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Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 22

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

22.

Papst und König

Aufregung, Schrecken und Zorn herrschten am päpstlichen Hof. Wolsey, der Gewaltige, die treue Hand des Papstes, tot, in Ungnade gestorben! Die Ketzerin Anne Boleyn zur Marquise von Pembroke ernannt und sie selbst feierlich in den Besitz der königlichen Wohnung eingesetzt, aus der die unglückliche, bejammernswerte Katharina verstoßen worden war. Der Rat des jungen Theologen Cranmer, eine Entscheidung des Ehestreites durch eine Parlamentsversammlung, ohne des Papstes Gutheißen, zu er halten – das alles war wohl geeignet, die Gemüter der päpstlichen Anhänger zu erschrecken und zu verwirren. Aber das Maß war noch nicht voll. Heinrich hatte, wütend über Katharinas beharrliches Appellieren an die Gerechtigkeit des Papstes und über des Letzteren unschlüssiges Zögern, eine nicht unbedeutende Flotte nach Italien gesandt, mit dem Befehl, wenn die gehoffte Entscheidung nicht bis zu einem festgesetzten Termin erfolge, Truppen zu landen und den Papst gefangen nach England zu führen.

Auf der anderen Seite drohte der Kaiser ebenfalls Seiner Heiligkeit auf den Leib zu rücken, falls er es wage, seine Nichte Katharina der Furcht vor Heinrich zu opfern. Dagegen versprach er eine ungeheure Summe Geldes in die allezeit leeren Kassen des Papstes fließen zu lassen, im Falle er die königliche Ehe vollgültig und bindend erkläre.

So gedrängt von zwei mächtigen Potentaten, wäre selbst dem Mutigsten der Entschluss schwer geworden, für einen schwachen, unschlüssigen Charakter aber geradezu unmöglich.

Früh am Morgen wurden eines Tages die vertrauten Kardinäle zu einem ernsten Rat in das päpstliche Gemach berufen. Aber die Glieder befanden sich in keiner besseren Lage als ihr hohes Haupt, denn auch sie wussten keinen anderen Rat zu erteilen, als dass im Notfall Seine Heiligkeit im Geheimen sich seinen Feinden durch die Flucht entziehen solle.

Campeggio hatte bis dahin ein tiefes Schweigen beobachtet. Als aber der Papst ihn aufforderte, auch seine Ansicht auszusprechen, antwortete er ruhig: »Wenn ich es wagen darf, offen zu reden, so würde ich Euch raten, jetzt diese Sache zum Schluss zu bringen.«

»Wieso?«, fragte hastig der Papst.

»Indem Eure Heiligkeit den Willen König Heinrichs erfüllt.«

Ein Ausruf der höchsten Verwunderung entfuhr der Versammlung bei diesem unerwarteten Ausspruch. Der junge Cardinal Reginald, der ehemalige Verlobte der Prinzessin Mary von England, erhob sich mit zorniger Miene von seinem Sessel.

»Nie darf Seine Heiligkeit das tun!«, rief er fest. »Das hieße, die Ehre der ganzen christlichen Kirche schänden! Katharina ist Heinrichs angetraute Gattin. Den Statthalter Christi wird nicht um der Laune einer Buhlerin willen, ein geheiligtes Band lösen.«

»Still!«, rief der Papst aufgeregt aus. »Campeggio, lasst uns Eure Gründe zu diesem Vorschlag ruhig erörtern. Wir kennen Eure Treue gegen unsere Person und Eure Welterfahrung zu gut, um zu bezweifeln, dass Ihr ohne Überlegung so reden würdet.«

»Meine Ansicht, Heiliger Vater«, antwortete der Legat, »ist auf einen langen Aufenthalt in jenem Land gegründet. Umsonst zieht sich der päpstliche Stuhl den Zorn Heinrichs zu, wenn er die Ehescheidung verweigert, denn der König will geschieden werden. Er wird Anne Boleyn auf den Thron von England erheben, mit oder ohne des Papstes Einwilligung. Der Wunsch des Königs, in einer zweiten Ehe einen männlichen Erben zu erhalten, wurde nicht erst durch die Persönlichkeit der Boleyn geweckt. Wir wissen, dass sogar der Kardinal Wolsey, hochgeachteten Andenkens, im Stillen um eine französische Prinzessin warb.«

