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Die drei Musketiere 28

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
4. bis 6. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

XII.

Rückkehr

D’Artagnan blieb ganz betäubt durch die furchtbare Mitteilung von Athos. Es erschienen ihm noch sehr viele Dinge dunkel in dieser halben Offenbarung. Vor allem war sie von einem völlig betrunkenen Menschen, einem halb Betrunkenen gemacht worden. Aber trotz der Schwankung, welche durch den Dunst von zwei oder drei Flaschen Burgunder im Gehirn entsteht, war d’Artagnan, als er am anderen Morgen erwachte, jedes Wort noch so gegenwärtig, als ob die Silben, wie sie vom Mund des einen fielen, in den Geist des anderen eingezeichnet worden wären. Der Zweifel, der sich in ihm regte, erzeugte ein noch viel lebhafteres Verlangen, Gewissheit zu bekommen. Er begab sich zu seinem Freund in der besten Absicht, das Gespräch am vorigen Abend wieder anzuknüpfen, aber er fand Athos bereits wieder in den feinsten, undurchdringlichsten Menschen umgewandelt.

Der Musketier, nachdem er einen Händedruck und ein Lächeln mit ihm ausgetauscht hatte, kam ihm indessen zuvor.

»Ich war gestern sehr betrunken, mein lieber d’Artagnan«, rief er, »ich fühlte dies heute Morgen an meiner immer noch etwas schweren Zunge und an meinem aufgeregten Puls. Ich wette, dass ich tausenderlei närrische Dinge preisgegeben habe.«

Während er diese Worte sprach, schaute er seinen Freund so fest an, dass dieser dadurch in Verlegenheit geriet.

»Nicht doch«, erwiderte d’Artagnan, »wenn ich mich recht erinnere, so habt Ihr nichts Außerordentliches gesprochen.«

»Ah, Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich glaubte, Euch eine höchst klägliche Geschichte erzählt zu haben.« Dabei sah er den jungen Mann an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen.

»Meiner Treu«, sprach d’Artagnan, »es scheint, ich war noch betrunkener als Ihr, da ich mich gar nicht mehr erinnern kann.«

Athos ließ sich nicht mit diesen Worten abspeisen, sondern versetzte: »Es kann Euch nicht entgangen sein, mein lieber Freund, dass jeder seine eigene Art von Trunkenheit hat: der eine, eine lustige, der andere eine traurige. Ich habe die traurige Trunkenheit, und wenn ich einmal weingrün bin, so ist es meine Manier, alle trübselige Geschichten zu erzählen, die mir meine alberne Amme in das Hirn gepflanzt hat. Das ist mein Fehler, ein Hauptfehler, ich gestehe es zu; aber abgesehen davon bin ich ein guter Trinker.«

Athos sagte dies auf eine so natürliche Weise, dass d’Artagnan in seiner Überzeugung erschüttert wurde.

»O! Das ist es, in der Tat«, sprach der junge Mann, der hinter die Wahrheit zu kommen versuchte. »Dergleichen ist es. Ich erinnere mich, wie man sich eines Traumes erinnert, dass wir von Gehenkten gesprochen haben.«

»Ah, Ihr seht wohl«, sagte Athos erbleichend, während er zu lächeln suchte, »ich wusste es, die Gehenkten sind mein Alp.«

»Ja, ja«, entgegnete d’Artagnan, »das Gedächtnis kehrt wieder bei mir ein. Es war die Rede … wartet nur … es war die Rede von einer Frau.«

»Seht«, erwiderte Athos beinahe bleifarbig geworden, »das ist meine große Geschichte von der blonden Frau. Wenn ich diese erzähle, bin ich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken.«

»Ja, das ist es«, sagte d’Artagnan, »die Geschichte von der blonden Frau, groß und schön mit blauen Augen.«

»Ja, und gehenkt.«

»Durch ihren Gatten, der ein hoher Monsieur von Eurer Bekanntschaft war«, fuhr d’Artagnan, seinen Freund fest anschauend, fort.

»Seht Ihr, wie man einen Menschen bloßstellen kann, wenn man nicht mehr weiß, was man sagt«, fuhr Athos fort und zuckte die Achseln, als ob er sich selbst bemitleidete. »Gewiss, ich will mich nicht mehr betrinken, d’Artagnan, es ist eine gar zu schlechte Gewohnheit.«

»Bald hätte ich vergessen«, fügte er hinzu, »ich danke Euch für das Pferd, das Ihr mir mitgebracht habt.«

»Gefällt es Euch?«

»Ja, aber es ist kein Pferd für Strapazen.«

»Ihr täuscht Euch. Ich habe zehn Meilen in weniger als anderthalb Stunden mit ihm gemacht, und es schien nicht mehr ermüdet, als wenn es einmal auf der Place Saint-Sulpice im Kreis umhergeritten worden wäre.« (Der Leser wolle nicht vergessen, dass in diesem Buch immer von französischen Meilen, Lieues, die Rede ist. D. Übers.)

