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Der Welt-Detektiv Band 6

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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 1

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

1.

Heinrichs Verlegenheit. Cromwells herrliche Ratschläge.

Der päpstliche Beschluss war bald ausgeführt worden. Nur das Interdikt wurde nach dem Rat Campeggios aufgeschoben. Man wollte den Erfolg des päpstlichen Rechtsspruches abwarten. In einer öffentlichen Bulle hatte der Heilige Vater die Verbindung Heinrichs mit Katharina von Aragon als rechtmäßig und voll gültig sowie die Tochter derselben, die Prinzessin Mary von England, als die alleinige rechtmäßige Thronerbin erklärt.

Stiller, aber heißer Dank gegen den barmherzigen Gott erfüllte Katharinas wundes Gemüt bei der frohen Nachricht, Jubel und Glück

ihre treuen Anhänger unter dem Adel und im Volk. Nur für Anne blieb die Botschaft noch ein Geheimnis, denn Heinrich hatte bei schwerer Strafe jedem in seiner Umgebung verboten, ihr dieselbe mitzuteilen.

Anne war nach einem großen Treibjagen in Windsor geblieben, der König allein nach London zurückgekehrt. Gegen seine Gewohnheit blieb er mehrere Tage, ohne die Favoritin aufzusuchen. Die heftigsten Gefühle der verschiedensten Art kämpften in seiner Seele. Der unerwartete Ausspruch des Heiligen Stuhls hatte ihn nicht nur überrascht, sondern auch den letzten, noch glimmenden Funken der Liebe für seine verstoßene Gemahlin, noch mehr für seine Tochter erweckt. Diese Regung war seinen Vertrauten, die es heimlich mit Katharina hielten, nicht entgangen. Man schöpfte daraus wieder Mut und Hoffnung. Auch das Parlament fand für gut, eine Deputation an den König zu senden, die ihn dringend anflehte, durch seine Vereinigung mit Katharina und durch die Unterordnung unter den päpstlichen Ausspruch dem Land Ruhe zu geben.

Heinrich fühlte selbst, dass er hier am einem ernsten Scheideweg stand. Entließ er Anne und vereinigte sich mit seiner Gemahlin, so bestätigte er dadurch seine frühere Angabe, dass er nur aus Gewissensskrupel sich von dieser getrennt hatte. Alle Verleumdung wurde durch diese einzige Handlung vernichtet oder wenigstens überdeckt. Katharinas liebenswürdige Persönlichkeit drängte sich in Annes Abwesenheit mit Macht in den Vordergrund seiner Seele, denn wie sehr die Letztere seine Sinne, seine Leidenschaft entflammte, entbehrte er bei ihr eines stillen, ruhigen Vertrauens und vermisste in ihr die Frömmigkeit und weibliche Würde, welche seine Gemahlin besaß. On revient toujours à sespremières amours, sagt ein französisches Sprichwort, und Heinrichs Schwanken zwischen den beiden Frauen bewies es abermals. Wäre sie, die edle Dulderin, in diesen Stunden des Kampfes vor ihn getreten – wie anders hätte sich so vieles gestaltet! Doch sie war fern, ein höherer Ratschluss von oben hatte es gewollt.

Nach einer schlaflos durchwachten Nacht berief der König seinen Minister Cromwell in sein Kabinett. Er war der Schüler und getreue Anhänger des Cardinals Wolsey gewesen und besaß vielleicht eben aus diesen Gründen Heinrichs unbedingtes Vertrauen.

»Ratet, helft mir«, rief ihm Heinrich zu, »ratet mir, um Gottes willen!«

»Wäre nur Wolsey noch am Leben, Majestät«, erwiderte dieser, »so würde Euch der beste Rat zu Gebote stehen.«

»Mahnt mich nicht daran«, sagte der König heftig, »diese königliche rechte Hand ließe ich mir vom Körper trennen, könnte ich den Mann dadurch aus seinem Grab herausholen! Aber Ihr habt sein Vertrauen besessen, Cromwell, redet! Ich will Eurer Stimme gehorchen wie der seinen!«

»Die Lage ist eine schwierige«, sagte Cromwell ernst.

