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Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 21

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

21.

Wolsey in der Verbannung, seine Verhaftung und sein Tod. Percy

Am anderen Morgen bot sich der zahlreichen Menschenmenge, die sich um den Palast gereiht hatte, ein ergreifender Anblick dar. Wolsey, von seinen Dienern begleitet, trat den Weg in die Verbannung an. Er trug, anstatt des reichen, hochroten Gewandes, einen dunklen, wollenen Mantel, der einem Pilgerkleid glich. Auch sein Maultier war heute mit einem ähnlichen Tuch bedeckt.

Der Kardinal mochte auf bittere, höhnende Worte des Volkes gefasst sein, denn er warf einen ängstlichen, fast bittenden Blick auf die Menge. Allein so groß der Hass gegen ihn gewesen war, noch größer und allgemeiner war die Entrüstung gegen Anne. Instinktartig fühlte man, dass eine Teilnahme für den verdrängten Mann eine bittere Anklage gegen die Favoritin sei.

Kaum hatte Wolsey sein Tier bestiegen, als der laute, tausendstimmig wiederholte Ruf sich erhob: »Es lebe die Königin Katharina! Nieder mit der Ketzerin! Wir wollen keine andere Königin als Katharina!«1

Wolseys Antlitz belebte sich, sein trübes Auge glänzte. Freundlich und fast väterlich breitete er seine Arme segnend aus, dann ritt er langsam und feierlich durch die Straßen, von der Menge gefolgt.

Wie groß auch die Schuld war, der Anblick einer gefallenen Größe hat stets etwas, das dem Hass Schweigen gebietet und Achtung fordert.

Anne vernahm den Ruf des Volkes nicht, noch wagten es ihre Schmeichler, denselben ihr zu hinterbringen. Sie schwelgte an dem Anblick des reichen Nachlasses ihres Feindes. Kein Gefühl des Dankes, kein Mitleiden regte sich in ihrem Herzen, während die Stirn ihres königlichen Verehrers trübe und umwölkt blieb, und keine Freude, nur Überraschung ihm beim Anblick des Inventars entschlüpfte, welches Wolsey ihm übersandt hatte. Wohl mochte er erstaunt sein, denn er gelangte plötzlich in den Besitz einer halben Million.

Mit der Miene eines Siegers nach einer heißen Schlacht ritt die schöne Anne an der Seite des Königs in den Hof von Hamptoncourt ein2 und nahm davon Besitz. Sie täuschte sich jedoch, wenn sie das Andenken Wolseys in der Brust Heinrichs erstorben glaubte.

Lord Norfolk war zu Wolseys Nachfolger ernannt worden, allein die Folge bewies bald, dass er den Kardinal nicht ersetzen konnte. Oft und viel musste Anne die Worte ihres verdrossenen Geliebten vernehmen.

»Wäre Wolsey nur noch am Ruder, alles ginge besser!«

Als aber eines Tages die Kunde zu ihm gelangte, dass Wolsey schwer erkrankt daniederliege, legte der leidenschaftliche König seinen Gefühlen nicht länger Zaum an. Er berief seinen eigenen Leibarzt Doktor Butts zu sich und befahl ihm, augenblicklich zu dem Kranken zu reisen.

»Meine Hilfe wird ihm wenig frommen, Majestät«, sprach der kühne Mann. »Er ist krank vor Sehnsucht und Schmerz. Nur ein Wort von den Lippen Eurer Majestät kann ihn dem Tod entreißen.«

»Verhüte Gott, dass wir ihn verlieren sollten!«, rief Heinrich erschrocken aus. »Bringt ihm diesen Ring, Butts, und versichert ihm unsere königliche Liebe und Teilnahme.«

»Süßes Liebchen«, wandte er sich zu Anne, »sendet ihm mit mir ein Zeichen Eurer Gewogenheit und nehmt dafür meinen innigsten Dank.«

Anne biss sich auf die Lippen, aber sie löste sofort von ihrem Hals eine goldene Kette und übergab sie dem Arzt mit den Worten: »Bringt ihm dieses, Sir, und bittet ihn, dass er sich pflege, und auch um meinetwillen gesund zu werden wünsche.«3

Als Doktor Butts vor den schwer erkrankten Kardinal trat und teilnehmend dessen fieberglühende Hand ergriff, schlug dieser matt die Augen auf und lächelte, als er ihn erkannte.