»Ei, ei, das ist sehr ärgerlich.«

»Ärgerlich?«

»Ja, ich habe mich desselben entäußert.«

»Wie dies?«

»Hört: Als ich diesen Morgen um sechs Uhr erwachte, schlieft Ihr wie ein Dachs. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war noch ganz verdumpft von unserer gestrigen Schwelgerei. Ich ging in den großen Saal hinab und sah einen von unseren Engländern, der mit einem Rosstäuscher um ein Pferd handelte. Dem seinen war ein Blutgesäß gesprungen. Ich nähere mich ihm und sage, als ich gewahr wurde, dass er hundert Pistolen für einen Schweißfuchs bot: ›Bei Gott, mein edler Monsieur, ich habe auch ein Pferd zu verkaufen.‹

›Und zwar ein sehr schönes,‹ sprach er. ›Ich habe es gestern gesehen. Der Knecht Eures Freundes führte es an der Hand.‹

›Glaubt Ihr, es sei hundert Pistolen wert?‹

›Ja. Wollt Ihr es mir um diesen Preis geben?‹

›Nein, aber ich spiele mit Euch darum.‹

›Wie?‹

›Mit Würfeln.‹

»Gesagt getan, und ich habe das Pferd verloren. Doch hört wohl«, fuhr Athos fort, »die Decke habe ich wieder gewonnen.«

D’Artagnan machte eine ziemlich verdrießliche Miene.

»Das ist Euch unangenehm?«, sprach Athos.

»Allerdings, ich muss es Euch gestehen«, erwiderte d’Artagnan. »Dieses Pferd sollte dazu dienen, uns an einem Schlachttag kenntlich zu machen. Es war ein Pfand, ein Andenken. Athos, Ihr habt unrecht gehabt.«

»Ei, mein lieber Freund, versetzt Euch an meine Stelle«, entgegnete der Musketier. »Ich langweilte mich zum Sterben, und dann auf Ehre, ich liebe die englischen Pferde nicht. Hört, wenn es sich nur darum handelt, von irgendjemand erkannt zu werden, so wird der Sattel genügen. Er ist auffallend genug. Was das Pferd betrifft, so werden wir irgendeine Entschuldigung finden, um sein Verschwinden zu rechtfertigen. Was Teufels! Ein Pferd ist sterblich. Gesetzt, das meine hätte den Wurm oder den Rotz bekommen!«

D’Artagnan’s Antlitz erheiterte sich nicht.

»Es ist mir verdrießlich«, fuhr Athos fort, »dass Ihr so viel auf diese Tiere zu halten scheint, denn ich bin mit meiner Geschichte noch nicht zu Ende.«

»Was habt Ihr weiter noch gemacht?«

»Nachdem ich mein Pferd verloren hatte, neun gegen zehn, (seht, was für ein Wurf!) kam mir der Gedanke, um das Eure zu spielen.«

»Ja, aber es blieb doch hoffentlich bei dem Gedanken?«

»Nein, ich brachte ihn sogleich in Ausführung.«

»Ah, den Henker!«, rief d’Artagnan unruhig.

»Ich spielte und verlor.«

»Mein Pferd?«

»Euer Pferd, sieben gegen acht; um ein Auge … Ihr kennt das Sprichwort?«

»Athos, ich schwöre, Ihr seid nicht bei Vernunft.«

»Mein Lieber, das hättet Ihr mir gestern sagen sollen, als ich Euch die tollen Geschichten erzählte, und nicht heute. Ich verlor es also samt Sattel und Zeug.«

»Aber das ist abscheulich!«

»Nur Geduld, Ihr habt unrecht. Ich wäre ein vortrefflicher Spieler, wenn ich nicht hartnäckig würde, aber das ist der Fall, wie beim Trinken. Ich wurde also hartnäckig.«

»Aber um was konntet Ihr denn spielen? Es blieb Euch ja nichts mehr übrig.«

»Allerdings, mein Freund, es blieb Euch noch der Diamant übrig, der an Eurem Finger glänzt und den ich gestern bemerkt hatte.«

»Dieser Diamant!«, rief d’Artagnan und fuhr mit der Hand an seinen Ring.

