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Gold Band 3 – Kapitel 3.2

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 3.2
Mr. Smith

Die beiden Leute stiegen wieder an ihren Arbeitsplatz hinunter, und Fischer setzte sich an die Maschine, während Beckdorf von der schon auf den Rand der Grube geworfenen Erde ein paar Eimer füllte und sie hinüber zum Bach trug.

»Was lachen Sie, Fischer?«, fragte er hier, als er seinen Kameraden, scheinbar in äußerst guter Laune bei der Maschine sitzen fand.

»Hm«, sagte dieser, »ich dachte eben an die beiden komischen Käuze drin im Paradies, den Justizrat und den Assessor, diese zwei Auswüchse unserer deutschen Jurisprudenz, die das launige Schicksal zusammen an diese Küste geworfen hat.«

»Sie haben recht«, bestätigte Beckdorf diese Bemerkung, »es sind ein paar wunderliche Exemplare, und der Tenorist passt vortrefflich dazu, das Kleeblatt vollzumachen.«

»Schade, dass ihnen der Komet durchgebrannt ist«, sagte Fischer, »der Komet hatte aber immer noch weit mehr Lebensfähigkeit, denn er verstand zu borgen. Wie diese drei Biedermänner aber hier in den Minen existieren wollen, vorausgesetzt, sie können sich das Essen nicht abgewöhnen, ist mir ein Rätsel.«

»Der Justizrat soll Geld haben«, meinte Beckdorf, »und damit hält er sich und seinen Kompagnon wohl noch eine Weile über …« Er sah rasch in die Höhe und aufmerksam zum Hang hinüber.

»War da etwas?«

»Ich hörte ein Geräusch, und wie ich aufsah, war es mir auch, als ob ich einen Schatten an jenem umgefallenen Baum da drüben dicht an dem Pfad gesehen hätte.«

»Vielleicht der Schatten eines Raubvogels, der über das Holz gestrichen ist.«

»Vielleicht«, sagte Beckdorf, ohne den Blick von jener Stelle zu nehmen, »und doch sah es auch wieder anders aus. – Wenn uns die Indianer am Ende gar einen Besuch zugedacht hätten …«

»Bah, so viel für die Indianer, schütten Sie nur die Erde herein … so, der eine Eimer ist genügend. Jetzt fahren wir mit dem Wechselwagen. Während Sie einen anderen holen, bin ich mit diesem fertig und die Maschine bleibt im Gang.«

»Da kommt ein Reiter den Pfad herauf«, sagte Beckdorf, der noch scharf nach allen Seiten umhergespäht hatte.

»Hm, das ist ein Amerikaner«, sagte Fischer, der bezeichneten Richtung mit den Augen folgend, »vielleicht gar der neue Kollector, der die Bäche hier absucht, von uns armen Teufeln die 20 Dollar Taxe einzukassieren. Bei mir kommt er aber schlecht an. Ich gebe mich für einen Bürger der Vereinigten Staaten aus und schicke ihn nach San Francisco, meine Papiere zu untersuchen.«

»Das ist kein Fremder«, sagte aber Beckdorf, der den Nahenden im Auge behalten hatte. »Die Gestalt habe ich wenigstens jedenfalls schon gesehen.«

»Alle Wetter, das ist ja der Spieler, jener Mr. Smith, wie er, glaube ich, heißt«, rief Fischer, »der damals die Geschichte mit den Indianern hatte. Das wäre auch kein Verlust für das Paradies, wenn er sich woanders eine Residenz suchte. Der Kerl ist ein Lump durch und durch.«

»Er biegt hierher zu ab.«

»Lassen Sie sich nicht mit ihm ein«, meinte Fischer. »Er mag zum Teufel gehen und sich dort eine Unterhaltung suchen.«

Fischer fing an, seine Maschine zu schaukeln, und Beckdorf ging mit dem geleerten Eimer zur Grube zurück, frische Erde einzufüllen. Als er diese zur Maschine brachte, kam der Reiter eben am Bach herauf und hielt neben den beiden an.