»Aber diese Prinzessin war eine rechtgläubige Katholikin«, unterbrach ihn der Papst. »Diese Ehe hätte der Sache unserer heiligen Kirche nicht geschadet, während die Boleyn als Ketzerin und Anhängerin des Wittenberger Mönchs die Pestlehre verbreiten und ohne Zweifel den König ebenfalls in das ewige Verderben der Ketzerei locken würde.«

»Ich glaube, man tut der Boleyn Unrecht«, entgegnete Campeggio ruhig, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. »Es ist wahr, dass sie die ketzerischen Schriften liest und sogar dem König die Evangelien in die Hände gespielt hat. Allein noch ist sie eine gläubige Katholikin.1 Ein Wort von Eurer Herrlichkeit rettet sie uns und durch sie … England.«

»Erklärt Euch deutlicher«, sagte der Papst.

»Ihre Stellung, ihre Ehre erheischen die Ehe, Eure Heiligkeit. Von ihrer Dankbarkeit haben wir alles zu erwarten, von ihrer Erbitterung alles zu befürchten. Anne Boleyn ist keine gemeine, noch gewöhnliche Frau. Ihr Geist besitzt eine männliche Energie, ihr Herz die Schlauheit eines erfahrenen Diplomaten. Was ihr an theologischer Gelehrsamkeit mangelt, wird ihr neuer tüchtiger Freund und Anwalt Cranmer ersetzen, der ebenso freisinnig denkt wie Anne.«

»Kennt Ihr diesen?«, fragte der Papst.

»Persönlich nicht, Eure Heiligkeit, aber es ist nur eine Stimme über ihn, dass er die reichsten Kenntnisse besitzt.«

»Könnten wir ihn nicht für uns gewinnen?«, fragte ein Kardinal aufmerksam. »Er dient einer schlechten Sache, und solche Männer sind nicht unbestechlich.«

Campeggio aber schüttelte das Haupt. »Cranmer wird sich nie zu uns herüberziehen lassen«, antwortete der Legat. »Es ist seine redliche Überzeugung, dass die Ehe mit der Witwe eines Bruders gegen die kanonischen Gesetze sei. Darf die Kirche aus Staatsklugheit eine derartige Verbindung schließen, so kann dieselbe Macht auch solche lösen. Des Königs Vertrauen hat diesen Mann mit Leib und Seele gewonnen, und in Anne sieht er den glänzenden Stern, der die Nation nach seiner Ansicht erleuchten wird, indem sie die neue Irrlehre in England einführt.«

»Ihr glaubt, Anne werde dies wagen, und dennoch ratet Ihr, dass sie Königin werde?«, fragte der Papst betroffen.

»Ja, ich rate es, Heiliger Vater. Denn wenn Anne ihre Krone aus Eurer geweihten Hand empfängt, bleibt sie Euch zeitlebens verbunden. Als Königin wird sie in der Befriedigung ihrer weiblichen Eitelkeit, in Vergnügungen und kostbaren Festen die Lust verlieren, sich mit der Theologie abzugeben. Ich füge noch hinzu, dass König Heinrich sich erboten hat, ein Jahr lang den Sold der päpstlichen Truppen und des päpstlichen Haushaltes zu bestreiten.«

»Was er nur halten kann«, rief Reginald Pole heftig erbittert aus, »indem er das königliche Heiratsgut der unglücklichen Katharina opfert.«

»Das Geld wäre jedenfalls besser so angewandt, als wenn es in die Koffer der leichtsinnigen Geliebten ginge«, sagte der alte finstere Kardinal di Rimona.

