Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Interessante Abenteuer unter den Indianern 96

Interessante-Abenteuer-unter-den-IndianernJohn Frost
Interessante Abenteuer unter den Indianern
Erzählungen der merkwürdigsten Begebenheiten in den ersten indianischen Kriegen sowie auch Ereignisse während der neueren indianischen Feindseligkeiten in Mexiko und Texas

Kenton und Girty

Simon Kenton war einer der frühesten Ansiedler auf dem Gebiet des jetzigen Staates Kentucky. In der Jagd auf wilde Tiere und auf Indianer kamen wenige ihm gleich. Er war tapfer, unternehmend, entschlossen und schlau. Simon Girty, ebenfalls ein wohlbekannter Hinterwäldler, war in seiner Jugend ein vertrauter Spielkamerad Kentons gewesen. Aus gewissen Ursachen, über denen indessen der Schleier des tiefsten Geheimnisses ruht, hatte sich Girty aus den Ansiedlungen der Weißen entfernt, war ein Freund und treuer Bundesgenosse der Indianer geworden und hatte sich bei allen Einfällen derselben auf die Ansiedlungen der Weißen, besonders in Pennsylvanien, als höchst rachgierig und blutdürftig benommen, sodass er mit Recht von allen Weißen als ihr ärgster Feind betrachtet wurde. Da er sehr stark und äußerst gewandt war, sich vor nichts in der Welt fürchtete und stets bereit war, an jeder noch so waghalsigen und blutgierigen Unternehmung teilzunehmen, so stand er unter den Indianern in großem Ansehen und es wurde viel Gewicht auf seine Ratschläge gelegt. Er hatte an fast allen Kriegs- und Raubzügen gegen die Ansiedlungen in Pennsylvanien und Virginien bis zum Jahre 1778 teilgenommen. In diesem Jahr trug sich indessen eine Begebenheit zu, die den einzigen Glanzpunkt in seinem ruchlosen Leben darstellt und die wir deshalb weitläuftiger beschreiben wollen.

Girty befand sich zu dieser Zeit in Sandusky, im jetzigen Staat Ohio. Simon Kenton war zu derselben Zeit dorthin gebracht worden, um zu Tode gemartert zu werden, nachdem er von einer Streifpartie der Indianer am Ohio River gefangen genommen war. Girty und Kenton hatten in den früheren Kriegen gleichzeitig in Fort Pitt, dem jetzigen Pittsburg, gedient und an Dunmores Kriegszug teilgenommen. Allein Kentons Gesicht war bereits von den Indianern geschwärzt worden, als Vorbereitung zu dem Scheiterhaufen, auf den er geführt werden sollte. Deshalb erkannte Girty seinen Spiel- und Waffengefährten nicht. Girty war gerade von einem verunglückten Kriegszug nach Pennsylvanien zurückgekehrt. Er war wütend über das Misslingen desselben. Sobald deshalb Kenton in das Dorf gebracht wurde, fiel er über ihn her und ließ seine Wut an ihm aus durch wiederholtes Schlagen und Treten mit den Füßen, nachdem er ihn zu Boden geworfen hatte. Er wusste, dass der Gefangene aus Kentucky war und beabsichtete wahrscheinlich durch diese üble Behandlung ihn zu zwingen, gewisse Aufschlüsse über Dinge, die er zu wissen wünschte, zu erlangen. Er fragte ihn unter anderem, wie viele Menschen in Kentucky wohnten. Da Kenton diese Frage nicht beantworten wollte oder konnte, nannte er indessen mehrere Namen bedeutender Männer, die sich damals in Kentucky befanden. »Kennst du William Stewart?«, fragte Girty.

»Ganz genau«, antwortete Kenton, »er ist mein alter und vertrauter Freund.«

»Und wie heißt du denn?«

»Simon Kenton«, antwortete Kenton. Als er diesen Namen ausgesprochen hatte, verwandelten sich die wilden und wütenden Züge Girtys plötzlich. Er nahm Kenton bei der Hand, half ihm vom Boden aufstehen und umarmte ihn herzlich, während er inständig um Verzeihung bat wegen der ihm erzeigten schmachvollen Behandlung und ihm versprach, sein Leben zu erhalten und die Freiheit zu verschassen. »Sim«, sagte er, während er wie ein Kind weinte, »du bist zwar zum Tode verurteilt, allein ich will alles aufbieten, dir das Leben zu erhalten.

Die Szene wird zwar von einigen Erzählern mit anderen Nebenumständen berichtet, allein alle stimmen darin überein, dass Girty bei dieser Gelegenheit wahrhaft ergriffen war und dass es ihm leidtat, seinen alten Gefährten übel behandelt zu haben.

