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Der Spion – Kapitel 19

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 19

Die feindlichen Kundschafter

Wie Kit Andrieux, hatten auch die beiden Otoe bei ihrem gelegentlichen Umherschweifen, welches sie vielfach über die Talgrenze hinaufführte, die Spuren einer starken berittenen Reisegesellschaft entdeckt. Dieselbe hatte sich auffälligerweise fast ausschließlich oben auf der Ebene gehalten. Ihre Pferde waren beschlagen. Es konnten also nur Weiße sein, wenn die Fährten nicht, was kaum anzunehmen, von räuberischen Eingeborenen gebrochen wurden, die mit einer Anzahl erbeuteter Pferde sich auf dem Weg zu den heimatlichen Wigwams befanden. Behielten sie ihre Entdeckung für sich, so lag eine derartige Schweigsamkeit eben im indianischen Charakter. Vielleicht geschah es auch auf Rücksicht für Lydia oder in der Besorgnis, durch Maurus in ihren bestimmten Plänen gestört zu werden. Daraufhin hatte Schahoka, sobald man auf der Lichtung eingetroffen war, sich entfernt. Anstatt in das Tal des Nebraska einzubiegen, war er zu der Ebene hinaufgestiegen, um von dort aus zunächst Umschau zu halten. Nach der Richtung der Fährten zu schließen, konnten die Reiter sich nur zur Furt begeben haben, um daselbst den Nebraska zu kreuzen oder zu irgendwelchem Zweck zu rasten. Befanden sie sich noch dort – genauere Prüfungen ergaben ja, dass die Spuren mindestens zweimal vierundzwanzig Stunden alt waren – so unterlag es kaum einem Zweifel, dass deren Anwesenheit in der öden Wildnis in Beziehung zu der eigenen Reisegesellschaft stand.

So weit reichten die Mutmaßungen und Schlüsse der Otoe Sie gingen darin umso weniger fehl, weil sie mit allen Vorgängen, welche die Rettung Lydias aus der Gewalt Quinchs begleiteten, bis ins Kleinste hinein vertraut waren.

Oben gewann Schahoka einen Überblick über die stille Landschaft bis weit über die gegen drei englische Meilen entfernte Furt hinaus. Das Erste, was er sah, bestand in einer breiten, nebelartigen Rauchsäule, wie eine solche nicht von einem einzigen Feuer ausgehen konnte, vielmehr von dem Vorhandensein eines reicher belebten Lagers zeugte. Die Aussicht auf dasselbe hinderten die unregelmäßig gekerbten Abhänge der Ebene, welche sich stellenweise dem Nebraska mehr näherten. Kurze Zeit sann er nach. Dann kehrte er ins Lager zurück, um gleich darauf in Schinges‘ Begleitung denselben Weg abermals einzuschlagen. Auf dem Punkt, wo er zuvor den Rauch entdeckte, trennten sie sich voneinander, indem Schinges in die Niederung hinabstieg, um dort in gleicher Höhe mit dem Gefährten stromaufwärts zu schleichen, während Letzterer sich so viel wie möglich am Rand der nackten Ebene hielt.

So gelangten sie allmählich so weit, dass das rätselhafte Lager in Schahokas Gesichtskreis trat. In der Zuversicht, von dorther nicht bemerkt, von dem Gefährten dagegen fortgesetzt im Auge behalten zu werden, spähte er unbeweglich zur Furt hinüber. Was er sah und zum Teil notdürftig unterschied, war nicht mehr, aber auch nicht weniger, als zu finden er erwartet hatte.

Auf einer größeren Lichtung brannten mehrere Küchenfeuer, um welche menschliche Gestalten sich nachlässig einherbewegten. Eine größere Anzahl Pferde weidete in der Nachbarschaft. Vereinzelte Männer gingen zwischen der Herde und dem Lager auf und ab, Leute, die trotz der Entfernung als Musketen tragende Soldaten nicht zu verkennen.

Eine Weile überwachte er die verdächtig belebte Lichtung aufmerksam. Dann ließ er die Blicke über das sich an ihm vorbei erstreckende Tal gleiten. Jeden Hain, jeden Baum schien er seinem Gedächtnis noch besonders einprägen zu wollen. Plötzlich aber warf er, als Signal für Schinges, den Arm flüchtig empor. Als wäre er von einem tödlichen Geschoss getroffen worden, brach er gewissermaßen in sich zusammen. Dem Erdboden sich anschmiegend, spähte er scharf in die Richtung hinüber, in welcher zwei Männer, Musketen oder Büchsen auf der Schulter, hinter einem dichten Strauchhain hervorgetreten waren und gemächlich über einen Wiesenstreifen schritten. Aus ihrer Haltung ging hervor, dass sie den auf der Ebene lauernden Otoe noch nicht bemerkt hatten und wahrscheinlich als Kundschafter zum Missouri-Tal entsendet worden waren. Während Schahoka das Gebüsch überwachte, hinter welchem sie wieder verschwanden, ertönte jener Schuss, über welchen Maurus sich in beunruhigenden Mutmaßungen erging. Gleich darauf flüchteten zwei Hirsche in langen Sätzen über eine größere Lichtung der Strommündung zu. Der Schütze, der sich immer noch eine erhebliche Strecke oberhalb der beiden Otoe befand, hatte offenbar sein Ziel verfehlt; denn erst nach einer längeren Pause, welche er wahrscheinlich zum Laden des Gewehrs benutzte, traten die verdächtigen Gestalten wieder ins Freie hinaus, wo sie die von den Hirschen eingeschlagene Richtung weiter verfolgten. Etwa eine Viertelstunde brauchten sie noch, um den Otoe gegenüber einzutreffen. Diesen Zeitpunkt wartete Schahoka nicht mehr ab, sondern in die nächste Regenfurche hinabgleitend, versuchte er sich unter dem Schutz der zerstreuten Haine mit dem Gefährten zu vereinigen, um nach flüchtiger Verständigung mit ihm dem Lager zuzueilen. Sie hatten sich demselben so weit genähert, dass sie Nestors und Evas Stimmen unterschieden, als plötzlich Kit Andrieux vor ihnen stand. Ohne die geringste Überraschung zu verraten oder nach der Ursache seines unerwarteten Auftauchens zu fragen, gingen sie bald auf ein Gespräch mit ihm ein, und zwar in einer Weise, als ob es sich um die nebensächlichsten Dinge gehandelt hätte. Mit demselben Gleichmut traten sie ans Küchenfeuer, wo Eva ihnen dienstfertig das ihrer harrende Mahl vorsetzte.