»Mich senden Seine Majestät und Lady Anne, Hochwürden«, sagte der würdige Mann, der sich stets als Freund Wolseys bewährt hatte. »Beide sind um Euch in ernstlicher Sorge. Seid darum frohen Mutes, es stehen bessere Tage für Euch noch in Aussicht.«

»Er hat mich nicht vergessen!«, stammelte der Kranke schwach.

»Vergessen! Edler Herr! Es vergebe kein Tag, sagt man, wo er Euch nicht sehnlichst zurückwünscht. Gebt die Hoffnung nicht auf, er lässt Euch nicht lange fern weilen.«

»Und Katharina?«, fragte Wolsey ängstlich, »habt Ihr sie gesehen? Freut sie sich über meine Ungnade?«

»Da kennt Ihr die edle Dulderin nicht, Kardinal, wenn Ihr so fragt. Sie sich freuen? Nein, sie bedauert Euch von Herzen und rief, als sie die Nachricht vernahm: Er hat nicht recht an mir gehandelt, aber ein solches Schicksal verdiente seine Liebe zu dem König nicht.«4

»Oh!«, seufzte Wolsey. »Ich möchte die eigene Zunge aus dem Mund reißen, die gegen die edle Frau gezeugt hat.«

»Und ich«, setzte Butts zornig hinzu, »habe oft den Tag verflucht, an dem meine Kunst diese unheilbringende Boleyn dem Tod entriss. Hätte ich den Grund von des Königs Teilnahme ahnen können, so wahr ich lebe, sie wäre uns nicht lange schädlich gewesen.«

Wolsey genas, aber schon wieder siegte Annes Hass über die neuerwachte Liebe Heinrichs zu ihm, denn sie wusste diesen von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Kardinal noch weiter von London zu entfernen. Sie benutzte hierzu die Teilnahme Katharinas an Wolseys Schicksal sowie einen Brief des Papstes, in welchem Seine Heiligkeit dem König gebot, von der Buhlerin abzulassen und sich wieder zu seiner Gattin zuzuwenden.«

Verblendet vom Zorn und Misstrauen, befahl Heinrich dem kaum genesenen Kardinal, sich zu der nördlich gelegenen Grafschaft Northamptonshire zu begeben, wo er von den Spionen des Hofes genau überwacht wurde.

Hier, von seinen Bauern umgeben, abgeschlossen vom bunten Treiben der Welt und entfernt vom launenhaften Hof, suchte der arme Mann Ruhe und Frieden. Er lebte ausschließlich der Frömmigkeit und der Wohlfahrt seiner Umgebung, deren ärmlichen, verkümmerten Zustand er mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, verbesserte. Neue Häuser wurden ihnen gebaut, der bisher unbenutzt gebliebene Boden in kleinen Abteilungen den Ärmeren der Dorfbewohner zum Eigentum und zur Bebauung geschenkt. Er selbst besuchte die Kranken in ihren Hütten und wusste für jeden einen Trost und eine Hilfe. Der Staatsmann, der übermütige Günstling war gestorben, nur der menschenfreundliche, gütige Priester zeigte sich jetzt in Wolseys verändertem, veredeltem Wesen.

Dafür genoss er einen Lohn, den er am Hof sich nicht mit den reichsten Spenden kaufen konnte: wahre Liebe und Dankbarkeit. Hier erntete er Tränen der Freude und Segenswünsche anstatt Flüche.

Aber es trug eben dieses stille Glück, diese aufrichtige Ergebung nur dazu bei, sein Schicksal zu beschleunigen, indem es den Neid seiner Feinde erregte.