Kenton selbst hat mehrere Jahre vor seinem Tod die näheren Tatumstände seiner Gefangenschaft einem Schreiber in die Feder diktiert. Aus dieser Erzählung entnehmen wir folgende Stelle: »Sobald Girty meinen Namen hörte, wurde er augenblicklich sehr gerührt, fiel mir um den Hals und drückte mich an seine Brust. Dann wandte er sich an die versammelten Krieger, die diesen Austritt mit Erstaunen angesehen hatten und hielt eine kurze Anrede an sie. Aus dem großen Ernst, mit dem er sprach, sah man deutlich, dass ihm die Worte vom Herzen kamen. Er sagte ihnen, der Gefangene, den sie im Begriff ständen, zu Tode zu martern, sei sein Jugendgefährte und Busenfreund. Sie seien miteinander auf einem Kriegspfad gewandelt, haben auf derselben Decke geschlafen und in einem Wigwam gewohnt. Er flehte sie an, ihm den Schmerz zu ersparen, die Martern seines Freundes mit anzusehen, die dieser Kraft ihres Ausspruchs, von den Händen seiner roten Adoptivbrüder setzt erdulden solle. Er bat sie, das Geschenk des Lebens eines einzigen weißen Mannes ihm nicht zu verweigern, da aus dreijähriger Erfahrung sie ganz genau wissen müssen, wie aufrichtig und gewissenhaft er sich ihrer Sache angenommen habe. Die Indianer hatten die Rede mit dem tiefsten Stillschweigen angehört. Sobald er diese beendet hatte, drückten mehrere Häuptlinge ihre Zustimmung in gewissen einsilbigen Kehltönen aus, während andere ihre Ablehnung des Vorschlags in eben so lakonischer Art kundgaben. Einer der Gegner nahm nun das Wort und drang darauf, dass das Urteil vollstreckt werden müsse, weil es in großem und feierlichem Rat gefällt sei und weil sie nicht wie die Weiber handeln dürften, die sjde Stunde ihre Beschlüsse ändern. Er legte ferner dar, dass Kenton des Todes schuldig sei, weil er ihre Pferde fortgetrieben und sein Gewehr auf einen ihrer jungen Krieger abgedrückt habe, dass ein so schlechter Kerl kein Indianerherz bekommen könne, wie ihr Bruder Girty, dass die Kentackier alle gleich schlecht seien, und dass es ratsam sei, sie so geschwind zu töten wie man sie fangen könne. Endlich sagte er, dass es sehr unhöflich sei, Kenton nicht zu Tode zu martern, da viele ihrer Gefährten eine weite Reise gemacht hätten, um das Vergnügen zu haben, bei den Martern hilfreiche Hand zu leisten. Er malte das Missvergnügen und die getäuschte Erwartung derselben mit sehr glänzenden Farben aus, im Falle sie herausfinden würden, dass ihre gehabte Mühe vergeblich gewesen sei.

Girty wartete mit ersichtlicher Ungeduld, bis der junge Krieger seine eindringliche und spitzfindige Rede beendet hatte. Dann aber sprang er von seinem Sitz auf und mahnte sie kurz, aber sehr bündig, an alle Dienste, die er ihnen geleistet und an die Anhänglichkeit, die er ihrer Sache gezeigt hatte. Er fragte, ob man ihm vorwerfen dürfe, dass er sich je der Weißen angenommen, ob er je des Lebens eines dieser verhassten Rasse geschont, ob er nicht sieben Skalpe vom letzten verunglückten Zug heimgebracht, ob er nicht sieben weiße Gefangene an dem Tag ihnen übergeben, um damit zu schalten nach ihrem Ermessen, ob er auch nur den leisesten Wunsch geäußert habe, dass das Leben irgendeinem der Gefangenen gelassen werden möge? Dies sei das erste Mal und solle das letzte Mal sein, dass er einen solchen Wunsch äußern wolle. Wenn sie nun ihm verweigern würden, was sie in keinem Falle einem ihrer eingeborenen Häuptlinge je verweigert hätten, so müsse er sich für entehrt halten und unwert des Zutrauens des Stammes. Welcher ihrer eingeborenen Häupt- linge habe aber mehr Tatkraft bewiesen als er? Von welchem Unternehmen habe er sich je zurückgezogen? Welcher Weiße habe jemals seinen Rücken gesehen? Wessen Tomahawk sei blutiger wie der seine? Mehr wolle er nicht reden. Er verlange als erste und letzte Gunstbezeigung, als Beweis, dass man seinen Eifer und seine Treue ehre, dass man das Leben seines Busenfreundes schone.

Andere Redner sprachen nun für und gegen den Vorschlag und die Beratung währte nahe an zwei Stunden. Kentons Lage kann man sich leichter einbilden als beschreiben. Er verstand kein Wort von dem, was man sprach. Er sah, dass Girty mit Ernst und Eifer sprach und dass man oft auf ihn selbst blickte und zwar mit ganz verschiedenem Ausdruck in Blick und Gebärde. Er sah, dass sein Freund sich bemühte, sein Leben zu retten und dass eine große Anzahl des Rates sich dagegen auslehnte. Endlich wurde die Kriegskeule des Stammes herbeigeholt, um damit die übliche Abstimmung vorzunehmen. Mit gespannter Erwartung achtete Kenton auf den Erfolg. Es lässt sich seine unermessliche Freude denken, als er fand, daß die Zahl derjenigen, welche mit der Keule auf den Fußboden des Ratszeltes stampften, bei Weitem geringer war, als die Zahl derjenigen, welche sie weiterreichten, ohne den Fußboden damit zu berühren. Girtys Partei hatte den Sieg im Rat errungen. Er selbst bemühte sich sofort, die Lage seines Freundes zu erleichtern. Er führte ihn in seinen eigenen Wigwam, versorgte ihn mit Indianerschuhen und Gamaschen, Hut, Rock und Halstuch. Einige Wochen darauf wurde Kenton nach Detroit geschickt. Von dort aus erreichte er nach mancherlei Abenteuern endlich seine Heimat in Kentucky.

Girty blieb bei den Indianern und behauptete seinen Einfluss auf sie und sein Ansehen unter ihnen bis an sein Lebensende. Leider aber behielt er auch seine Feindschaft gegen die Weißen bei und zeichnete sich in mancher Gräuelszene gegen sie unrühmlich aus.