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Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 8

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Die Geliebte in einem Zuber Wasser

Einen meiner Freunde hatte der kleine lose Amor recht gefährlich verwundet.

Tief war der Pfeil des schalkhaften Schützen in das Herzchen des jungen Mannes gedrungen; so tief, dass er ihn aus der Wunde zu ziehen nicht vermochte. Wo ich ging und stand, war der Liebeskranke um mich und seufzte mir Elegien vor. Hatte ich Papiere auf dem Tisch liegen lassen, so waren sie gewiss, ehe ich mich versah, mit dem Namenszuge der Geliebten bezeichnet. Er kaufte Vögel, und lehrte sie seine Dulcinea nennen. Im Traum sprach er von ihr und träumte wachend ihren Reiz. Redete ich von Geschäften, so antwortete er mir, als hätte ich nach seiner Liebe gefragt.

Bald musste ich die Schilderung ihres Engelsgesichts hören, bald den Schnee ihrer Hände bewundern. Er sprach vom Alabaster ihres Busens, von der Feinheit der Haut. Nun entzückte ihn das bezaubernde Lächeln der rosigen Wange. Die Welt verlor er aus den Augen, wenn der kleine Fuß vor seiner Seele stand.

So begannen die Tage so endeten sie.

Mit einem Werthergesicht kam er eines Morgens früh auf meine Stube. Ich ahnte Unheil, als ich ihn erblickte. Hastig griff er nach meiner Hand und ließ sie los, setzte sich und hob sich sogleich wieder; wollte reden, konnte nicht; schlug sich auf die Stirne, ging ans Fenster und sah gen Himmel. Endlich flossen Tränen und der Mund stammelte die Worte: »Sie ist fort!«

Als ich fragte, wer, so zog er schnell ein Portrait aus seiner Brust und rief mit dem Ausdruck der heftigsten Leidenschaft: »Wer als dieser Engel!« Küsse zu Tausenden fielen auf das Gemälde.

Meine Einbildungskraft war schon vor dem durch die Schilderungen des Verliebten in den Stand gesetzt worden, sich von ungefähr das Bild dieses Engels im Weiberrock zu denken. Nun sah ich am Porträt, dass ich mich nicht sehr geirrt hatte.

Mein Freund ging, und im Gehen sagte ich ihm, dass er nachmittags seinen Engel sehen soll, denn mir war wirklich bange um den jungen Mann.

Nachmittags kam er zur gesetzten Stunde. Wir sprachen viel vom Mädchen. Ich führte ihn zu einem Gefäß voll Wasser, zog ein Pulver aus meiner Tasche und sagte mit einem ernsten Ton, dass ich ihn in diesem Wasser den Geist der Geliebten sehen lassen wolle, streute zugleich das Pulver ins Gefäß. Im Wasser stiegen Wolken auf und trübten es. Endlich klärte sich das Wasser auf.

»Ha! sie ist es!«, rief er, die Arme nach der Gestalt im Wasser ausbreitend.

Ein Bediensteter trug das Gefäß weg.

Erklärung

Der Leser weiß schon, dass ich ein so ziemlich wahres Bild vom Mädchen im Kopf hatte. Was noch daran fehlte, verbesserte und setzte ich nach dem gesehenen Porträt hinzu, malte geschwind, da ich mich allein befand, das Ideal auf Pergament, brachte solches in die Aushöhlung einer hölzernen Halbkugel, die inwendig mit Blei gefüllt war, damit sie sogleich, wenn ich sie in das Gefäß mit Wasser warf, zu Boden sank und die Seite mit dem Gemälde aufwärts zu stehen kam.

Mein Freund erschien, er schien, voll von der Geliebten und voll der Erwartung ihre Gestalt, ihren Geist zu sehen. Meine Reden entflammten nur noch mehr seine Imagination. In diesem Zustand führte ich ihn zum Gefäß. Sein Augen schimmerten im Wasser. Ich griff zurr Tasche, holte die Halbkugel hervor und ein Pulver aus Krebsaugen. Die Krebsaugen trübten ein wenig das Wasser, gaben dem Werk ein magisches Kolorit und verhinderten, das Auge zu sehen, dass mit dem Pulver noch etwas anderes ins Wasser falle. Das Wasser klärte sich und die Halbkugel zeigte die Gestalt. Der Geist war da für den, der ihn zu sehen geneigt war.