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Oberhessisches Sagenbuch Teil 15

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

III.

Umzüge der Götter

Die entführte Leuchte

Dass im Linnes, beides dem großen wie dem kleinen, von Alters her es mit dem wilden Jäger nicht richtig ist, braucht man niemanden zu sagen – es ist eine weltbekannte Geschichte. Nun wollte einmal in der heiligen Adventszeit von Grünberg aus ein Mann von Nieder-Ohmen bei sehr dunkler Nacht wieder heimwärts und hatte sich aus Vorsorge, um nicht im Wald des rechten Weges zu fehlen, eine Leuchte mitgenommen.

Ehe er aber noch in denselben kam, entstand ein furchtbarer Sturm in der Luft. Er hörte über sich ein Heulen und Pfeifen, das ihm artlich genug vorkam, doch ging er tapfer seines Weges weiter. Auf einmal, als er kaum den Wald betreten hatte, hörte er eine Koppel Hunde wütig um sich her bellen, Geiseln platzten, Stimmen riefen, sehen aber konnte er trotz alledem nichts. Gleich danach stand er still im Dunkeln, denn seine Leuchte war fort. Er konnte gar nicht begreifen, wie sie ihm aus den Händen gekommen war.

Was tun? Zitternd tappte er sich, so vorsichtig wie möglich, durch die Düsternis des Waldes weiter fort. Über ihm schlugen die Äste der Bäume gegeneinander, als sollten sie alle umfallen. Das zuerst gehörte unheimliche Wesen aber verzog sich immer mehr in die Ferne. Allgemach gelangte er aus dem verrufenen Revier heraus und erreichte, am ganzen Leibe bebend wie Espenlaub, das blache Feld.

Nachdem er hier wieder ein gutes Stück fortgegangen war, sah er auf einmal vor sich auf der Straße etwas blinken. Er kam dem Ding näher und näher, und siehe da – es war seine Leuchte, die ihm auf eine unerklärliche Weise aus den Händen gekommen war. Sie war vollständig unversehrt. Das wilde Heer hatte sie ihm also über eine Stunde Wegs weit mitgenommen. Als er dies alles so recht innewerde, griff er rasch zu und tummelte sich, was er nur konnte, dass er davonkam. Die Nachtwanderungen durch das Linnes aber hat er seitdem grundmäßig aufgesteckt.


An der Astruth

Die Astruth, die große und die kleine, so heißen nämlich zwei kleine Bergwäldchen auf dem Höhenzug, wo der Gackerstein nach Michelbach hinabzieht. An dem Platz ist schon mehr als einem das Lachen vergangen.

Zwei Busenbörner wollten dort einst am Abend Holz holen. Als sie im Wald sich befanden, war es ihnen, als rausche neben ihnen ein großes Wasser. Ein Hund oder ein anderes Getier patschele auf sie zu. Sie konnten nicht ausmachen, was das für ein seltsames Ding sein sollte, und huben sich eiligst davon. Zu Hause aber schämten sie sich ihrer Furcht und kehrten des folgenden Abends zu viert an denselben Ort zurück, nachdem sie sich fest das Wort darauf gegeben hatten, der Sache auf den Grund zu sehen. Dazu konnten sie bald kommen. Denn kaum dort angelangt, zog es die Breungeshainer Haide herunter mit gottesmärterlichem Spektakel. Alles schallte durcheinander: Vogelstimmen, Hundebellen und Jauchzen, Gaulgetrappel und Wiehern, dass man sich die Ohren zuhalten mochte. Mitten inne im ganzen Lärm aber tönte es wie die Stimme eines Menschen, der dem Wesen gebot. Die vier erinnerten sich ihres Versprechens und eilten, jeder auf einem anderen Weg, auf die Gegend des Lärms zu. Aber da war es still. Tief unten im Michelbacher Grund dagegen ging nun der Spektakel los; und doch war es windstill überall und dann wieder über ihnen und neben ihnen. Da hielten sie es fürs Beste, umzuwenden und waren herzensfroh, als sie die Lichter des Dorfes erblickten, wo sie ganz vergeistert ankamen. Es wird ihnen ewig gedenken.


Der Geisterwagen auf dem Gebück

Ein Büdinger Steinhauer, der in der Vorstadt wohnte, wachte in der Nacht auf. Es deuchte ihm gegen fünf Uhr morgens zu sein, um welche Zeit er gewöhnlich zur Arbeit in den Steinbruch sich aufzumachen pflegte. Er tat sich also rasch an und zog die einsame Straße entlang, bis er in die Nähe des Jerusalemtores kam. Da auf einmal rasselte ein prächtiger Herrenwagen den Lohsteg daher und an ihm vorüber, gerade das Gebück hinauf, hast du nicht gesehen. Mein Steinhauer dachte: Den Weg kannst du sparen. Lauf dem Wagen nach und setze dich hinten auf, so bist du hurtig an deinem Platz!

Allein das Ding ging doch nicht so leicht, als er sich gedacht hatte. Der Wagen fuhr mit einer solchen Geschwindigkeit bergaufwärts und oben an der Stadtmauer unter den Weinbergen her, dass er jedes Mal, wenn er denselben zu erreichen glaubte, wieder weit von ihm war.

So ging sein Lauf und die tolle Fahrt weiter bis ans Bandhaus vor dem Obertor, da hinein fuhr der Wagen in vollem Galopp, und damit war alles zu Ende. Denn im selben Augenblick schlug es zwölf Uhr vom Schlossturm. Todmüde und schweißgebadet stand der Steinhauer vor der Mauer des Bandhauses. Aus demselben kam ein ungeheuer großer Hund mit feurigen Augen auf ihn losgestürzt, vor dem er eilends floh. Erst danach wunderte er sich über seine Einfalt, dass er vergessen hatte, welche Zeit es war, nämlich Advent, und dass er am Kutscher auch keine Spur von einem Kopf hatte entdecken können.