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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 27

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

27. Wie Rübezahl an einem der besten Menschen ein Exempel statuiert.

Es folgt jetzt eine sehr betrübte Geschichte, nämlich wie Rübezahl mit einem der besten Menschen wieder zusammentrifft, und ist noch obendrein eine Art von Landsmann – das Scherkind. Die Sache aber war so:

»Sagt mir doch nur Vetter, woher sind wir denn eigentlich Vettern?«, sagte beim Heiligen Geist vor Hirschberg einer zum anderen.«

»Ja, das weiß ich nicht, Vetter«, antwortete der andere.

»Es ist kurios«, nahm der Erste das Wort, und ward ganz nachdenklich, »aber Vettern sind wir, das ist ganz gewiss.«

»Ja«, entgegnete der andere, »die sind wir.«

Eine Weile gingen nun beide ganz still nebeneinander her, aber der eine von beiden konnte diese Ungewissheit gar nicht verwinden und ging dahin wie ein tiefer Denker.

»Wie ist mir denn«, fing er wieder an, »wohnten Eure Großeltern nicht hinter der alten Apotheke?«

»Ja, das ist richtig«, entgegnete der andere.

»Nun«, fuhr der Erste fort, »und meine Großeltern wohnten gerade vor der alten Apotheke. Da haben wir es.«

»Ja«, nun hat alles seine Richtigkeit, Vetter, ich wusste es ja.«

Und damit schüttelten sich die zwei ganz vergnügt und herzlich die Hand und stiegen auf der Straße nach dem Warmbad zu.

Rübezahl war eben in der Stadt gewesen und hörte diesem Gespräch zu, indem er hinter den Leuten herging. Er erkannte bald in dem einen Wandrer das Scherkind, so sich für ein Lähner Stadtkind ausgegeben. Er blieb also zurück und dachte: Du willst hören, wo das hinaus will, denn das klingt gerade wie Windbeutelei, da in Lähn ja dermalen noch gar keine Apotheke ist. Er ging also ganz leise hinter ihnen drein, hörte ihnen zu und wunderte sich über vieles.

Als die beiden an den Kunnersdorfer Viehweg kamen, sagte der eine: »Nu, Vetter, ei Gotts Noma, kumt gesund ehema.«

»Ei Gotts Noma«, antwortete der andere, »labt ock gesund«.

So trennten sie sich und Rübezahl war nun mit dem Scherkind allein. Er grüßte und redete ihn an. Das Scherkind gab auch gute Antwort, und beide zogen zusammen die Straße weiter. Da sich Rübezahl eine andere Gestalt gegeben hatte, erkannte ihn das Scherkind nicht. Rübezahl fragte also, wie ein ganz Fremder, nach Vaterland und Vorhaben. Da sagte denn das Scherkind wieder, er sei aus dem Städtlein Lähn und ein Scherkind, und wolle Erfahrungen in der Welt machen, drum reise er. Als nun Rübezahl fragte, ob das Städtlein groß sei, und meinte, er sei noch nie darin gewesen, möchte es aber gern sehen, da sagte der Mann: Groß sei es allerdings und habe viele Merkwürdigkeiten, besonders den Turm, so an die 11.000 Fuß hoch sei und in fruchtbaren Jahren wohl noch etwas mehr, wovon die Feueresse des Türmers allein 1100 Fuß wegnehme, und brauche ein Essenkehrer gerade einen halben Tag, bis er hinaufkomme und fast eben solange, bis er wieder herunterkomme, und habe er unterwegs von Zeit zu Zeit seine Einkehr und Ruhe, sonst hielte er es nicht aus.

Klingt das so?, sagte Rübezahl bei sich und zog still an seiner Seite dahin, während das Scherkind ihm fernerweit tapfer vorlog.

Zwischen Warmbrunn und Giersdorf wurde der Abend sehr schön. Die Sonne neigte sich zum Untergang und vergoldete alles und besonders die alte hohe Burg Kynast zum Entzücken, während die abendlichen Gebirge näher der Sonne in Rosenduft schwammen. Die Vögel zwitscherten in den Sträuchern am Weg, die Herden zogen läutend nach Hause, und dem besten Menschen, der an Rübezahls Seite dahinschritt, ging es im Leib herum. Es war eine musikalische Abendunterhaltung. Da wurde es selbst dem Berggeiste bang ums Herz. Er fragte den besten Menschen, was ihm denn fehle, weil es so orgele.

