrieux fehlten auch die beiden Otoe, außerdem zwei Halbindianer und zwei weiße Jäger. Die zur Vernichtung der Raubbande Quinchs ausgesendeten beiden Kompanien waren, geführt von Oliva, Nicodemo und Schahoka, erst vor zwei Tagen eingetroffen.

Peinlich wurde es allerwärts vermieden, dass Menschen oder Pferde sich auf der Ebene selbst zeigten. Ebenso wurde beim Schüren der zum Abkochen notwendigen Feuer die äußerste Vorsicht beobachtet, um nicht durch weithin sichtbare Rauchsäulen den Argwohn vielleicht von Quinch entsendeter Kundschafter zu erregen. Der Eifer aber, welcher die Freunde Olivas, Nicodemos und Markolfs, wie die Befehlshaber der beiden Kompanien beseelte, die berüchtigte Bande der Mordbrenner aufzureiben und sich deren Anführers zu bemächtigen, hatte sich allmählich auf jeden einzelnen Soldaten übertragen, wodurch die Handhabung der eingeleiteten Ordnung und Sicherheitsmaßregeln erheblich erleichtert wurde. Es war ein rauer Novembertag. Scharfer kalter Wind wehte aus Nordwesten und peitschte die niedrig hängenden Wolken, als hätte er sie vom Himmel fortsetzen wollen. Doch der westliche Horizont war unerschöpflich. Immer neue Massen entquollen demselben, gerade so, um einen Wettlauf gegen Südosten anzutreten. Es versprach eine undurchdringliche schwarze Nacht zu werden. Noch herrschte die gedämpfte Nachmittagsbeleuchtung. In den beiden Militärlagern waren nach allen Richtungen hin Schildwachen aufgestellt worden. Auf den Abhängen der Taleinfassungen standen sie gerade hoch genug, um über die Ebene in die Ferne spähen zu können. Die Pferde weideten unten an gepflockten Leinen. Niedrig brannten die Lagerfeuer. Sie wurden nicht reichlicher genährt, als erforderlich, ohne den Schein lodernder Flammen wärmende Gluthaufen für die Nacht zu schaffen.

Maurus hatte sich zu seinem Bruder begeben. Gegen die eisige Luftströmung durch die Uferwand geschützt, saß Markolf im Kreis der Gefährten und Freunde vor dem Feuer. Neben ihm befand sich Daisy, nun wieder das Bild blühender Gesundheit. Nachdem alle seine Versuche, sie nach St. Louis oder den Council-Bluffs zu schicken, an ihren Willen gescheitert waren, und er es längst aufgegeben hatte, mit ernsten Vorstellungen in sie zu dringen, verlieh unverkennbare innere Befriedigung ihrem lieblichen Antlitz erhöhte Reize. Sie war glücklich, denn das Einzige, was sie wünschte und hoffte, in Markolfs unmittelbarer Nähe zu weilen, alle Entbehrungen des rauen Feldlebens mit ihm zu teilen, ihn auf Schritt und Tritt zu überwachen und mit rührender Unterwürfigkeit zu bedienen, hatte sich erfüllt und mehr erwartete sie nicht.

Seit der ersten Bekanntschaft mit ihr hatte Daisy in Oliva eine Freundin gewonnen, die mit der ganzen Sorgfalt einer edlen Frauennatur alles Mögliche aufbot, um das Leben der jungen Halbindianerin ein wenig angenehmer zu gestalten.