»Schwierig und von ernsten Folgen«, sagte Heinrich. »Bleibe ich Anne getreu, so ziehe ich mir zeitlebens den Hass des Papstes, die Feindschaft des Kaisers zu, und besitze kein Geld, um ihnen eine Heeresmacht entgegenzustellen.«

»Noch mehr: Auch das Privatvermögen Eurer Majestät ist erschöpft. Es wird unmöglich werden, die Mitgift Katharinas ihr bei einer Scheidung wieder auszuzahlen. Und dennoch muss die königliche Frau standesgemäß erhalten werden.«

»Wahr. So muss Katharina ihren Haushalt einschränken. Anne tut es nicht.«

»Einschränken? Majestät, wahrlich, das ist zur Genüge geschehen. Eine einfache Edeldame lebt besser als die demütige, fromme Königin. Sie hat nur ihren Arzt, ihren Apotheker, ihren alten spanischen Kaplan und vier Hofdamen bei sich.1 Sie wird auch ihre Apanage entbehren ohne Klage, wollt Ihr nur die Tochter zurückgeben!«

»Das kann ich nicht gewähren«, sagte Heinrich unschlüssig. »Anne meint, Katharina werde durch ihre Reden oder nur durch ihre stille Duldung meines Kindes Herz von mir und der künftigen Stiefmutter abziehen. Ja, wenn Katharina sich nicht auf den Papst berufen hätte oder jetzt noch sich in ein Kloster begeben, auf ihre ehelichen Rechte Verzicht leisten wollte, dann möchte Anne einwilligen, die Prinzessin der Mutter zu überlassen.«

»Könnten Eure Majestät nicht Lady Anne scheinbar entlassen und …«

»Nein, nein!«, rief Heinrich hastig. »Es hieße, die Treue des armen Mädchens wahrlich schlecht belohnen, wenn ich sie jetzt von mir stieße, sie der Verachtung preisgäbe! Und das alles dulden um den Machtspruch eines schwachen, wankelmütigen Priesters, der sich mit kaiserlicher Münze bestechen und erkaufen lässt!«

»Majestät werden es dennoch nicht wagen, diesem Ausspruch entgegenzutreten«, sagte Cromwell lauernd und den Ausdruck der königlichen Miene gespannt studierend. »Des Papstes Wort ist unfehlbar und heischt auch vom König unbedingten Gehorsam. Die Geschichte der Vergangenheit zeigt uns, dass die päpstliche Gewalt Kronen aufsetzt und nach Belieben in den Staub wirft.«

»Aber die Geschichte beweist auch, dass diese Gewalt erschüttert werden kann, wenn sie zu weit geht«, rief Heinrich. »So wahr ich lebe, ich werde es der Gegenwart beweisen, dass diese Zeit wieder da ist!« Er stand rasch von seinem Sessel auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich werde der Bulle trotzen, ich werde mich weigern, dem Befehl aus Rom zu gehorchen! Ich bin König, in meinem Land das Haupt! Lasst sehen, wer mich in den Staub beugen wird!«

»Wenn das Eurer Majestät fester Wille ist«, warf Cromwell erfreut ein, »so wäre der Augenblick dazu günstig. Ein rascher, energischer Entschluss und der König von England wäre für immer unabhängig vom päpstlichen Stuhl!«

»Wieso?«, fragte Heinrich aufmerksam.

»Luther hat Euch vorgearbeitet, Majestät«, erwiderte Cromwell, »die weltliche Obergewalt des Papstes bestritten. Seine Lehre, seine Beweise dafür finden Beifall, täglich gewinnt die Sekte gewaltiger an Anhängern, nicht nur unter dem Volk, auch unter den kleineren Fürsten. Was hindert Euch, das Gleiche zu tun und kühn die demütigenden Ketten des Priesterjoches abzuschütteln?«

