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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 2

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

2.

Annes Krankheit und Genesung

Es war gegen Mitternacht, als der König mit seiner gewöhnlichen Begleitung in Windsor ankam und vor dem großen, stattlichen Portal hielt. Man hatte bereits geschlossen, aber vom Turm herab ertönte laut und schrill das Alarmhorn. Die Diener stürzten halb angekleidet herbei, das Tor wurde geöffnet und Heinrich ritt durch den gewölbten Gang in den inneren Hof. Kaum war er von seinem erhitzten Pferd abgestiegen, als Mary Ganysford, das vertraute Kammerfräulein Annes, mit bestürzter Miene sich durch die Diener drängte und vor ihm niedersank.

»Was wollt Ihr, was ist vorgefallen?«, fuhr er erstaunt das Mädchen an.

»Lady Anne! Verzeihung! Gnade, Majestät! Es war nicht meine Schuld!«

»Eure Schuld? Bei allen Legionen Teufeln, Mädchen, redet deutlicher!«

»Lady Anne weiß alles … alles, Majestät! Sie stirbt! Heilige Mutter Gottes, sie stirbt!«

Heinrichs Lippen entfuhr ein lauter Ausruf der Bestürzung, dann wandte er sich hastig von der Knienden ab, warf seinen weichen Pelzmantel auf den Boden und stieg die breite Wendeltreppe hinauf, welche zu den königlichen Gemächern führte.

Die Diener aber drangen stürmisch in Mary und fragten nach dem Grund der Bestürzung.

Es war bald erzählt. Jemand von Annes nächster Umgebung hatte dieser die Nachricht von der päpstlichen Bulle mitgeteilt. Die unerwartete Kunde, verbunden mit Heinrichs ungewöhnlicher Abwesenheit, hatte sie überwältigt und besinnungslos zu Boden geworfen.

»Wer hat es gewagt?«, fragte Lord Norris zornig.

»Gewiss weiß ich es nicht«, antwortete Mary, »aber ich glaube, es kann niemand anderes gewesen sein als Lady Rocheford1, denn sie befand sich einige Augenblicke allein mit der Marquise im Schlafgemach.«

»Ha, das sieht dem ränkesüchtigen, boshaften Weib gleich!«, riefen mehrere der Umstehenden aus.

»Sie hasst ihren Gatten, weil er die Schwester mehr liebt als seine schlechte Gemahlin«, sagte Norris. »Aber dieses Mal hat ihre Tücke ihr die eigene Falle gegraben. Der König lässt ihr dies nicht ungestraft hingehen.«

Heinrich befand sich indessen am Bett seiner Geliebten, die von ihren harrenden Frauen umgeben war. Man machte sogleich dem König Platz, der sich über die Bewusstlose beugte, sie in seinen Armen aufrichtete und ihr Haupt an seine Brust lehnte.

»Anne, Anne! Mein Leben, meine Liebe!«, rief er aus, indem er die blutlosen Lippen in leidenschaftlicher Glut küsste. »Blick auf! Ich bin es!«

Da zuckte die Ohnmächtige leicht zusammen. Mary Gaynsford hielt ihr ein Riechfläschchen mit starken Essenzen vor und befeuchtete damit die geschlossenen Augen. Langsam und schwerfällig schlug Anne endlich die großen dunklen Augen auf und eine flüchtige Röte färbte ihre Wangen, als sie sich in den Armen des Monarchen sah und dessen Kuss fühlte.

»Kommt Ihr wieder?«, stammelte sie leise, kaum hörbar.

»Ich? Gotts Tod! Freilich! Geschäfte hielten mich wider Willen von dir entfernt, mein süßes Leben! Aber sei wieder getrost, mein Engel, wir bleiben jetzt mehr beisammen!«

»Und es ist nicht wahr, dass Ihr mich verstoßen habt?«, fragte das Mädchen, bittend zu ihm aufsehend.