Die schweren Steuern, mit welchen Heinrich die Nation belastet hatte, die heimliche Aufwiegelei der Priester zugunsten Katharinas und des Papstes, noch mehr aber die Erbitterung einiger altadliger Familien, welche am Hof den Anhängern der neuen Favoritin hatten weichen müssen, brachten eine gefahrdrohende Gärung im Norden hervor. Heinrich erfuhr genug davon, umso leichter lieh er den giftigen Einflüsterungen Annes gegen Wolsey Gehör. Ihre Vertrauten und Verbündeten mussten in seiner Gegenwart geschickt vom hohen Einfluss des Kardinals berichten, den er noch über das Volk besaß. Als diese Andeutungen vom König mit finsterem Schweigen, aber ohne weitere Folgen vernommen wurden, ersann man neue, wirksamere Tücken, um den Feind zu vernichten. Vergebens suchte Henry Wyatt, Annes Jugendfreund und nun Hofpoet, ihr Gemüt zu besänftigen, vergebens bot Cranmer alle Beredsamkeit auf, um ihre Aufmerksamkeit von dem Gefallenen abzulenken. Wolsey hatte recht prophezeit, seine Stunde war gekommen, sein Verhängnis eilte ihm auf den Fersen nach.

Diesmal hatte sein böser Geist eine männliche Gestalt in Lord Percy von Northumberland, Annes ehemaligem Geliebten, angenommen, der bis zu Wolseys Verbannung fern vom Hof auf seinem reichen Besitztum geblieben und an der Seite einer ungeliebten Gattin ein freudloses Dasein führte. Annes Verbindung mit dem König hatte nicht die Augen des verblendeten, erbitterten Mannes über den wahren Urheber seines Unglücks geöffnet. Noch immer sah er im Kardinal seinen Erzfeind. Heinrich, diesen Irrtum benutzend, um den mächtigen Edelmann wiederum für sich zu gewinnen, forderte selbst Anne auf, ihn zu einem großen Fest einzuladen.

Percy folgte nur zu willig dem lockenden Ruf der Sirene. Bald waren die gewaltsam getrennten Herzen abermals vereint, aber in einem gemeinschaftlichen Hass- und Rachegefühl.

Dennoch wäre es ihnen nicht gelungen, ihr Opfer zu vernichten, hätte Wolsey, voll Sehnsucht nach dem Anblick seines geliebten Königs sich nicht verleiten lassen, in einem flehentlichen Brief an den Papst dessen Fürsprache anzurufen.

Der Bote, welcher den Brief nach Frankreich in die Hände des dortigen Nuntius bringen sollte, wurde aufgefangen und seine Depesche an Anne ausgeliefert.

»Seht Ihr, Majestät«, rief diese in Tränen ausbrechend, »wie der Mann immer noch gegen uns wirkt und unsere Sache zu verderben sucht! O, nie, nie, so lange er lebt, oder nicht unschädlich gemacht wird, können wir glücklich werden!«

Der König wollte die erzürnte Geliebte besänftigen, allein Anne entwand sich seinen Armen und sank ihm mit den Worten zu Füßen.

»Majestät, lasst mich in meine Einsamkeit zurückkehren, lasst mich in den Mauern eines Klosters meine verlorene Ehre begraben! Es ist umsonst, dass wir dulden und hoffen. Wir sind zu schwach, unseren Gegnern zu widerstehen!«

»Zu schwach?«, rief Heinrich gekränkt aus. »Nein, bei Gott, noch bin ich König in diesem Land und fürchte mich weder vor Kaiser noch Papst!«

»Majestät werden glücklicher, ruhiger leben, wenn ich Unglückliche fern bin. Entlasst mich, Sire! Wenn auch mein Herz in dem Kampf bricht, kein Opfer ist mir zu groß um meines Königs Frieden!«

»Und kein Opfer mir zu groß um die Liebe meiner Anne!«, sagte Heinrich begeistert, sie aufhebend und fest an seine Brust drückend. »Hier halte ich dich und keine Macht auf Erden soll dich mir entreißen, nicht zehn Päpste uns trennen!«

»Ist das Euer Ernst, Majestät?«, sagte Lord Norfolk, in dessen Gegenwart die zärtliche Szene stattfand. »Dann gibt es nur ein Mittel: Wolsey muss durch strenge Haft von allem ferneren Verkehr mit der Welt abgeschlossen werden.«

»Das soll er«, rief Heinrich, »ich bin dieser ewigen Intrigen müde, ich will Ruhe haben! Sendet sogleich eine königliche Kommission in den Norden und weist dem Verräter eine freie Wohnung in dem festesten Zimmer des Towers an! Ich will dem Papst zeigen, dass ich ihn nicht fürchte, wenn seine Priester gegen meine Macht sich auflehnen.«

»Mein teurer, teurer König«, rief Anne aus und schlang liebkosend ihre schönen Arme um seinen Hals, »Ihr gebt mir das Leben wieder, denn nun erst weiß ich, dass Ihr mich über alles liebt!«

»Wem übergeben Eure Majestät den Befehl dieses schwierigen Auftrags?«, fragte Norfolk.