»Wenn aber Eure Vorhersagung nicht einträfe«, fragte der Papst Campeggio, »wenn die Boleyn als Königin dennoch sich von der heiligen Kirche entfernte?«

»Dann«, sagte der Legat, indem ein unheilvolles Lächeln um seine dünnen Lippen spielte, »wäre auch noch nicht alles verloren, Eure Heiligkeit. Heinrich ist wankelmütig und eifersüchtig in hohem Grade, Anne kokett wie alle Weiber. Schenkt sie ihm keinen Sohn, dann haben wir nur für eine schöne Rivalin zu sorgen, und wir erleben es, dass Heinrich seine dritte Gemahlin wählt.«

»Wahrlich, der Plan lässt sich hören!«, rief der Papst bewundernd aus. »Wir können die Boleyn stürzen, sobald sie uns unbequem wird. Was dünkt Euch, ehrwürdige Väter?«

»Dass es ratsam wäre, namentlich angesichts der drohenden Kriegsgefahr, nachzugeben. Eure Heiligkeit ist das Haupt der Kirche. Kein Mittel ist unerlaubt, wenn es gilt, Euer Leben zu beschirmen.«

»Der Himmel ist mein Zeuge!«, sagte der Papst, »ich weiche in dieser Angelegenheit nur der bewaffneten Macht. Ich gebe nach, um mein Volk nicht den Schrecken der Verheerung eines erbitterten Feindes zu opfern. Kardinal Pole, es tut mir leid, Ihr wisst, wie sehr wir Eure königliche Verwandte, die erhabene Dulderin Katharina schätzen und lieben. Aber unsere edle königliche Schwester würde nicht dulden, dass um ihretwillen Blut in dieser heiligen Stadt flöße.«

»Nicht um ihretwillen, Heiliger Vater, erbittet Katharina Eure Hilfe, um ihrer Tochter willen, deren Erbe durch eine zweite Ehe gefährdet wird.«

»Das wolle Gott verhüten!«, rief der Papst aus. »Wir machen es zu unserer ersten Bedingung, dass der Prinzessin ihr natürliches Recht der Erstgeburt unangetastet bewahrt bleibe.«

Hier trat der Leibdiener des Papstes ins Gemach.

»Was bringt Ihr?«, fragte Seine Heiligkeit rasch, da er die Aufregung in dessen Mienen las.

Der Kämmerer warf sich demütig vor dem Haupt der Kirche nieder und berichtete.

»Soeben kommt ein Kurier von Ancona. Er sagt, er bringe Eurer Heiligkeit wichtige Nachrichten.«

»Lasst ihn sogleich zu uns«, befahl der Papst.

Der Bote war ein Offizier der päpstlichen Armee.

»Ich bringe Eurer Heiligkeit frohe Botschaft«, sprach er jubelnd. Die englische Flotte ist im vollen Rückzug und auf der Flucht oder Heimkehr. Die Gefahr, welche Euer erhabenes Haupt bedrohte, ist von Euch abgewendet.«

»Ihr sprecht in Rätseln«, rief der Papst, »erklärt Euch deutlicher, Mann! Bei der heiligen Jungfrau, Ihr spannt uns auf die Folter!«

»Die englische Flotte wurde bei Palermo unerwartet von einer kaiserlichen angegriffen und ihr eine heiße Schlacht geliefert, in der die Kaiserlichen siegten. Italien ist von diesen Barbaren gerettet, wieder unter dem Schutz des Adlers!«

Die Kardinäle sprangen von ihren Sitzen auf und drängten sich um den Papst.

»So mögen immer die Feinde des heiligen apostolischen Stuhles, die Widersacher des heiligen Statthalters Christi vernichtet und mit Schande bedeckt werden!«, riefen sie aus.

