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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 36

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

36. Wie Rübezahl sich mit einer Pascherin einen Spaß macht.

Rübezahl ging eben im Gasthof Zum Raben in Landshut über den Hof, als er aus dem offnen Kellerfenster herauf weibliche Stimmen und lautes Lachen und Gekreisch hörte. Nun, bei so etwas wird selbst ein Geist neugierig. Darum ging Rübezahl hinzu und schaute hinunter. Es war ein kurioser Anblick, den er da hatte. Denn in dem Keller waren drei junge Weiblein und machten was. Dabei wollten sie sich vor Lachen ausschütten. Neben ihnen stand eine große Tafel. Darauf lagen eitel Schinken und Würste. Lange konnte Rübezahl nicht herausfinden, was die Weiblein da unten vorhatten. Die eine stand aufrecht in der Mitte und hatte ihre Kleider etwas angehoben. Vor ihr kniete eine andere und machte vorn etwas. Hinter ihr kauerte eine dritte und machte hinten was. Rübezahl sah vieles. Was das alles aber bedeuten solle, wusste er anfangs durchaus nicht. Da jedoch die Frauen ihr Lachen bisweilen durch einzelne Bemerkungen unterbrachen, so kam er endlich dahinter. Freilich ging es ihm nun ebenso wie den Frauen. Er musste erst hinausgehen auf den Ring und sich auslachen, ehe er wieder in die Wirtsstube zurückkehren konnte. Aber dabei passte er scharf auf, wer sich in das Wäglein setzen würde, das gerade vorm Haus stand.

Es dauerte auch nicht lange, so sah er eine schöne Frau zum Haus herauskommen und zum Wäglein sich hinrichten. Sie ging langsam und schwer, als sie eine Leibesbürde trüge. Zwei Mägdlein führten sie zu beiden Seiten behutsam. Das Weiblein sah ziemlich ernst aus, aber manchmal blitzte ein Anflug von unterdrücktem Lachen aus diesem Ernst hervor, während ihre Führerinnen ihrem Lachen keine Schranken setzen konnten. Der Kutscher, der offenbar der Gatte des Weibleins war und den sie Herr Bürgermeister nannten, setzte sich auf den Bock. Bald ging es die Straße hinauf. Rübezahl war gleich hinterher. Als er zur Stadt hinaus war und sah, auf welcher Straße das Wäglein dahinrollte, so war er völlig im Klaren und folgte von da an demselben. Ein Schalk war er, man konnte es ihm nun am Gesicht ansehen, dass er irgendwo einen Schabernak spielen würde.

Das Wäglein fuhr auf Liebau zu, aber gegen die Erwartung Rübezahls durchs Städtchen durch und gerade auf Königshain los. Beim Zoll mussten sie halten. Das Ross stand aber kaum still, so flog auch mit offenen Armen ein Weiblein heraus. Es war die Frau Einnehmerin, und auf das Wäglein los.

»Na«, rief sie der Drinsitzenden zu, »ihch hob scho lang auf Ihne g’poßt, jetzt steigts gleich aus.«

»Nah«, schrien Mann und Frau fast ängstlich zu gleicher Zeit, »nah, heunt net, Frau G’vottern, heunt net, an annermol komme mer scho.«

»Voraus wird nix«, eiferte die Einnehmerin, »Tonerl komm außi und hilf mir.«

Der Einnehmer war gut dressiert und sogleich bei der Hand. Der Controlor folgte auch und zwei Aufschauer standen schon da und lauerten nur auf den Befehl zum Zugreifen. Vergebens bat der Herr, vergebens sträubte sich die Frau, sie sei krank und könne nicht heraus. Das half alles nichts, denn wer kann sich vor österreichischer Gutmütigkeit und Gastfreundschaft retten. Endlich stieg die Leidende, weiß wie eine Kalkwand und meist gehoben von ihrem Mann, aus, indem der sie langsam niederließ.

Jeder Schritt, man sah es, wurde ihr blutsauer. Aber endlich war sie im Zimmer. Man führte sie auf einen Stuhl. Als sie sich setzte, aber ganz auf die Kante, da hörte man ein dumpfes Pump. Rübezahl sah und hörte das alles unsichtbar mit an und würde vor Lachen sich nicht zu halten gewusst haben, wenn er nicht ein Geist gewesen wäre.

»Jetzt, Herr G’votter«, sagte der Einnehmer, »müsst’s a Glas’l Ungarwein trinken, s’hilft nix, sihs a guter, a sisser.« Damit ging er hinaus. Im Vorbeigehen vor seiner Frau – sie nahm eben die Gläser aus dem Schrank – flüsterte er: »Frau, d’ Frau G’vottern muss halt guter Hoffnung sein, mer sieht’s err on.«

Dass die arme Frau auf Kohlen saß, das sah man ihr an. Aber es half nichts, sie mussten essen und trinken, dass der Bürgermeister einen Knopf seiner Weste nach dem anderen aufknöpfte.

Rübezahl war durch das alles in eine gar fröhliche Stimmung versetzt worden. Da er einmal unsichtbar war, so dachte er: Du kannst ja die Leutlein etwas foppen.

Als der Einnehmer aufstand, so machte er sich auch über dessen Weinglas her und trank es aus. Der Bürgermeister unterhielt sich vornehmlich mit der Frau Einnehmerin über die Garnpreise und merkte freilich anfänglich nicht, dass Rübezahl indessen seinen Wein ebenfalls getrunken hatte. Dem Einnehmer ging es am Anfang ebenso und er merkte es erst später. Er dachte aber: Der Bürgermeister trinkt mir ihn weg.