»Es bedarf der Gegenwart einer hervorragenden Persönlichkeit, denn Wolsey wird sich zur Wehr setzen und seine Umgebung ihn bis aufs Blut verteidigen.«

Anne warf einen vielsagenden Blick auf Lord Percy, den dieser verstand.

»Majestät«, bat dieser vor dem König niederkniend, »lasst mich der Überbringer Eures Befehls sein! Ich habe eine alte Schuld mit dem Kardinal abzurechnen!«

»Ha! Ihr, Lord Percy? Ja, bei allen Heiligen, Ihr seid der rechte Mann dazu! Ich darf sicher sein, dass Ihr uns treu bleibt. So beeilt Euch, sofort abzureisen, den Haftbefehl erhaltet Ihr von mir.«

»Das ist notwendig«, sagte Norfolk, »denn er wird keinem anderen Gebot gehorchen, als der wohlbekannten Unterschrift des Königs.«

 

Der Kardinal, den Sturm nicht ahnend, der gegen ihn heranzog, saß in seinem schönen, freundlichen Zimmer, in ein Andachtsbuch versunken, das er auf seinen Knien hielt. Es war früh am Morgen, eben fielen die ersten Sonnenstrahlen durch die hohen Erlen, welche das Fenster beschatteten. Obwohl noch schwach und von seiner schweren Krankheit kaum genesen, blieb er seiner alten Gewohnheit treu, die ersten Morgenstunden der Andacht zu widmen.

Da ertönte Pferdegetrappel auf dem Kiesboden des Gartens. Wolsey stand hastig auf, schaute durch das Fenster und wurde einer Schar bewaffneter Reiter gewahr, denen eine edle, hohe Gestalt voranritt. Eine frohe Hoffnung durchzuckte die Brust des Kardinals: Diese Reiter, sie kamen sicherlich im Auftrag des Königs.

Sie werden mich zu ihm bringen. Heinrich hat meine Verbannung bereut, Anne hat nachgegeben, dachte er.

Er ging selbst den Ankommenden entgegen, die abgestiegen waren und deren schwere Tritte nun auf der Wendeltreppe erdröhnten. Ein leutseliges »Willkommen« schwebte auf seinen Lippen, aber es verschwand, als er die trotzige, stolze Gestalt Percys erkannte.

»Auf Befehl Seiner Majestät gebieten wir Euch, uns zu folgen«, sagte Percy ohne weitere Zeremonien.

»Wohin?«

»Ihr sollt zum Tower gebracht werden, dort den ferneren Willen Seiner Majestät abwarten«, war die Antwort.

»Ihr lügt!«, rief Wolsey, alle Fassung bei diesen Worten verlierend. »Der König darf Euch keinen solchen Auftrag erteilen, Lord Northumberland.«

»Hier ist die königliche Unterschrift«, versetzte Percy, ein großes Schreiben aus seiner Brust ziehend und es dem verwirrten Kardinal hinhaltend.

Wolsey öffnete es und las die folgenden Worte: »Wir befehlen Euch, Kardinal Wolsey, dem Überbringer dieses zu gehorchen und Euch, als Staatsverräter, zum Tower führen zu lassen. Heinrich Lex.«

Der Kardinal hatte den Brief mit lauter Stimme gelesen, sodass seine Worte von den nachdrängenden Dienern gehört wurden.