Kit Andrieux schritt dagegen zu Lydia und Maurus hinüber. Neben Letzterem auf dem morschen Baumstamm Platz nehmend, begann er im heitersten Erzählerton: »Feine Burschen, diese Otoe. Ich kenne sie seit Jahren. Die Wigwams ihres Stammes stehen gar nicht weit von hier. Schlau wie die Wiesel; man sollt es gar nicht glauben. In manchen Dingen stehen sie allerdings hinter uns Weißen zurück, ich meine, dass sie für gut befinden, mit einem ernsten Geheimnis hinter dem Berg zu halten, anstatt den Leuten gerade ins Gesicht zu sagen, woran sie sind. Ob gut, ob böse, es geht nichts über einen klaren Blick.«

»Ein lobenswerter Grundsatz«, erwiderte Maurus. Der schönen Gefährtin einen verstohlenen Seitenblick zusendend, fühlte er den Atem stocken, denn ihn konnte Andrieux mit seiner Leichtfertigkeit nicht täuschen. »Sicher ein lobenswerter Grundsatz, der nicht in allen Fällen anwendbar …«

»Doch, doch«, unterbrach Lydia ihn mit erwachender Entschlossenheit zu Kit Andrieux gewendet. »Ich rate: Neue Widerwärtigkeiten sind im Anzug, und so bitte ich Sie dringend, mich durch Ungewissheit nicht auf die Folter zu spannen. Vergessen Sie nicht, ich bin eine Soldatentochter, gehöre nicht zu denjenigen, die davor zurückschrecken, einem bösen Verhängnis offen ins Antlitz zu schauen.«

»Das klingt mannhaft«, nahm Andrieux schnell das Wort. Mit unverkennbarer Bewunderung überwachte er Lydias erregtes Antlitz. »Bei Gott, meine junge liebliche Lady, mannhaft und weise obendrein. Ist es doch rasanter, eine unschmackhafte Kost mit großem Löffel auf einmal hinunterzuwürgen, als Bröckchen um Bröckchen langsam über die Zähne zu schieben. Und so leugne ich es nicht, dass die Luft nicht rein ist; und mit den beiden braunen Gentlemen da am Feuer habe ich vereinbart, dass wir noch in dieser kommenden Nacht von hier verschwinden. Seien Sie unbesorgt, denn wenn jeder von uns seine Schuldigkeit tut, dann wickeln wir die Angelegenheit so sanft ab, als ob ein guter Spielmann seine frisch gestimmte Fiedel hantierte. Da oben vor der Furt lagert nämlich eine recht ansehnliche Rotte Südlicher. Sofern Schahokas Augen noch eine Pfeife Tabak wert sind, gehören sie zu den Irregulären, und das ist eine Sorte, die besser an den Galgen gehörte, als in diese gesegnete Wildnis. Zwei von ihnen sind auf dem Weg hierher, da werden wir vermutlich mehr von der Gesellschaft hören. Bestätigt sich unser Argwohn und sie tragen die Kunde von unserer Anwesenheit ins Lager zurück, so müssen wir ein gutes Stück Missouri hinter uns gelegt haben, bevor man uns von dort her ein paar Dutzend Schurken auf den Hals schickt. Denn umkehren dürfen wir nicht; da möchten wir ebenso gut hier liegen bleiben und alles über uns ergehen lassen, wie der Biber, dem man das Fell über die Ohren streift. Vielleicht gelingt es uns aber, die beiden Kundschafter zu überreden, mit der Rückkehr zur Furt sich nicht zu übereilen.« Ein seltsames Grinsen flog über sein ehrliches Gesicht.

Diese ungeahnte Nachricht wirkte auf Maurus ein, dass ihm nicht gleich Worte zu Gebot standen. Was er aber empfand, das sprach aus seinen Blicken, indem er die Augen Lydias suchte.