Oliva selbst, in deren regelmäßig schönem Antlitz die Folgen des mühevollen Umherschweifens sich noch schärfer ausprägten, ihm sogar den Ausdruck versteckt schleichendes Siechtums verliehen, war im Übrigen noch ernster und schweigsamer geworden. Wohl erhellte es ihre Züge flüchtig, wie ein darüber hingleitender warmer Sonnenstrahl, wenn ihre Blicke auf Daisy ruhten, jedoch um bald wieder in ihr finsteres Grübeln zu versenken. Sogar Maurus gegenüber, mit welchem die Erinnerung an gemeinsam verlebte verhängnisvolle Tage sie einte, bewahrte sie eine gewisse düstere Zurückhaltung. Nur wenn er im Gespräch mit ihr die von dem rätselhaften Spion entworfenen Pläne berührte und diese oder jene Möglichkeit erwog, belebte ihr Antlitz sich plötzlich feindselig. Ihre Wangen röteten sich. Unheil verkündend funkelten ihre Augen. In der Art aber, in welcher sie die Zähne aufeinanderpresste und einzelne Bemerkungen zwischen denselben gleichsam hervorstieß, verriet sie eine so tiefe Erbitterung, eine so unheimliche Spannung, mit welcher sie der nächsten Zukunft entgegensah, dass selbst Maurus von einem dumpfen Gefühl der Scheu ergriffen wurde. Etwas Dämonisches lag in ihrer Verschlossenheit, die mit einem eigentümlich unsteten Wesen abwechselte, sobald sie ihre schwer bekämpfte Ungeduld zu verschleiern versuchte. Nicodemo, der ihr an dem heutigen Abend gegenübersaß, ließ sie kaum aus den Augen. Begegnete sie seinen bekümmerten Blicken, dann traf es ihn wie ein herber Vorwurf. Sie verstand den Ausdruck seiner Teilnahme, der bangen Sorgen um ihre Person, verschmähte sie aber. In demselben Grad, in welchem sie dem ihr vorschwebenden Ziel näher zu rücken wähnte, schieden sich mehr und mehr die letzten weiblich milden Regungen von ihr aus, um den gefährlichsten aller Leidenschaften ihre Stelle einzuräumen.

Sie hatte eben eine Bemerkung an Maurus gerichtet und kehrte sich Nicodemo zu, als einer der Wachtposten vor das Feuer hintrat und dem Captain eine kurze Meldung abstattete. Kaum vernahm Oliva dieselbe, als sie mit der Sprungfertigkeit eines Marders auf die Füße emporschnellte.

»Endlich«, sprach sie tief aufseufzend. Über ihr plötzlich matt erglühendes Antlitz eilte wilder Triumph. »Ich wusste, dass Kampbell keinen Irrtum begehen würde.«

Sie wendete sich an Maurus, der sich mit den übrigen Anwesenden ebenfalls erhoben hatte: »Ich hoffe, Sie bezweifeln nicht länger die Zuverlässigkeit unseres Spions, mag er immerhin darauf bedacht sein, wohin er auch gehen mag, seine Person in Geheimnis zu hüllen.«

»Nach den Diensten, welche er den Bundestruppen leistete, konnten bei mir keine Zweifel über den wunderbaren Menschen entstehen«, erwiderte der Angeredete, »so denken auch andere. Genügte doch sein Name, die beiden Kompanien vom Regiment zu trennen und so weit abwärts zu schicken.«

»Ich weiß, man ist von seiner Treue und Umsicht überzeugt«, versetzte Oliva wieder ruhiger, »aber das gehört dazu, soll das Unternehmen überhaupt glücken. Eine wunderbare Erscheinung ist dieser Kampbell tatsächlich und bedient wie kein Zweiter. Wir hingegen können nichts Besseres tun, als seine Ratschläge mit peinlicher Genauigkeit befolgen.«

Ihre letzten Worte klangen herrisch. Höher hatte sie sich aufgerichtet. Kalt berechnende Entschlossenheit verhärtete ihre Züge. Einen seltsamen Kontrast bildete die, von einem schmächtigen, bartlosen jungen Mann im Äußeren nicht zu unterscheidende Gestalt in der abgetragenen Lederkleidung zu den befremdet auf sie hinblickenden wettergebräunten bärtigen Männern. Keiner antwortete. An Scheu grenzende Achtung fesselte die Zungen. Eine unheimliche Zaubergewalt schien plötzlich in ihr Leben gewonnen zu haben, dass sie, ohne es zu bezwecken, ihre Umgebung gewissermaßen beherrschte.

Daisy war dicht an Makolfs Seite getreten. Indem Oliva an ihr vorbeischritt, strich sie mit der Hand sanft über ihr Scheitelhaar.