Mr. Smith hatte es nämlich für weit geratener gehalten, den Botenweg zum golden bottom zu reiten, als sein kostbares Leben sowie sein erbeutetes Gold den Zufällen eines, wie er recht gut wusste, tollkühnen Angriffs auszusetzen. Allerdings war ihm nicht entgangen, dass eine ziemlich große Anzahl von Indianern in den Bergen umherstreifte. Diese hatten sich aber am Morgen alle weit mehr östlich der Stelle zugezogen, an der die Mexikaner hielten. Außerdem brauchte er sie, gut beritten und mit einem vortrefflichen Revolver bewaffnet, auch nicht zu fürchten. Als er dann nur den Hügelrücken erreichte, befand er sich auch schon fast im Bereich von golden bottom, in dessen Nähe viele Amerikaner arbeiteten.

Mr. Smith saß auch sehr ungeniert auf seinem Pferd, das rechte Bein über den Sattelknopf hinübergeschlagen, nach Damenart, und pfiff sich sehr vergnügt und sehr falsch den Yankee-Doodle oder vielleicht Washingtons Marsch – es konnte recht gut beides sein. So bog er vom Pfad ab, den gerade dort ein umgebrochener Baumstamm verlegte, und kam dicht an den beiden Deutschen vorbei, neben deren Maschine er sein Pferd einen Augenblick einzügelte. Er schien gar keine besondere Eile zu haben, seine Landsleute zur Hilfe herbeizuholen.

»Nun, Gentlemen«, sagte er hier, mit äußerst artiger und gewinnender Stimme, »finden Sie Ihre Arbeit nach Gebühr belohnt?«

Beckdorf sah ihn von der Seite an, nahm dann den leeren Eimer in die Hand und ging langsam wieder der Grube zu. Fischer aber fing an zu schaukeln und antwortete ebenfalls nicht.

Mr. Smith klemmte seine überdies dünnen Lippen noch etwas fester zusammen und rief dann: »Meiner Meinung nach, Sir, gehört unter Gentlemen auf eine höfliche Frage auch eine höfliche Antwort.«

»Unter Gentlemen, ja«, sagte Fischer trocken, »mein Kamerad und ich haben aber, soviel ich weiß, nicht miteinander gesprochen.«

»Und erklären Sie mich für keinen Gentleman, Sir?«, rief der Amerikaner. Die kleinen boshaften Augen verschwanden fast unter den zusammen gezogenen Brauen.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Smith«, erwiderte aber der Deutsche. »Hier arbeiten wir und haben keinem Menschen Rede zu stehen oder Rechenschaft zu geben; es sei denn vielleicht ein Beamter der Vereinigten Staaten. Zu denen zähle ich aber nicht das Spielergesindel, das sich in den Minen herumtreibt. Sollte einer von denen zu

uns kommen und unverschämt werden, so gebe ich Ihnen, mein Wort, dass wir ihm alle Knochen im Leibe entzweischlügen.«

Der Amerikaner griff langsam mit der Hand in seine Brusttasche, wo er jedenfalls seinen Revolver verborgen hatte. Schon kam aber der andere Deutsche ebenfalls wieder heran. Da Mr. Smith es gar nicht für möglich hielt, dass jemand hier im Land herumgehen könne, ohne eine Schusswaffe bei sich zu tragen, und doch nicht so ganz sicher war, in wie weit er die Leute einschüchtern könne, zog er die Hand  zurück, griff den Zügel seines Pferdes auf, murmelte etwas in den Bart, das beinahe wie damned dutchmen klang, und bog langsam wieder in den vorher verlassenen Pfad ein.

Die beiden Deutschen lachten hinter ihm drein. Es war fast, als ob er beim Lauf sein Tier noch einmal einzügeln wolle; aber er besann sich doch eines Besseren und folgte den einmal eingeschlagenen Weg.