Diese hatte sich entfärbt, lächelte aber matt und bemerkte gefasst: »Sorgen Sie nicht. Jetzt, nachdem ich über unsere Lage einigermaßen unterrichtet wurde, bin ich ruhiger. An mir soll es nicht liegen, wenn wir so dicht vor unserem Ziel den neuen Fährnissen nicht entkommen. Betrachten Sie mich als Sache und nicht als Person. Was auch immer durch etwaige Gefahren geboten sein mag, ich füge mich in alles.«

Maurus presste die Lippen aufeinander, um eine Verwünschung zurückzudrängen, und kehrte sich Andrieux mit der Frage zu: »Wer verbürgt, dass jene Männer Feinde sind, und wie sollten solche sich überhaupt bis hierher verirren?«

Kit lachte belustigt vor sich hin und erklärte freimütig: »Unionisten würden freilich hier nichts suchen. Aber da gibt es Leute von den sogenannten Guerillabanden. Doch auch die möchten sich schwerlich in eine Gegend verlaufen haben, wo keine Beute zu holen ist. Also kalkuliere ich, dass die bei der Furt es auf uns abgesehen haben.«

»So müssten sie von jemand auf unsere Spuren geführt worden sein«, versetzte Maurus erbittert. Er mochte Quinchs gedenken und all dessen, was Lydia einst zu erlauschen in qualvoller Lage gezwungen war.

»Wer das wüsste«, meinte Andrieux achselzuckend, »und wenn wir es wüssten, möchte es wenig helfen. Vielleicht verraten es die Schurken, die sich nächstens hier anmelden.«

 

***

 

Vom Feuer drang in demselben Augenblick der Ruf herüber, mit welchem Schahoka die Nähe der Kundschafter ankündigte.

Kit Andrieux erhob sich. Die von ihm unzertrennliche Pfeife füllend, sprach er in seiner treuherzigen Weise zu Lydia: »Jetzt beweisen Sie, dass ein ordentlicher Mannesmut in Ihnen wohnt. Mit keiner Miene dürfen Sie Furcht verraten, wenn die Landstreicher sich ungebührlich betragen sollten. Glauben Sie mir, wer Ihnen unhöflich begegnet, der findet seinen Lohn, bevor er es selber ahnt.« Sich umkehrend, verheimlichte er einen Blick, in welchem es sich wie eine furchtbare Drohung regte. Gemächlich schritt er zum Feuer hinüber. Einen glimmenden Reisig aus der Asche ziehend, begann er mit einer gewissen Feierlichkeit seine Pfeife anzurauchen.

Die beiden Otoe hatten ihr Mahl beendet und ebenfalls zu den Pfeifen gegriffen. Nach wie vor bewahrten sie ihren unerschütterlichen, ausdruckslosen Gleichmut. Nur ihre Büchsen zogen sie etwas näher zu sich heran, während Nestor dem Holzvorrat einen keulenartigen Baumast entnahm und sich auf denselben stützte. So herrschte Schweigen am Ufer des Stroms wie um das Feuer. Es wurde erst durch das Geräusch unterbrochen, mit welchem die erwarteten Männer aus dem Gebüsch traten und sich mit vertraulich rohem Gruß näherten.

 

***

 

Bevor Kit Andrieux sie eines Blickes würdigte, prüfte er durch einige kräftige Züge das Brennen des Tabaks. Dann betrachtete er sie neugierig vom Kopf bis zu den Füßen hinunter.

Schon der erste Anblick der Fremdlinge mit den verwilderten Gesichtern und in der nur noch durch einzelne Teile an Uniform erinnernden Bekleidung genügte, um alle zu überzeugen, dass man tatsächlich zwei Mitglieder einer der berüchtigten südlichen Guerillabanden vor sich sah.

Da weder Andrieux noch ein anderer auf den Gruß antwortete, hob der eine unsaubere Geselle in frechem Ton an: »Habe mich nicht geirrt, bei der ewigen Verdammnis, als ich den Rauch eines Feuers und gebratenes Fleisch zu wittern meinte.« Widerwärtiges Grinsen entstellte das wilde Räubergesicht in wahrhaft grauenerregender Weise. »Wir befinden uns nämlich auf der Fährte eines angeschossenen Hirsches. Es sollte mich nicht wundern, hätte ein gutes Viertel desselben seinen Weg in eure Tiegel gefunden. Verdammt! Da kämen wir gerade zur rechten Zeit, um an eurem Tisch eine erträgliche Nachlese zu halten.«

Bei dieser verständlich herüberdringenden Anrede sah Maurus verstohlen auf Lydia. Er gewahrte, dass sie tödlich erbleichte. Von den scheußlich triumphierenden Blicken der Unholde getroffen, schwanden ihre letzten Zweifel, von wem diese neue Verfolgung eingeleitet worden war. Nur noch mit Mühe beherrschte sie sich. Maurus erhob sich. Sie dringlich bittend, ihre Fassung zu bewahren, schritt er zum Feuer hinüber. Er traf gerade ein, als Kit Andrieux nach einer abermaligen geringschätzigen Prüfung der heruntergekommenen Gestalten den beiden Strolchen gelassen erklärte: »Wir haben bereits abgegessen, und am wenigsten wurde unser Tisch für euch gedeckt. Verlangt euch danach, die Hand auf euren Hirsch zu legen, so sucht ihn meinetwegen in der Hölle, aber nicht hier. Passt es euch nicht, so haltet in Zukunft beim Feuern eure Nasen gerader.«

»Und ich möchte wissen«, fügte Maurus entschlossen hinzu, »für was ich Leute halten soll, die außer dem Bajonettgewehr wenig aufzuweisen haben, das an einen regulären Soldaten erinnert.«

Da lachten die beiden Strolche wiehernd auf.