Ein lauter Schrei der Entrüstung und des Schreckens folgte, und der einstimmige Ruf: »Wir leiden es nicht, Hochwürden, wir werden Euch mit dem Leben verteidigen, wir alle!«

»Meine Kinder«, sprach Wolsey, sich gefasst zu ihnen hinabbeugend, »ergebt Euch wie ich dem Befehl seiner Majestät. Gott wird über seinen gesalbten Diener Wache halten. Ihr, Lord Percy, gönnt Eurem ermüdeten Gefolge eine kleine Weile zur Ruhe und Erfrischung, während ich mich zur langen Reise bereite.«

»Unser Befehl lautet, schleunigst aufzubrechen«, sagte Percy, welcher einen Aufruhr im Dorf vermeiden wollte.

Aber Wolsey würdigte ihn keiner Antwort, sondern winkte seinen alten Diener heran und begab sich in sein Schlafgemach.

Händeringend und laut wehklagend liefen die bestürzten Diener untereinander im Schloss und im Dorf umher. Einige Stunden nur waren verflossen, als Wolsey, von einem Diener unterstützt, vor dem Haus erschien und sein Maultier bestieg. Aber schon stand eine stattliche Schar kräftiger Bauern mit Heugabeln, Äxten und Sensen vor dem Schloss aufgepflanzt. Ihre drohenden Blicke, ihre feste Haltung deuteten den Entschluss heftigen Widerstandes an.5

»Es lebe die Königin Katharina! Nieder mit der Buhlerin! Es lebe unser gütiger Wohltäter, Kardinal Wolsey.«

»Zurück!«. schrie Percy drohend mit gezücktem Schwert.

»Wir fürchten Euch nicht«, erwiderte ein riesiger Landmann höhnisch. »Ihr sollt unseren Herrn nicht entführen, so lange ein Mann in diesem Ort wohnt! Bringt die Metze, die verfluchte Boleyn, zum Tower. Zu mir, Kameraden! Tod den Schergen der ketzerischen Metze!«

Eine dunkle, wilde Glut übergoss Percys stolzes Antlitz bei diesem beschimpfenden Wort, die sein Ideal trafen. Schon erhob er das Schwert, dadurch das Zeichen zum Kampf zu geben. Da trat Wolsey mit Hoheit zwischen ihn und den mutigen Mann des Volkes und legte seine Hand kräftig auf Percys Arm.

»Haltet ein, Mylord! Lasst mich mit diesen braven Leuten reden. Glaubt mir, sie werden mehr auf meine Worte achten, als auf Eure Waffen.«

Percy senkte das erhobene Schwert, Wolsey aber breitete seine Arme segnend über seine treuen Anhänger, dankte ihnen für ihre Liebe, empfahl sich ihrem vereinigten Gebet und ermahnte sie, als gehorsame Untertanen des Königs geduldig ihn ziehen zu lassen.

»Ich werde wieder zu Euch zurückkehren, meine Lieben«, schloss er mit heiterer Miene. »Der König ist zu gerecht, um seinen treuesten Diener unschuldig zu verurteilen. Kehrt jetzt ruhig in Eure Hütten heim und wartet einer besseren Zukunft.«

Die trotzigen Männer senkten tief ergriffen die Waffen und die Blicke.

»Weil Ihr es befehlt, Hochwürden«, sagte der Anführer, »so geschehe es; aber nur, weil Ihr es verlangt!«

»Ich danke Euch!«, sagte Wolsey und reichte den Vordersten die Hände zum Kuss hin, grüßte freundlich die laut weinenden Frauen und Kinder und bestieg sein Maultier.

»Bindet ihm die Füße an den Steigbügel fest!«, gebot Percy, »damit der Verräter uns nicht entfliehe.«

»Ich bin dem Tod näher als dem Leben«, sagte Wolsey mit sanftem Vorwurfe, »doch tut, was Eures Amtes ist.«

Gefesselt und bewacht, wie der schwerste Verbrecher, zog er, von der jammernden Menge begleitet, zum Dorf hinaus.

Nachdem sie jedoch einige Stunden geritten waren, bemerkten die dem Gefangenen zur Seite Reitenden, dass das Haupt desselben plötzlich auf die Brust sank und die Zügel ihm entfielen.

Erschrocken hielt der Zug an. Man drängte sich um den ohnmächtig zusammengesunkenen Mann.

