Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die drei Musketiere 25

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
4. bis 6. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

IX.

Porthos

Statt sich unmittelbar nach Hause zu begeben, stieg d’Artagnan vor der Villa des Monsieurs de Tréville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit. Indem Monsieur de Tréville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.

Monsieur de Tréville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernst an, woraus hervorging, dass er in diesem ganzen Abenteuer etwas anderes sah, als eine Liebesintrigue.

Als d’Artagnan vollendet hatte, sagte er: »Hm! Das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«

»Aber was ist zu tun?«, fragte d’Artagnan.

»Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell wie möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände vom Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mitteilen. Diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlasst Euch auf mich.«

D’Artagnan wusste, dass Monsieur de Tréville, obwohl Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und dass er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft. Der würdige Capitaine, der eine lebhafte Teilnahme für diesen so mutigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.

Entschlossen, sogleich den Rat des Monsieurs de Tréville in Ausführung zu bringen, wanderte d’Artagnan zur Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Monsieur Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Tür stand. D’Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirtes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d’Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Tränen wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske. So gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.

D’Artagnan kam es also vor, als ob Monsieur Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.

Überwältigt vom Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Monsieur Bonacieux, wie am Tage zuvor, d’Artagnan anrief.

»Ei! ei! Junger Mann«, sprach er, »es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen und kommt nach Hause, wenn andere ausgehen.«

»Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glück nicht nachzulaufen. Das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Monsieur Bonacieux?«

Bonacieux wurde bleich wie der Tod und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.

»Ah! Ah!«, sprach Bonacieux, »Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Monsieur? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«

D’Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Schlamm bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers. Man hätte in der Tat glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden. An dem einen als auch an dem anderen zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.

Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d’Artagnans Geist. Der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Eskorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.

D’Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln. Allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Inneren vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, dass Bonacieux darüber in Schrecken geriet und einen Schritt zurückzuweichen versuchte. Er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Türflügel. Dieses materielle Hindernis, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.

»Ei! Ei! Ihr spaßt, mein guter Monsieur«, sagte d’Artagnan, »mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«

»Ach! Mein Gott, nein«, sagte Bonacieux, »aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich notwendig eine solche dingen muss. Da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«

Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d’Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.

Diese Vermutung gereichte ihm zum ersten Trost. Wusste Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzutun und sein Geheimnis zu verraten. Man musste diese Vermutung in Gewissheit verwandeln.

»Ich bitte um Vergebung, mein lieber Monsieur Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre«, sprach d’Artagnan, »aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben. Und mich plagt ein wütender Durst. Erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wisst, Nachbarn verweigern das einander nicht.«

Ohne die Antwort seines Wirtes abzuwarten, trat d’Artagnan rasch in das Haus ein und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.

»Ich danke, Meister Bonacieux«, sagte d’Artagnan sein Glas leerend, »das war alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen. Ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, dass er Eure Schuhe bürstet.«

Er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgendeine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.

Oben auf der Treppe fand d’Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.

»Ah! Gnädiger Monsieur«, rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt, »endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!«

»Was gibt es denn?«

»Oh! Ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Monsieur, gegen eins, dass Ihr den Besuch nicht erratet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.«

»Wann?«

»Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Monsieur de Tréville wart.«

»Wer ist denn hier gewesen? Sprich.«

»Monsieur von Cavois.«

»Monsieur von Cavois?«

»In eigener Person.«

»Der Capitaine der Leibwachen Seiner Eminenz?«

»Er selbst.«

»Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?«

»Ich habe es vermutet, trotz seiner freundlichen Miene.

»Er sah freundlich aus, sagst du?«

»Er war ganz Honig, gnädiger Monsieur.«

»Wirklich?«

»Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.«

»Und du hast ihm geantwortet?«

»Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer Haus befändet, wie er selbst sehen könne.«

»Was sagte er hierauf?«

»Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen. Dann fügte er noch ganz leise bei: Sage deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.«

»Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt«, versetzte der junge Mann lächelnd.