»Sie sind selber Offizier«, rief der eine ihm höhnisch zu, »und wissen nicht, dass der schwere Kriegsdienst Uniformen wie die Männer, die drinnen stecken, binnen kurzer Zeit in Fetzen verwandelt? Bei der ewigen Verdammnis, Mann, ist Ihnen das bis jetzt noch nicht klar geworden, so lernen Sie es nie begreifen.«

In Maurus‘ Antlitz schoss Zornesröte. Während er in leidenschaftlicher Erregung den Fremdlingen einen Schritt näher trat, betrachtete Kit Andrieux ihn mit unzweideutigem Wohlgefallen. Die beiden Otoe verhielten sich teilnahmslos, wogegen Nestor nach einem Blick auf seine Herrin den Baumast mit der ihm zur Hand liegenden Axt vertauschte. Sein schwarzes Gesicht hatte wieder jenen wilden Ausdruck angenommen, wie einstmals beim Anblick des in seine Gewalt geratenen Adjutanten. Die breiten Nasenflügel zitterten vor Wut und unauslöschlichem Hass.

Einige Sekunden herrschte Schweigen; dann fragte Maurus, seine Entrüstung gewaltsam niederkämpfend: »Wenn ihr euch auf eure Dienstzeit beruft, so muss es auch jemand geben, dem ihr dient. Seid ihr keine Landstreicher, die dem Gesetz verfallen, so werdet ihr eine offene Antwort erteilen.«

»Wem anders, als dem Uncle Sam!«, hieß es unter Hohnlachen zurück, »wir fechten für ihn seit Anfang des Krieges.«

»Wohlan denn«, versetzte Maurus nunmehr kaltblütig, »so habt ihr gelernt, dass den Befehlen jedes Offiziers Gehorsam zu leisten ist. Als solcher aber rate ich euch, euer Betragen so zu bemessen, dass ich keine Ursache finde, euren Worten zu misstrauen. Die Folgen davon möchten sonst schwer auf euch selbst zurückfallen.«

Die Kundschafter sahen sich gegenseitig fragend an, lachten gellend auf. Sich herausfordernd in die Brust werfend, antwortete der eine, offenbar im Vertrauen auf den bei der Furt versammelten starken Rückhalt: »Erwarten Sie von einem alten Unionssoldaten, dass er sich drehen und wenden soll, wie ein glatter Ladyknecht.« Er sandte wieder einen frechen Blick zu Lydia hinüber. »Dann sind Sie verhenkert kindlich. Passt Ihnen meine Antwort nicht, so melden Sie es meinem Captain. Der lagert mit seiner Kompanie eine kleine Wegstunde von hier. Da bleiben wir bis morgen früh, um nach Fort Kearney zu marschieren und die Besatzung gegen die Guerillabanden zu verstärken …«

Von Widerwillen gegen die verwahrlosten Räubergestalten ergriffen, fiel Maurus mit kalter Ruhe ein: »Ich habe jetzt genug von euch. Zieht eures Weges. Je schneller ihr aus meinen Augen kommt, um so besser für euch selber.«

Wiederum wechselten jene bezeichnende Blicke; dann ließen sie dieselben im Halbrund schweifen. Angesichts der sie umringenden drohenden Gesichter mochte ein längerer Aufenthalt ihnen nicht ratsam erscheinen. Außerdem hatten sie in Erfahrung gebracht, was auszukundschaften sie entsendet worden waren: Die Tochter des Colonels Rutherfield befand sich so gut wie in ihrer Gewalt. Der von Quinch für ihre Habhaftwerdung ausgesetzte Preis konnte ihnen also nicht mehr entgehen. Auf Maurus Befehl anscheinend bereitwillig eingehend, bemerkte daher der eine zum Gefährten: »Komm, komm, hier sind wir an den Unrechten geraten. Will der Herr mit seiner Gesellschaft sich unserem Kommando anschließen, so hindert ihn keiner. Im Übrigen steht es uns nicht zu, schon allein um der schönen jungen Lady willen, Dinge zu reden, die ihr das Blut in das frische Gesicht treiben möchten.«

»Ein richtiges Wort, oder ich will noch vor Sonnenuntergang mit Sack und Pack zur Hölle fahren«, versetzte der andere, spöttisch salutierend. »Und wer weiß«, fügte er boshaft lachend hinzu, »wir mögen einander eines Tages auf einer Stelle begegnen, wo ein Captain nicht mehr gilt als ein ehrlicher Söldling.« Da niemand auf die rohen Bemerkungen antwortete, schlugen sie die nächste Richtung ins Tal des Nebraska ein.

Das Gebüsch hatte sich kaum hinter ihnen geschlossen, als die Otoe sich erhoben. Die Gelegenheit benutzend, während welcher Maurus sich anschickte, zu Lydia zurückzukehren, richtete Schahoka eine leise Frage an Kit Andrieux. Dieser nickte kaum bemerkbar. Zugleich verhärtete sein ehrliches, sonst so sorgloses Antlitz sich seltsam. Den Hut nahm er, wie die Stirn kühlend, vom Haupt, und mit der Hand durch die gelben Locken fahrend, beschrieb er mit dem Zeigefinger wie zufällig einen Kreis um seinen Scheitel. »Es muss nach roten Mannes Werk aussehen«, fügte er anscheinend beiläufig hinzu.

Durch eine wenig auffallende Gebärde verrieten die Otoe ihr Verständnis. Gleich darauf drangen sie in das Gebüsch ein.

 

***

 

In rohen Scherzreden sich ergehend und immer wieder in heiseres Lachen ausbrechend, hatten die feindlichen Kundschafter sich ungefähr dreihundert Ellen weit entfernt. Über das dort niedrige Buschwerk hinweg vermochten sie bereits die Mündung des Nebraska zu unterscheiden, als plötzlich die Otoe zu beiden Seiten vor ihnen auftauchten und gleichen Schritt mit ihnen hielten.