»Was fangen wir mit ihm an?«, fragte Percy verwirrt. »Wir haben noch eine Stunde bis zur Stadt Leicester.«

»Mit Verlaub, Mylord«, nahm ein junger Kavalier das Wort, »die Abtei draußen vor der Stadt liegt uns näher. Bis dahin müssen wir ihn auf seinem Tier halten und Schritt reiten, bis einer unserer Leute aus der Stadt eine Sänfte herbeigeschafft hat.«

Der Rat wurde befolgt. Ein Reiter jagte im gestreckten Galopp der Stadt zu, während man dem Gefangenen die Füße löste und ihm eine freie Bewegung gestattete. Nach einer kleinen Weile schlug Wolsey die Augen wieder auf und gab mit einer stummen Bewegung der Hand das Zeichen zum Weiterreiten.

Zögernd gehorchte man. Langsam, Schritt vor Schritt zog der Leichenzug vorwärts.

Endlich erschien eine Sänfte, aber Wolsey weigerte sich standhaft, dieselbe zu besteigen, und Lord Percy, durch diese Wendung der Sache völlig verwirrt und einigermaßen beschämt, ließ ihn gewähren.

Die Abtei war erreicht. Von Wolseys Ankunft durch den Soldaten benachrichtigt, stand der Abt an der Spitze seiner frommen Brüder im Hof, den vornehmen Gast würdig zu empfangen.

»Herr Abt, ich komme, meine Gebeine bei Euch zur ewigen Ruhe zu legen!«, sagte Wolsey. »Gönnt mir ein Lager in dieser stillen Wohnung.«6

»Mich und mein Haus lege ich dem hochgeschätzten Gast zu Füßen«, entgegnete der Abt und hielt dem Kardinal selbst den Steigbügel zum Absteigen.

Aber Wolsey musste von kräftigen Armen, willenlos wie ein Kind, von seinem Tier gehoben und auf sein Bett getragen werden.

Man wachte die ganze Nacht bei ihm. Gegen Morgen bat er, dass man Sir William Kingsdon, Gouverneur des Towers, welcher Percy begleitet hatte, zu ihm entbiete. Seinem Wunsche wurde willfahrt.

»Sir William«, bat der Sterbende mit matter Stimme, »wollt mich dem König empfehlen. Sagt ihm, dass ich im Tod wie im Leben ihm treu ergeben geblieben bin. Ich lege ihm meine Ungnade und meinen Tod nicht zur Last und danke dem Himmel, der mich vor fernerer Schmach bewahren will. Möge Gott meine sündhafte Seele in Gnaden aufnehmen.«

Die Stimme versagte ihm. Auf ein Zeichen des Abtes zog sich Kingsdon zurück.

»Er hat nur eine kurze Zeit auf Erden«, sagte dieser, »lasst ihn mit seinem Gott ungestört.«

Tiefe, feierliche Stille herrschte in dem heiligen Gebäude und eine ängstliche Spannung in der Stadt Leicester, wo sich die Kunde von des Kardinals Befinden mit Blitzesschnelle verbreitet hatte. Aber noch stiller wurde es schon nach einigen Stunden in der kleinen Zelle, wo der arme Gefangene ruhte.

Das heftig bewegte Herz stand still in dem gebrochenen Körper. Still war der rastlose Geist, dessen Pläne einst ganz Europa beunruhigten und dessen eiserne Energie und Gewandtheit Könige zu seinen Sklaven gemacht hatte. Nachdem er seine Beichte abgelegt und das heilige Sakrament empfangen hatte, war der gefürchtete Kardinal Wolsey sanft verschieden.

Soeben tönte die alte feierliche Klosterglocke, welche die Brüder und die Frommen zur Frühmette berief. Sie läutete heute ein feierliches Totenlied.