Endlich wurde es beiden, man sah es ihnen an, doch zu bunt.

»Ihch möcht ner wissen, wer mer heunt immer mein Wein austrinken tut«, brach er endlich lachend los. »Weib, du bist’s, ihs dir denn’s Schnakakerle in Kopp g’fahrn, doß du so mos machst?«

»Schaun’s, Frau G’vottern«, wandte sich diese an ihren Gast, »mos dos fer a Mann ih’s; s’ fallt mer net ei, ihch mach mer aso aus’m Wein nix.«

»Ihch glaub’«, fiel der Bürgermeister ein, »dass meine Frau es auch so macht, denn wenn ich wieder in mei Glas’l schau, so is nix drinn.«

»Nu jah«, erwiderte die Frau, »weil ihr immer gleich austrinkt und nimmer wo’s drinn loßt.«

Die Männer lachten und fassten den Beschluss, sie wollten nur ihre Gläser gleich in der Hand behalten. Der gute Ungar hatte indessen auch die Bürgermeisterin ermutigt. Sie wurde endlich mit den gutmütigen Leuten auch fröhlich.

Wie die Dämmerung herannahte, sagte die Bürgermeisterin: »Mann, jetzt wird es Zeit!« Und sie nahmen Abschied.

Die Leidende wurde wieder von ihrem Mann und dem Einnehmer an den Wagen geführt. Die Frau Einnehmerin raunte ihr da erst noch einen schalkhaften Segensspruch ins Ohr. Aber vorn raunte auch jemand dem Ross etwas ins Ohr, sodass dieses, als die gute Frau einsteigen wollte, plötzlich einen Seitensprung machte und davontrabte.

Gute Nacht, Rössel, dachte der Bürgermeister, dich sehe ich heute nimmer wieder.

Aber zu großem Trost ging es nicht weit und das Ross blieb stehen, denn Rübezahl hatte sich wieder vor den Kopf gestellt. Es war elendiglich anzusehen, wie die arme Bürgermeisterin dem Wäglein nachtrippelte. Es schien bei jedem Schritt, als ob ein Hemmschuh an ihr hinge. Aber, als ob das Schicksal alles Üble herbeigeführt hätte, kaum war die Gesellschaft an den Wagen heran, so fuhr der Satan abermals in den Schimmel und er entrann. Sogleich schossen die Aufschauer ihm nach, holten ihn ein und hielten ihn fest. Jetzt ging es ans Einsteigen.

Der Bürgermeister seufzte innerlich: »Gott geb’s gnädig!«

Ja, er hatte recht, so zu seufzen, denn es hätte bald noch schlimm gehen können am Ende.

»Fabian«, rief die Frau, »heb du mich aufs Wagerl. »Ich bin zu schwach.« Dabei flüsterte sie ihm leise etwas ins Ohr.

Der Bürgermeister bat nun die Männer, sie möchten nur seine Frau oben halten, dass sie nicht überschlüge. Er wolle unten nachschieben, denn sie war, wie es schien, nun an den Beinen starr und steif. Die Sache ging gut. Wie die liebe Frau sich setzte, so wurde auf dem Boden des Kaleschleins wieder so ein Pump gehört, dass das Wäglein zitterte. Vom Wagen herab bedankten sich die Eheleute noch tausendmal und sahen dabei wieder ganz couraschös aus.

Aber 10 Schritte davon holte die arme Frau erst tief Atem und rief aus: »Gott sei Dank! Aber Fabian, hasts g’hört? In meinem Leben nimmer a Schunken g’pascht, s’ Bandel ihs mer z’letzt aufgange.«

Da der günstige Leser – er braucht auch nicht in alle Löcher zu gucken – nicht mit durchs Kellerloch geschaut hat, so muss bei dieser gewiss sehr schönen Geschichte der Kräuterklauber noch einiges zur Erläuterung hinzufügen. Denn unten im Keller waren der Frau Bürgermeisterin die trefflichen Schinken so herrlich und so wohlfeil erschienen, dass sie dem Wunsch nicht widerstehen konnte, einen zu kaufen. Aber wie ihn nun über die Grenze bringen? Denn so einen Schinken zu verzollen, das ist keiner guten Hauswirtin zuzumuten. Also wird der Schinken mit einem Band versehen, von einem Mägdlein vorn in gehöriger Höhe gehalten, und von einem anderen hinten über den Hüften festgebunden. Es muss, wenn die arme Frau gegangen ist, gewesen sein, als ob ihr die Erfurter große Susanna oder die Görlitzer Glocke am Leib geläutet würde. Hätte die Königshainer Gastfreundschaft sich nicht zur Unzeit gemeldet, so würde noch alles gut gegangen sein. Aber nun kam Rübezahls Mutwille noch dazu und da hätte die Geschichte ein schlimmes Ende nehmen können. Denn wie die Gesellschaft zum zweiten Mal zum Wäglein ging, löste sich allmählich das Band um den Leib und der Schinken würde vor den Wagen hingefallen sein, wenn ihn nicht der Bürgermeister mit den Beinen seiner Frau zugleich gefasst und in den Wagen gehoben hätte, wo er mit seiner ganzen Schwere auf den Boden fiel.

Nun, nichts für ungut! Aber man kann daraus lernen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, denn der gerade Weg ist immer der beste.