»Ich habe die Falle auch gesehen und erwiderte, Ihr würdet bei Eurer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.«

›Wohin ist er gegangen?‹, fragte Monsieur von Cavois.

›Nach Troyes in der Champagne‹, antwortete ich.

›Und wann ist er abgereist?‹

›Gestern Abend.‹

»Planchet, mein Freund«, unterbrach ihn d’Artagnan, »Du bist in der Tat ein herrlicher Bursche.«

»Ich dachte natürlich, wenn Ihr Monsieur von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habt keine Reise unternommen. Ich hätte in diesem Fall gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.«

»Sei unbesorgt. Du sollst deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten. In einer Viertelstunde reisen wir.«

»Diesen Rat wollte ich eben dem gnädigen Monsieur geben. Wohin gehen wir? Das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.«

»Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie wir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.«

»Oh! Gewiss! Gnädiger Monsieur«, erwiderte Planchet, »und ich reise, wann Ihr wollt. Die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also …«

»Schnüre deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts. Ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Palais der Garden ein. Doch – beiläufig gesagt – du hattest recht in Beziehung auf unseren Wirt. Das ist offenbar eine schändliche Kanaille.«

»Oh! Glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage. Ich bin ein Physiognomiker, ich!«

D’Artagnan ging verabredetermaßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal zur Wohnung seiner drei Freunde. Man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten. Nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelgangen. D’Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten danach traf Planchet mit ihm in den Ställen des Palais der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d’Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.

»Gut so«, sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte, »nun sattle auch die drei anderen Pferde und dann vorwärts.«

»Glaubt Ihr, dass wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?«, fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.

»Nein, nein, schlechter Spaßvogel«, antwortete d’Artagnan, »aber mit unseren vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«

»Das wäre ein großes Glück«, sprach Planchet, »aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht zweifeln.«

»Amen«, rief d’Artagnan und stieg zu Pferd.

Beide verließen das Palais der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der eine, um den Weg durch die Barriere de la Villete zu nehmen, der andere, um durch die Barriere Montmartre zu reiten. Jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wieder zusammenfinden – ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D’Artagnan und Planchet ritten also miteinander in Pierresitte ein.

Planchet war allerdings mutiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete, Feinde zu erblicken. Demzufolge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise vonseiten d’Artagnan’s zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Übermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stand ansehen.

Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal niemand am Weg des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt, unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgendeinen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthaus Zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.

Der Wirt trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Tür, als er einen jungen Mann mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d’Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos im Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß mit der Tür ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden war. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d’Artagnan ab, ohne sich nach irgendjemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte vom Wirt eine Flasche von seinem besten Wein und ein Frühstück, so gut, wie man es haben könne. Dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.

D’Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs. Von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, musste also d’Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirt wollte ihn selbst bedienen. Als d’Artagnan dies sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an.

»Meiner Treu, mein lieber Wirt«, sprach d’Artagnan, die zwei Gläser füllend, »ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müsst, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und lasst uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.«

»Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre«, sprach der Wirt, »und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.«

»Täuscht Euch nicht«, sprach d’Artagnan, »es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme. In denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirtes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, dass es allen Gastgebern wohl erginge.«

»In der Tat«, sprach der Wirth, »es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, dass ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.«

»Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, dass einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit geriet, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.«

»Ah, ja, wahrhaftig!«, sprach der Wirth. »Eure Herrlichkeit meint wohl Monsieur Porthos?«

»Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! Mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?«

»Eure Herrlichkeit muss wohl wahrgenommen haben, dass er seine Reise nicht fortsetzen konnte.«

»In der Tat, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.«

»Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.«

»Wie? Er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?«

»Ja, gnädiger Monsieur, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.«

»Worüber?«

»Über gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.«

»Gut! Aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.«

»Ah, gnädiger Monsieur, Ihr gießt mir in der Tat Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Monsieur Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.«