»Seid Ihr rasend, Mann? Ich sollte das tun, ich, der Verteidiger des Glaubens?«

»Eben, weil Eure Majestät diesen erhabenen Titel führt. Er weiht Euch zum Haupt der Landeskirche, und König Heinrichs Weisheit und Gelehrsamkeit ist die Bürgschaft eines sicheren Sieges. Ihr könnt in Eurer Person die geistliche mit der weltlichen Obergewalt vereinigen. Den Priestern geziemt nur die bischöfliche Macht über die Gemüter und die Seelen der Christen. Es ist wider Christi Gebot, dass sie auch in weltlichen Dingen richten und herrschen. Diese Herrschaft gab ihnen der blinde Fanatismus der Menge, die Unwissenheit der Fürsten in die Hand. Aber der Nebelschleier ist hinweggenommen worden. Die Aufklärung unseres Jahrhunderts verwirft die Tyrannei ausschweifender Päpste, verlangt nach Freiheit und Licht. König Heinrich von England wird der Welt beides geben!«

Heinrich hatte den Sprecher mit weit aufgerissenen Augen angestarrt. Als er schwieg, presste er krampfhaft beide Hände gegen seine heftig erbebende Stirn.

»Mir schwindelts, Cromwell, ich kann den ungeheuren Gedanken noch nicht fassen.«

»Die Ausführung ist leichter als Ihr glaubt, Majestät«, sagte Cromwell, nun mutiger geworden. »Selbst Wolsey hat Euch den Weg angebahnt, obwohl unbewusst. Die Anzahl der Klöster, welche das beste Mark des Landes aussaugen, hat er verringert, die Einnahmen derselben haben die königlichen Koffer gefüllt. Folgt seinem Beispiel, Majestät, eignet Euch die reichen Abteien an oder belastet sie mit einer hohen Steuer.«

»Aber bedenkt: Ich rege damit nicht nur die Priester gegen mich auf, sondern auch das Volk, das diesen anhängt.«

»Das Volk wird Euch darob nicht tadeln, Majestät, wenigstens nur zu Anfang, bis es sich daran gewöhnt, die päpstliche Gewalt von ihrer hohen Säule herabgestürzt zu sehen. Es wird seine abergläubische Furcht vor derselben verlieren, wenn es sieht, dass sein König über ihr steht und deren Drohungen verlacht. Die Protestanten, die Anhänger Luthers, denen Ihr in Eurem Land ein Asyl öffnet, werden Euer Werk vollenden, Majestät, und dem Volk die Augen auftun.«

»Der Papst wird mich und das Land mit dem Interdikt belegen …«

»Der freie König verlacht solche ohnmächtige Waffen. Der Bannstrahl schreckt keinen Herrscher mehr, der fest zum Licht aufblickt und sein Volk durch ein neues geistiges Leben ebenfalls befreien will. Das Interdikt ist einem Schwert gleich, das seine Schneide verloren hat, dessen Eisen von Alter und Missbrauch stumpf geworden ist.«

»Wie sollte aber dieser Schritt meine eheliche Verlegenheit lösen?«, fragte Heinrich gespannt.

»Beruft als Haupt der Kirche in England eine Prälatenversammlung, Majestät, damit diese, die erste Ehe, als gegen Gottes Gesetz verwerfe. Und damit ihnen keine Wahl bleibe, geht mit Lady Anne einstweilen eine geheime Trauung ein. Wer wird Euch dann noch scheiden wollen? Namentlich, wenn Lady Anne vielleicht dem Land den erwünschten Thronerben schenkte.«

»Genug, genug«, rief Heinrich aus. »Ich folge Euch, sollte ich auch in dem Kampf zu Grunde gehen. Anne wird mein Weib! Geschworen sei es noch einmal, trotz Papst und Kaiser. Ich will nicht länger Vasall des Papstes sein, sondern ein freier Fürst im freien Land, dem auch die Priester gehorchen sollen. Ein König ist kein Schulkind mehr, das sich unter der Rute des Tyrannen demütig beugt. Der Würfel ist gefallen, die Kette gesprengt, die uns fesselte. Von heute an hört Roms Herrschaft auf Englands Boden auf! Frei! Frei! Über mir keine Macht mehr, als der allmächtige Gott!« Seine Augen leuchteten, seine bleichen Wangen glühten, sein Haupt hob sich stolz und kühn empor, während seine rechte Hand den Griff seines Degens fasste.