»Ich dächte, wir hätten euch braunen Hunde nicht um eure Begleitung angegangen«, schnaubte der eine verrohte Geselle sie grimmig an. Von Argwohn beschlichen, packte er das auf seiner Schulter ruhende Gewehr, dass er es jeden Augenblick zur Verteidigung benutzen konnte.

»Sind wir braune Hunde, seid ihr weiße Hunde«, erwiderte Schahoka ausdruckslos. »Die weißen Hunde hören auf den Ruf jemandes, der Quinch heißt – wir wissen das. Ihr seid abgeschickt, die Tochter des Colonels Rutherfield zu rauben.«

»Das lügst du in deinen verdammten Hals hinein«, lautete die offenbar verstört erteilte Antwort. »Wer ist Quinch? Wir kennen ihn nicht.«

Schahoka maß die Entfernung bis zum Nebraska mit den Blicken. Flüchtig prüfte er die mit Gestrüpp und einigen hohen Pappelweiden bewachsene Umgebung. Was er auch bezwecken mochte, er trachtete, immer noch ein wenig mehr Raum zwischen sich und das Lager zu bringen, und erwiderte daher erst nach kurzem Sinnen: »Ihr saht den schwarzen Mann am Feuer? Der ist ein starker Soldat. John Kay war ein großer Freund eures Quinch. Dem hatte er so viel Branntwein gegeben, dass er und seine Leute Tiere wurden. Da durchschnitt er ihm die Kehle. Dieser Schwarze ist mein Freund. Sein Arm ist sehr stark, sein Messer lang und spitz.«

»Lüge du und der Teufel«, hob der das Wort führende Kundschafter bestürzt an. Er wie sein Gefährte richteten ihre Blicke argwöhnisch auf den jungen Indianer. Diesen Zeitpunkt aber benutzte Schinges zu dem mit so viel List vorbereiteten Angriff.

Ein eigentümlich dumpfes Krachen ertönte. Die beiden Kundschafter fuhren zu demselben herum, der eine, um mit zerschmetterter Schläfe aufs Gesicht zu fallen, der andere dagegen, um, bevor er das Geschehene mit den Blicken erfasste, von Schahoka in derselben Weise niedergeschlagen zu werden. Was sonst kaum noch in der Natur der beiden braunen Gefährten lag, seit langer Zeit als beinahe vergessen gelten konnte, das hatten der langjährige mörderische Krieg und die sich häufenden Bluttaten der gesetzlosen Raubbanden in ihnen aufs Neue zum Keimen gebracht und gezeitigt. Als hätte es sich nur um das Zurichten eines geschlachteten Rindes gehandelt, bückten beide sich zu ihren Opfern nieder. Es gipfelte der wilde Rachedurst nach so manchen durch die Weißen erfahrenen Unbilden darin, dass sie mit schnellen Schnitten die Scheitelhaut von den blutigen Köpfen trennten, mit einem Schlitz versahen und in Manneshöhe augenfällig an einen in ihren Bereich hineinragenden Zweig aufhingen.

»Roten Mannes Werk«, wiederholte Schinges Andrieux‘ Worte. »Kit ist ein kluger Jäger. Was er rät, ist gut, es muss geschehen.«

»Es ist gut so«, erwiderte Schahoka gleichmütig; »die brauchen viel Zeit jetzt, um uns bei der Furt anzumelden. Wir werden ungestört bleiben.«

Im Lager eintreffend verständigten sie sich mit Kit Andrieux durch einen Blick. Maurus mochte ahnen, in welcher Absicht sie den Scheidenden gefolgt waren, scheute sich aber, mit einem Wort daran zu rühren. Seinen Argwohn verstärkte Andrieux zur Überzeugung, als er erklärte, dass vor Tagesanbruch kein Überfall zu befürchten sei und mit den Vorbereitungen zur Flucht keine Minute gesäumt werden dürfe.

 

***

 

Die Sonne war um diese Zeit hinter den Abhängen der Hochebene hinabgetaucht. Es verdichtete die darauffolgende Dämmerung sich zur Dunkelheit, jedoch nur auf eine Stunde, nach deren Ablauf der aufgehende Mond sich anschickte, die bis dahin leuchtenden Sternenheere in ihrem nächtlichen Dienst abzulösen. Solcher Art begünstigt, ging man ohne Zeitverlust ans Werk.

Da, wo der Nebraska seine mit mäßiger Schnelligkeit einhertreibenden Fluten dem Missouri übergab, stand die mächtigere Strömung des Letzteren vom jenseitigen Ufer herüber an dem Südkap des Vereinigungspunktes der beiden Ströme vorbei. Die nächste Folge hiervon war, dass der Missouri zur Zeit des Hochwassers mit seinem Übergewicht einen großen Teil des von ihm mitgeführten Treibholzes dicht unterhalb der Mündung des Nebraska und noch eine kurze Strecke stromabwärts in dem stillen Wasser abgesetzt hatte. Bei dem herrschenden niedrigen Wasserstand schienen die gestrandeten und übereinandergetürmten verworrenen Holzmassen an Ausdehnung und Höhe gewonnen zu haben. Vor allem waren sie durch die sommerliche Hitze ausgedörrt, infolge dessen ihr Gewicht nicht nur erheblich vermindert wurde, sondern sie auch, wenn schwimmend, erhöhte Tragkraft erhielten. Darauf aber bauten die Männer den Plan ihres Fortkommens aus der verhängnisvollen Lage.