Reginald Pole aber warf sich vor dem Papst nieder und küsste inbrünstig den Saum von dessen Talar, indem er bewegt sagte: »Der Himmel streitet für die edle verstoßene Christin. O, möchte Eure Heiligkeit in dieser wunderbaren Rettung den Willen Gottes erkennen und kräftiglich den Arm der geistlichen Gewalt der weinenden Unschuld leihen! Erhabener Herr und Vater der christlichen Kirche! Geruht in meinen Bitten Katharinas flehende Stimme zu vernehmen, die Tränen der verstoßenen Mutter und Tochter zu trocknen!«

Der Papst kämpfte sichtlich mit sich selbst. Eine tiefe Bewegung gab sich in seinen Zügen kund. Er reichte huldreich dem jungen Kardinal, seinem Liebling, die Hand zum Kuss und hob ihn von seinen Knien auf.

»Wie die Sachen jetzt stehen, dürfen wir es wagen, der Stimme des Herzens allein zu gehorchen«, sprach er. Dabei aber warf er einen fragenden, unschlüssigen Blick auf seine Umgebung.

»In der Tat, der Himmel hat hier durch ein sichtbares Wunder sich für die Königin erklärt«, sagte der älteste Kardinal. »Unter dem Schutz des erhabenen Kaisers können wir unerschrocken dem englischen König Trotz bieten und den entscheidenden Ausspruch tun. Schon die Verpflichtung der Dankbarkeit gegen unsern edlen kaiserlichen Retter treibt uns dazu.«

»Was meint Ihr, Kardinal Ambrosio?«, fragte der Papst.

»Dass Eure Heiligkeit noch ein starkes Mittel unversucht gelassen hat, Heinrich zur Besinnung zu bringen«, antwortete Ambrosio, »ein Mittel, welches oft den stolzesten Nacken im Purpurmantel gebeugt hat, und das dem Papst von unserem Heiland selbst durch den heiligen Apostel Petrus in die Hände gegeben ist, um die Widerspenstigen zu züchtigen.«

»Ha! Das Interdikt!«, rief der Papst aus. »Wahrlich, Kardinal, unser erhabener Apostel hat Euch das Wort eingegeben. Wir werden unverzüglich dasselbe ausfertigen lassen, und Ihr, meine ehrwürdigen Väter, tragt dafür Sorge, dass es zugleich in allen Ländern bekannt gemacht werde, namentlich durch unsere Diener unter dem englischen Volke. Mut, Kardinal!«, wandte er sich freundlich zu Pole, »der König wird dieser schweren Strafe nicht widerstehen. Er wird sich reuevoll uns unterwerfen und seinen eigenen Willen demütig dem unsrigen fügen.«

»Es wird nicht genügen«, sagte Pole schwermütig, »und das Herz der Königin mit neuem Schmerz erfüllen, Heiliger Vater.«

»Dann, bei der heiligen Jungfrau, werden wir nicht länger säumen«, sagte der Papst.

»Dem Harren und Wortkriege soll rasch ein Ende gemacht werden. Ich will zeigen, dass der Papst über dem König steht. Katharinas Ehe soll von uns, im Namen unseres heiligen Apostels, kraft der Gewalt, die uns im Himmel und auf Erden gegeben ist, vollgültig und heilig bindend erklärt werden. Lasst sehen, ob der stolze König noch ferner den Mut hat, an seiner Buhlerin festzuhalten. Zieht Euch zurück, ehrwürdige Väter, und überlasst mich der Ruhe und der Sammlung des Gebets.«

Die Kardinäle verbeugten sich tief und verließen das Gemach.

Indessen aber näherte sich Campeggio dem Kardinal Pole, legte zutraulich seine Hand auf dessen Arm und durchschritt mit ihm die weiten Säle.

»Was haltet Ihr von dem Vorschlag mit dem Interdikt?«, fragte Reginald leise den Legaten.

