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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere 22

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
4. bis 6. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

VI.

Das Ballett der Merlaison

Am folgenden Tag sprach man in allen Straßen von Paris nur von dem Ball, den die Messieurs Schöppen der Stadt dem König und der Königin gaben, wobei Ihre Majestäten das berühmte Ballett der Merlaison, das Lieblingsballett des Königs, tanzen sollten.

Man traf wirklich seit acht Tagen im Stadthaus alle Anstalten zu dieser feierlichen Soiree. Der Stadtwerkmeister hatte Gerüste aufgeschlagen, auf welchen die eingeladenen Damen ihre Plätze bekommen sollten. Die Krämer der Stadt hatten die Säle mit zweihundert Flambeaux von weißem Wachs geschmückt, was in jener Zeit als ein unerhörter Luxus zu betrachten war. Endlich waren zwanzig Geiger bestellt worden, und man hatte ihnen das Doppelte des gewöhnlichen Lohnes bewilligt, in Anbetracht, sagt der Bericht, dass sie die ganze Nacht spielen mussten.

Um zehn Uhr morgens erschien der Sieur de la Coste, Fähnrich der Garden des Königs, gefolgt von zwei Gefreiten und von mehreren Leibbogenschützen, und forderte vom Ratsschreiber der Stadt, Namens Clement, alle Schlüssel der Türen, der Zimmer und Büros des Stadthauses. Diese Schlüssel wurden ihm sogleich zugestellt. An jedem derselben war ein Zettelchen befestigt, damit man sich auskennen sollte. Von diesem Augenblick an war dem Sieur de la Coste die Bewachung aller Türen und Zugänge übertragen.

Um elf Uhr kam du Hallier, Capitaine der Garden, mit fünfzig Bogenschützen, die sich sogleich im Stadthaus an den Türen, die man ihnen bezeichnete, aufstellten.

Um drei Uhr kamen zwei Kompanien Garden an, eine französische und eine schweizerische. Die Kompanie der französischen Garden bestand zur Hälfte aus der Mannschaft des Monsieurs du Hallier, zur Hälfte aus der des Monsieurs des Essarts.

Um sechs Uhr fingen die Eingeladenen an, einzutreten. Bei ihrem Eintritt wurden ihnen Plätze im großen Saal auf den hierzu bestimmten Gerüsten angewiesen.

Um neun Uhr traf die Gemahlin des ersten Präsidenten ein. Da diese nach der Königin die bedeutendste Person des Festes war, so wurde sie von den Messieurs der Stadt empfangen und in die Loge derjenigen gegenüber geführt, welche die Königin einnehmen sollte.

Um zehn Uhr trug man im kleinen Saal, auf der Seite der St. Jean-Kirche, und zwar dem silbernen Büffet der Stadt gegenüber, das von vier Bogenschützen bewacht wurde, das Zuckerwerk für den König auf.

Um Mitternacht hörte man ein gewaltiges Lärmen und zahlreiche Zurufe. Es war der König, welcher durch die Straßen zog, die vom Louvre zum Stadthaus führten und insgesamt durch farbige Lampen beleuchtet waren.

Die Messieurs Schöppen, vor denen Sergenten mit Fackeln in den Händen einhergingen, eilten, in ihre Tuchgewänder gekleidet, dem König bis auf die Treppe entgegen, wo ihn der Prevot der Kaufleute mit einer Anrede bewillkommte, die der König dadurch erwiderte, dass er sein spätes Erscheinen entschuldigte, und die Schuld auf den Monsieur Kardinal schob, der ihn bis elf Uhr mit Staatsangelegenheiten aufgehalten habe.

Se. Majestät erschien in großer Gala, und sein Gefolge bestand aus Sr. Königl. Hoheit Monsieur, dem Grafen von Soissons, dem Großprior, dem Herzog von Longueville, dem Herzog d’Elbeuf, dem Grafen d’Harcourt, dem Grafen de la Roch-Guyon, Monsieur von Liancourt, Monsieur von Baradas, dem Grafen von Cramail und dem Chevalier Souveray. Jedermann bemerkte, dass der König traurig und missgestimmt war.

Man hatte ein Kabinett für den König und ein anderes für Monsieur bereitet; in jedem dieser Kabinette lagen Maskenkleider.

Dasselbe hatte man für die Königin und die Frau Präsidentin getan. Die Messieurs und Damen vom Gefolge Ihrer Majestäten sollten sich zwei und zwei in Zimmern ankleiden, welche zu diesem Ende eingerichtet waren.