Cromwell warf sich vor seinem Herrn nieder und küsste dessen Hände mit schwärmerischer Begeisterung.

»Euer Name wird unsterblich in der Geschichte leuchten, Majestät! Ihr werdet als königlicher Reformator ein Stern und Leiter für Tausende werden!«

»Und mit dem meinen wird sich auch Euer Name vereinigen, Cromwell«, versetzte Heinrich huldvoll. »Ihr habt der Sache Worte und Gewand verliehen, was mir nur unbestimmt wie in einem Traum vorschwebte. Nur in einem Punkt stimme ich nicht mit Euch. Die ketzerische Lehre nehme ich nicht an. Im Herzen bleibe ich gut katholisch. Behüte mich Gott, dass ich dem Wittenberger mich unterordnete. Ich vertauschte da nur einen Herrn mit einem anderen.«2

»Das ist auch nicht nötig, Majestät«, erwiderte Cromwell. »Ihr braucht Euch für jetzt gar nicht über Glaubenssachen auszusprechen. Aber Ihr gebt in Eurer Opposition gegen den Papst stillschweigend die Hoffnung, dass Ihr zu Luther stoßen werdet. Durch den Schein gewinnt Ihr die deutschen Theologen für Euch. Seid Ihr erst in Wirklichkeit als Haupt der Kirche anerkannt, dann haltet es mit den Glaubensartikeln wie Ihr wollt.«

»Cromwell, Ihr seid Wolseys würdiger Schüler!«, rief Heinrich vergnügt aus und schlug dem Minister derb auf die Schulter.

»Nur in einem Punkt gleiche ich dem hohen Lehrer«, sagte Cromwell, »in meiner Liebe zu meinem Herrn.«

»Und die soll Euch reichlich belohnt werden«, sagte Heinrich. »Einstweilen tragt diese Kette zum Andenken an diese ernste Unterhaltung. Lady Anne wird Euch selbst danken.«

»Sie wird sich Eures Entschlusses freuen, Sire«, sagte Cromwell.

»Da erinnert Ihr mich daran, dass ich sie seit mehreren Tagen nicht gesehen habe. Gleich heute reiten wir zu ihr. Von meinen Lippen zuerst soll sie beides, die Nachricht von der Bulle und unsere Antwort darauf vernehmen. Mein Weg ist plötzlich klar geworden. Cranmer muss aus Wien von seiner Gesandtschaft abberufen werden.3 Er ist ein tüchtiger Gelehrter. Wir können solche Theologen brauchen.«

»Es geht das Gerücht von ihm«, warf Cromwell zögernd ein, »dass er im Geheimen zu der neuen Sekte übergegangen sei.«

»Umso besser«, sagte Heinrich, »dann haben wir von seiner Seite keinen Widerstand zu befürchten. Der Mann hat Uns gute Dienste geleistet. Der Erzbischof von Canterbury ist alt und schwach. Wir bedürfen eines erfahrenen Rates.«

»Warum nicht Cranmer an seine Stelle ernennen?«, fragte Cromwell.

»Der Papst wird seine Wahl nicht gutheißen.«

»Als Haupt der englischen Kirche«, versetzte Cromwell lächelnd, »bedarf Heinrich des Papstes Gutheißen dazu nicht. Ihm steht es allein zu, die geistlichen Stellen im Land zu besehen!«

»Bei unserer erhabenen Patronin, Mann, Ihr habt recht!«, rief der König frohlockend.

»Cranmer Erzbischof von Canterbury, Primas der englischen Kirche! Er muss meine zweite Ehe einsegnen und mir helfen, die rebellischen Priester im Zaum zu halten. Schreibt ihm, dass er unverzüglich zu uns zurückkehren soll. Es warte eine große Arbeit auf ihn.«

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  1. Faktisch
  2. Heinrichs eigene Worte
  3. Cramner war an den Kaiser Karl V. gesandt worden.