Die Entfernung vom Lager bis zu dem Treibholzriff, wo sie zugleich Gelegenheit fanden, bequem zum Wasser hinabzugelangen, betrug über vierhundert Ellen. Sie begannen daher zunächst, ihre Reiseausrüstung nebst Sätteln und Zaumzeug dorthin zu schaffen und hart am Rand des Wassers auf dem Riff selbst unterzubringen. Die Pferde wurden befreit und, deren Rettung auf später verschiebend, stromabwärts getrieben, wo sie sich in einem Waldstreifen verloren. Dann erst ging man an die eigentliche Arbeit.

Wo die Holzanhäufung wehrartig über das südliche Kap hinaus in den Missouri hineinreichte, war unterhalb derselben und hart an dem schroffen Ufer hin eine Fläche entstanden, auf welcher das Wasser in der Rückströmung sich staute und daher stilllag. Zu dieser hinauf flößten die Gefährten eine Anzahl Stämme, so schwer, wie sie solche mit vereinten Kräften von dem Riff zu trennen vermochten, worauf sie dieselben mittels der Pferdeleinen in Form eines Floßes fest miteinander vereinigten. Leichter gelang es ihnen, diese mit schwächeren Stämmen und Ästen zu überdecken, wobei sie Bedacht darauf nahmen, dass die unregelmäßigen Zweige und Zacken ineinandergriffen und den Bau verstärken halfen. Kleineres Holzwerk diente dazu, die bestehenden Lücken auszufüllen und durch deren sorgfältiges Nebeneinanderschichten eine verhältnismäßig gangbare Plattform herzustellen. Um das Gleichgewicht zu sichern, wurden noch einige schwerere Blöcke über den Unterbau geschoben, welchen man zum Schluss ein halbes Dutzend schlanker Stämme beifügte, wie solche sich zu Ruderstangen eigneten. Die Tragfähigkeit des seltsamen Fahrzeugs erprobte man, indem alles, was zu den Reisenden gehörte, an Bord geschafft wurde und diese selber sich endlich auf demselben in bestimmten Abständen voneinander verteilten.

 

***

 

Der Mond war aufgegangen und leuchtete den Männern, als sie dazu schritten, das schwerfällige Fahrzeug flott zu machen. Auf dem tiefen stillen Wasser gelang es ohne erhebliche Anstrengungen, worauf sie es dicht ans Ufer schoben und dort noch einmal festlegten. Sie warteten auf Schahoka, der in das Tal des Nebraska geschlichen war, um sich von der Sicherheit wenigstens der näheren Umgebung zu überzeugen. Früher als man glaubte, kehrte er zurück, und zwar so geheimnisvoll, dass er sich an Bord befand, bevor man seiner ansichtig wurde. Zugleich lief die leise Warnung von Mund zu Ohr, keinen Laut von sich geben, keine Bewegung auszuführen, deren Geräusch über den Uferrand hinausdringen könne.

Wie der junge Otoe in flüchtigen Umrissen andeutete, war er nicht weit gegangen, als er die Stimmen von Männern unterschied, die in mäßiger Entfernung sich dem Ufer des Nebraska näherten. Sie waren offenbar auf dem Weg, sich über den Verbleib der beiden zuerst entsendeten Kundschafter zu unterrichten. Der ersten Bestürzung folgte schnell ruhigere Überlegung. Kit Andrieux‘ heiterer Lebensmut schien sogar noch zu wachsen, indem er mit den braunen Gefährten die augenblickliche Lage erwog und die zunächst einzuschlagenden Schritte beriet. Wohl lag die Bahn zur Flucht offen vor ihnen, allein verhängnisvoller noch, als das Ausharren in dem notdürftigen Versteck, erschien es, das beinah unlenkbare Floß der Strömung preiszugeben. Es waltete nämlich dann die Gefahr, dass die vielleicht in der Nähe des noch glimmenden Lagerfeuers das Ufer betretenden Feinde des zu ihren Füßen vorbeitreibenden Gerüstes ansichtig wurden und aus sicherem Hinterhalt jeden Einzelnen auf demselben bis auf Lydia mit aller Bequemlichkeit niederzuschießen vermochten. An den Ernst ihrer Lage erinnerten die immer deutlicher herüberdringenden Stimmen einer größeren Anzahl von Männern, welche zugleich erkennen ließen, dass man sich in zwei voneinander getrennten Gruppen näherte. Die eine hatte es sich unzweifelhaft zur Aufgabe gemacht, den von den beiden Strömen gebildeten Winkel nach den verschwundenen Gefährten abzusuchen, wogegen die andere über die Ebene gekommen und bereits in das Missouri-Tal hinabgestiegen war, wo sie die Richtung zum verlassenen Lagerfeuer hinüber verfolgte. Aus den Zurufen beider Teile ging hervor, dass man sich gegenseitig in den Bewegungen lenkte und vor allen Dingen mit dem Erreichen des Flusses eine freie Aussicht auf den mondbeleuchteten Wasserspiegel, aufwärts und abwärts auf die Uferränder zu gewinnen trachtete. Derartigen Schwierigkeiten gegenüber war sogar Kit Andrieux ernster geworden, beschränkte sich auf die Mahnung zur Vorsicht, wie die Erklärung, dass der sofortige Aufbruch gleichbedeutend mit ihrem Verderben sei.