»Das sind die Pestbeulen der menschlichen Gesellschaft«, sagte da Fischer, als sein Kameradwieder neben ihm stand und dem Reiter nachsah. »Wer die Amerikaner nach diesem Gesindel beurteilen wollte, würde ein trauriges Urteil über sie fällen müssen. Glücklicherweise denkt der rechtschaffene Amerikaner aber gerade so wie wir über sie. Nur hier in Kalifornien und in den westlichen und wildesten Staaten der Union dürfen sie ihr Wesen treiben.«

»Was wollte denn der Bursche?«

»Ganz herablassend ein Gespräch mit uns anknüpfen«, antwortete Fischer, »vielleicht sogar eine kleine Spielpartie aus freier Hand arrangieren. Es wäre das erste Mal nicht, dass sie den Goldwäscher um seinen Ertrag gleich aus der Maschine heraus bestohlen hätten. Ich ließ ihn aber ablaufen. Doch er mag zum Teufel gehen und wird uns hoffentlich nicht wieder in die Nähe kommen.«

Mr. Smith hatte indessen, wahrscheinlich nicht in besonders guter Laune, denselben Baumstamm erreicht, über den hin der junge Graf Beckdorf vorher den Schatten bemerkt haben wollte. So, wie er nun wieder mit dem geleerten Eimer zur Grube zurückging, blickte er fast unwillkürlich den Hang hinauf, dem der Reiter folgte. In demselben Moment scheute dessen Pferd jäh zur Seite. Beckdorf sah, wie eine dunkle Gestalt gerade vor ihm in die Höhe sprang. Mr. Smith aber, auf seinem wahrscheinlich höchst bequemen, indes jedenfalls sehr unsicheren Sitz, verlor das Gleichgewicht und rollte an der rechten Seite des Pferdes aus dem Sattel.

Wohl hatte er dabei dessen Zügel nicht losgelassen, ehe er aber nur imstande war, wieder auf die Füße zu kommen, ja wahrscheinlich ehe er nur seine Lage recht begriff, tauchten aus allen benachbarten Büschen, wie aus dem Boden wachsend, Indianer auf. Der Weiße lag macht- und wehrlos in ihrer Gewalt, ehe er eine Waffe ergreifen oder sich zur Wehr setzen konnte. Fischer, durch den plötzlichen Lärm aufmerksam gemacht, war ebenfalls in die Höhe gesprungen, als der gellende Hilfeschrei des Überraschten zu ihnen niederschallte.

»Den Teufel auch«, rief da Beckdorf, indem er fast unwillkürlich die dort am Boden liegende Brechstange aufgriff. »Wenn das ein Spieler ist, so können wir doch nicht geduldig mit zusehen, wie ihn die Rotfälle da oben abschlachten.«

»Schade wäre es gerade nicht um ihn«, meinte Fischer, »aber Sie haben recht. Wenn wir ihm helfen können, dürfen wir nicht müßig bleiben. Wollen sie ihn aber umbringen, so schneiden sie ihm sechsmal da oben die Kehle durch, ehe wir hinaufkommen.«

Mit den Worten den neben ihm liegenden scharfen Spaten aufgreifend, sprangen die beiden Männer, so rasch sie konnten, den ziemlich steilen Hang hinauf, bis sie den Reitweg erreichte, und dann rascher vorwärts konnten.

Indessen aber, und während das wilde Geschreides Amerikaners noch immer durch die Berge drang, hatten sich etwa fünfzig Indianer um ihn gesammelt und seine Arme und Hände so mit Bast auf dem Rücken zusammengeschnürt, dass er nicht imstande war, nur die geringste Bewegung mit ihnen zu machen. Aber die zu seiner Rettung anspringenden Deutschen hatte er entdeckt. In den flehendsten Tönen bat er sie, ihn aus den Händen dieser Mörder zu befreien.