Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 9

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Eine Anekdote aus eigener Erfahrung

Ich hatte einen Anverwandten, der mich sehr liebte, und den ich mit jedem Jahr des Sommers wenigstens auf einige Monate besuchen musste. Sein Umgang schon war nicht gemeine Unterhaltung. Es war ein liebenswürdiger Alter, der viel Menschenkenntnis, viel Erfahrung besaß und die seltene Gabe hatte, auch zu Jüngeren sich herabzulassen.

So oft ich kam, sah ich, dass er recht geflissentlich darauf ausging, mich mit den ausgesuchtesten Vergnügungen zu überraschen und mir den Aufenthalt bei ihm, so viel ihm möglich war, angenehm zu machen. Mit Sehnsucht erwartete ich daher den Zeitpunkt, wo mir jährlich meine Geschäfte erlaubten, den guten braven Alten auf dem Land zu besuchen.

Es war in dem letzten Sommer seines Erdenwallens, das mir auf seinem Gut nachstehendes Geschichtchen begegnete.

Den Tag vor meiner Ankunft musste der rechtschaffene Alte in einer wichtigen Angelegenheit zur nahen Kreisstadt. Nur Domestiken waren im Haus, alle beschäftigt mit der Reinigung der Zimmer, als ich ankam.

Ich wollte den Leuten nicht im Wege sein, überkleidete mich geschwind, nahm ein Buch und ging in ein nicht fern vom Ort liegendes Wäldchen, das mir schon von lange lieb geworden war.

Am Eingang des Wäldchens stehen eine alte Kapelle und eine ehrwürdige Eiche nebenan. Um Kapelle und Eiche herum will der dortige Landmann oft Feuermänner und andere Schreckbilder gesehen haben. Ich lagerte mich unter dem Schatten der Eiche. Es war ein heißer Nachmittag. Nur Grillen schwirrten im Feld und Heupferde hüpften im Gras, sonst regte sich der Wesen keines. Ich zog mein Buch hervor; es war Ossian, was ich las. Ich hatte lange gelesen und mich genährt an dem Seelenausfluss des Barden, als ich plötzlich im angrenzenden Busch sehr deutlich meinen Namen nennen hörte. Ich wurde aufmerksam. Nach einer kleinen Pause hörte ich es wieder. Ich ging näher, und abermals tönte mir mein Name ins Ohr. Ich trat ins Wäldchen; noch einmal schallte die Stimme, und dann nicht mehr.

Ich durchsuchte jedes Dickicht, jede Hecke; es war kein Mensch zugegen, keinen sah ich rings umher, keinen außer dem Wäldchen.

Auch war die Stimme keine Menschenstimme gewesen.

Ich hatte mich ermüdet und beschloss, unter der Eiche an der Kapelle auszuruhen.

Nicht sobald hatte ich mich gesetzt, als dicht hinter der Kapelle abermals mein Name genannt wurde. Nun war ich fest überzeugt, dass es weder ein Mensch noch eine Täuschung des Ohrs gewesen war. Ich wusste nicht, wie ich dieses Phänomen erklären sollte, und ging nachdenkend nach Hause. Der Wahn des Pöbels, dass man oft seinen Namen nennen höre, wenn einem Unglück, eine gefährliche Krankheit oder wohl der Tod selbst bevorstünde, fiel mir ein. Ich erinnerte mich an Campanella, der gleichfalls oft seinen Namen rufen hörte, ohne den Rufenden gesehen zu haben.

Ich kam in die Wohnung meines Alten und traf bereits den lieben Mann zu Hause. Er empfing mich mit Zärtlichkeit, doch las ich einige Spuren von Unmut in seinem Gesicht und bemerkte an den Domestiken, dass ein Verdruss in meiner Abwesenheit vorgefallen sein musste. Hausangelegenheiten, dachte ich mir und kümmerte mich nicht weiter darum.

An der Tafel erzählte ich meinem Wirt den Vorfall im Wäldchen und an der Kapelle.

Die Anwesenden machten bedeutungsvolle Mienen und schrieben es dem Geist zu, der nach der allgemeinen Meinung bei der Kapelle seinen Unfug treiben soll.

Der Alte lächelte und löste das Rätsel folgendermaßen:

»Sie wissen, lieber Vetter«, sprach er, »dass ich Sie so gerne mit Vergnügungen überrasche. Als Sie vorigen Jahres mich verließen, dachte ich schon an den heurigen Sommer. Von ungefähr bekam ich einen Star zu kaufen. Da fiel mir ein, dem Vogel Ihren Namen aussprechen zu lehren. Nach vieler Mühe gelang es mir, und er nannte Sie mit vieler Deutlichkeit. Ich wollte den artigen Sprecher vor das Fenster Ihres Schlafzimmers hängen und Sie von ihm schon mit anbrechendem Tag durch den Ruf Ihres Namens wecken lassen. Die heutige Nacht war dazu bestimmt; allein meine Leute, die in meiner Abwesenheit die Zimmer reinigten, in denen der Vogel herumhüpfte, hatten nicht acht, und der Vogel entflog zu meinem größten Verdruss. Dieses war also der Geist, der Ihren Namen nannte.

So sind oft ganz gewöhnliche Dinge Ursachen der auffallendsten Begebenheiten.