»Ich?«, rief Heinrich so heftig aus, dass Anne bebte. »Wer hat es gewagt, solche Lüge auszusprechen, wer?«

»Fragt nicht, mein teurer Herr«, bat Anne. »Es ist genug, dass es eine Unwahrheit ist. Ich fühle mich besser. Eure Nähe hat mich dem Leben wiedergegeben!«

Heinrich küsste sie abermals leidenschaftlich. Seine Augen hafteten glühend auf dem weißen, vollen Busen, den die Kammerfrauen teilweise aus dem engen Samtmieder befreit hatten. Errötend wurde Anne nun erst ihres Zustandes inne und zog hastig das Mieder zusammen.

»Ich bitte Eure Majestät, sich jetzt zurückzuziehen«, sagte sie zärtlich. »Ich bedarf der Ruhe. Morgen werde ich umso heiterer Eure hohe Gegenwart genießen können.«

»Es sei«, antwortete Heinrich, indem er sie sanft aus seinen Armen auf das Lager niederlegte. »Morgen werden wir über große Dinge sprechen und dafür Sorge tragen, dass künftig meine Gebote strenger eingehalten werden. Der Frevler soll der Strafe nicht entgehen, denn nur Hass und Bosheit konnten dir eine solche Botschaft unbefugt überbringen.«

Bei diesen Worten warf der König seine durchdringenden Blicke auf die Kammerfrauen, welche erblassend die Augen senkten.

»Sie sind unschuldig, mein teurer König«, rief Anne, »alle, die Ihr hier seht!«

»Wo ist Lady Rochefort?«, fragte Heinrich plötzlich heftig. »Warum fehlt sie zu dieser Stunde, da sie die erste Ehrendame ist?«

Alles schwieg, auch Anne.

»Es ist gut«, sagte der König nach einer Pause. »Wir werden der Viper den Giftzahn nehmen, dass ihr Biss künftig unschädlich sei.«

Er verließ nach diesen Worten das Gemach. Anne aber ließ sich von ihren Frauen entkleiden und sank bald beruhigten Sinnes in die Arme des Schlafes.

Mary Gaynsford sowie der König hatten in Lady Rochefort, der Gemahlin von Annes Bruder, die Übeltäterin erraten. Schon lange hasste diese Frau, deren sittenloses Leben sie ihrem liebenswürdigen Gatten entfremdet hatte, die Schwägerin Anne und sah mit bitterem Neid das vertrauliche geschwisterliche Verhältnis. Blind gegen ihre eigenen Fehler glaubte sie nur in Anne den Grund ihrer ehelichen Zerwürfnisse zu entdecken. Anne selbst, obwohl sie fühlte, dass die Schwägerin sie nicht liebe, war weit entfernt, die ganze Tiefe ihres Hasses zu ahnen. Überhaupt war es Annes Schwäche, dass sie sich von jedermann in ihrer Umgebung geliebt glaubte, eine Schwäche, welche die schlauen Höflinge nur zu gut benutzten.

Aus Liebe zu ihrem Bruder bewirkte Anne von ihrem königlichen Verehrer, dass er der Schwägerin verzieh. Doch erteilte ihr Heinrich in Gegenwart des Hofes einen strengen Verweis, wozu er die Drohung des Towers fügte, im Fall sich ähnliche Vergehen wiederholten.

Lady Rochefort senkte anscheinend reuevoll die Augen, so lange sie in des Königs Gegenwart sich befand, aber als sie sich zurückzog, da wichen die Hofleute entsetzt vor dem entstellten, racheglühenden Antlitz dieser Frau zurück und ließen sie an sich vorübergehen. Ein jeder fühlte, ohne dass er es auszusprechen wagte, dass die Schlange nur umso sicherer die Gelegenheit benutzen werde, das Herz ihrer Feindin zu brechen.

Show 1 footnote

  1. Annes Schwägerin