»Und da ich Kenner bin, insofern ich einige für eigene Rechnung besessen hatte, schätzte ich ihn auf tausend Pistolen.«

»Ich hoffe«, sprach d’Artagnan halbtot vor Schrecken, »Ihr erwähntet meines Diamants nicht?«

»Im Gegenteil, lieber Freund, Ihr begreift doch, dass dieser Diamant unser einziges Rettungsmittel war. Mit ihm konnte ich unser Reitzeug, unsere Pferde und sogar Geld für die Reise wiedergewinnen.«

»Athos, Ihr macht mich zittern!«, rief d’Artagnan.

»Ich sprach also von Eurem Diamanten mit meinem Gegenspieler, der ihn ebenfalls wahrgenommen hatte. Was Teufel, mein Lieber, Ihr tragt an Eurem Finger einen Stern des Himmels und wollt, man soll nicht darauf aufmerksam werden? Unmöglich.«

»Vollendet, mein Lieber, vollendet!«, sprach d’Artagnan, »denn auf Ehre, Ihr bringt mich um mit Eurer Kaltblütigkeit.«

»Wir teilten also diesen Diamanten in zehn Teile von je hundert Pistolen.«

»Ah, Ihr wollt scherzen und mich auf die Probe stellen«, sagte d’Artagnan, den der Zorn zu ersticken drohte.

»Nein, ich scherze nicht, Mord und Teufel! Ich hätte Euch wohl sehen mögen! Vierzehn Tage lang hatte ich kein menschliches Antlitz zu Gesicht bekommen und war durch dieses ewige Umarmen der Weinflaschen rauborstig geworden.«

»Das ist kein Grund, um meinen Ring aufs Spiel zu setzen«, entgegnete d’Artagnan, die Hand krampfhaft zusammenpressend.

»Hört also das Ende. Zehn Teile zu hundert Pistolen, ohne Revanche. Auf dreizehn Würfe verlor ich alles. Auf dreizehn Würfe! Dreizehn ist immer eine Unglückszahl für mich gewesen; es geschah am 13. Juli, dass …«

»Tod und Teufel!«, rief d’Artagnan aufspringend. Die Geschichte dieses Tages machte ihn die des vorhergehenden vergessen.

»Geduld«, sprach Athos, »ich hatte einen Plan. Der Engländer war ein Original. Ich sah ihn am Morgen mit Grimaud plaudern, und dieser meldete mir, er habe ihm den Antrag gemacht, er möge in seine Dienste treten. Ich spiele mit ihm um Grimaud, den stillschweigenden Grimaud, in zehn Portionen geteilt.«

»Ah, Gottes Wunder!«, rief d’Artagnan und brach in ein lautes Gelächter aus.

»Grimaud selber, hört Ihr wohl, und mit den zehn Teilen von Grimaud, der nicht ganz einen Dukaten wert ist, gewinne ich den Diamanten wieder. Sagt mir also noch einmal, die Beharrlichkeit sei keine Tugend.«

»Meiner Treue! Das ist drollig!«, rief d’Artagnan getröstet und hielt sich vor Lachen die Seiten.

»Ihr begreift, dass ich, als ich mich wieder bei Kräften fühlte, abermals um den Diamanten zu spielen anfing.«

»Ah, Teufel!«, sagte d’Artagnan verdüstert.

»Ich gewann Euer Reitzeug wieder und dann Euer Pferd, dann mein Reitzeug, dann mein Pferd, und verlor abermals. Kurz, ich habe Euer Reitzeug wiederbekommen und das meine. Und so stehen nun die Sachen. Das war ein vortrefflicher Wurf, und ich blieb dabei.«

D’Artagnan atmete, als ob man ihm das ganze Wirtshaus von der Brust genommen hätte.

»Der Diamant bleibt mir also?«, sprach er schüchtern.

»Unberührt, mein lieber Freund. Auch das Reitzeug Eures Bucephalus und des meinen.«

»Aber was sollen wir mit dem Reitzeug ohne Pferd machen?«

»Ich habe hierüber einen Gedanken.«

»Athos, Ihr macht mich beben.«

»Hört: Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, d’Artagnan!«

»Und ich habe auch keine Lust zu spielen.«

»Verschwören wir nichts. Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, sagte ich, Ihr müßt folglich eine glückliche Hand haben.«

»Gut, und danach?«

»Gut, der Engländer und sein Gefährte sind noch hier. Ich bemerkte, dass es ihnen sehr leidtut, unser Reitzeug nicht zu besitzen. Ihr scheint viel auf Euer Pferd zu halten. An Eurer Stelle würde ich um Euer Reitzeug gegen Euer Pferd spielen.«

»Aber er wird nicht um ein einziges Reitzeug wollen.«

»Spielt um beide. Bei Gott, ich bin kein Egoist wie Ihr.«

»Ihr würdet dies tun?«, sagte d’Artagnan unentschlossen, so sehr wurde er unwillkürlich von der Zuversichtlichkeit seines Freundes angesteckt.