»Armes liebes Kind«, sprach sie mütterlich sanft. »vergiss nicht, dass dein Leben nicht dir allein gehört, sondern dass du verpflichtet bist, es für einen anderen zu erhalten und daher Vorsicht walten zu lassen.«

Ängstlich sah Daisy ihr nach, wie sie in kurzer Entfernung, gefolgt von den Männern, den bewaldeten Uferabhang zu ersteigen begann. Dann schlug sie an Markolfs Seite denselben Weg ein.

Als sie oben eintrafen, richteten alle Blicke sich gegen Westen und Nordwesten. Hinter sich hatten sie die Wipfel der in der Tiefe und auf dem Abhang wurzelnden Bäume, waren also geschützt gegen etwaige feindliche Späher. Der ihnen entgegenstehende Wind traf sie mit voller Gewalt. Immer neue graue Wolkenmassen entquollen dem fernen Horizont, um in wilder Hast die ihnen von der heftigen Luftströmung vorgeschriebene Bahn zu verfolgen. Scharf hoben sich vor denselben mehrere weißliche, ins Schwarze spielende Rauchsäulen ab. In mäßigen Zwischenräumen voneinander der Prärie entsteigend, wurden sie anfänglich vom Sturm niedergepresst, dann aber in die Atmosphäre hinauf entführt. Eine Weile beobachteten alle die Signale schweigend.

Erst als auf beiden Seiten derselben in kurzen Pausen immer neue Zeichen aufwirbelten, bemerkte Oliva mit scharf hervor klingender Befriedigung: »Das Gras ist lang und herbstlich saftlos. Der Wind hilft nach, da wird der Brand schneller heran sein, als unsere Freunde auf ihren Pferden zu folgen vermögen. Hoffentlich fegt er nicht zu früh über uns hinweg.«

»In einer halben Stunde ist es Nacht«, versetzte Markolf, der neben ihr stand, halb zu Nicodemo gewendet, »so lange braucht das Feuer mindestens, um in gleiche Höhe mit uns zu gelangen.«

Oliva lachte klanglos vor sich hin. »Kit Andrieux wie die anderen scheinen mit der Uhr in der Hand zu arbeiten«, meinte sie eintönig. »Bevor Quinch mit den seinen in das Netz gegangen wäre, wäre die Prärie nimmermehr von ihnen angezündet worden.«

Während dieses Gespräches hatten die Rauchsäulen an Breite zugenommen. Nach beiden Seiten hinwachsend, war es, als hätten sie sich gegenseitig die Hände zum tollen Höllenreigen bieten wollen.

»Wir müssen das letzte Tageslicht ausnutzen«, brach Maurus das plötzlich eingetretene Schweigen, indem er sich der Schlucht wieder zukehrte. »Es sind noch einige Vorkehrungen zu treffen. Ist die Stunde da, dürfen keine lauten Befehle mehr erteilt werden.«

Langsamer folgten Markolf und Daisy ihm nach. Ihnen schlossen die anderen Jäger sich an. Oliva und Nicodemo blieben zurück, um das schnelle Zunehmen der dem noch unsichtbaren Feuer vorauseilenden Rauchwolken zu überwachen.

Traumverloren stand Oliva da. Auf Nicodemos verfinsterten Zügen lagen bange Zweifel.

»Du willst zum Äußersten schreiten?«, fragte er. Bittere Entsagung tönte aus seiner Stimme hervor.

»Kehrte ich so dicht vor meinem Ziel um, so müsste ich mich vor dir schämen«, erwiderte Oliva erregt. »Ich habe es geschworen, und meinen Eid halte ich oder ich gehe zu Grunde.«

Eindringlicher fuhr Nicodemo fort: »Nachdem du ihn in die Gewalt des Militärkommandos liefertest, darf dein Schwur als erfüllt betrachtet werden. Lasse es damit genug sein. Setze dein Leben nicht weiter ein. Seinen irdischen Richtern kann er nicht mehr entrinnen.«