Ehe der König in das Kabinett eintrat, gab er Befehl, ihn sogleich zu benachrichtigen, wenn der Monsieur Kardinal erscheinen würde.

Eine halbe Stunde nach dem Eintritt des Königs ertönten neue Zurufe. Diese verkündeten die Ankunft der Königin. Die Schöppen der Stadt taten dasselbe, was sie bereits getan hatten, und gingen, Sergenten voran, ihrem erhabenen Gast entgegen.

Die Königin erschien im Saal. Man bemerkte, dass sie, wie der König, traurig und angegriffen aussah.

Im Augenblick, wo sie eintrat, öffnete sich der Vorhang einer kleinen Tribüne, die bisher geschlossen gewesen war. Man erblickte den bleichen Kopf Richelieus, der die Tracht eines spanischen Kavaliers angelegt hatte. Seine Blicke hefteten sich auf die der Königin. Ein Lächeln furchtbarer Freude umzuckte seine Lippen: Die Königin trug ihre diamantenen Nestelstifte nicht.

Die Königin verweilte einige Zeit, um die Komplimente der Messieurs der Stadt in Empfang zu nehmen und die Begrüßungen der Damen zu erwidern.

Plötzlich erschien der König mit dem Kardinal an einer der Saaltüren. Der Kardinal sprach sehr leise mit ihm und der König war äußerst bleich.

Der König durchschritt die Menge. Er war ohne Maske und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Bänder seines Wamses knüpfen zu lassen.

o näherte er sich der Königin und sprach mit erschütternder Stimme zu ihr: »Madame, wenn ich fragen darf, warum tragt Ihr Eure diamantenen Nestelstifte nicht, da Ihr doch wisst, dass es mir angenehm gewesen wäre, dieselben zu sehen?«

Die Königin schaute um sich her und erblickte hinter sich den Kardinal, der mit wahrhaft teuflischer Miene lächelte.

»Sire«, antwortete die Königin mit bebender Stimme, »ich fürchtete, unter dieser großen Menschenmasse könnte mir damit ein Unglück begegnen.«

»Und Ihr habt unrecht gehabt, Madame. Wenn ich Euch dieses Geschenk machte, so geschah es, damit Ihr Euch damit schmücken solltet. Ich wiederhole, Ihr habt unrecht gehabt.«

Die Stimme des Königs zitterte vor Zorn. Jedermann sah und hörte mit Erstaunen und niemand begriff, was vorging.

»Sire«, sagte die Königin, »ich kann sie im Louvre holen lassen, um den Wünschen Ew. Majestät zu entsprechen.«

»Tut das, Madame, tut das, und zwar so bald als möglich, denn in einer Stunde beginnt das Ballett.«

Die Königin verbeugte sich, um damit ihre Folgsamkeit anzudeuten, und begab sich mit ihren Damen in das für sie bestimmte Kabinett.

Der König kehrte ebenfalls in das seine zurück.

Es herrschte einen Augenblick Unruhe und Verwirrung im Saal.

Jedermann konnte bemerken, dass etwas zwischen dem König und der Königin vorging, aber beide sprachen so leise, dass sich alle Anwesenden aus Ehrfurcht einige Schritte zurückzogen und somit niemand etwas vernahm. Die Geigen ertönten mit aller Gewalt, aber niemand hörte sie.

Der König trat zuerst aus seinem Kabinett. Er trug ein äußerst elegantes Jagdkostüm, und Monsieur und die übrigen Großen hatten sich ebenso gekleidet. Es war dies das Kostüm, welches dem König am besten stand, und worin er allerdings der erste Edelmann seines Königreichs zu sein schien.

Der Kardinal näherte sich dem König und übergab ihm ein Etui, der König öffnete es und fand darin zwei diamantene Nestelstifte.

»Was soll das bedeuten?«, fragte er den Kardinal.

»Nichts«, antwortete dieser, »wenn die Königin Nestelstifte trägt, woran ich zweifle, so zählt sie, Sire, und wenn Ihr nur zehn findet, so fragt Ihre Majestät, wer ihr die Stifte, die Ihr hier in Händen habt, genommen haben könne.«

Der König schaute den Kardinal forschend an, aber er hatte nicht Zeit, eine Frage an ihn zu richten. Ein Schrei der Verwunderung drang aus dem Mund aller Anwesenden. Schien der König der erste Edelmann seines Reiches zu sein, so war die Königin sicherlich die schönste Frau Frankreichs.

Die Tracht einer Jägerin stand ihr allerdings wunderbar schön. Sie trug einen Filzhut mit blauen Federn, ein durch Diamant-Agraffen befestigtes perlgraues Samtoberkleid und ein durchaus mit Silber gesticktes Unterkleid von blauer Seide. Auf ihrer linken Schulter glänzten die Nestelstifte, gehalten von einer Schleife von derselben Farbe wie die Federn und das Unterkleid.