»Bei meinem Ehrenwort, auf einen Wurf!«

»Da ich die Pferde verloren habe, so muß mir sehr viel daran liegen, wenigstens das Reitzeug zu behalten.«

»So spielt um Euren Diamanten.«

»O, das ist ein ander Ding; nie, nie!«

»Teufel!«, sprach Athos, »ich würde Euch vorschlagen, um Grimaud zu spielen. Da dies aber bereits geschehen ist, so wird der Engländer ohne Zweifel nicht mehr wollen.«

»Entschieden, mein lieber Athos«, sagte d’Artagnan, »ich will lieber gar nichts mehr wagen.«

»Das ist Schade«, sprach Athos kalt. »Der Engländer ist ganz gespickt mit Pistolen. Ei, mein Gott, versucht doch einen Wurf. Ein Wurf ist bald gemacht.«

»Und wenn ich verliere?«

»Ihr werdet gewinnen.«

»Aber wenn ich verliere?«

»Gut, so gebt Ihr ihm unser Reitzeug.«

»Es mag sein, einen Wurf«, sprach d’Artagnan.

Athos suchte den Engländer auf und fand ihn im Stall, wo er das Reitzeug der Freunde mit lüsternen Augen betrachtete. Die Gelegenheit war günstig. Er machte seine Bedingungen: Beider Reitzeug gegen ein Pferd oder hundert Pistolen nach Belieben. Der Engländer rechnete schnell. Das Reitzeug war wenigstens dreihundert Pistolen wert. Er schlug ein.

D’Artagnan warf die Würfel zitternd und bekam die Zahl drei. Seine Blässe erschreckte Athos, welcher nur die Worte sprach: »Das ist ein trauriger Wurf, Kamerad. Ihr bekommt die Pferde mit Sattel und Zeug, Monsieur.«

Triumphirend nahm sich der Engländer nicht einmal die Mühe, die Würfel zu rollen. Er warf sie auf den Tisch, ohne hinzusehen, so sehr war er von seinem Sieg überzeugt. D’Artagnan hatte sich umgedreht, um seinen Verdruß zu verbergen.

»Halt, halt, halt!«, sprach Athos in seinem ruhigen Ton. »Das ist ein außerordentlicher Wurf, und ich habe ihn nur viermal in meinen Leben gesehen. Zwei Ass!«

Der Engländer schaute und war wie niedergedonnert. D’Artagnan schaute ebenfalls und wurde rot vor Freude.

»Ja«, fuhr Athos fort, »nur viermal: einmal bei Herrn von Crequi, zum zweiten Mal bei mir im Felde, in meinem Schloss, als ich noch ein Schloss hatte, ein drittes Mal bei Monsieur de Tréville, und ein viertes Mal in einer Schenke, wo es mich traf und ich dabei hundert Louisd’or nebst einem Abendbrot verlor.«

»Der Monsieur nimmt also sein Pferd wieder?«, sprach der Engländer.

»Allerdings«, sagte d’Artagnan.

»Dann findet keine Revanche statt?«

»Unsere Bedingungen lauteten: keine Revanche, wie Ihr Euch erinnern werdet.«

»Allerdings; das Pferd soll Eurem Bedienten übergeben werden.«

»Einen Augenblick«, sagte Athos. »Mit Eurer Erlaubnis, Monsieur, ich wünschte ein Wort mit meinem Freund zu sprechen.«

»Sprecht!«

Athos nahm d’Artagnan beiseite.