Das Floß lag hart am Ufer, wo es durch die in den Flusssand eingepressten Stangen festgehalten wurde. Lydia und Eva hatte man einigermaßen geschützte Plätze zwischen dem Holzwerk angewiesen. Die Büchsen schussfertig in den Händen knieten die Männer hier und da. Ihre letzte Hoffnung begründete sich darauf, dass ihre Anwesenheit den bei der Furt Versammelten unbekannt geblieben war, diese mithin nun auch nicht unmittelbar nach ihnen forschten. Unter der äußersten Anspannung ihrer Sinne lauschten sie daher nach oben, um im entscheidenden Augenblick die eigenen Bewegungen von denen der Feinde abhängig zu machen. Die Stimmen in der Uferwaldung waren allmählich so deutlich geworden, dass man auf dem Floß die einzelnen Worte voneinander zu trennen vermochte.

 

***

 

»Die Esel mögen zwischen uns und den Abhängen durchgeschlüpft sein«, drang es aus der Entfernung von höchstens achtzig Ellen zu ihnen nieder, »da können wir lange nach ihnen suchen, während sie selbst sich ausstrecken und die Decken über die Ohren ziehen. Eine Verrücktheit war es uns auf eine Wildgänsejagd zu schicken. Entweder sie kamen im Lauf der Nacht ungerufen oder der Teufel hat sie geholt und damit alle fernere Mühe um sie überflüssig gemacht.«

Die Patrouille, anscheinend vier Männer, war so weit vorgedrungen, dass über das den Uferrand bekränzende Buschwerk hinweg der mondbeleuchtete Stromspiegel vor ihr lag.

»Hallo!«, schallte es von der verlassenen Lagerstelle herüber, »Menschen hier herum! Das Feuer glimmt noch! Weiter abwärts schnaubt ein Pferd! Heran mit euch, wenn euch an einem guten Fang gelegen ist!«

»Verdammt!«, fluchte eine heisere Stimme oben, »ein Glück würde ich es nennen, hätte der Satan des Colonels Tochter samt ihrem Liebhaber dennoch zur guten Stunde hierher geführt.« Beinahe oberhalb des Floßes ließ sich das Dröhnen vernehmen, mit welchem jemand das ihn hindernde dornige Gerank niederstampfte.

»Geh noch einen halben Schritt weiter, und des Henkers will ich sein, wenn du nicht mit dem Uferrand niederbrichst«, warnte ein Zurückbleibender, »der ganze Erdboden zittert ringsum. Ich kenne den verdammten Fluss. Bevor man sich dessen versieht, liegt man so tief drinnen, dass man den Boden verliert.«

»Keine Not, Mann. Zur Hölle würde es ja nicht gleich gehen«, hieß es von oben herab. In jedem neuen Augenblick gewärtigten die Flüchtlinge, das Jubelgeheul zu hören, mit welchem man das vom Mond beleuchtete Floß begrüßte. Die Warnung schien nicht ohne Einfluss auf den Betreffenden geblieben zu sein, denn bevor seine Blicke über den Abhang selbst hinüberreichten, war er zurückgetreten.

Abermals ertönte eine Stimme beim Feuer, indem sie gellend ausrief: »Wo bleibt ihr, in des Satans Namen? Allerwärts Merkmale, dass man es einer Lady hier bequem machte. Beeilt euch und haltet die Augen offen! Hier herum müssen sie noch verborgen sein!«

»Vorwärts«, befahl die vom Branntwein heisere Stimme oben. Dann folgte das Stampfen, Knistern und Rauschen, mit welchem man sich landwärts durch das Gestrüpp drängte, um den gangbareren Boden zu erreichen, den man kurz zuvor kreuzte.

Obwohl aufatmend, nachdem die sie schwer bedrohende Gefahr wie durch ein Wunder abgewendet worden war, verstrichen die nächsten Minuten den Flüchtlingen wie eine Ewigkeit. Geringe Beruhigung gewährte, dass die Stimmen in demselben Grad, in welchem sie sich entfernten, undeutlicher wurden. Denn hatten die Raubgesellen sich erst auf der alten Lagerstelle zusammengefunden, so erschien das Entkommen geradezu unmöglich.

Noch sann Kit Andrieux ingrimmig auf ein Mittel, die Feinde zu täuschen, als die laute Unterhaltung der sich entfernenden Männer plötzlich in Ausbrüche des Erschreckens und unbezähmbarer Wut überging. Flüche, Schmähungen, Verwünschungen und Erörterungen flossen verworren durcheinander, indem alle zugleich sprachen. Erst nach einer längeren Pause drang verständlich herüber: »Beiden ist der Schädel eingeschlagen, und der Skalp so glatt vom Schädel heruntergeschnitten, wie die Schale von einer reifen Apfelsine – bei der ewigen Verdammnis! Da hängen die Dinger uns zum Hohn – passt auf, Jungens, oder eure eigene gesunde Kopfhaut ist keinen Kupfercent mehr wert!« Und lauter zu den abwärts weilenden Gefährten auf deren wiederholte Mahnung zur Eile: »Hierher mit euch, so schnell ihr die Füße voreinander zu stellen vermögt! Mit dem Frauenzimmer ist es nichts! Das Tal wimmelt von Rothäuten! Beeilt euch, sofern euch an unserer aller Sicherheit so viel gelegen ist, wie an einer Pfeife Tabak!«

Angestrengter lauschten die auf dem Floß befindlichen Männer noch dem hohen Ufer hinauf. Aus den ferneren Bewegungen der Feinde errieten sie, dass die Gerufenen sich schleunigst auf den Weg zu den Gefährten begeben hatten und nunmehr alle durch einen verhältnismäßig breiten Waldstreifen vom Strom getrennt wurden.