Der König bebte vor Freude, der Kardinal vor Zorn. Doch in der Entfernung, in der sie von der Königin standen, konnten sie die Stifte nicht zählen. Die Königin hatte sie, so viel war gewiss. Nur fragte es sich, hatte sie zehn oder zwölf?

In diesem Augenblick gaben die Geigen das Zeichen zum Ballett. Der König schritt gegen die Frau Präsidentin vor, mit der er tanzen sollte, und seine Hoheit Monsieur näherte sich der Königin. Man stellte sich auf und das Ballett begann.

Der König figurierte der Königin gegenüber. So oft er an ihr vorüberkam, verschlang er mit seinen Blicken die Nestelstifte, die er nicht abzuzählen vermochte. Kalter Schweiß bedeckte die Stirn des Kardinals.

Das Ballett dauerte eine Stunde; es hatte sechszehn Entres.

Sobald das Ballett vorüber war, führte jeder Monsieur unter dem Beifallklatschen des ganzen Saales seine Dame an ihren Platz. Aber der König benutzte das ihm zukommende Vorrecht, seine Dame dort zu lassen, wo er sich gerade befand, um lebhaft auf die Königin zuzugehen.

»Ich danke Euch Madame«, sprach er, »für die Bereitwilligkeit, mit der Ihr meinen Wünschen Folge geleistet habt. Aber ich glaube, es fehlen Euch zwei Nestelstifte, die ich Euch hier überbringe.«

Bei diesen Worten überreichte er die zwei Stifte, die ihm der Kardinal gegeben hatte.

»Wie, Sire!«, sagte die Königin, die Erstaunte spielend, »Ihr gebt mir noch zwei andere, dann habe ich vierzehn.«

Der König zählte wirklich, und die zwölf Nestelstifte fanden sich an der Schulter Ihrer Majestät.

Der König rief den Kardinal und fragte in strengem Ton: »Ei, was soll das bedeuten, Monsieur Kardinal?«

»Sire«, antwortete der Kardinal, »das bedeutet, dass ich der Königin gern diese Stifte verehrt hätte. Da ich es nicht wagte, dieselben Ihrer Majestät anzubieten, so wählte ich dieses Mittel.«

»Und ich bin Ew. Eminenz hierfür umso mehr zu Dank verpflichtet«, antwortete Anna von Österreich mit einem Lächeln, welches bewies, dass sie sich durchaus nicht von dieser geistreichen Galanterie täuschen ließ, »als ich die Überzeugung hege, dass diese zwei Stifte allein Euch mehr kosten, als die zwölf anderen Seine Majestät gekostet haben.«

Dann zog sich die Königin, nachdem sie den König und den Kardinal gegrüßt hatte, wieder in das Zimmer zurück, wo sie sich angekleidet hatte und wo sie sich entkleiden sollte.

Die Aufmerksamkeit, welche wir am Anfang dieses Kapitels den von uns eingeführten hohen Personen schenken mussten, entfernte uns einen Augenblick von demjenigen, welchem Anna von Österreich den unerhörten Triumph zu verdanken hatte, den sie über den Kardinal davontrug, und der unbekannt, verloren unter der an der Tür sich drängenden Menge, diese Szene betrachtete, welche nur für vier Personen, für den König, die Königin, Seine Eminenz und ihn begreiflich war.

Die Königin hatte ihr Zimmer wieder erreicht. D’Artagnan schickte sich an, zu gehen, als er fühlte, dass man leicht seine Schulter berührte. Er wandte sich um und sah eine junge Frau, die ihn durch ein Zeichen aufforderte, ihr zu folgen. Das Gesicht dieser jungen Frau war mit einer schwarzen Samtmaske bedeckt; aber trotz dieser Vorsichtsmaßregel, welche übrigens mehr anderen als ihm galt, erkannte er sogleich seine gewöhnliche Führerin, die heitere und geistreiche Frau Bonacieux.