»Nun?«, fragte d’Artagnan. »Was willst du noch von mir, Versucher? Du willst, dass ich spiele?«

»Ich will, dass du nachdenkst.«

»Worüber?«

»Du hast das Pferd wieder genommen?«

»Gewiss.«

»Du hast unrecht. Ich würde die hundert Pistolen nehmen. Du weißt, dass du um unser Reitzeug gegen das Pferd oder um hundert Pistolen gespielt hast.«

»Ja.«

»Ich würde die hundert Pistolen nehmen.«

»Gut, und ich nehme das Pferd.«

»Und Ihr habt unrecht, mein Freund, das wiederhole ich Euch. Was wollen wir mit einem Pferd für uns beide machen? Ich kann doch nicht hinten aufsitzen. Wir würden aussehen wie zwei Haimonskinder, die ihre Brüder verloren haben. Ihr könnt mich doch nicht so sehr demütigen, dass Ihr auf diesem prachtvollen Schlachtross neben mir herreitet. Ich nähme, ohne einen Augenblick zu schwanken, die hundert Pistolen. Wir brauchen Geld, um nach Paris zurückzukommen.«

»Es liegt mir slles an diesem Pferd, Athos.«

»Und Ihr habt unrecht mein Freund. Ein Pferd macht einen Seitensprung, ein Pferd bäumt sich und überschlägt, ein Pferd frisst aus einer Krippe, aus der ein rotziges Tier gefressen hat, dann ist ein Pferd oder vielmehr es sind hundert Pistolen verloren. Ferner muss der Monsieur sein Pferd ernähren, während im Gegenteil hundert Pistolen ihren Hern ernähren.«

»Aber wie sollen wir zurückkommen?«

»Auf den Pferden unserer Bedienten. Bei Gott! Man wird uns immer noch am Gesicht ansehen, dass wir Leute von Stand sind.«

»Wir werden uns gut ausnehmen auf solchen Mähren, während Aramis und Porthos auf ihren schönen Rossen einherreiten.«

»Aramis! Porthos!,« rief Athos und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Was gibt es denn?«, fragte d’Artagnan, der die Heiterkeit seines Freundes nicht begreifen konnte.

»Nichts, nichts, fahrt nur fort«, sagte Athos.

»Also Euer Rat …«

»… ist, die hundert Pistolen zu nehmen, d’Artagnan. Mit den hundert Pistolen können wir schwelgen bis zu dem Ende des Monats. Wir haben Strapazen ausgestanden, seht Ihr wohl, und bedürfen ein wenig der Ruhe.«

»Ich ausruhen? O nein, Athos! Sobald ich in Paris bin, forsche ich wieder nach dieser armen Frau.«

»Wohl, glaubt Ihr etwa, Euer Pferd wäre Euch zu diesem Behuf nützlicher als schöne Louisd’or? Nehmt die hundert Pistolen, mein Freund, nehmt die hundert Pistolen.«

D’Artagnan bedurfte nur eines Grundes, um sich zu fügen, und dieser schien ihm vortrefflich. Überdies befürchtete er, in den Augen von Athos egoistisch zu erscheinen, wenn er länger auf seinem Willen beharren würde. Er willigte also ein und wählte die hundert Pistolen, die ihm der Engländer sogleich ausbezahlte.

Nun dachte man nur an die Abreise, der Friedensschluss mit dem Wirt kostete außer dem alten Pferd von Athos sechs Pistolen. D’Artagnan und Athos nahmen die Pferde von Planchet und Grimaud. Die zwei Bedienten begaben sich, die Sättel auf ihren Köpfen tragend, zu Fuß auf den Weg.

So schlecht beritten die Freunde auch waren, so gewannen sie doch bald einen Vorsprung vor ihren Lakaien und langten in Crevecoeur an. Sie erblickten von fern Aramis, der sich schwermütig auf ein Fenstergesims stützte und nachschaute, wie der Horizont in eine Staubwolke gehüllt wurde.

»He, holla, Aramis! Was macht Ihr denn da?«. riefen die zwei Freunde.

»Ah, Ihr seid es, d’Artagnan, Ihr seid es, Athos?«, sprach der junge Mann. »Ich dachte darüber nach, mit welcher Schnelligkeit die Güter dieser Welt verschwinden. Mein englisches Ross, das sich von hier entfernte und eben in einem Staubwirbel verschwunden ist, war mir ein lebendiges Bild von der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge. Das Leben lässt sich in die drei Worte auflösen: Fuit. Est. Erit.«

»Das will sagen?«, fragte d’Artagnan, der die Wahrheit zu ahnen anfing.

»Das will sagen, dass ich soeben einen albernen Handel abgeschlossen habe. Sechszig Louisd’or um ein Pferd, das, nach seinem Gang zu schließen, wenigstens fünf Meilen in einer Stunde zurücklegen kann.«

D’Artagnan und Athos brachen in ein Gelächter aus.