»Richtern, die wohl gar Schonung walten lassen«, versetzte Oliva feindselig, »er aber ist der Letzte, der Barmherzigkeit verdient. Übte er selbst jemals Mitleid?« Sie lachte gehässig und fügte hinzu: »Mord und Brand kennzeichnen seine Wege seit Ausbruch des Krieges. Das könnte mit Rücksicht auf die herrschenden Zustände vielleicht eine nachsichtigere Beurteilung erfahren. Aber was vorausging, Nicodemo! Vergegenwärtige dir den Jammer, welchen er anderen bereitete. Dich nehme ich nicht aus. Entscheide, ob einem derartigen Ungeheuer auch nur eine Stunde länger der Atem gegönnt werden darf, um auf neue Ränke und Frevel zu sinnen. Nein, Nicodemo, du weißt, was du mir giltst. Ich aber erkenne gewiss die Opfer an, welche du mir brachtest. Mache daher das Maß deiner Güte voll, indem du jeden ferneren Versuch aufgibst, noch eine Wandlung in mir zu bewirken. Ich bin fest entschlossen. Erbte ich von meinen Vorfahren tatsächlich weiter nichts, als deren Stolz, so will ich wenigstens den hegen und pflegen, bis das Auge mir bricht.«

Sie reichte dem Gefährten die Hand, und milde, wie von Rührung beschlichen, sprach sie weiter: »Das wird ein böser Morgen werden, der auf die schwarze Sturmesnacht folgt. Wer weiß, wer von uns das Tageslicht noch einmal sieht. Sollte der Tod uns trennen, Nicodemo, solltest du gezwungen sein, mich hier in öder Wildnis einzuscharren und vereinsamt in die alte Heimat zurückzukehren, dann gedenke meiner auch fernerhin mit ein wenig Liebe. Wiederhole dir, so oft mein Bild in deiner Seele auftaucht, dass meine Liebe zu dir so unvergänglich wie die Sterne am Himmel, über welche der Tod keine Gewalt hat. Und noch eins, Nicodemo.« Ihre Lippen bebten vor der in ihr wogenden schmerzlichen Bewegung. »Sollte ich in der Lösung der gefährlichen Aufgabe mein Ende finden, und du siehst mich tot und starr vor dir liegen, dann küsse mich auf den Mund und nenne mich bei Namen, wie ich solche einst so gern von dir hörte. Du mit deinem edlen Gemüt wirst mich dadurch weihen zum Eingang in die Ewigkeit. Wie auch immer die Aufgabe gelöst werden mag oder ob sie ungelöst bleibt: Was ich einst heilig gelobt habe, ich meine, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt deine Lippen die meinen nicht mehr berühren durften, meine Liebe zu dir nur noch als Traum gelten sollte. Durch den Tod werden alle Fesseln gesprengt. Nicodemo, ich bitte dich, blicke nicht so finster, so trostlos darein. Ermutige mich vielmehr durch dein Beispiel. Sei stark, wie ich es sein muss …« Ihre Stimme drohte zu ersticken, indem sie fortfuhr: »Und jetzt ein Lebewohl für alle Fälle. Ich füge hinzu: auf Wiedersehen, wenn auch erst in einer anderen Welt.«

Da richtete Nicodemo sich mit einer heftigen Bewegung straff empor. Er war nicht mehr der von schweren Sorgen bedrückte Beschützer, sondern ein seiner Kraft bewusster kampfbereiter Mann. Die ihm gereichte Hand kräftig drückend, sprach er feierlich: »Kann ich nicht mit dir leben, so kann ich mit dir sterben. Nur eine Beruhigung gewähre mir noch. Ist die Zeit gekommen, dann entweihe deine Lippen nicht durch das entscheidende verhängnisvolle Wort. Überlasse es mir, den letzten Urteilsspruch zu fällen.«

Oliva sann flüchtig nach und versetzte eintönig: »Wir wollen sehen. Wer weiß, was mich dann bewegt. Bis dahin dauert es noch Stunden. Niemand vermag vorher zu bestimmen, wie alles trotz der größten Vorsicht verläuft.« Sich der Schlucht zukehrend, stiegen beide in dieselbe hinab.