»Porthos ist also verwundet?«

»Ich wüsste es Euch nicht zu sagen, gnädiger Monsieur.«

»Wie, Ihr wüsstet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgendjemand.«

»Ja, aber wir in unserem Stand sagen nicht alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, dass unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.«

»Kann ich Porthos sehen?«

»Gewiss, gnädiger Monsieur, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stock an Nr. 1. Nur tut ihm kund, dass Ihr es seid.«

»Wie, ich soll ihm kundtun, dass ich es bin?«

»Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.«

»Und welches Unglück soll mir widerfahren?«

»Monsieur Porthos könnte Euch für jemand aus dem Haus halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.«

»Was habt Ihr ihm denn getan?«

»Wir haben Geld von ihm gefordert!«

»Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist. Aber ich weiß, dass er dies sein sollte.«

»Das haben wir auch gedacht, gnädiger Monsieur. Da in diesem Haus große Ordnung herrscht und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note. Aber es scheint, wir hatten hierzu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln. Allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.«

»Wie, er hatte gespielt, und mit wem?«

»O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.«

»Das ist es, der Unglückliche wird wohl alles verloren haben.«

»Bis auf sein Pferd, gnädiger Monsieur, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, dass er das Pferd des Monsieur Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiderte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Monsieur Porthos von dem Vorfall in Kenntnis setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, dass wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten. Da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.«

»Daran erkenne ich ihn«, murmelte d’Artagnan.

»Darauf ließ ich ihm sagen«, fuhr der Wirth fort, »wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, dass er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirt Zum goldenen Adler, zuzuwenden. Aber Monsieur Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als dass ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also bloß, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Kabinett im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiderte Monsieur Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, dass das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obwohl ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Diskussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, dass er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen in einen anderen Gasthof oder im Inneren des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Monsieur, betritt außer seinem Bedienten niemand mehr sein Zimmer.«

»Mousqueton ist also hier?«

»Ja, gnädiger Monsieur. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Monsieur und kehrt für diesen das Unterste zu oberst. Da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er alles, was er braucht, ohne zu fordern.«

»Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen«, erwiderte d’Artagnan.

»Das ist möglich, gnädiger Monsieur, aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahr mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.«

»Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.«

»Hm«, murmelte der Wirt mit zweifelhaftem Ton.

»Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.«

»Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke …«

»Was denkt Ihr hierüber?«

»Ich dürfte sogar sagen, was ich hierüber weiß.«

»Was Ihr wisst?«

»Und sogar was ich ganz gewiss weiß.«

»Und was wisst Ihr gewiss? Lasst hören!«

»Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.«

»Ihr?«

»Ja, ich.«

»Und woher kennt Ihr sie?«

»O, gnädiger Monsieur, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte …«

»Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.«

»Wohl, gnädiger Monsieur. Ihr begreift, dass die Besorgnis zu allerhand Dingen leitet.«

»Was habt Ihr gemacht?«

»Oh! Nichts, was nicht in der Befugnis eines Gläubigers läge.«

»Nun?«

»Monsieur Porthos übergab uns ein Billett für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mussten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.«

»Weiter?«

»Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benutzten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unseren Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dies hieß den Absichten von Monsieur Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?«

»Ungefähr.«

»Nun, gnädiger Monsieur, wisst Ihr, wer diese große Dame ist?«

»Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.«

»Wisst Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?«

»Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.«

»Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Monsieur, Madame Coquenard. Sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor – eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!«

»Woher wisst Ihr dies?«

»Weil sie in gewaltigen Zorn geriet, als sie den Brief empfing, und sagte, Monsieur Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgendeiner Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.«

»Er hat also einen Degenstich bekommen?«

»Ah! Mein Gott! was habe ich da gesagt?«

»Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.«

»Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.«

»Warum dies?«

»Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streit zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegenteil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Monsieur Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er niemand zugestehen, dass er einen Degenstich erhalten hat.«