 

***

 

Jetzt erst kehrte Kit Andrieux‘ alte Zuversicht zurück. Sich erhebend, raunte er den beiden Otoe mit unverkennbarer innerer Befriedigung zu: »Wenn ihr heute nicht das feinste Stückchen Arbeit liefertet, das je unter den Händen eines indianischen Gentleman hervorging, will ich zum letzten Mal in meinem Leben eine Stahlfalle regelrecht aufgestellt und verwittert haben. Doch jetzt alle miteinander ans Werk und die Ruderstangen hantiert, als ob der Weg mit rohen Eiern gepflastert wäre. Heraus mit den Stangen aus dem Schlamm und mit vollen Kräften nachgeholfen, bis die Strömung uns ablöst.«

Gleich darauf gewann das Floß freie Fahrt; dann aber verteilten die Männer sich über dasselbe, ebenso bereit, zu den Büchsen zu greifen, wie mittels der Stangen sich von der schroffen Uferwand fernzuhalten. Lautlos, wie die in äußerster Spannung Erhaltenen an seinem Bord, verfolgte das schwerfällige Fahrzeug seine Bahn. Bei der Regelmäßigkeit der Strömung, welche es vor dem Drehen bewahrte, kostete es die Männer geringe Mühe, in sicherer Entfernung von der tief in den Strom hinabreichenden Erdwand zu bleiben. Auf den in der Waldung seinen Fortgang nehmenden Lärm achteten sie kaum, noch auf Lydia und Eva, die sich zwischen dem Geäst vollkommen regungslos verhielten. Nicht frei von Besorgnissen sehnten sie den Zeitpunkt herbei, in welchem die Strömung, vom Ufer abbiegend, die Richtung zur Insel hinüber einschlagen würde. Mit wachsender Schnelligkeit näherten sie sich auf der nur nach Minuten zu berechnenden Fahrt der verlassenen, eben noch gefährlich belebten Lagerstelle. Argwöhnisch spähten sie zum Uferrand hinauf, der eine gute Elle weit auf den Fluss hinausragte, wogegen unterhalb der durch die Grasnarbe und Wurzelwerk gehaltenen Deckschicht das sandige Erdreich allmählich in den das Ufer rastlos unterspülenden Strom hinabgerieselt war. Plötzlich, als das Floß der Lagerstelle beinahe gegenüber eingetroffen war, lenkte Maurus durch ein Zeichen die Aufmerksamkeit der Gefährten nach oben. Vor dem erhellten Himmel hatte er die Umrisse des Oberkörpers eines Mannes entdeckt, der von dem äußersten Uferrand aus einen Blick auf den unteren Teil des Abhanges zu gewinnen trachtete. Von den Gefährten sich trennend, um dem zu ihm herüberdringenden gelegentlichen Schnauben der Pferde nachzugehen, war er auf den ihm unverständlich gebliebenen Warnruf nicht schnell genug umgekehrt, um sich ihnen anzuschließen. Auf der vereinsamten Lagerstelle hielt ihn dagegen das Geräusch zurück, mit welchem die Männer auf dem Floß nunmehr ihre Stangen freier handhabten. Behutsam hinab spähend wurde er sofort des vom Mondlicht voll getroffenen Floßes und der auf demselben befindlichen Flüchtlinge ansichtig, und fast in demselben Augenblick, in welchem Maurus ihn entdeckte, riss er mit einem drohenden »Halt!« das Gewehr an die Schulter. Auch Maurus hatte die Büchse gepackt; doch bevor er deren Mündung nach oben richtete, schwang der feindliche Späher beide Arme in die Luft, wobei ihm das Gewehr entfiel. Während unten das Floß vorübertrieb, kämpfte er kurze Zeit sichtbar um sein Gleichgewicht. Dann aber folgte er dem unter seiner Last sich senkenden Uferrand nach. Das Wasser brauste unter ihm auf; doch nur bis an die Schultern sank er in die Fluten, indem es ihm gelungen war, während des Sturzes eine der aus der Uferwand hervorragenden zähen Wurzeln zu erhaschen. Dieselbe gab seinem Gewicht wohl nach, nur so weit, dass ihm die Möglichkeit blieb, um Hilfe zu rufen. Schinges hob die Büchse, um ihn verstummen zu machen.

Kit Andrieux wehrte ihm. »Wir mögen unsere Kugeln besser verwenden können«, meinte er gleichmütig. Zu den Stangen greifend, beteiligten beide sich mit vollen Kräften an der Arbeit, das Floß in der Mitte des Strömungskanals zu halten, der es nach kurzem Kampf mit seinem Gewicht vom Ufer forttrug.

 

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Der feindliche Späher, dessen Körperlast die Wurzel immer weiter aus dem Uferrand hervorzog, stieß unterdessen Schrei auf Schrei aus. Der feste Boden lag zu tief, um ihm eine Stütze zu bieten. Noch weniger war an ein Erklimmen der senkrechten Wand zu deuten, wo weder Hände noch Füße einen anderen Halt fanden als nachgiebiges sandiges Erdreich. So sah der des Schwimmens Unkundige einem sicheren Ende entgegen, wenn die auf seinen Hilferuf herbeieilenden Gefährten ihm nicht im letzten Augenblick noch Beistand leisteten.

Endlich verstummte die über den beweglichen Wasserspiegel hinzitternde Stimme. Ob sie in den Fluten erstickte oder in dem überwältigenden Gefühl, gerettet zu sein, blieb den eiligst davongetragenen Flüchtlingen verborgen. Wohl aber wurden ihnen einige Kugeln nachgesendet, die bei der sich schnell vergrößernden Entfernung ihr Ziel weit verfehlten.