In den verschiedenen Lagern war unterdessen alles regsam geworden. Die Pferde wurden auf Stellen gepflockt, wo sie durch schroffe, nahrungslose Uferwände gegen das eilende Feuer geschützt waren. Ähnlich verfuhr man mit dem Gepäck. Es erfolgten die Verhaltungsbefehle, sodass zur anberaumten Stunde jeder einzelne Mann wusste, wohin er gehörte. Dann wurden die Feuer vollständig erstickt. Von schwarzer Finsternis umringt, die Decken um die Schultern geschlungen und die Waffen zur Hand, sah man mit fieberhafter Spannung den kommenden Dingen entgegen.

Nachdem Daisy dringend eingeprägt worden, war unter dem Schutz der Wachen im Lager zurückzubleiben, wurde sie unruhig, doch verließ kein Laut ihre Lippen. Wie zum Beweis ihrer Unterwürfigkeit hatte sie die Decke über ihr Haupt gezogen und sich unterhalb derselben zusammengekauert. So verharrte sie regungslos. Nur wenn Markolf, der neben ihr saß, ein tröstliches Wort an sie richtete, blutenden Herzens sie ermutigte, regte sie sich leise, als ob ein Schauder die gekrümmte Gestalt durchrieselt habe. Der unheilvolle Traum war wieder in ihrer Fantasie aufgetaucht, ihr armes junges Herz marternd und quälend. Trotzdem wagte sie nicht, ihre schwarzen Befürchtungen vor Markolf zu offenbaren. Als man die letzten Vorbereitungen beendet hatte, war die Nacht vollständig hereingebrochen. Es hinderte daher die Schildwachen nichts, aus der Höhe die verschiedenen Lager zu umkreisen. Oliva hatte sich in Nicodemos Begleitung ebenfalls nach oben begeben. Wie um die heißen Stirnen zu kühlen, gaben sie dieselben dem scharfen Wind preis. Kein Wort wechselten sie miteinander. Vorübergehend fesselte das sich vor ihnen entwickelnde unheimlich schöne Schauspiel ausschließlich ihre Aufmerksamkeit. Im meilenlangen Halbkreis flammte die Prärie. Nur noch kurze Zeit, und der Brand übersprang die Täler des Neoscho und seiner Nebengewässer, um verheerend seinen Weg gegen Südosten fortzusetzen. Schwarz erschien der nunmehr doppelt verschleierte nächtliche Himmel. Die Schwere der Rauchwolken ließ sich nur da ermessen, wo sie von unten durch die lodernden Flammen beleuchtet wurden. Regsamen roten Ballen ähnlich wirbelte es dort durcheinander. Je höher hinauf und je weiter vom Wind fortgetrieben, umso mehr verblasste die düster rote Färbung, bis sie endlich in eintöniges Schwarz überging. Mit dem Atem vermischten sich Brandgeruch und feine Aschenteile.

»Von Quinch und seiner Horde wurde bis jetzt noch nichts entdeckt«, sprach Oliva zum Gefährten.

»Wer unbemerkt bleiben will, hütet sich, so lange der Tag leuchtet, seinen Kopf über den Uferrand zu erheben«, versetzte Nicodemo. »Wir wissen es von uns selbst. Kit Andrieux wird ihnen wohl den richtigen Weg gezeigt haben. Er ist ein zu verschlagener Bursche.«

»Hoffentlich entschlüpft er mit heiler Haut, bevor sie seinen Verrat entdecken. Es wäre ein Jammer um den ehrlichen lebensfrohen Mann, fiele er als Opfer für seine Treue«, erwiderte Oliva, ohne die Blicke vom Feuermeer abzuziehen. »Mir ist, als würde sein Tod mir schwer aufs Gewissen fallen. Doch es war ja sein eigener Wille. Er drängte sich förmlich zu dem abenteuerlichen Streich.«

»Ich fürchte nicht für ihn«, hieß es zuversichtlich zurück, »seiner Verwegenheit steht unbegreifliche Schlauheit zur Seite. Hier in der Wildnis erkennt man den knabenhaft unselbstständigen Burschen aus dem Lustigen Rekruten kaum wieder.«

Der Brand war unterdessen auf den Schwingen des Sturmes so nahe gerückt, dass man die kurzlebigen Funken zu unterscheiden vermochte, die mit dem Rauch in die Lüfte entführt wurden. Das dumpfe Poltern der Flammen erinnerte an das durch die Entfernung gedämpfte Getöse einer fliehenden Büffelherde. Gleichsam schwelgend in dem hohen Graswuchs, schmiegten mächtige Feuerzungen sich dem Erdboden an, während andere unbändig emporschlugen.