»Also hält ihn ein Degenstich im Bett zurück?«

»Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muss mit Pflöcken im Körper befestigt sein.«

»Ihr wart also dabei?«

»Gnädiger Monsieur, ich folgte ihnen aus Neugierde und sah den Kampf, ohne dass die Kämpfenden mich sehen konnten.«

»Und wie ging es dabei zu?«

»Oh! Die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, dass Monsieur Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel. Aber als sich Monsieur Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden. Der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen. Als er erfuhr, dass er Monsieur Porthos und nicht Monsieur d’Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zur Villa, stieg zu Pferd und verschwand.«

»Also wollte der Fremde Monsieurn d’Artagnan an den Leib gehen?«

»Es scheint so.«

»Und wisst Ihr, was aus ihm geworden ist?«

»Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblick nicht gesehen. Er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.«

»Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?«

»Ja, gnädiger Monsieur, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermieten Gelegenheit gehabt hätte.«

»Bah, beruhigt Euch«, sprach d’Artagnan lachend, »Porthos wird Euch mit dem Geld der Herzogin Coquenard bezahlen.«

»O gnädiger Monsieur, Prokuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Monsieur Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Sou schicken.«

»Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gast wieder mitgeteilt?«

»Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.«

»Also wartet er immer noch auf sein Geld?«

»O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber diesmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.«

»Und Ihr sagt, die Person sei alt und hässlich?«

»Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Monsieur, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.«

»Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Überdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.«

»Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O, er versagt sich nicht das Geringste, man sieht, dass er gut zu leben gewohnt ist.«

»Wenn ihn seine Geliebte auch verlässt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirt, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.«

»Der gnädige Monsieur hat mir versprochen, den Mund über die Prokuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen?«

»Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.«

»Oh, er würde mich sicherlich umbringen!«

»Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig, wie er aussieht.«

Sofort stieg d’Artagnan die Treppe hinauf, der Wirt aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.

Oben an der Treppe war an die augenfälligste Tür der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben. D’Artagnan klopfte an und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.

Porthos lag im Bett und spielte zum Zeitvertreib eine Partie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Glutpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.

Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei. Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Glutpfannen, um einen Blick in die Kasserole zu werfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.

»Ah, bei Gott, Ihr seid es«, sprach Porthos zu d’Artagnan. »Seid mir willkommen und entschuldigt, dass ich Euch nicht entgegengehe. Aber«, fügte er bei und schaute d’Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an. »Ihr wisst, was mir begegnet ist?«

»Nein.«

»Der Wirt hat Euch nichts gesagt?«

»Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«

Porthos schien freier zu atmen.

»Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?«, fuhr d’Artagnan fort.

»Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.«

»Wirklich?«

»Auf Ehre! Zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn tot auf dem Platz gelassen, dafür stehe ich Euch.«

»Und was ist aus ihm geworden?«

»Oh! Ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d’Artagnan, was ist Euch begegnet?«

»Also«, fuhr d’Artagnan fort, »also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?«

»Ach! Mein Gott, ja, nichts anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.«

»Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportieren lassen, Ihr müsst Euch hier schrecklich langweilen?«

»Es war meine Absicht, doch ich muss Euch etwas gestehen.«

»Was?«

»Gerade, weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünfundsiebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zuteiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünfundsiebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seine über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d’Artagnan?«

»Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein«, sagte d’Artagnan. Ihr kennt das Sprichwort Unglück im Spiel, Glück in der Liebe! Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als dass sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Eure Herzogin, die Euch notwendig zu Hilfe kommen muss?«

»Seht, mein lieber d’Artagnan, wie alles gegenwärtig bei mir schiefgeht«, antwortete Porthos mit der freimütigsten Miene von der Welt. »Ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd’or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.«

»Nun?«

»Nun! Sie muss auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!«

»Wahrhaftig!«

»Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu, aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, dass ich über Euch unruhig zu werden anfing.«

»Doch Euer Wirt benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos«, sprach d’Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen.