»Dass wir dadurch die beiden Hauptsachen verlieren, welche wir zu retten streben.«

»Die wären?«

»England und Katharina. Beide gehen dadurch unrettbar verloren. Das Interdikt treibt den König zum Äußersten und in die offenen Arme der Feinde des römischen Stuhles.«

»Aber wenn der Papst feierlich die Ehe bestätigt, wird Heinrich nicht wagen, die Boleyn zu seiner Gemahlin zu machen.«

»Er wird es tun, glaubt meinen Worten. Was die Reize Annes nicht vermöchten, wird der Zorn und der Eigensinn vollenden. Wehe uns, wenn Heinrich von England mit seinem Beispiel Europa die Lehre beibringt, dass die königliche Gewalt über der geistlichen stehe.«

»Noch hört man wenig, dass die Irrlehre dieser Protestanten in England Wurzel fasste«, sagte Pole.

»Weil sie es bisher nicht wagten, so lange Heinrich wie ein fester Schild der Kirche dastand, als ›Verteidiger des Glaubens‹<2. Sie warten nur ein Zeichen ab, um ans Tageslicht zu treten, und das wird vom Thron und von Cranmer ausgehen.«

»Die arme Prinzessin!«, seufzte Pole, »was wird Marys Los und Stellung werden?«

Campeggio zuckte die Achseln. »Das muss die Zukunft lehren. Hat Heinrich keinen Sohn, so fällt der Thron naturgemäß der Prinzessin zu. Unter ihrer rechtgläubigen Regierung wird die katholische Religion sich in neuer Glorie aus dem Staub erheben.«

»Gott gebe es«, sagte Pole, »dann wäre mein großes Opfer nicht vergebens gewesen.«

»Ihr liebt sie noch, Sir Reginald?«, fragte Campeggio mit einem bedeutsamen Lächeln.

»Nun, kein Wunder, sie ist eine wonnigliche Blume und fromm wie die Madonna, deren Namen sie trägt.«

»Ja, ich liebe Mary noch!«, sagte Reginald mit begeistertem Blick. »Ich werde sie lieben, so lange ich lebe, obwohl ich der Macht der Verhältnisse weichen musste, die uns trennten, und ihrem Besitz entsagen.«

»Ihr habt den besseren Teil erwählt, Sir Reginald«, erwiderte Campeggio, »den Dienst der heiligen Kirche für die irdischen Bande der Liebe vertauscht. Ihr seid noch jung, eine glänzende Laufbahn steht Euch bevor, als der Liebling eines Kaisers und eines Papstes.«

»Ich habe nicht nach der Ehre getrachtet«, sagte Pole traurig und mit einem Anflug von Ironie um den schönen Mund. »Der Kaiser wünschte mich, den einfachen Edelmann, nicht zum Gemahl der künftigen Königin von England, was Mary nach dem Tod ihrer jungen Brüder werden sollte. Er wusste meine Ansprüche zu beseitigen, indem er den Heiligen Vater gewann und dieser mich beredete, in der Kirche Dienst zu treten. Die Politik hat abermals an uns das Herzens- und Lebensglück zweier Liebenden zerstört. Aber es ist vorbei, vorbei! Mir ist nur das eine geblieben, dass ich für die edle Geliebte beten und für ihr Recht kämpfen darf.«

»Die Prinzessin scheint Euch mit gleicher Liebe zugetan zu sein «, sagte Campeggio. »Sie hat mehrmals eine Verbindung mit einem auswärtigen Fürsten abgelehnt.«3

»Ich weiß es«, erwiderte Reginald, »die Königin schrieb es mir. Die Nachricht hat mich betrübt, aber auch zugleich erfreut. Oh, wüsste sie, welchen furchtbaren Kampf mir der Entschluss, ihr zu entsagen, gekostet hat und noch kostet.