»Mein lieber d’Artagnan«, sagte Aramis, »seid mir nicht zu sehr gram, ich bitte Euch. Not kennt kein Gebot. Überdies bin ich am meisten gestraft, da mich dieser heillose Rosshändler wenigstens um fünfzig Louisd’or betrogen hat. Ah! Ihr seid gute Haushalter, ihr beiden. Ihr reitet auf den Pferden Eurer Lakaien, und lasst euch eure Luxuspferde sachte und in kleinen Tagesmärschen an der Hand nachführen.«

In demselben Augenblick hielt ein Frachtwagen, den man seit einigen Minuten auf der Straße von Amiens erblickte, vor dem Gasthof an. Man sah Grimaud und Planchet, ihre Sättel auf dem Kopf, aussteigen. Der Frachtwagen kehrte leer nach Paris zurück. Die zwei Lakaien hatten sich anheischig gemacht, den Fuhrmann auf dem ganzen Weg zechfrei zu halten, wenn er sie mitnehmen würde.

»Was ist das? Was soll das bedeuten?«, sagte Aramis, als er sah, was vorging. »Nur die Sättel?«

»Begreift Ihr nun?«, sprach Athos.

»Meine Freunde, das ist gerade wie bei mir. Ich habe Sattel und Zeug instinktmäßig behalten. Holla, Bazin, trage mein neues Reitzeug zu denen der beiden Messieurs.«

»Und was habt Ihr mit Euren Doktoren gemacht?«, fragte d’Artagnan.

»Mein Lieber, ich habe sie am anderen Tag zum Mittagessen eingeladen«, sprach Aramis. »Es gibt hier, beiläufig gesagt, vortrefflichen Wein. Ich machte sie, so gut es mir möglich war, betrunken. Dann verbot mir der Pfarrer, die Uniform abzulegen. Der Jesuit bat mich, ihn unter die Musketiere aufnehmen zu lassen!«

»Ohne These«, rief d’Artagnan, »ohne These! Ich verlange die Unterdrückung der These.«

»Von da an lebte ich angenehm«, fuhr Aramis fort. »Ich fing ein Gedicht in einsilbigen Versen an. Das ist schwierig, aber das Verdienst liegt bei jeder Sache in der Schwierigkeit. Der Stoff ist galanter Natur. Ich werde Euch den ersten Gesang vorlesen. Er hat vierhundert Verse und dauert eine Minute.«

»Meiner Treue, mein lieber Aramis«, sprach d’Artagnan, der die Verse beinahe ebenso sehr hasste wie das Latein, »fügt dem Verdienst der Schwierigkeit noch das der Kürze bei, und Ihr könnt wenigstens überzeugt sein, dass es zwei Verdienste haben wird.«

»Ein drittes besteht darin«, fuhr Aramis fort, »dass es redliche Leidenschaften atmet. Wir kehren nach Paris zurück? Bravo! Ich bin bereit! Wir werden also den guten Porthos wiedersehen? Desto besser! Ihr glaubt nicht, wie sehr er mir fehlte, dieser große Pinsel. Ich sehe ihn so gerne in seiner Selbstzufriedenheit, das söhnt mich mit mir aus. Er wird sein Pferd nicht verkauft haben, und wäre es auch gegen ein Königreich! Es ist mir, als ob ich ihn vor mir hätte, auf seinem schönen Tier und seinem glänzenden Sattel. Er sieht gewiss aus wie ein Großmogul.«

Man hielt eine Stunde an, um die Pferde ausschnaufen zu lassen. Aramis bezahlte seine Rechnung, brachte Bazin bei seinen Kameraden im Frachtwagen unter. Man setzte sich in Marsch, um zu Porthos zu gelangen.

Die Freunde fanden ihn beinahe genesen und folglich minder bleich, als er bei d’Artagnans erstem Besuch gewesen war. Er saß vor einem Tisch, auf dem, obwohl er allein war, ein Mittagsbrot für vier Personen figurierte. Dieses Mittagsbrot bestand aus zierlich zugerichteten Fleischspeisen, ausgesuchten Weinen und vortrefflichem Obst.

»Ah, bei Gott!«, sprach er aufstehend, »Ihr kommt wie gerufen, Messieurs. Ich war gerade bei der Suppe und Ihr könnt mit mir zu Mittag speisen.«

»Oh, oh!«, rief d’Artagnan, »hat Mousqueton solche Flaschen mit dem Lasso gefangen, dann finde ich hier ein gespicktes Fricandeau und einen Lendenbraten …«

»Ich stärke mich«, sagte Porthos, »ich stärke mich. Nichts schwächt so sehr, als diese verdammten Quetschungen. Habt Ihr schon Quetschungen gehabt, Athos?«

»Niemals, nur erinnere ich mich, dass ich bei unserem Streit in der Rue Ferou einen Degenstich bekam, der nach Verlauf von vierzehn oder acht Tagen genau dieselbe Wirkung hervorbrachte.«

»Aber dieses Mittagsbrot war nicht für Euch allein, mein lieber Porthos«, sagte Aramis.