»Herr«, sagte der, »ich bin der beste Mensch und möchte um alle Schätze der Welt mich mit niemand verzürnen, aber ihr mögt es mir nun glauben oder nicht, ich weiß es nicht. Ich habe in Hirschberg nur ein paar Schock Pflaumen gegessen und ein paar Kanneln Bier – es war aber noch jung – darauf getrunken, und nun ist mir ganz wehmütig im Leib, weiter nichts.«

Sie gingen nun ruhig weiter und Rübezahl dachte an nichts. Wie sie nun hierauf an einen Strauch kamen, ich glaube, es war ein Wachholderstrauch, da sagte der beste Mensch, hinter den müsse er, da habe er notwendig zu tun. Rübezahl sagte »Gut« und blieb stehen. Da der Abend sehr still war, hörte er vieles.

Lange hielt sich der beste Mensch da hinten nicht auf und sie gingen weiter. So oft aber wieder ein Strauch kam, so verlor sich auch der beste Mensch und kam dem Rübezahl gleichsam vor wie ein umgekehrter Strauchdieb.

Ja, sagte dieser lächelnd bei sich selbst, auch der beste Mensch kann der Tücke des Schicksals nicht entgehen; aber, setzte er innerlich hinzu, das ist noch nicht genug. Der Windbeutel bedarf einer kräftigem Lehre.

Als sie nun an Giersdorf herankamen – die Bleichplätze waren alle voller Menschen – so zauberte er dem Scherkind eine Nase an, dass er fast selbst darüber erschrak, und daran waren eitel junge gewachsen, sodass sie fast das halbe Gesicht verdeckte, und das Scherkind recht hoffnungsvoll und beinahe aussah wie ein gewaltiger Kreuzschnabel oder gar Pfefferfresser. Wie er nun bei den Leuten vorbeiging, so staunten die ihn an und lachten, sodass es ihn ganz verdross.

Im Wirtshaus sah ihn der Wirt mit Entsetzen an. »Guter Freund«, fragte er, wo habt Ihr nur die große Nase her?«

Groß, meinte das Scherkind etwas empfindlich, sei seine Nase gerade nicht, wenn auch nicht sehr klein.

»Nun«, fuhr der Wirt fort, »eine so große Nase hat wohl kein Mensch weiter auf der Welt, und es sitzen lauter kleine drum her wie bei einer Himbeere, sodass man ja vom ganzen Gesicht nicht viel sieht.«

Das Scherkind wurde bestürzt.

»Wenn Ihr mir nicht glauben wollt«, hob der Wirt wieder an, »so beseht Euch selbst.« Er brachte ein Schaff mit Wasser. Das Scherkind beugte sich darüber und schaute hinunter.

Es war, als ob ihn der Schlag rührte, als er nichts als Nase an sich sah, Er sing zu wehklagen an, dass es auch einen erbarmen musste, der nichts weniger als der beste Mensch war. Dazu kamen noch mehr Leute, die sich ebenfalls vor ihm entsetzten.

Da er nun meinte, dass das Zauberei sein müsse, wurde der Wirt nachdenklich und fragte ihn, ob er denn etwas Unrechtes getan habe, denn es komme ihm fast so vor, als ob der Junker vom Gebirge ihm einen Streich gespielt habe. Das Scherkind besann sich eine Weile. Da er sich nicht rein in seinem Gewissen fühlte wegen des Lähner Turms usw., so kam er endlich auf den Gedanken, dass ihm der gestrige Begleiter den Schabernack gespielt hatte.

Mit Seufzen brachte er die Nacht hin und stieg am anderen Morgen in tiefer Traurigkeit den Hain hinauf. Wie er oben am Wald ist, so sieht er dort einen Jäger sitzen, der hell auflacht, als er ihn erblickt.

»Dir«, sprach er, »hat der Berggeist wohl auch einen Streich gespielt, denn deine Nase ist keine natürliche.«

»Ach«, seufzte der Arme, »wenn ich nur mein natürliches Gesicht wieder hätte, ich wollte ja in meinem Leben kein unwahres Wort wieder reden.«

»Ist das wahr, mein Bursche?«, fragte der Jäger.

»Ja gewiss, das schwöre ich zu Gott.«

»Nun, so mag es sein«, sprach der Jäger, »aber dass du auch Wort hältst, sonst …« Und damit hatte er seine natürliche Nase wieder.

Merke:

Wer anderen Nasen dreht, der muss es sich gefallen lassen, wenn ihm wieder welche gedreht werden.