Am Tag vorher hatten sie sich kaum bei dem Schweizer Germain, wohin sie d’Artagnan hatte rufen lassen, gesprochen, Die junge Frau eilte so sehr, der Königin die vortreffliche Nachricht von der Rückkehr ihres Boten zu überbringen. Somit konnten die beiden Liebenden nur sehr wenige Worte miteinander wechseln. Von einer doppelten Empfindung, von Liebe und Neugierde getrieben, folgte d’Artagnan Frau Bonacieux. Auf dem ganzen Weg und als es in den Hausfluren öde wurde, wollte d’Artagnan die junge Frau anhalten, ergreifen, betrachten, wenn auch nur für einen Augenblick; aber lebhaft wie ein Vogel entschlüpfte sie stets seinen Händen. Wenn er sprechen wollte, wurde er durch ihren, mit einer kleinen gebieterischen Miene voll Liebreiz auf den Mund gelegten Finger daran erinnert, dass er unter der Herrschaft einer Macht stand, der er blindlings gehorchen musste und die ihm auch die leiseste Klage untersagte. Nachdem beide ein paar Minuten lang die Kreuz- und Quergänge passiert hatten, öffnete Frau Bonacieux eine Tür und führte den jungen Mann in ein völlig dunkles Kabinett. Hier gab sie ihm ein neues Zeichen, stumm zu bleiben, schloss eine zweite, unter einer Tapete verborgene Tür auf, deren Öffnung plötzlich ein lebhaftes Licht verbreitete, und verschwand.

D’Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und fragte sich, wo er wäre; aber ein Lichtstrahl, der aus diesem Zimmer drang, die warme und von Wohlgerüchen geschwängerte Lust, die an ihn heranströmte, die Unterhaltung mehrerer Frauen in zugleich ehrfurchtsvoller und zierlicher Sprache, das mehrmals wiederholte Wort »Majestät« zeigten ihm plötzlich ganz klar, dass er sich in einem an das Zimmer der Königin stoßenden Kabinett befand.

Der junge Mann blieb im Schatten stehen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Die Königin schien heiter und glücklich, worüber die Personen ihrer Umgebung ohne Zweifel gewaltig staunten, da sie im Gegenteil gewöhnlich beinahe kummervoll aussah. Die Königin schrieb dieses heitere Gefühl der Schönheit des Festes, dem Vergnügen, das ihr das Ballett verursacht habe, zu. Da es nicht erlaubt ist, einer Königin zu widersprechen, so überboten sich alle in Lobeserhebungen über die Galanterie der Messieurs Schöppen der Stadt Paris.

Obwohl d’Artagnan die Königin nicht kannte, so unterschied er doch bald ihre Stimme von den übrigen, einmal an dem etwas fremdartigen Akzent und dann an jenem Gefühl der Oberherrschaft, das allen fürstlichen Reden ein eigentümliches Gepräge verleiht. Er hörte, wie sie sich der offenen Tür näherte und sich von derselben entfernte. Er sah sogar zwei- oder dreimal, wie der Schatten eines Körpers das Licht unterbrach. Endlich kamen plötzlich eine Hand und ein Arm von bewunderungswürdiger Form und Weiße durch die Tapete hervor. D’Artagnan begriff, dass dies seine Belohnung war. Er warf sich auf ein Knie, ergriff diese Hand und drückte ehrfurchtsvoll seine Lippen darauf. Dann zog sich diese Hand zurück und ließ in der seinen einen Gegenstand, in welchem er einen Ring erkannte. Alsbald schloss sich die Tür wieder und d’Artagnan befand sich in völliger Finsternis.

D’Artagnan steckte den Ring an seinen Finger und wartete abermals. Offenbar war noch nicht alles zu Ende. Auf die Belohnung seiner Ergebenheit musste der Lohn seiner Liebe folgen. Das Ballett war allerdings getanzt, aber das Fest hatte kaum seinen Anfang genommen. Man speiste um drei Uhr zu Nacht und die Glocke von St. Jean hatte bereits vor einiger Zeit drei Viertel nach zwei geschlagen.

Der Lärm der Stimmen nahm in der Tat in dem anstoßenden Zimmer allmählich ab. Dann hörte man, wie er sich entfernte. Die Tür des Kabinetts, in welchem sich d’Artagnan befand, öffnete sich wieder und Frau Bonacieux trat heraus.

»Endlich kommt Ihr!«, rief d’Artagnan.

»Still!«, sprach die junge Frau und legte ihre Hand auf seine Lippen. »Still! Und geht auf demselben Weg zurück, aus dem Ihr gekommen seid.«

»Aber wo und wann werde ich Euch wiedersehen?«, rief d’Artagnan.

»Ein Billett, das Ihr bei Eurer Rückkehr zu Hause findet, wird Euch das sagen. Geht, geht!«

Bei diesen Worten öffnete sie die Flurtür und drängte d’Artagnan aus dem Kabinett.

D’Artagnan gehorchte wie ein Kind ohne Widerstand, ohne Einwendung, woraus hervorgeht, dass er wirklich sehr verliebt war.