Bisher fand ich Ersatz für meinen Verlust in den Briefen, die mir durch treue Seelen zukamen, aber jetzt wird es auch wohl mit diesem einzigen Trostmittel vorbei sein.«

»Wer weiß«, sagte der Legat mitleidig. »Die Gouvernante, welche sie bei sich hat behalten dürfen, ist ihr mit Leib und Seele ergeben. Das arme Mädchen wird bitterlich die Trennung von ihrer Mutter empfinden.«

»Trennung?«, rief Reginald bestürzt aus, »wer hat sie getrennt?«

»Ihr wusstet nicht, dass Katharina allein in Ihre Verbannung nach Campthill4 hat ziehen müssen? Es tut mir leid, Sir Reginald, Euer liebendes Gemüt noch tiefer betrüben zu müssen.«

»Sagt mir alles, Legat«, bat Reginald aufgeregt. »Wo befindet sich Mary?«

»Nun, einstweilen auf ihrem eigenen Schloss, aber sie hat den strengsten Befehl erhalten, keine Annäherung an die Mutter zu suchen. Nur Briefe sind den Unglücklichen gestattet; aber auch diese werden selbstverständlich von den Spionen Annes überwacht.«

»Ah, diese neue Folter hat die Boleyn ersonnen! Durch den Verlust der Tochter hofft sie, Katharinas Entschluss zu beugen und sie zu einem freiwilligen Verzicht auf ihre ehelichen Rechte zu zwingen!«

»So ist es«, antwortete Campeggio, »aber die Tyrannei wird an der noch festeren Mutterliebe scheitern. Gerade um Marys willen entsagt Katharina dem Thron nicht. Sie bleibt taub gegen alle Vorstellungen des feilen Parlaments sowie des Königs und beharrt auf ihrem Ausspruch, nur der päpstlichen Entscheidung sich fügen zu wollen. Doch wir müssen uns jetzt trennen, Sir Reginald. Wollt Ihr mir ein Schreiben an die Königin anvertrauen? Verlasst Euch auf meine Treue bei der Besorgung desselben.«

»Habt Dank, ehrwürdiger Herr«, sagte Reginald. »Ich werde von Eurer Huld Gebrauch machen. Gottes Segen über Euch!«

»Und sein Frieden über Euer Haupt«, sagte der Kardinal-Legat und trat in seinen Palast, während Reginald mit gesenktem Haupt ebenfalls zu seiner Wohnung zurückkehrte.

Campeggio hatte aus Teilnahme für den jungen Edelmann, den er sehr liebte, demselben nicht die volle Wahrheit mitgeteilt. Er hatte ihm verschwiegen, dass seine angebetete Mary schwer darniederlag. Gram und Kummer um die Zerstörung ihres jungen Liebesglückes, der heftige Schmerz über das Losreißen von der teuren Mutter hatte den schwachen Körper des Mädchens gebrochen, ihr eine Krankheit zugezogen, von der sie zwar nach Monaten wieder genas, welche aber den Keim zu dem langen schmerzlichen Leiden zurückließ, das ihr ganzes späteres Leben vergiftete und ihre Seele verbitterte.

Vergebens flehte Katharina um die einzige Gunst, an das Bett ihres Kindes eilen zu dürfen. Heinrichs Herz, die geheimen Einflüsterungen seines guten Geistes, die ihn nachgiebig gestimmt hätten, wusste Anne zu verhärten und zu ersticken.

Sie selbst hatte, gleich nach Katharinas Abreise aus der königlichen Wohnung, deren Gemächer in Westminster und Windsor eingenommen.

Hier saß sie im königlichen Glanz als die unbestrittene Beherrscherin des Königs. Eine kleine Tapetentür in ihrem Schlafzimmer führte in die Gemächer des Königs. Dieser hatte selbst die Braut feierlich in ihre Wohnung geführt und lächelnd ihr mit einem zärtlichen Blick den kleinen Schlüssel zu derselben überreicht.

»Möge die Stunde bald schlagen, welche diese Tür für die treue Liebe öffnet«, flüsterte er.

Anne errötete heftig und legte den Schlüssel in eine Schatulle von Ebenholz.

Wenn ich dich wieder aus deinem Versteck hervorziehe, dachte sie dabei, dann bin ich Königin von England!

Ende des ersten Bandes

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  1. Historisch
  2. Defender of the faith
  3. Geschichtlich
  4. Ein Schloss in der Nähe von London