»Nein«, erwiederte Porthos, »ich erwartete einige Edelleute aus der Nachbarschaft, die mir soeben sagen ließen, sie würden nicht kommen. Ihr nehmt ihre Stellen ein, ich verliere nichts bei dem Tausch. Holla, Mousqueton, Stühle! Und man verdopple die Flaschen!«

»Wisst Ihr, was wir hier essen?«, sagte Athos nach zehn Minuten.

»Bei Gott!«, antwortete d’Artagnan, »ich esse gespicktes Kalbfleisch mit Artischocken.«

»Und ich Hammelkeule«, sprach Porthos.

»Und ich Hühnerfrikassee«, sagte Aramis.

»Ihr täuscht Euch, Messieurs«, erwiderte Athos ernst. »Ihr verspeist Pferdefleisch.«

»Geht doch«, rief d’Artagnan.

»Pferdefleisch!«, brummte Aramis mit einer Grimasse des Ekels.

Porthos allein antwortete nicht.

»Ja, Pferdefleisch, nicht wahr. Porthos, wir speisen Pferdefleisch, und vielleicht Sattel und Zeug dazu?«

»Nein, Messieurs, ich habe das Reitzeug behalten«, sagte Porthos.

»Meiner Treue, von uns ist einer so gut wie der andere«, rief Aramis. »Es ist, als ob wir uns das Wort gegeben hätten.«

»Was wollt Ihr, dieses Pferd beschämte meine Gäste und ich wollte sie nicht demütigen.«

»Und dann ist Eure Herzogin immer noch in den Bädern, nicht wahr?«, fragte d’Artagnan.

»Immer noch«, erwiderte Porthos. »Auch schien der Gouverneur der Provinz, einer von den Edelleuten, die ich heute zum Mittagsbrot erwartete, ein so großes Verlangen danach zu haben, dass ich es ihm schenkte.«

»Geschenkt«, rief d’Artagnan.

»Oh! Mein Gott, ja, geschenkt, das ist das rechte Wort«, sprach Porthos, »es war wenigstens hundertfünfzig Louisd’or wert und der Knicker wollte mir nicht mehr dafür geben als achtzig.«

»Ohne den Sattel?«, sagte Aramis.

»Ja, ohne den Sattel.«

»Ihr bemerkt, Messieurs«, sprach Athos, »dass Porthos abermals den besten Handel von uns allen gemacht hat.«

Dann entstand ein schallendes Gelächter, wodurch der arme Porthos ganz verdutzt wurde, aber man erzählte ihm bald die Ursache dieser Heiterkeit, an der er, seiner Gewohnheit gemäß, geräuschvollen Anteil nahm.

»Auf diese Art sind wir also alle bei Kasse«, sagte d’Artagnan.

»Was mich betrifft«, entgegnete Athos, »ich fand den spanischen Wein von Aramis so gut, dass ich sechzig Flaschen in den Frachtwagen der Bedienten packen ließ, was meinen Barbestand gewaltig geschmälert hat.«

»Und ich«, sprach Aramis, »stellt Euch vor, dass ich meinen letzten Sou der Kirche von Montdidier und den Jesuiten von Amiens geschenkt, dass ich überdies Verbindlichkeiten eingegangen hatte, welche erfüllt werden mussten. Ich habe für mich und Euch, Messieurs, Messen bestellt, die man lesen wird, und bei denen wir uns, wie ich gar nicht zweifle, vortrefflich befinden werden.«

»Und ich«, sagte Porthos, »glaubt Ihr, meine Quetschung habe nichts gekostet? Die Wunde Mousquetons nicht zu rechnen, für den ich jeden Tag zweimal den Chirurgen kommen lassen musste.«

»Wohl, wohl«, versetzte Athos, mit d’Artagnan und Aramis ein Lächeln austauschend, »ich sehe, dass Ihr Euch sehr großmütig gegen den armen Burschen benommen habt. So benimmt sich nur ein guter Monsieur.«

»Kurz, wenn ich meine Rechnung bezahlt habe, werden mir höchstens dreißig Taler übrig bleiben.«

»Und mir ungefähr zehn Pistolen«, sprach Aramis.