Näher kam der Brand, deutlicher trennte scharfes Knistern sich von dem hohlen Poltern.

»Grauenhaft schön«, bemerkte Oliva träumerisch, »und wie gefällig das wütende Element sich im Dienst des Menschen zeigt. Es ist, als ob es ahnte, zu welcher Aufgabe es geweckt wurde. Aber es kann nicht befreunden. So eifrig die Natur im Schaffen, ebenso bereit ist sie im Zerstören ihrer Werte. Man möchte glauben, das hadernde Menschengeschlecht habe es von ihr gelernt.«

»Komm, Oliva, komm, unsere Freunde warten vielleicht auf uns«, versetzte Nicodemo beinahe streng, »wie lange dauert es nur noch und der Brand rast über uns hinweg. Wir werden zu tun haben, ihn zu hemmen, dass er nicht hier und da auf den Abhängen zu uns herabschleicht. Freilich, da unten fehlen ihm die ersten Lebensbedingungen.«

Sie stiegen in die Schlucht hinab. Nachdem sie so lange in die Flammen geblickt hatten, erschien sie ihnen doppelt schwarz. Auf der Lagerstätte fanden sie keinen anwesend. Alles, was Arme besaß, hatte sich zu den Pferden begeben, um sie zu beruhigen und zu halten, wenn sie, durch die Flammen erschreckt, sich der vermeintlichen Gefahr durch die Flucht zu entziehen trachten sollten. Dem Beispiel der Gefährten folgend, versanken auch sie gleichsam in der undurchdringlichen Finsternis.

Die geängstigten Tiere hatten tatsächlich begonnen, an ihren Leinen zu zerren. Wild stampfend stießen sie den Atem schnaubend durch die gespreizten Nüstern. Drang das Geräusch wirklich über die Uferränder hinaus, so wurde es dort bald von dem Poltern, Knistern und Brausen gewissermaßen verschlungen.

Endlich drang rötliche Helligkeit in die Tiefe hinab, Funkenregen und brennende Grasbüschel folgten, jedoch ohne im dort noch saftreicheren Gras zu zünden. Wo die fliegenden Fackeln aber hier und da auf den stellenweise mit Pflanzenwuchs dürftig bedeckten Abhängen zu wirken begannen, da fehlte zum Umsichgreifen des Feuers der Luftzug. Nur kurze Zeit flackerten sie, bevor sie gänzlich erloschen.

Endlich schlugen die Flammen über den unregelmäßig vorspringenden Uferrand hinaus. Fast gleichzeitig loderte es auf dem jenseitigen Ufer empor, und wie er gekommen war, raste der Brand mit unheimlichem Getöse weiter. Hinter sich zurück ließ er ein schwarzes Totenfeld. Vom Wind gejagte Asche und Funkenregen folgten ihm. Wie Glühwürmer kroch es zwischen den kurz abgesengten Stoppeln umher. Vereinzelte Überreste dichterer Gras- und Krautbüschel flackerten irrlichtähnlich.

Die unstete Heiligkeit, welche in den Schluchten ein Gewirre gespannt lauschender oder mit den entsetzten Pferden ringender Männer beleuchtete, war wieder in Finsternis übergegangen. Aufs Neue regten sich alle Hände, die frühere Ordnung wiederherzustellen. Dann herrschte tiefe Stille. Beruhigend, gleichsam versöhnend schien die Nacht auf alle Geschöpfe einzuwirken. Kurze Störungen fanden nur statt, als die braunen und weißen Jäger, die den Brand in weiter Ferne anlegten und in seinen Spuren folgten, auf ihren dampfenden Pferden eintrafen und über ihre Beobachtungen berichteten.