»Gott hat sich seiner erbarmt, und seine Buße gnädig angesehen«, sprach mit tiefer Bewegung der Abt zu Sir Kingsdon. »Der himmlische Richter droben wird die Fehler seines langen Lebens vergeben, denn er starb als Märtyrer einer heiligen Sache und als ein treuer Diener der Kirche Gottes.«

 

»Wolsey tot! Der Verräter uns entkommen!«, rief Anne bei der Nachricht ärgerlich und jubelnd zugleich aus. »Ah! Nun bin ich gerächt, endlich, endlich!«

»Hütet Euch, Eure Freude gar zu deutlich an den Tag zu legen«, antwortete Henry Wyatt der unvorsichtigen Schönen. »Seine Majestät möchten dieses übel deuten!«

»Wie, hat er nicht selbst ihn verurteilt?«

»Aber nicht aus freiem Antrieb«, entgegnete Wyatt ernst. »Anne, der Tod dieses Mannes belastet Eure Seele mit einer blutigen Schuld. Gott gebe, dass Ihr dieselbe nie bereuen möget. Der König liebt ihn noch und hat mit sichtbarem Schmerz die Nachricht seines Todes vernommen. Wolsey war ein großer Mann.«

»Ich muss Eurer alten Freundschaft viele Zungenfreiheit gestatten, Wyatt«, erwiderte Anne, indem sie sich mit beleidigter Miene von ihm abwandte.

»Die wahre Freundschaft hat das Recht, offen zu reden und zu warnen«, sagte Wyatt. »Auch Euer Zürnen wird mich nicht daran hindern.«

Anne wandte sich zu Lord Percy, welcher stumm an der Seite stand. Es lag ein herber Schmerz in seinen edlen, stolzen Zügen, der Anne unwillkürlich fesselte.

»Bedauert Ihr ebenso sehr den Tod des großen Mannes?«, fragte sie diesen halb spöttisch, halb zärtlich. »Ich denke, Ihr, Mylord, würdet wenigstens meine Gefühle achten.«

»Ich bedaure, Lady Anne, dass ich die Hand zu dem Henkersdienst bot«, sprach Percy sehr ernst und feierlich, »umso mehr, da ich an seinem Totenbette erst erfuhr, dass er unsere Trennung nur auf Befehl des Königs vollzog.«

»Beweise! Beweise!«, rief Anne mit erbleichender Wange und mit aufgerissenen Augen. »Es kann nicht sein!«

»Und doch verhält es sich so«, erwiderte Percy, »der Abt teilte mir das Geheimnis nach Wolseys Tod mit. Der Kranke hatte ihm die Erlaubnis hierzu in der letzten Beichte gegeben.«

»O, meine Ahnung!«, seufzte Wyatt wehmütig.

Alle Drei schwiegen, jeder in seine Gedanken versunken. Anne brach zuerst das Schweigen.

»Und jetzt, jetzt werdet Ihr ihn rechtfertigen, Mylord.«

»Dann müsste ich Euch verurteilen, Lady Anne«, entgegnete Percy mit scharfer Stimme, »und die Rolle enthüllen, welche meine Braut in jener Sache spielte, denn Ihr müsst schon um die Liebe des Königs gewusst und mich darum aufgegeben haben.«

»Nein, so wahr ich einst selig zu werden hoffe!«, rief Anne aus. »Nein, sage ich Euch! Der Schmerz um unsere Trennung brach mir fast das Herz. Nur um mich an dem vermeintlichen Urheber meines Unglücks zu rächen, folgte ich dem König.«

»Ich will Euren Worten Glauben schenken, Lady Anne, um meiner eigenen Ehre willen. Nun aber geruht mich zu entlassen.«

»Wie? Ihr wollt mich wieder verlassen?«, rief Anne bestürzt aus, »jetzt, wo ich treuer Freunde bedarf.«

»Ihr besitzt zwei mächtige Verbündete in Eurer eigenen Liebenswürdigkeit und Anmut, Lady Anne. Ihr bedürft meiner jetzt nicht, darum kehre ich heim in meine freudlose Einsamkeit. Ich mag dem König nicht mehr begegnen, und …« Er hielt inne, unschlüssig, ob er weiterreden dürfe.

»Und … und was noch?«, fragte Anne.

»Ich habe Worte auf der letzten Reise vernommen, die meine Brust wie glühende Pfeile durchbohrt haben, Worte, die mein reines Ideal der Liebe, das Ideal meines jungen Herzens in den Staub werfen und es beschmutzen. Erlasst mir jede fernere Aufklärung, Lady Anne. Ich will fort von hier und von dem schönen Bild träumen, das einst mit züchtig verschämten Wangen mich liebte.«

»Percy, Ihr verachtet mich?«, rief Anne, dem Weinen nahe.