»Es scheint, wir sind die Krösusse der Gesellschaft«, sagte Athos, »wie viel habt Ihr noch von Euren hundert Pistolen übrig?«

»Von meinen hundert Pistolen? Erstlich habe ich Euch fünfzig davon gegeben.«

»Ihr glaubt?«

»Bei Gott!«

»Ah! Es ist wahr, ich erinnere mich.«

»Dann habe ich dem Wirt sechs bezahlt.«

»Welches Vieh, dieser Wirth? Warum habt Ihr ihm sechs Pistolen gegeben?«

»Weil Ihr es mich hießet.«

»Allerdings ich bin zu gut. Kurz, es bleiben übrig?«

»Fünfundzwanzig Pistolen«, antwortete d’Artagnan.«

»Und ich«, sprach Athos, etwas kleine Münze aus der Tasche ziehend, »seht hier.«

»Ihr, nichts.«

»Meiner Treue, oder so wenig, dass es nicht der Mühe wert ist, es zur Masse zu schlagen.«

»Nun wollen wir berechnen, wie viel wir besitzen: Porthos?«

»Dreißig Taler.«

»Aramis?«

»Zehn Pistolen.«

»Und Ihr, d’Artagnan?«

»Fünfundzwanzig.«

»Das macht im Ganzen?«, fragte Athos.

»Vierhundertundfünfundsiebenzig Livres«, antwortete d’Artagnan, ein Archimed im Rechnen.

»Bei unserer Ankunft in Paris werden uns immerhin noch vierhundert übrigbleiben«, rief Porthos.

»Vortrefflich! Doch wir wollen jetzt speisen, der zweite Gang wird kalt.«

Nunmehr über ihre Zukunft beruhigt, erwiesen die vier Freunde dem Mittagsmahl alle Ehre. Die Überreste desselben aber wurden den Messieurs Mousqueton, Bazin, Planchet und Grimaud überlassen.

Als d’Artagnan in Paris ankam, fand er einen Brief von Monsieur des Essarts, der ihn von dem festen Entschluss Sr. Majestät, am ersten Mai den Feldzug zu eröffnen, benachrichtigte und ihn darauf aufmerksam machte, dass er sich ungesäumt zu equipieren habe.

Er lief sogleich zu seinen Kameraden, die er eine halbe Stunde zuvor verlassen hatte und nun sehr traurig oder vielmehr sehr in Unruhe fand. Sie waren bei Athos im Rat versammelt, was immer Umstände von ernster Bedeutung ankündigte.

Es hatte wirklich jeder in seiner Wohnung einen ähnlichen Brief von Monsieur de Tréville erhalten.

Die vier Philosophen schauten sich ganz verdutzt an; Monsieur de Tréville kannte keinen Scherz, was die Disziplin betraf.

»Wie hoch schätzt Ihr diese Equipierungen?«, fragte d’Artagnan.

»O! Das lässt sich so ungefähr sagen«, erwiderte Aramis, »wir haben in diesem Augenblick unsere Rechnung mit spartanischer Knickerei gemacht und gefunden, dass jeder von uns fünfzehnhundert Livres braucht.«

»Vier mal fünfzehn macht sechzig, das sind sechstausend Livres«, sprach Athos.

»Mir scheint«, entgegnete d’Artagnan, »tausend Livres wären hinreichend für jeden. Ich spreche allerdings nicht als Spartaner, sondern als Prokurator …«

Das Wort Prokurator erweckte Porthos.

»Halt! Ich habe einen Gedanken«, rief er.

»Das ist schon etwas. Ich habe nicht einmal einen Schatten von einem Gedanken«, sprach Athos kalt, »aber d’Artagnan ist ein Narr, Messieurs. Tausend Livres! Ich erkläre, dass ich für meine Equipierung allein zweitausend brauche.«

»Vier mal zwei macht acht«, sagte Aramis; »wir brauchen also achttausend Livres, um uns zu equipieren, wobei nicht zu vergessen, dass wir die Sättel bereits haben.«

»Und dann«, sagte Athos, der, um diesen verheißungsreichen Gedanken auszusprechen wartete, bis d’Artagnan, welcher Monsieur de Tréville danken wollte, die Tür hinter sich geschlossen hatte, »und dann der schöne Diamant, der am Finger unseres Freundes funkelt. Was Teufels, d’Artagnan ist ein zu guter Kamerad, um Brüder in der Verlegenheit stecken zu lassen, während er an seinem Mittelfinger das Lösegeld für einen König trägt.«