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Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 14

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Die Pferde ohne Kopf
oder
Der Potsdamer Leichenwagen

Potsdam, der ehemalige Sitz eines großen Philosophen, – wem fällt hier nicht Preußens Friedrich nicht ein! – Potsdam ist die Bühne, auf der unsere Pferde ohne Kopf auftreten und ihre Rolle spielen. Allerdings ein offenbarer Beweis, dass der Unverstand dem größten Philosophen Trotz biete und neben und um den Philosophen sicher einhergehe.

Die Einwohner der Stadt erzählten sich nachstehende Geschichte als ausgemachte Wahrheit.

Vor vielen, vielen Jahren, in Zeiten, wo noch Glaube, Gottesfurcht und Frömmigkeit unter den Menschen wohnten, wo noch Aufklärung und Philosophie die Länder nicht verpestet hatten, in jenen Zeiten sahen viele unserer Mitbürger, denen Religion noch teuer war und am Herzen lag, des Nachts einen Leichenwagen Straße auf und Straße niederfahren, den Pferde zogen, denen die Köpfe mangelten. So wie es von jeher unter dem Weizen Unkraut gibt und oft die beste Herde ein räudiges Schaf enthält, ebenso gab es auch schon damals Ungläubige unter den Gläubigen, Kinder der Finsternis unter den Kindern des Lichts.

Ein solcher nun, stolz und pochend auf eingebildeten Verstand, klüger und einsehender sein wollend denn Bürger und Meister der Stadt, leugnete die Wahrheit der schauerlichen Geschichte mit den Pferden ohne Kopf und behauptete geradezu, dass die Sache, natürlich betrachtet, unmöglich sei, Gott dergleichen Possen nicht wirke und der Teufel von Gott nicht geschickt werde, als Popanz die Menschen zu schrecken. Bürger und Meister der Stadt müssten also entweder träumen, am hitzigen Fieber krank liegen, verrückt oder betrunken sein, wenn sie diese Equipage gesehen haben wollen.

Doch die verdiente Strafe blieb dem Ungläubigen, dem Frevler, dem Lästerer, dem Heiden und Publikan nicht aus.

Hört, was geschah!

Der Freche hatte einen Diener aufgenommen, der schon mehrmas die Pferde ohne Kopf gesehen habe. Dieser versicherte seinen Herrn, dass es sich so und nicht anders verhalte. Der Herr lachte und nannte die gute, fromme Seele einen Dummkopf, einen Unwissenden, einen Toren usw. Der Diener wollte seinen Herrn überzeugen und wartete mit Sehnsucht jede Nacht am Fenster, bis Pferd und Wagen kommen würden. Schon wollte die Geduld des Mannes brechen, als plötzlich die Räder des Leichenwagens auf dem Pflaster der Straße rasselten. Eilig lief nun der frohe Diener zum Herrn in die Stube, der soeben in einem freigeistlichen Buch las, und zog ihn ans Fenster. Dieser öffnete die Flügel und schaute lachend durch das Fenster auf die Straße und sah wirklich den Wagen und die Pferde, die keine Köpfe hatten. Schnell wollte er sich zurückziehen, aber die strafende Hand des Himmels hielt ihn zurück! Sein Kopf war dergestalt angeschwollen, dass er sich zurückzuziehen nicht vermochte. Ein Maurer musste kommen und das Fenster erweitern, um den Gottlosen vom Tode zu erretten.

So erzählten es die Bürger und Meister zu Potsdam und schwören auf die Wahrheit der Erzählung die Bürger und Meister zu Potsdam.

Erklärung:

Der Erste, der diese Geschichte erdacht hatte, war, wie der Ungläubige richtig von denen, die den Wagen späterhin gesehen haben wollen, bemerkte, entweder ein Träumer, ein hitzig Kranker, ein Verrückter, ein Betrunkener, oder – setze ich hinzu – ein lustiger Kopf, oder, was das Schlimmste und nicht Unwahrscheinlichste ist, ein Betrüger im eigentlichen Verstand des Wortes, der seine Absichten gehabt haben mochte, eine solche Lüge unter das Volk zu bringen, welches eben in jenen frommen, gottesfürchtigen Zeiten nichts Ungewöhnliches war.

Dem sei nun, wie ihm wolle, dieser Fälle einer ist gewiss die Gebärmutter der Sage. Die Geschichte war nun einmal publik, und der Haufen griff mit beiden Händen danach, denn sie gab Stoff für müßige Schwärmer her, Nahrung frommen Betens, und war überhaupt Wasser auf die Mühle des Aberglaubens. Wahrscheinlich hat man auch in der Folge den Wagen zu den Pferden gedichtet, und irgendein Gläubiger einen Leichenwagen daraus gemacht, denn nach dem Assoziationsgesetz der Ideen denkt man ganz natürlich bei Pferden an einen Wagen, und bei einem Wagen zur Nachtzeit an eine Leiche.

Die Sache ging nun von einem Mund zum anderen. Bald gab es Personen, welche die Erscheinung auch gesehen haben wollten; Personen, die sich entweder in einem der obigen Fälle befanden oder auch sie gehen zu haben nur vorgaben, um entweder Aufmerksamkeit zu erregen oder um in Gesellschaften etwas vorbringen zu können. Vom Vater hörte es der Sohn, von der Mutter die Tochter; und so wie diese an Jahren zunahmen, so nahm auch die Sage am Alter zu und pflanzte sich von Generation zu Generation des Potsdamer Haufens fort.

Das Alter schon macht die Sachen ehrwürdig, und umso ehrwürdiger werden sie noch, wenn sie religiösen Firnis vertragen, wozu denn Gespenster- und Geistergeschichten ganz gemacht zu sein scheinen. Daher kam es auch also, dass sich diese Faselei erhielt und von den Kleinen späterhin noch geglaubt wurde. Wagte es nun ein Hellsehender daran zu zweifeln, so wurde er richtig verketzert und angefeindet, wie es unser Ungläubiger, leider, hinlänglich erfahren musste. Den Hass seiner Mitbürger zog er sich nicht allein durch das Leugnen der Wahrheit der Geschichte zu, sondern auch dadurch, dass er so wenig Achtung für den Verstand der Bürger und Meister zu Potsdam bewies. Ich glaube, die Leutchen seiner Zeit haben sich damit an ihm rächen wollen, dass sie ihn wirklich beschämen und zum Widerruf und Abbitte zwingen wollten.

Zu diesem Ende konnten sie wohl leicht einen schwarzen Wagen ausrüsten, einen Fuhrmann hineinsetzen, Pferde mit angestecktem Rumpf ohne Kopf anspannen und so die Maske durch seine Straße fahren und ihn vom bestochenen Diener darauf aufmerksam machen lassen. Der Ungläubige sah nun wirklich das Gesicht, erschrak in dem Augenblick des ersten Anblicks. Die Backen schwollen ihm, welches eine nicht ungewöhnliche Wirkung des Schreckens ist. Das Übrige ist und bleibt eine offenbare Lüge.