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Die Gespenster – Zweiter Teil – Siebenunddreißigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Siebenunddreißigste Erzählung

Generalleutnant von Pennavaire exerziert einen Kobold und eine Koboldine.

Als der Königlich Preußischen Generalleutnant von Pennavaire, der als Chef des Leib-Carabinier-Regiments im Jahre 1759, verwundet, bei Breslau starb, noch im Leib-Kürassier-Regiment diente, machte er einst im Standquartier die Bekanntschaft eines Koboldpaares. Folgende zuverlässige Nachricht hiervon ist umso merkwürdiger, je deutlicher sie erweist, dass die Gespenster auch Frauen nehmen.

Herr von Pennavaire, ich glaube, er war damals noch Major, klingelte einst des Morgens früh seinem Bedienten. Dieser blieb lange aus und erschien endlich in einer Art von Fieberhitze. Auf die Frage, warum er so spät und nicht auf den ersten Wink gekommen sei, gab er zur Antwort, dass eine Kobolderscheinung ihm beinahe den Tod zugezogen habe. Dieser Kobold war ihm, nach seiner Erzählung, den Abend vorher, da er einen Sattel habe vom Hausboden holen wollen, bald groß, bald klein und mit Flammenaugen erschienen. Auch habe das Ungeheuer ihn gepackt, als wolle es ihn zermalmen. In der Tat beurkundeten diesen Umstand die blauen Flecke seiner Arme. Zwar habe er versucht, sich seiner Haut zu wehren, allein gegen ein so fruchtbares Wesen, meinte er, sei doch jeder Widerstand töricht und übel angewandt.

Bisher hatte der Deutschfranzose ruhig zugehört, nun aber begann er lächelnd in seiner Art sich gemeinen Leuten verständlich zu machen:

Major: Oehre (höre) mal, Jean! Du sei sik ein Quaddeltet (Quasselkopf) in dein Tet is sik spukig oder du parliere püre Unwareit. Abe sik in mein Quartier noch keine Spuker keabt. Du abe kestern zu viel kesoffe, und da abe du dumm Dink keträumt.

Johann: Herr Obristwachtmelster nehmen nicht für ungut, ich war so munter und so nüchtern, wie Ihr Gnaden immer zu sein pflegen.

Major: A, Schuck! Alt dein Maul! Bin sik auk wohl mal bedudelt; aber erzäl sik weiter.

Johann: (seinen blaufleckigenArm zeigend) Sehen Sie hier, dass ich auch nicht geträumt habe, sondern wirklich handgemein mit dem Kobold gewesen bin.

Major: Is sik dumm Dink … is sik eine Spenst, so kann sik nick kneife … eine Spenst at sik keine Fleiß und Bein … will sik kneifen, muss sik auk Körper abe.

Johann verstand sich nicht auf diese Schlussfolgerungen oder vertraute ihnen doch weniger als seinen Sinnen, die ihn zu bleibend von dem Dasein eines kneifenden Unholds überzeugt hatten. Auch berief er sich auf des Kutschers Zeugnis, dass es auf dem Boden wirklich umgehe. Dieser, ein beherzter Kerl, der auf Befehl seines Herrn, dem Fürsten der Hölle selbst auf die Zähne gefühlt haben würde, versicherte, dass an dem Dasein eines Hauskobolds, der sich groß und klein machen könne, allerdings nicht zu zweifeln sei. Er kenne ihn, fürchte ihn indessen nicht, weil er bisher wenigstens noch nicht von ihm gepackt und gekniffen worden sei.

Der Major wurde bei dieser Äußerung auf seine furchtsamen und abergläubigen Leute ungehalten und meinte, »dass er die Kobolddeubel, die sik grand und petit macke, in seine Aus (Haus) nit dulde könne, und in die Oelle (Hölle) zurückjagen wolle«.

In der Tat war dies umso mehr seine ernstliche Willensmeinung, da er ziemlich ungnädig vernahm, dass die Sage von seinem Hauskobold sich schon im ganzen Garnisonort verbreitet und, was gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, auf wunderliche Weise vergrößert hatte.

Der entschlossene Major ging zu einer Tageszeit, wo der Kobold gewöhnlich sein Wesen trieb, ganz im Stillen mit zwei geladenen Pistolen auf den Spukboden und fand wirklich, was er zu finden wünschte. Furchtbar saß in einem finsteren Winkel hinter dem Schornstein eine weiße Schreckensgestalt. Unser Held glaubte nur so viel mit Gewissheit von ihr zu erkennen, dass sie kein menschliches Wesen sei, weil sie sitzend schon größer war als der Flügelmann seiner Kompanie.

»A, sei sik kewis Monsieur Kobold, komm sik man er (her)!«

Die Gestalt fand nicht für gut, dem Befehl Folge zu leisten, aber der Major wusste seiner Willensmeinung durch den Zusatz, dass er sonst sein Pistol auf sie abdrücken werde, Nachdruck zu verschaffen. Sie hatte kaum den Ernst des Majors bemerkt und die drohend wiederholte Aufforderung, aus dem finsteren Winkel in das Tageslicht hervorzutreten, vernommen. So sprang sie hervor und versuchte, dem Major durch die Flucht zu entschlüpfen. Das ihr zugerufene Alt! Oder ik schieß! brachte sie indessen bald wieder zum Stehen. »Nun öre, Monsieur Kobold, mak sik mal grand!«

Die Riesengestalt machte sich noch ungeheurer.

Jedoch auch dies geschah erst, wie es hieß: »Mak sik nit grand, so schieß ik dik über den Auf!« (Haufen)

Es versteht sich, dass nachher auch die Reihe an das Petitmachen kam. Dies abwechselnde Kommando wurde nach Herzenslust wiederholt, denn der Major war ein viel zu guter Offizier. Er meinte lächelnd: »Is sik doch eine komike Spenst … kann sik grand und petit maken … nun will sik auk derb exerzieren.«

Währenddessen schimmerte dem Exerziermeister noch etwas Koboldartiges aus dem finsteren Schornsteinwinkel entgegen.

»Alt!«, rief er daher plötzlich, »wo Monsieur Kobold is, da is sik auk wohl Madame Koboldine.«

In der Tat verhielt es sich so. Die in ein weißes Laken gehüllte Koboldine musste nun ebenfalls vortreten. Und da auch sie sich auf das Grand und Petitmachen verstand, tüchtig nachexerzieren. Unter ihrer Hülle war eine der Hausjungfern verborgen, deren hiesige Zusammenkünfte mit des Majors Kutscher die natürliche Folge hatten, dass die Welt nach neun Monaten mit einem Petitkobold beschenkt wurde.