»So, so!«, erwiderte Porthos. »Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Tür hinaus, sodass ich hier wie eine Art von Sieger wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff auf meine Stellung fürchten muss.«

»Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen«, sprach d’Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole.

»Nein, leider nicht ich«, sagte Porthos. »Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund«, fuhr Porthos fort, »Ihr seht, dass wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Viktualien.«

»Mousqueton«, sprach d’Artagnan, »Du musst mir einen Gefallen tun.«

»Welchen, gnädiger Monsieur?«

»Du musst mir dein Rezept für Planchet geben. Ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leidtun, wenn ich nicht dieselben Vorteile genöße, mit denen du deinen Herrn erfreust.«

»Ei, mein Gott, gnädiger Monsieur«, sprach Mousqueton mit bescheidener Miene, »nichts leichter auf der Welt. Man muss nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.«

»Und was machte er die übrige Zeit?«

»Gnädiger Monsieur, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.«

»Welches?«

»Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten, alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begrenzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Inneren die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endete, dass ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, dass er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfasst fühlte, dass er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, Monsieur, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«

»Und wie hat dieser würdige Mann geendet?«, fragte d’Artagnan.

»Oh! Auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Monsieur. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit beiden zu tun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baum auf. Dann kamen sie in das Wirtshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.«

»Und was tatet Ihr?« sprach d’Artagnan.

»Wir ließen sie reden«, erwiderte Mousqueton. »Da sie jedoch, als sie das Wirtshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Weg des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war alles vorbei. Wir hatten mit jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer anderen Religion erziehen zu lassen.«

»In der Tat, Mousqueton, dein Vater scheint, wie du behauptest, ein sehr gescheiter Bursche gewesen sein. Und du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?«

»Ja, gnädiger Monsieur, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, dass uns unser Schurke von einem Wirt mit Massen von schwer verdaulichem Fleisch, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Wald spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel. Während ich am Rand des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank, jnun nichts mehr, wie sich der gnädige Monsieur selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.«

»Aber den Wein«, sprach d’Artagnan, »wer liefert den Wein? Euer Wirt?«

»Das heißt: ja und nein.«

»Wie, ja und nein?«

»Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, dass er diese Ehre hat.«

»Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.«

»So hört, gnädiger Monsieur: Der Zufall wollte, dass ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, die viele Länder und unter anderem auch die Neue Welt gesehen hatte.«

»In welchem Zusammenhang kann die Neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?«

»Geduld, gnädiger Monsieur, alles zu seiner Zeit.«

»Das ist richtig, Mousqueton, fahre fort, ich höre.«

»Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienst, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann und wir knüpften umso leichter ein freundschaftliches Verhältnis an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten beide ganz besonders die Jagd. Er erzählte mir, wie die Eingeborenen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Tieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, dass man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich musste die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf fasste er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute das Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgendein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirt hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun das Lasso. Da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Monsieur, steht die Neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unseren Wein kosten und uns ohne Vorurteil sagen, was ihr davon denkt?«

»Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.«

»Gut«, sprach Porthos, »stelle den Tisch hierher, Mousqueton. Während wir frühstücken, wird uns d’Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.«

»Sehr gerne«, erwiederte d’Artagnan.

Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d’Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben musste, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d’Artagnan, um England zu erreichen, genötigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.

Damit endeten die Mitteilungen d’Artagnans. Er sprach nur noch davon, dass er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn und ein anderes für jeden von seinen Gefährten. Dann schloss er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.

In diesem Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.

Da d’Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war und es ihn drängte, auch von seinen zwei anderen Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Haus Zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.

Porthos erwiderte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben. Überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.

D’Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousquetons, bezahlte dem Wirt seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.