»Kein Wort mehr darüber!«, bat Percy, sie mit der Hand abwehrend. »Wenn jemals eine Stunde kommt, wo Ihr eines treuen Freundes bedürft, gedenkt meiner. Gebietet über mich und mein Haus. Lebt wohl, Lady Anne. Gott beschütze Euch!«

Er wandte sich rasch ab und verließ das Gemach.

»Wyatt, folge ihm«, bat Anne dringend. »O, lass ihn nicht so von mir scheiden, rede mit ihm, verteidige mich!«

Wyatt eilte dem Lord nach. Er traf ihn noch in einem der Vorzimmer und legte den Arm in den seinen.

»Ihr beurteilt Anne zu scharf, Mylord«, sagte er, aber seine eigene Stimme bebte und sein Auge war düster. »Als Eure ehemalige Braut hat sie Ansprüche auf Eure Achtung.«

»Als meine Braut liebe ich sie noch und werde es mein Leben lang tun«, sagte Percy düster, »aber die Geliebte eines Königs, die verachtete Buhlerin hat keinen Anspruch mehr an das Herz eines Edelmannes zu stellen, Sir Henry.«

»Das ist sie nicht«, beteuerte Wyatt, »ich setze darauf mein ritterliches Wort zum Pfand. Glaubt Ihr, ich würde jetzt hier stehen und für sie bitten, wenn es der Fall wäre?«

»Auch der böse Schein entehrt ein tugendsames Weib«, sagte Percy. »Der Titel der königlichen Braut schützt sie vor Beschimpfung nicht, noch wird die schwer erkaufte Krone ihren befleckten Namen bei der Nachwelt reinigen. O, Wyatt, ich habe gehört, wie das wütende, empörte Volk sie, die ich einst so innig liebte, sie wie ein heiliges Bild verehrte, als die königliche Metze beschimpfte. Diese Schmach werde ich nie vergessen! Mein Leben hätte ich willig hingegeben, um dieses furchtbare Wort nicht gehört zu haben!«

Wyatt erwiderte nichts. Schweigend durchschritten sie die Gemächer und erreichten das Portal.

»Hier müssen wir uns trennen«, sagte Lord Percy und drückte dem Freund die Hand. »Entschuldigt meine rasche Abreise bei Seiner Majestät, so gut Ihr es vermögt. Werdet Ihr London auch verlassen?«

»Nein«, erwiderte Wyatt schmerzlich. »Ich werde noch hierbleiben, bis Annes Schicksal sich endlich entscheidet. Der Aufenthalt ist mir nicht minder schmerzlich als Euch, Mylord, aber ich bin es Anne schuldig, denn ich gelobte ihr einst unverbrüchliche Treue. Mag sie fehlen; ich kann sie nicht rechtfertigen, aber mein Wort halte ich ihr. In der zweideutigen, schlüpfrigen Lage, in welcher sie sich befindet, bedarf sie eines ergebenen Rates und nötigenfalls, bei ihrer Unvorsichtigkeit, eines Beschützers. Ist sie einst glücklich am Ziel, dann braucht mich die Königin von England nicht.«

Percy nickte ihm beifällig mit dem Haupt zu, drückte ihm nochmals die Hand, und dann schieden sie.

Anne erwartete mit Ungeduld Percys Rückkehr. Als sie jedoch erfuhr, dass er abreisen werde, unterdrückte sie ihren beleidigten Stolz und rief gleichgültig aus: »Nun, so lassen wir ihn ziehen. Ich brauche den Trotzkopf nicht zu meinem Glück. Bleibt mir doch Henry getreu«, fügte sie mit sanftem Lächeln hinzu, indem sie ihm die Hand reichte.

»Treu wie Euer Schatten«, sagte dieser, ihre Hand küssend, »hart, aber rein wie dieser Edelstein, der Eure zarte Hand schmückt, wird die wahre Freundschaft allen Stürmen Trotz bieten.«

Show 6 footnotes

  1. Tatsächlich
  2. Ein Schloss, zwei Stunden von London an der Themse gelegen und von Wolsey erbaut
  3. Annes eigene Worte
  4. Geschichtlich
  5. Diese ganze Szene ist geschichtlich.
  6. Seine eigenen Worte